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Gutes Benehmen? Saugt man im Vereinigten Königreich mit der Muttermilch auf

Ryder Cup 2016 – Teil 2

Das Imperium schlägt zurück

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Die Einzelstunden mit Woods scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Gelang es gestern Justin Rose und Henrik Stenson noch, das amerikanische Top-Duo Reed/Spieth auf Distanz zu halten, ist Patrick Reed an diesem Samstag nicht zu bremsen und ringt dem spanischen Duo García/Cabrera Bello nicht nur einen hart umkämpften halben Punkt ab, sondern es gelingt ihm auch die Revanche für die Niederlage am Vortag. 2&1 schlägt er im letzten Match des Tages Rose/Stenson, und wenn Jordan Spieth in diesen Sätzen nicht erwähnt wird, dann hat das seinen Grund, denn es ist ein völlig entfesselter Patrick Reed, der das englisch-schwedische Duo praktisch im Alleingang bezwingt. An diesem Nachmittag, an dem Reed kein Schlag ins Grün misslingen will, jeder Putt wie auf Schienen den Weg ins Loch findet und jeder Punch mit der Faust nach einem weiteren Birdie wie ein Schlag ins Gesicht für alle Fans von Team Europa wirkt, wissen wir nun alle nur zu gut, wie es um die Gemütslage der amerikanischen Fans bestellt war, als Ian Poulter zähnefletschend und auf die Brust trommelnd über den Platz stolzierte, während er scheinbar unschlagbar mit seinem Gegner die Fairways abwischte. Ganz Golf-Europa wird in Patrick Reed für viele Ryder Cups ein dankbares Feindbild finden, das genau diese Ressentiments der gegnerischen Fans in grandioses Golf umwandeln kann. Amerika hat in Hazeltine 2016 seinen Ian Poulter gefunden.

Während Reed ein Fairway hinter uns seine Horrorshow abzieht, verfolgen wir am Samstagnachmittag Martin Kaymer und Sergio García, die mit ihren Gegnern Phil Mickelson und Matt Kuchar alle Hände voll zu tun haben. Nach einem miesen Abschlag an der 16 hat Mickelson keine andere Wahl, als seinen Ball vor dem Wasser abzulegen und das Par 5 erst mit dem dritten Schlag zu attackieren. An seiner Frau Amy ist dieser für ihren Mann ungewöhnliche Spielzug auch aufgrund ihrer geringen Körpergrösse, bei der jede Bunkerkante das Sichtfeld extrem einschränkt, vorbeigegangen. Irritiert, keinen Ball auf dem Grün zu sehen, wendet sie sich an uns: "Wo liegt Phils Ball?" - "Er hat vorgelegt und liegt mitten im Fairway", geben wir Auskunft und unserem Gegenüber steht die Überraschung ins Gesicht geschrieben. "Er hat vorgelegt? Tatsächlich?", wiederholt sie halb zu sich selbst und murmelt: "Gut für ihn!" Nicht nur gut für Mickelson, sondern gut für Team USA, denn "Lefty" und Kuchar verteidigen durch selbstloses Spiel ihre knappe Führung und gewinnen ihr Match auf dem 17. Grün mit 2&1. 9,5 zu 6,5 steht es wenige Minuten später, und obwohl der Rückstand ein wenig knapper ist als vor vier Jahren, haben wir keine Hoffnung auf ein Medinah 2.0. Wenn selbst Phil Mickelson vorlegt, dann hat in diesem amerikanischen Team jeder seine Rolle gefunden und spielt sie zur Perfektion.

Ryder Cup 2016: Süß: Pärchentanz in der Schuldisko (l.) Scheiße am Schuh: nicht mal die Wünschelrute funktioniertRyder Cup 2016: Süß: Pärchentanz in der Schuldisko (l.) Scheiße am Schuh: nicht mal die Wünschelrute funktioniert
Süß: Pärchentanz in der Schuldisko (l.) Scheiße am Schuh: nicht mal die Wünschelrute funktioniert

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WIE MEIN RYDER CUP WAR? SCHEISSE! SOLL ICH MEINE ANTWORT AUSFÜHRLICHER GESTALTEN? RICHTIG SCHEISSE! Danny Willett
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Doch ganz egal wie es um die Chancen für Team Europa bei den morgigen Singles bestellt sein mag, als die Paarungen für Sonntag bekannt gegeben werden und an Nummer eins das Match Patrick Reed gegen Rory McIlroy erscheint, wissen alle Golffans von beiden Seiten des Atlantiks, dass morgen ein Feuerwerk abgebrannt wird.

DAVID JOHNSON HAT DAS LETZTE WORT


Als Patrick Reed auf dem ersten Grün am Sonntag einen Putt zu einem nach dem missratenen Abschlag äußerst unwahrscheinlichen Par locht, um das Auftaktloch doch noch zu teilen, wird klar, dass die Beschreibung "Feuerwerk" eine sagenhafte Untertreibung war. Von Loch 5 bis Loch 8 legen die beiden Superstars einen Zwischenspurt von insgesamt 9 (!) unter Par auf fünf Löchern hin, und nachdem auf Loch 8 zwei unglaubliche Birdie-Putts ins Loch fallen, haben nicht nur die beiden Kontrahenten, sondern auch alle Zuschauer rund ums Grün eine gemeinschaftliche außerkörperliche Erfahrung. Noch nie haben wir Profigolfer und Zuschauer derartig ekstatisch aus der Haut fahren sehen, und als das Loch geteilt ist, zeigen McIlroy und Reed mit einer freundschaftlichen Ghettofaust, in welchem Spirit diese Matches gespielt werden. Nach zu vielen unflätigen Zwischenrufen randvoll abgefüllter Zuschauer in den vergangenen Tagen hat die PGA nicht nur erneut auf halbwegs zivilisiertes Benehmen hingewiesen, sondern verfolgt seit Samstagnachmittag auch jeden Störer mit eiserner Härte. Die Anzahl der Platzverbote ist beachtlich und zeigt Wirkung, denn auf jeden Zwischenrufer kommen heute mindestens 100 Fans, die den Marshalls helfen, den Suffkopp und Störenfried ausfindig und unschädlich zu machen. Leidtragende dieses neu entwickelten Respekts für die europäischen Spieler im Speziellen und der menschlichen Umgangsformen im Allgemeinen ist Paulina Gretzky. Dustin Johnsons bessere Hälfte verfügt über einen Körperbau, der selbst Kate Moss in ihren magersten Zeiten als übergewichtig verspottet hätte. Da nun die Schmährufe in Richtung Rory McIlroy, Sergio García & Co. ausbleiben, entsteht zwischen den einzelnen Schlägen eine Stille, in der neidvoll abwertende Kommentare der Partnerinnen der einst pöbelnden Fans mehr als deutlich zu hören sind. "Sie ist viel zu dünn! Das sieht extrem ungesund aus" und "Oh Gott! Ich wusste ja nicht, dass Paulina so einen knöchrigen Arsch hat" sind noch die netteren Kommentare, die Paulina zu hören bekommt, während sie ihrem Mann bei der Arbeit zusieht.

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Nachdem Reed und McIlroy auf den ersten neun das wahrscheinlich beste Golf-Match aller Zeiten geliefert haben, geht auch diesen beiden Helden des Ryder Cup 2016 auf den Back Nine ein wenig die Luft aus, so kräftezehrend ist ein Einsatz über fünf Matches. Patrick Reed schleppt einen 1up-Vorsprung bis aufs letzte Grün, wo er sich daran erinnert, dass er Patrick Reed ist, seinen Birdie-Putt versenkt und jede Hoffnung auf ein weiteres sonntägliches Wunder auf amerikanischem Boden zunichtemacht. Zwar liefern die europäischen Top-Stars Stenson, Pieters und Cabrera Bello die erhofften Punkte und Sergio García ringt in einem Match für die Ewigkeit gegen Phil Mickelson, bei dem unglaubliche 19 Birdies fallen, einen halben Punkt ab, ein Blick auf eines der zahlreichen riesigen Scoreboards auf der Anlage macht allerdings schnell deutlich, wo die Probleme von Team Europa 2016 liegen: Besonders in der zweiten Hälfte des Teams sind die USA schlicht viel stärker besetzt. Andy Sullivan, Chris Wood, Matt Fitzpatrick und Lee Westwood haben heute einfach nicht die Qualität, sich mit ihren absolut solide spielenden amerikanischen Gegnern zu messen. Sinnbildlich dafür ist der Match-Verlauf von Danny Willett, der von Brooks Koepka mit 5&4 nach Hause geschickt wird und damit nach drei Einsätzen mit indiskutablen null Punkten dasteht.

Als die Amerikaner um Captain Davis Love III noch Champagner über die Menschenmenge spritzen, möchte in der Pressekonferenz des unterlegenen Teams ein amerikanischer Kollege von Willett wissen, wie er nach den Kommentaren seines Bruders und drei deutlichen Niederlagen seinen ersten Ryder Cup beschreiben würde. "Scheiße!", ist seine knappe Antwort, und als die Folgefrage etwas auf sich warten lässt, fügt er hinzu: "Soll ich meine Antwort ausführlicher gestalten? Richtig Scheiße!"

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Und David Johnson? Dem gelang es am Tag nach dem Sieg, seine am Mittwoch voll ausgekosteten fünf Minuten Ruhm bis in die Montagnacht zu retten, wo er in New York bei "The Late Show with Stephen Colbert" nicht nur aus dem Zuschauerraum den Gastgeber anpöbeln durfte, sondern folgerichtig auch für einen Putt auf die Bühne geholt wurde, den er nicht nur versenkte, sondern mit dem er auch Donald Trump wortwörtlich das Maul stopfte. An diesem Wochenende hat also ganz Amerika gewonnen.

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