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Luca Cianchetti

Wie ich meine Unschuld verlor

Von Fritz Lüders, Fotos: Vice Golf, Fritz Lüders

Stell dir vor, du hast dein erstes Mal und über 50.000 Menschen schauen zu. Bei seiner Major-Premiere in Birkdale wurde dieser Traum für Luca Cianchetti Realität. Wir haben den Italiener vor und nach seinem großen Auftritt bei der Open Championship um eine Bestandsaufnahme gebeten.

Als die Open Championship 1860 ins Leben gerufen wurde, ließen der Earl of Eglinton und Oberst James Fairlie den Turniermodus bewusst "offen". Somit durfte jedermann an dem Wettstreit teilnehmen. Bis heute können theoretisch auch wir Wochenend-Hacker um den Claret Jug kämpfen. Doch hindern inzwischen diverse Qualifikationshürden alle Nicht-Profis, unter großem Applaus am ersten Tee aufgerufen zu werden. Jährlich schaffen es trotzdem immer wieder eine Handvoll Amateure zu dem britischen Major. 2017 mit dabei: Luca Cianchetti aus Modena, Italien.

Der 22-Jährige wollte ursprünglich Fußballspieler werden, später Pilot, der Liebe zum Fliegen wegen. Als Golfer geht es für Luca jetzt endlich hoch hinaus. Im August 2016 löste er bei der European Amateur Championship das Ticket für die 146. Open. Ganze sieben Extralöcher kämpfte er im Playoff gegen Norwegens Viktor Hovland um die Eintrittskarte zum ältesten Major der Welt.

"Als ich mit elf Jahren erstmals einen Ball schlug, flog er weiter als bei einem kleinen Knirps üblich", sagte Luca vor seinem Start in Southport zu GolfPunk. "Danach habe ich nie wieder aufgehört." Der sympathische Italiener fällt heute nicht nur wegen seiner langen Schläge auf - er ist auch der einzige Spieler auf der Wiese des Royal Birkdale Golf Club, der einen Ball der deutschen Firma Vice Golf über die Bahnen drischt.

Vor dem Start bei der diesjährigen Open Championship sprachen wir mit Luca über Nervosität und Vorfreude.

Luca Cianchetti: Bereit für Zidanes Kopfstoß: Tollkühner Italiener drückt seine Brust rausLuca Cianchetti: Bereit für Zidanes Kopfstoß: Tollkühner Italiener drückt seine Brust raus
Bereit für Zidanes Kopfstoß: Tollkühner Italiener drückt seine Brust raus

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ICH HABE WIRKLICH KEINE IDEE, WIE WEIT ICH KOMMEN WERDE. ICH GEBE NATÜRLICH MEIN BESTES UND MÖCHTE GUT ABSCHLIESSEN.
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Herzrasen beim Vorspiel: DONNERSTAG, 8:00 UHR

GolfPunk: Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie aufgeregt bist du so kurz vorm Start zu deinem ersten Major?
Luca Cianchetti: Zehn! Mindestens.

GP: Beim ersten Abschlag schauen dir gleich mehrere Tausend Leute auf die Finger: Wie kommst du mit den massiven Zuschauerzahlen klar?
LC: Ich versuche, mich so stark zu konzentrieren und zu fokussieren, wie es nur irgendwie geht. Wenn ich routinemäßige Dinge mache, die ich auch normalerweise tue, geht es mir besser. Dadurch verliere ich etwas Nervosität. Bin ich von einem Schlag enttäuscht, versuche ich dennoch, Spaß zu haben und die Atmosphäre sowie den Platz zu genießen. Ich habe in letzter Zeit ordentlich gespielt und fühle mich gut. Mal gucken, was passiert.

GP: Du feierst noch eine zweite Premiere: einziger Spieler mit Vice-Bällen bei einem Major.
LC: Ja, das ist großartig. Vice ist eine besondere Marke. Sie sind neu, frisch und anders. In Amerika ist Vice bereits eine große Nummer, auch in Europa steigt ihr Bekanntheitsgrad. Und das, obwohl sie ihre Produkte nur online anbieten.

GP: Wie kam es, dass ein italienischer Amateur der erste Spieler mit Vice-Bällen wird?
LC: Ende 2016 kontaktierten sie mich, als ich gerade Callaway gegen TaylorMade tauschte und viele Proukte ausprobierte. Sie fragten mich, ob ich nicht auch mal ihre Bälle spielen wolle. Sie gefielen mir auf Anhieb.

GP: Du konntest schon Erfahrung bei einzelnen European-Tour-Stopps sammeln. Aber im Vergleich zu hier...
LC: Hier ist alles anders! Die Atmosphäre ist unglaublich, es sind extrem viele Menschen hier!

GP: Dein Traum ist es, in einem Flight mit Phil Mickelson, Bubba Watson und Tiger Woods zu spielen, richtig?
LC: Das stimmt.

GP: Baut es nicht noch mehr Druck auf, verfolgt von allen Zuschauern und Kameras mit solchen Namen über den Platz zu gehen?
LC: Druck gefällt mir. Gemeinsam mit den Top-Jungs zu spielen ist mein Wunsch. Jetzt heißen meine Flight-Partner Richard Bland und Shaun Norris - zwei richtig gute Golfer. Ich freue mich auf die Runde mit ihnen.

GP: Seit einem Jahr steht fest, dass du bei der Open Championship dabei bist. Wie sah die Vorbereitung aus?
LC: Ich trainierte nicht anders als sonst. Anstelle der zwei üblichen habe ich diesmal lediglich drei Trainingsrunden gespielt. Auf einem Links-Platz sollte man vorher nämlich so viel üben wie möglich.

GP: Insgesamt 125 Bunker warten auf deine Bälle. Wäre ein Strandurlaub das richtige Trainingslager für Birkdale gewesen?
LC: [lacht] Auf die Bunker muss ich wirklich aufpassen. Gerade vom Tee sollte man sie nicht erwischen. Denn dann ist ein Schlag ins Grün eigentlich unmöglich.

GP: Hast du schon vor dem Turnier eine Strategie in deinem Kopf entwickelt?
LC: Nein, ich kam hierher und habe die letzten Tage den Kurs ausprobiert. Mit meinem Caddie sprach ich dann unseren Plan durch. Vorher geht das nicht, da der Wind einer der Hauptfaktoren ist und wir diesen erst kurz vorher einplanen können. Manchmal muss man die Strategie auch entdecken, während man spielt.

GP: Dein Lieblingsschläger ist der Driver. In Birkdale vielleicht nicht das beste Geheimrezept.
LC: Stimmt. Aber auch das hängt vom Wind ab. Ein 1er- oder 2er-Eisen ist hier wohl eher der Schlüssel zum Erfolg. So kann ich unter den Luftströmungen spielen. Eisen geben mir mehr Präzision und Sicherheit als der Driver.

GP: Kommende Woche wirst du Profi. Jetzt als Amateur würdest du im Falle des Falles kein Preisgeld bekommen. Wie sehr ärgert dich das?
LC: Das ist kein Problem. Nächste Woche beginnt ein neues Kapitel in meinem Leben. Ich werde jedoch die Jungs aus dem italienischen Team vermissen. Aber wer weiß, vielleicht treffe ich sie ja auch als Pros wieder.

GP: Mit welchem Ziel trittst du bei der 146. Open Championship an?
LC: Als Erstes will ich natürlich den Cut schaffen und solide spielen, ganz klar. Die Silbermedaille für den besten Amateur wäre etwas ganz Besonderes.

GP: Lass uns wetten: Wo wirst du das Turnier beenden und wer gewinnt?
LC: [lacht] Ich habe wirklich keine Idee, wie weit ich kommen werde. Ich gebe natürlich mein Bestes und möchte gut abschließen. Rory wird das Ding gewinnen. Er hatte ein paar verpasste Cuts in letzter Zeit und gibt sicher alles, um das zu ändern.

Luca Cianchetti: Familienclan buddelt im Sand: Anschließend hat niemand etwas gesehen
Familienclan buddelt im Sand: Anschließend hat niemand etwas gesehen
Freies Wochenende: FREITAG, 19:00 UHR

GP: Du hast mit +11 den Sprung ins Wochenende leider nicht geschafft. Überwiegt jetzt nach deinem Ende bei der Open Championship die Freude oder der Frust?
LC: Ich bin sowohl traurig als auch glücklich - eine komische Mischung. Ich denke, ich habe ganz gut gespielt. Meine Putts waren leider nicht optimal, mit dem langen Spiel bin ich dafür total zufrieden. Die Erfahrung ist unvergesslich.

GP: Lag's am Wetter? Deine Startzeiten waren schließlich immer während der schlechtesten Bedingungen.
LC: Als ich spielte, war es windig und heute regnete es auch noch am Nachmittag. Das machte es natürlich nicht einfacher. Die ersten neun Löcher gingen dennoch ganz gut, aber dann hatte ich etwas zu viele Putts. [grinst] Also brauchte ich auf den Back Nine mindestens vier Birdies. Ich spielte anschließend aggressiv, was etwas nach hinten losging. Es folgten zu lange Schläge ins Rough, kurze Putts, die ich nicht machte, und dann war es vorbei.

GP: Wie sah vor der zweiten Runde deine Taktik aus, als du mit fünf über Par nicht die beste Ausgangslage hattest?
LC: Die ersten Löcher liefen gut und ich hatte die Chance auf einige Birdies. Der Wind war kaum vorhanden. Durch den aufkommenden Regen drehte er dann leider und ich spielte die mittleren Löcher der Front Nine gegen den Wind. An der 7 machte ich einen extrem guten Abschlag, der zwei Meter von der Fahne lag. Durch den Starkregen und den Wind habe ich den Putt aber leider nicht gemacht. Anschließend spielte ich ein Bogey und wurde zunehmend schlechter.

GP: Man sah am heutigen Freitag sogar Leute, denen die Caps wegflogen. Gab es eine Chance, dem Wind irgendwie zu trotzen?
LC: Ich schaute, von wo der Wind gerade kam und wie stark er war. Die Entscheidung, ob man mit dem Schlag den Wind nutzte oder gegen ihn ankämpfte, war schwierig und ausschlaggebend.

 

Steckbrief

Alter: 22 Jahre
Wohnort: Modena (Italien)
Profi seit: 2017
Lieblingsverein: Inter Mailand
Erfolge:
• 8. Rang Porsche European Open 2017
• European Amateur Championship 2016
• 3. Rang Amateur Championship 2017

GP: Was ging dir durch den Kopf als du am Donnerstag zum erste Tee gingst und die Menschenmassen sahst?
LC: Ich war ganz schön aufgeregt! Zum Glück spielte ich einen der besten Abschläge des Tages. Es war natürlich unglaublich, in der Situation einen solchen Schlag zu machen. Danach ging es besser mit der Nervosität.

GP: Warst du während des Turniers die ganze Zeit wie in einem Tunnel oder konntest du das Drumherum wahrnehmen?
LC: Ich versuchte, nicht die ganze Zeit an Golf zu denken, denn über 18 Loch kann man die Konzentration nicht aufrechterhalten. Zwischen den Schlägen relaxte ich, witzelte mit meinem Caddie oder suchte Leute im Publikum, die ich kenne.

GP: Beschreibe uns deinen größten Moment der Open!
LC: Als ich die zwei Birdies hintereinander am ersten Tag spielte und mich von fünf über auf drei über verbesserte. Alle haben geklatscht - das war unglaublich!

GP: Was war der Hauptunterschied zu Turnieren, die du bisher gespielt hast?
LC: Dass hier nur die Crème de la Crème dabei war. Ich weiß, dass ich mich noch viel verbessern muss, um einer von ihnen zu werden. Aber es war mein erstes Major. Und mir fehlte einfach etwas die Erfahrung, um mit diesen großen Namen ein Turnier zu spielen.

GP: Neben dir gingen die besten Spieler der Welt über die Bahnen. Lernt man Rickie Fowler, Dustin Johnson & Co. dann besser kennen?
LC: Ich spielte eine Proberunde mit Molinari und in meinem Flight mit Richard Bland und Shaun Norris, aber sonst sprach ich wirklich mit niemandem. Ich war wahrscheinlich nicht näher dran als ihr. [lacht]

GP: Wie verhalten sich die Spieler untereinander?
LC: Sie gehen alle eher allein. Es gibt zwar manche, die miteinander rumhängen, aber es ist nicht so, dass sämtliche Profis dicke Kumpels wären. Auf solch einem Level wird es hart, sich zu integrieren. Aber ist man ein normaler oder lustiger Kerl, dann gelangt man sicherlich in den Kreis, egal wie man spielt.

GP: Fühlst du dich jetzt mehr als kompletter Spieler?
LC: Vielleicht ein bisschen. Ich freue mich, dass ich auf diesem Level mithalten konnte.

GP: Immerhin spieltest du besser als John Daly zum Beispiel.
LC: [lacht] Ja, aber das spielt keine Rolle. Vielleicht kann ich es nächstes Jahr noch mal probieren und schauen, wie weit ich komme. Wenn ich 2018 die Open spiele, werde ich reifer sein und besser wissen, was ich tun muss.

GP: Willst du zur Open 2018 wiederkommen?
LC: Na klar! Wenn es mit den Turnieren nicht klappt, werde ich auf jeden Fall das Qualifying ausprobieren.

GP: Wie verbringst du den Rest des Turniers?
LC: Als Zuschauer und Fan. Gerade Jordan Spieth und Rory McIlroy drücke ich die Daumen. Ich bin mir sicher, dass einer von beiden gewinnt.

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