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Schwinger Club Vol. 21

Michael Ballack

Von Jan Langenbein, Fotos: Sammy Minkoff

Als er noch der "Capitano" war, stand in Michael Ballacks Garage zwar längst ein Golfbag, doch das setzte Staub an. Mittlerweile werden die Schläger aber regelmäßig geschwungen, und wie es sich für einen Weltklasseathleten gehört, wurde auch bereits ein Sieg auf der European Tour eingefahren.

Es ist nicht leicht, hier in Mexiko, an der Südspitze der Baja California Sur, um genau zu sein, aufzufallen. Schließlich sorgt die knallende Sonne auch im Dezember für über 30 °C Lufttemperatur, wenige Meter entfernt nagt der Pazifik an paradiesischen Stränden und die 170 glücklichen Teilnehmer am Weltfinale des Audi Quattro Cup sind mit ihrem eigenen Spiel beschäftigt, denn ab morgen geht es um den Titel. Trotz all dieser Ablenkungen und des emsigen Betriebs auf der Driving Range des Ocean Course von Cabo del Sol fällt einer wie Michael Ballack hier sofort ins Auge und zwar nicht nur den vier deutschen Vertretern beim Weltfinale. Ganz egal ob man sich kein Stück für deutschen Fußball interessiert oder die letzten 20 Jahre in einer Höhle verbracht hat, dieser 1,90 Meter große, beinahe schon unanständig gut aussehende Typ hat ohne Zweifel die besondere Aura eines Spitzensportlers. Und jede Wette halten viele der Asiaten, Australier oder Südamerikaner, die nichts vom FC Bayern oder FC Chelsea und noch weniger von der Nationalmannschaft wissen, Michael Ballack in diesem Moment für einen Profigolfer. Wer könnte es ihnen verdenken? Nicht nur ist er mit seinen mittlerweile 39 Jahren immer noch im besten Profialter - für Golfer, versteht sich -, sondern sein gesamter Auftritt hat auch die unbedingte Bestimmtheit an sich, die auf Golfplätzen sonst nur Tour-Pros ausstrahlen. Kein Wunder, schließlich hat sich Ballack in seiner 18 Jahre dauernden Profikarriere im harten Fußballgeschäft auf der verantwortungsvollsten Position durchgesetzt und über viele Jahre gegen alle Angriffe behauptet. Wer als "Capitano" das Sommermärchen 2006 anführte, hat nicht nur den dritten Platz bei einer Weltmeisterschaft errungen, sondern auch einen erheblichen Beitrag zur Transformation einer ganzen Nation geleistet. Verglichen mit dem Haifischbecken des internationalen Profifußballs ist die PGA Tour ein knuffiger Streichelzoo, kein Wunder also, dass man Ballack den profihaften Auftritt auf einem Golfplatz sofort abkauft. Das vollkommen durchgestylte Outfit und ein Golfbag seine Ausstatters Adidas tragen ihr Übriges zu diesem beeindruckenden Auftritt bei.

Die Golfprofi-Fassade bröckelt, als der erste Schwung den Ball über die begrünte Wüste Mexikos fliegen lässt. Was Michael mit dem Golfschläger macht, ist durchaus ansehnlich, aber nicht mit dem seidig weichen Schwung eines Ernie Els oder Rory McIlroy zu vergleichen. Nobody is perfect! "Wie sieht's zurzeit mit dem Handicap aus?", möchte ich wissen. "Irgendwo um die 18 liege ich im Moment. Es lässt sich gut spielen mit einer 18. Dieses Handicap verzeiht auf dem Platz noch einiges", lautet seine Antwort und er kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Schließlich waren es dieser Schwung und diese 18, die ihm gemeinsam mit Florian Fritsch bei der Dunhill Links Championship im vergangenen Oktober den Sieg in der Pro-Am-Wertung eingebracht haben. Abgesehen vom Pro-Am in Pebble Beach gibt es für einen Amateurgolfer auf diesem Planeten nicht viel mehr zu gewinnen.

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So klappt's auch mit dem Handicap: einfach von den Damenabschlägen spielen

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ES GAB EINIGE BEIM FC BAYERN, DIE VIEL GOLF GESPIELT HABEN. ,BRAZZO', PIZARRO, OWEN HARGREAVES UND OLIVER KAHN NATÜRLICH.
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Bis dahin war es für den "Capitano" jedoch ein langer Weg, denn sein Einstieg in den Golfsport fand für einen Fußballprofi ungewöhnlich früh statt. Diese Berufsgruppe neigt nämlich dazu, Golf ihr gesamtes Berufsleben nicht als Sport anzuerkennen - wenige Ausnahmen bestätigen die Regel -, um dann im extrem schnell eintretenden Frührentnerdasein den Reiz des Golfsports, bei dem der altersbedingte Abbau der Leistungsfähigkeit viel später einsetzt als im Fußball, zu entdecken. "Zum ersten Mal auf die Kugel gehauen habe ich mit 18, damals aber maximal einmal im Jahr gespielt. Das war noch in Chemnitz zusammen mit Freunden. Ein Kumpel meinte: ,Lasst uns doch mal ein paar Golfbälle schlagen gehen!' Ich war gerade Profi geworden und hatte mit Golf überhaupt nichts am Hut. Das war kurz nach der Wende und in der DDR gab es natürlich kein Golf. Für uns war das damals purer Fun, Golfspielen konnte man das nicht nennen." Für Golfspielen war während seiner Zeit beim 1. FC Kaiserslautern und dem ersten Mal bei Bayer 04 Leverkusen schlicht keine Zeit, denn der Beruf des Bundesliga-/Nationalspielers ist ein Fulltime-Job und die wenigen freien Nachmittage im Monat auf dem Golfplatz zu verbringen würde im Familienkreis für erhebliche Quellbewölkung sorgen. Erst als Ballack mit seinem Wechsel zum FC Bayern München 2002 auf eine eingeschworene Clique von Golfern traf, nahmen die sporadischen Besuche auf der Driving Range ein wenig zu. "Es gab einige beim FC Bayern, die viel Golf gespielt haben. ,Brazzo', Pizarro, Owen Hargreaves und Oliver Kahn natürlich. Golf ist ein guter Ausgleich, da es das komplette Gegenteil zum Profifußballer-Leben ist. Auf dem Golfplatz ist man so gut wie allein, während man beim Training ständig Leute um sich herum hat, die irgendetwas wollen, und man ist ständig unter Beobachtung. Auf dem Golfplatz kann man abschalten." Richtig los ging es dann aber erst, als Michael 2012, wieder zurück in Leverkusen, die Stollenschuhe an den Nagel hängte. Plötzlich war nicht nur die vorher so knappe Zeit im Überfluss vorhanden, sondern das häufigere Spielen steigerte die Qualität des Golfspiels auch ganz gehörig. Der Punkt ist bei einem ehrgeizigen Spitzensportler nicht zu unterschätzen, schließlich kann sich ein lebenslang auf Wettkampf gepolter Fußballer nicht plötzlich mit suboptimalen athletischen Leistungen zufriedengeben.

Michaels Spiel wurde besser, die Einladungen zu Pro-Ams nahmen zu und eine Begegnung mit Miguel Ángel Jiménez blieb ihm bis heute im Gedächtnis, obwohl sie bereits zehn Jahre zurückliegt: "Jiménez hat mich beeindruckt, einfach weil er ein sehr cooler Typ ist. Seine ganze Art zu spielen hat mir sehr gefallen." Im Vorfeld der BMW Open in Eichenried schnappte sich Michael des Öfteren seine Pro-Am-Partner wie Rafael Cabrera-Bello oder Pablo Larrazábal und schleppte sie gemeinsam mit weiteren Tourkollegen und Profifußballern auf den Fußballplatz. "Vor dem Pro-Am in München spielen wir auf der Open-9 zuerst Fußball und dann neun Löcher Golf. Das Fußballspielen gefällt den Jungs immer sehr gut."

Schwinger Club Vol. 21: Legerer Dresscode: Valet Parking in Mexiko
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Unabhängig von der Disziplin sprechen Profisportler eine universelle Sprache. Für Zockereien mit dem Ex-Bayernkollegen Salihamidžic ist einer wie Michael Ballack aber nicht zu haben. "Ich zocke nicht beim Golfen. Wir spielen vielleicht das Getränk nach der Runde aus, aber mehr nicht. Natürlich wollen wir Wettkampf und spielen gegeneinander, Einsätze gibt es aber keine. Ich kenne natürlich auch Kollegen, die immer um etwas spielen wollen. Das gehört einfach zum Golf, oder? Viele behaupten sogar, dass man sich nur so wirklich verbessern kann."

Diese Meinung teilt Michael nicht und versucht es mit klassischem Training, wenngleich seine Handicap-Ziele für einen Weltklassesportler relativ bescheiden ausfallen: "Golf ist einfach Spaß für mich. Es ist nicht entscheidend, ob ich Handicap 8 oder 12 auf meiner Karte stehen habe. Ich möchte natürlich bald einstellig spielen, um dieses Gefühl einmal erlebt zu haben. Eine Runde im einstelligen Handicap-Bereich habe ich bereits gespielt, aber das war der berühmte Ausrutscher nach oben. Das Handicap ist ja die Stärke, die man regelmäßig spielt. Viele Golfer verwechseln das. Kaum hat man einen guten Tag, hört man: ,Das ist dein Spiel!' Die Tage, an denen man völlig verhackt, erwähnt keiner. Diese Tage müssen aber auch gezählt werden. Mein Ziel ist, mich immer wieder ein bisschen zu verbessern." Und lachend fügt er im königlichen Wir hinzu: "Verschlechtern wollen wir uns nicht."

2014 sprach es sich sogar bis nach St. Andrews herum, dass hier in Deutschland einer der besten Fußballer, die diese Nation je hervorgebracht hat, auch ganz ansehnlich Golf spielt, und die Einladung zur Dunhill Links Championship folgte prompt. Gemeinsam mit Marcel Siem ging es zusammen auf die Runden in Carnoustie, Kingsbarns und den Old Course. Das Duo um den Tour-Routinier und den Pro-Am-Neuling schlug sich beachtlich und scheiterte mit einem geteilten 39. Rang knapp am Cut. "2015 hat es noch besser geklappt", erzählt Michael am Ende eines langen Golftags unter der Sonne Mexikos beim Abendessen und kann sich ein Lachen dabei nicht verkneifen. "Ich weiß, wie schwierig das ist und wie viel Glück man auch braucht, um vorne mit dabei zu sein, vor allem als Amateur. Wichtig ist es, dass, wenn einmal ein Loch verhauen wird, der andere dann für einen da ist. Diese Spielform ist absolute Teamarbeit." Obwohl Michael im Halbfinale einer WM vor heimischem Publikum gespielt hat, zweimal im Champions-League-Finale antrat und unzählige Pokal- und Meisterschaftsschlachten vor bis zum Bersten gefüllten Stadionrängen geschlagen hat, ließ auch ihn das Gefühl, am Sonntag in der letzten Gruppe auf den Old Course zu gehen, nicht kalt.

Schwinger Club Vol. 21: Nicht ohne LSF 50: ein Tag am Strand
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"Nervös war ich auf jeden Fall. Die Nervosität war am Vorabend, als ich realisiert habe, was auf mich zukommt, viel schlimmer. Mir wurde klar, dass eine Menge Leute mitlaufen werden, denn der andere Pro im Flight, Thorbjørn Olesen, hat die Profiwertung angeführt. Aber nach dem ersten Abschlag war ich dann recht ruhig." Hat jemand vier Jahre bei einem der polarisierendsten Vereine der Premier League eine zentrale Position gespielt und führt nun als Amateur im Team ein European-Tour-Turnier an, sollte man meinen, dass es auf der Insel den ein oder anderen Arsenal- oder ManU-Fan gibt, der sich an dieser Stelle für zuvor zugefügte Niederlagen in der Liga rächen möchte, doch die Schotten wissen offenbar gut zwischen Fußball und Golf zu unterscheiden. Trash-Talk? Fehlanzeige! "Das war immer sehr fair. Die Schotten sind ja bekannt dafür, dass sie eher ruhig sind. Das war angeblich das beste Wetter, das sie während eines Finaltags bei der Dunhill je hatten, und darum waren sehr viele Zuschauer auf dem Platz. Zwischenrufe gab es keine; wenn man aber im Rough liegt und somit näher bei den Zuschauern steht, wird man besonders als Amateur auch angequatscht und spricht mit den Zuschauern." Für seinen Profipartner Florian Fritsch lief es an diesem Tag bekanntlich nicht allzu rosig und nach zwei unglücklichen Lagen in Fairwaybunkern war Olesen der Sieg nicht mehr zu nehmen. Das Gleiche galt jedoch glücklicherweise auch für das deutsche Duo in der Pro-Am-Wertung, denn der "Capitano" hatte seine Nerven im Griff, wie man das von einem vierfachen deutschen Meister, sechsfachen deutschen und englischen Pokalsieger und Vizeweltmeister erwarten kann.

Blickt man heute auf seine Bilderbuchkarriere zurück, ist es beinahe unglaublich, dass einem begnadeten Fußballer wie Michael Ballack der große internationale Titel verwehrt blieb. Dafür hat er aber nun ein Foto, auf dem er mit Teamkollegen und Siegertrophäe auf der Swilcan Bridge posiert, das Clubhaus des R&A im Hintergrund. Dieses Foto ist viel mehr als nur ein Trostpreis. Herzlich willkommen im Schwinger Club, Michael Ballack!

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