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Nicolas Colsaerts

Der belgische Bomber

Von Shaun McGuckian, Fotos: Darren Arthur

Während wir noch ungläubig mit den Augen in die Sonne Dubais blinzeln, ist Nicolas Colsaerts' Ball längst schon ganz woanders.

Hast du schon mal etwas von Teahupoo gehört?", möchte Nicolas Colsaerts wissen. "Das ist eine riesige Welle über einem Riff in Tahiti. Die muss ich unbedingt einmal mit eigenen Augen sehen!" Wir gehen seine "Dinge, die ich tun muss, bevor ich abtrete"-Liste bei einem Bier unter der Sonne Dubais durch. Bislang haben es Tahiti, das Polarlicht am Nordpol, ein anständiger Ibiza-Urlaub (entgegen anders lautenden Gerüchten war er tatsächlich nie dort) und mehr Konzerte, als Mick Jagger Groupies hatte, auf die Liste geschafft. "Yeah, ich würde gerne viel mehr Konzerte besuchen, aber das ist nicht so einfach, denn man will den Turniermodus, in dem man während der Woche steckt, nicht verlieren."

Tatsächlich hat es Nicky C. in diesem Jahr allerdings erst auf einen kurzen Skitrip und zwei Wochen härtestes Fitness-Bootcamp in Phuket gebracht. "Das muss ich mittlerweile einfach machen, Mann. Ich bin jetzt 32. Ich muss schwitzen. Einfach so 25 Turniere spielen und wettbewerbsfähig bleiben, indem man auf der Couch rumhängt, diese Zeiten sind vorbei. So ein Bootcamp ist optimal für mich, da ich sonst nicht immer die Zeit finde, regelmäßig ins Fitness-Studio zu gehen. Das macht mich wirklich verrückt. Drei bis vier Wochen härtestes Fitness-Training pro Jahr gefolgt von jeweils etwa zehn Tagen Schwungtraining, um wieder in den Rhythmus zu kommen. Ich weiß nicht, ob ich das noch ewig so machen kann, aber im Moment funktioniert es gut für mich."

Nachdem er sein gesamtes bisheriges Erwachsenenleben auf der Tour verbracht hat, sollte Nicky C. auch ein Gefühl dafür entwickelt haben, was für ihn funktioniert und was nicht. Was den "belgischen Bomber" jedenfalls niemals im Stich ließ, ist seine "Hau drauf und lächle"-Einstellung.

Denn Nicolas Colsaerts schlägt Drives wie kaum ein Zweiter. Das Faszinierende daran ist, dass sein Schwung überhaupt nicht danach aussieht. Kein Vergleich zum Longhitter in deinem Club - sein Name ist vielleicht Nick oder Steven -, dessen Venen bedenklich anschwellen, während eine Leistenzerrung jedes Mal unausweichlich erscheint, versucht er wieder einmal, einen Longest Drive Contest zu gewinnen. Nicolas' Bewegungsablauf vermittelt den Eindruck, als würde er eine Symphonie dirigieren. Doch dann entwickelt der Ball ein Geräusch, das an einen startenden Dragster erinnert, und jeder Zeuge dieser Szene fragt sich unweigerlich, wohin die weiße Kugel wohl verschwunden sein mag, bis sie Sekunden später weit, weit weg, wo kaum jemand die Landezone für einen Abschlag vermuten würde, wieder auftaucht.

Nicolas Colsaerts: Exklusiv: das Bewerbungs-Photoshooting zur Dirk-Bach-NachfolgeNicolas Colsaerts: Exklusiv: das Bewerbungs-Photoshooting zur Dirk-Bach-Nachfolge
Exklusiv: das Bewerbungs-Photoshooting zur Dirk-Bach-Nachfolge

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ICH KANN DEN BALL CARRY MEHR ALS 300 YARDS WEIT SCHLAGEN. ABSCHLÄGE MESSE ICH AUSSCHLIESSLICH IN CARRY-LÄNGEN.
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Dieses "weit, weit weg" ist stets mehr als 300 Yards entfernt. "Ich kann den Ball carry über 300 Yards weit schlagen. Abschläge messe ich ausschließlich in Carry-Längen." Bei den ISPS Handa Welsh Open brachte es Nicolas Colsaerts auf sagenhafte 447 Yards vom Tee. "Ich wusste schon recht früh, dass ich den Ball weiter als alle anderen schlagen konnte. Ich habe jahrelang Feldhockey gespielt und war immer grösser als der Rest. Ich habe die körperlichen Voraussetzungen, die es dafür braucht. Es war jedoch nie mein definiertes Ziel. Ich sehe mich nicht als diesen Typen, der den Ball vom Tee weiter als alle anderen bombt. Ich mag es, Golfplätze zu spielen. Ich habe ein gutes Eisenspiel und bin ein guter Ballstriker."

Um diese Aussage zu untermauern, fordert er unseren Fotografen Darren dazu auf, sich vor ihm auf den Rasen zu legen, um ein paar Frontalaufnahmen seines Schwung zu schießen. "Kollege, was stimmt denn nicht mit dir? Komm ruhig näher! Du bist viel zu weit entfernt für ordentliche Bilder." Darren robbt ein paar Zentimeter näher, doch ist immer noch mindestens zehn Meter von der Action entfernt. "Kollege, stell dich nicht so an. Wenn ich den Ball über dich schlagen will, dann schlage ich den Ball auch über dich." Dieses Spiel wiederholt sich noch ein paar Mal, bis Darren endlich keine vier Meter vom rasenden Schlägerkopf des Belgiers entfernt ist und die Bälle über seinen Kopf zischen.

"Die Art und Weise, wie man den Schlägerkopf zum Ball bringt, entscheidet über den Schlag. Wenn man ein wenig nach hinten wegkippt, wird der Ball zu hoch fliegen. Bleibt der Körper zu sehr über dem Ball, wird die Flugbahn zu flach", erklärt er. "Nicht dass ich das jemals in einem Skizzenblock festgehalten hätte. Aber ich war immer schon daran interessiert, unterschiedliche Schläge spielen zu können, enfach bang, bang, bang und das Ganze ausprobieren."

Es ist diese unbekümmerte Energie, mit der Nicky C.s Golfschwung Zuschauer in seinen Bann zieht, und wenn der Belgier dann tatsächlich auf allen Zylindern läuft, kann einer dieser schwer beeindruckten Zuschauer sogar kein Geringerer als Tiger Woods sein. So geschehen während der Fourball Matches beim Ryder Cup in Medinah. Nicolas gab sein Ryder-Cup-Debüt gegen Steve Stricker und Tiger Woods, auf dem Papier eine klare Sache und scheinbar ein sicherer Punkt für das US Team. Doch Nicky C. hatte andere Pläne. Er zerpflückte den alles andere als kurzen Platz in Chicago und sorgte mit acht Birdies und einem Eagle quasi im Alleingang für den 1-up-Sieg. Seinem Partner an diesem Tag Lee Westwood blieb nichts anderes übrig, als bei der späteren Pressekonferenz diebisch zu grinsen und immer wieder auf den scheinbar mit Superkräften ausgestatteten Debütanten zu zeigen.

"Ich wusste, dass ich diese Sorte Golf in mir hatte, aber ich hatte keine Ahnung, dass ich auch diese Reaktionen zeigen würde, als die Schläge förmlich aus mir heraussprudelten. Erst als ich kurze Zeit später die Fernsehbilder gesehen habe, ist mir in den Sinn gekommen, wie cool das alles war. Es ist ein tolles Gefühl, endlich bestätigt zu bekommen, dass man seine beste Leistung in einer solchen Situation abrufen kann. Man versucht, alles andere beiseite zu legen, um eine Chance zu haben, ein solch lupenreines Golf zu spielen. Doch das passiert nicht einfach so. Wir sind alle menschlich, Mann. Es muss eine ganze Menge zusammenkommen, damit man sich in diesen Zustand versetzen kann und die Schläge einfach passieren. Sobald das Bewusstsein die Oberhand gewinnt, ist das nahezu unmöglich."

Genau dies scheint allerdings die Regel zu sein: "In Portugal habe ich mit einer 59 geflirtet und bin nahe an dieses Level herangekommen. Das beste Golf, das ich jemals gespielt habe, war jedoch bei der Trophy Lancôme 2003. Ich war damals erst 21. Und dann auch der erste Tag beim Ryder Cup und in Portugal. Das war also 2003, 2012 und 2014. Ich habe nun wirklich bereits eine Menge Golf gespielt. Man merkt also, dass diese Tage nicht allzu oft Wirklichkeit werden."

Obwohl Nicolas Colsaerts in der breiten Golföffentlichkeit hauptsächlich für eine Sache, seine unglaubliche Länge, berühmt-berüchtigt ist, ist ihm völlig klar, dass es mehr braucht, um auf der Tour zu bestehen, als nur die übernatürliche Zirkusnummer mit den unmenschlichen Abschlägen abzuziehen. Sich selbst sieht er als "Old School"-Golfer, als Ballstriker, der über sämtliche Schläge und Flugkurven nach Lust und Laune verfügen und sich mit diesen Fähigkeiten aus fast jeder Lage befreien kann.

"Man kann fast überall Abkürzungen finden. Länge und Power vom Abschlag geben einem auch gewisse Vorteile, aber wir spielen eben nicht jede Woche auf US-Open-Plätzen und viele der ehemals kürzeren Spieler haben den Abstand verringert. Wir Longhitter haben von dem neuen Equipment nicht im gleichen Masse profitiert wie alle anderen. Auf der Range bei einem Profiturnier kann heute jeder beobachten, dass die meisten Pros konstant 270 oder sogar 280 Yards weit schlagen. Ich bin ihnen also nur noch 20 Yards voraus. Es bringt mich immer auf die Palme, wenn ich im Laufe einer Runde 15 oder 16 Grüns getroffen habe und am Ende nur wenige Schläge unter Par liege, während andere mit nur zwölf getroffenen Grüns eine 66 gespielt haben. Ich wirke dann äußerlich vielleicht ruhig, aber glaube mir, in meinem Kopf explodieren Bomben!"

"Kommen wir noch mal auf die Liste vom Anfang zurück", ändere ich das Thema. "Was steht auf deiner golfspezifischen ,Dinge, die ich tun muss, bevor ich abtrete'-Liste?"- "Das Übliche: Major-Turniere und ein paar mehr Siege. Aber im Grunde möchte ich nur diesen Genuss, die Schläge vor meinem geistigen Auge zu sehen, noch oft erleben. Dann muss man den Ball nur noch hoch aufteen und die Augen schließen!"

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