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Tiger Woods

Von hier an abwärts?

Von Jan Langenbein

Mieses Golf, angeknackstes Selbstvertrauen und zu wenig Schlaf - das Leben des Tiger Woods ist zurzeit kein Zuckerschlecken, und ob er jemals wieder in den Kreis der Sieger zurückkehren kann, ist heute fraglicher denn je.

Als Tiger Woods auf dem 18. Loch während seiner zweiten Runde beim Memorial Tournament nach einem miesen Abschlag aus 190 Metern das Grün verfehlte, war die Situation klar: Ein Up and Down zum Par aus etwas mehr aus 35 Metern musste her oder er würde den Cut verpassen. Zwar spielt Woods schon lange nur noch Golf, um Major-Turniere zu gewinnen, aber ein verpasster Cut bei Jack Nicklaus' Turnier - das Event hat er bereits fünfmal gewonnen und bei 15 Starts hatte er kein einziges Mal das Wochenende frei - wäre doch ein zu spürbarer Knacks für das ohnehin schon lädierte Ego gewesen. Also drehte Woods für einen kurzen Moment die Uhr um 15 Jahre zurück, spielte einen grandiosen Pitch und lochte den Putt aus knapp zwei Metern, als wäre es die einfachste Sache der Welt. Diese Reise in die Vergangenheit schloss auch die Frage-und-Antwort-Session nach der Runde mit ein, in der er den Reportern Folgendes in deren iPhones sprach: "Ich muss mich selbst wieder in die Position bringen, dass diese Putts den Turniersieg bedeuten und nicht den überstandenen Cut." Es war exakt diese "Nur der Sieg zählt"-Attitüde, die Tiger Woods einst so unangreifbar und zum grössten Golfer aller Zeiten machte. Inmitten eines Seuchenjahres beinahe biblischen Ausmassen wirken solche Sprüche allerdings wie das Pfeifen im Walde und der Super-GAU sollte nur wenige Stunden auf sich warten lassen. Nach einer ausführlichen Trainingseinheit am Freitagabend hackte sich der ehemalige Weltranglistenerste am Samstagvormittag in einer Art und Weise über den Platz von Muirfield Village, die jedem Golffan, der Tiger Woods einst auf dem Höhepunkt seines Könnens beobachten durfte, Schauer über den Rücken jagte. Die 85, die Tiger an diesem Samstag ins Clubhaus brachte, bedeutete nicht weniger als die schlechteste Runde seiner gesamten Profilaufbahn und Zeichen, dass er bald wieder über Putts, die den Turniersieg bedeuten, stehen könnte, sehen seither nur noch die treuesten Fans und unbelehrbare Optimisten.

Jack Nicklaus ist sich zwar sicher, dass Tiger "die Sache schon wieder unter Kontrolle" bekommen werde, bei Hunter Mahan dagegen schrillen die Alarmglocken: "Als Fan muss man den Eindruck haben, Tiger hat nicht mehr so viel Spaß am Golf wie früher." Wie könnte er auch? Fünf grandiose Siege konnte Tiger Woods noch 2013 verbuchen und es schien, als wäre die große Krise nach Tigergate und Sexskandal endlich überwunden. Doch auf eine verletzungsverseuchte und sieglose Saison 2014 folgte ein öffentliches Zurschaustellen von Gruselschlägen und Horrorgolf, das selbst die stärkste Psyche in ernsthafte Mitleidenschaft ziehen muss. Auf Chipping-Yips im Januar, die bei den Liveübertragungen der PGA Tour den Anschein erweckten, hier machten nicht die besten Golfer der Welt ein Turnier unter sich aus, sondern der Teilnehmer eines Golf-Schnupperkurses wagte sich etwas zu früh an die Platzreifeprüfung, folgten furchteinflössend weit verzogene Schläge mit dem Driver auf beide Seiten der Fairways.

Tiger Woods:

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AUF EINE VERLETZUNGSVERSEUCHTE UND SIEGLOSE SAISON 2014 FOLGTE EIN ÖFFENTLICHES ZURSCHAUSTELLEN VON GRUSELSCHLÄGEN UND HORRORGOLF, DAS SELBST DIE STÄRKSTE PSYCHE IN ERNSTHAFTE MITLEIDENSCHAFT ZIEHEN MUSS.
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Nicht nur gewöhnlichen Golffans, auch Schwungexperten klappt die Kinnlade herunter, wenn sie mit ansehen müssen, dass der wohl beste Golfer, der je das Sonnenlicht erblickte, bei den Phoenix Open seine Chips ein ums andere Mal entweder schmerzhaft dünn oder grauenhaft fett trifft. Wie ein Golfer mit dem Talent und der Erfahrung eines Tiger Woods seinen ersten Abschlag beim Masters 2015 so weit nach links verziehen kann, dass er selbst die Baumreihe links der Spielbahn verfehlt und irgendwo auf Loch 9 zum Liegen kommt, bleibt ein modernes Golfmysterium. Es sind Schläge wie diese, die im Laufe von gerade einmal 15 Monaten dafür sorgten, dass Tiger Woods vom ersten Platz der Weltrangliste ins Bodenlose abstürzte. Auf Rang 195 zwischen dem Franzsen Julien Quesne und dem Südafrikaner Jacques Blaauw ist Tiger mittlerweile angekommen. Das mutet in etwa so an, als wäre der FC Bayern München in die Regionalliga abgestiegen und eine Erklärung für diesen Absturz ist nicht einfach auszumachen.

Mangelnder Nachtschlaf, wie ihn Woods noch bei der Players Championship beklagte, scheidet als Grund ganz sicherlich aus. Zwar hatte er nach der Trennung von Lindsey Vonn zwar augenscheinlich einige Nächte äußerst unruhig geschlafen, allerdings kann auf der nach oben offenen "Ärger mit der Frau"-Skala die Trennung von Vonn in der Welt des Tiger Woods, die in der Vergangenheit schon von apokalyptischen Erdbeben heimgesucht wurde, maximal leicht spürbare Erschütterungen hervorgerufen haben.

Verletzungen oder körperliche Beschwerden können für die schwerste sportliche Krise, die Tiger Woods je erfasst hat, ebenfalls nicht der Grund sein. Zwar liest sich die Liste seiner Verletzungen und Operationen angefangen von einer Knieoperation 1994 über einen doppelten Ermüdungsbruch im linken Bein bei den US Open 2008 bis hin zu Bandscheibenproblemen im vergangenen Jahr länger als die Aufstellung aller chirurgischen Eingriffe, die das Gesicht von Donatella Versace hat über sich ergehen lassen müssen, doch nach eigenen Angaben sind Tiger Woods' Gebrechen seit Anfang der Saison völlig ausgeheilt.

Es ist nicht nur der Spaß am Spiel, der Tiger Woods abhanden gekommen ist, sondern auch das Verständnis für den eigenen Schwung, glaubt Hunter Mahan: "Technisch läuft nach sechs oder sieben Monaten mit Chris Como noch überhaupt nichts bei ihm."

Jeder Wechsel des Schwungcoachs, egal ob von Butch Harmon zu Hank Haney, von Haney zu Sean Foley oder nun der Wechsel von Foley zu Chris Como, wurde von der gesamten Golfweltöffentlichkeit immer äußerst kritisch beäugt, doch so schlimm wie Chris Como, den neuen Schwungdoktor an Tigers Seite, hat es in puncto Unverständnis noch keinen seiner Vorgänger getroffen. Zum einen weil es dieses Mal keinen offensichtlichen Grund für eine Schwungumstellung samt Trainerwechsel gab wie noch 2003, als Woods mit einem neuen Schwung sein frisch operiertes links Knie entlasten wollte. Und zum anderen weil Tiger während einer Schwungumstellung noch nie derart einem in Schock erstarrten Reh im Scheinwerferlicht glich. Ganz offensichtlich gibt es ernsthafte Probleme mit dem Schwung, seit Tiger Woods und Chris Como zusammenarbeiten, und das belegen nicht nur einzelne Katastrophenschläge wie Tigers Abschlag am achten Loch in Sawgrass während der Eröffnungsrunde bei der Players Championship 2015. Unter den ungläubigen Augen von Spielpartner Martin Kaymer versemmelte Woods sein Eisen 4 an diesem Par 3 derart übel, dass sein Ball in einem Wasserhindernis rechts der Spielbahn landete, das für Profis nun wirklich nicht im Spiel sein dürfte. In Zahlen ausgedrückt: Seit 2003 wurden auf diesem Loch bei der Players Championship insgesamt 1.903 Abschläge gespielt und nur zwölf fanden diesen Teich. Einer dieser zwölf kam von Tiger Woods, der unmittelbar nachdem er sein Eisen fallen ließ, schockiert die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Tigers durchschnittliches Rundenergebnis 2015 liegt mit 73,53 Schlägen zum ersten Mal überhaupt während seiner Profikarriere über Par und der Vergleich mit seinen beiden besten Jahren in dieser Statistik 2000 und 2006, in denen sein Scoring Average am Ende der Saison jeweils 67,79 Schläge betrug, zeigt deutlich, wie weit Tiger Woods auch statistisch gesehen von seinem besten Golf entfernt ist.

Tiger Woods:
2015 ist keine Aneinanderreihung schlechter Schläge, die nur deshalb weltweit über die Fernsehschirme flimmern, weil Tiger Woods nun einmal Tiger Woods ist und jede seiner Bewegungen auf einem Golfplatz von unzähligen Kameras festgehalten wird. 2015 ist die bis dato schwerste golferische Krise, die der ehemalige Weltranglistenerste in seiner Profilaufbahn zu bewältigen hatte. Es muss eine unglaubliche Demütigung für Tiger sein, aufgrund seiner unglaublich schlechten Weltranglistenplatzierung bislang für das Turnier, das er als Letztes gewinnen konnte - das Bridgestone Invitational 2013 -, noch keine Startberechtigung zu haben, und nach mehr als sieben Monaten Arbeit am neuen Schwung zusammen mit Chris Como geht auch dem Argument "Schwungumstellung", das er nach jeder neuen Horrorrunde beinahe schon gebetsmühlenartig wiederholt, langsam die Luft aus. Im Dezember wird Tiger 40 Jahre alt, und obwohl es von Jack Nicklaus bis Vijay Singh eine Menge Golfer gibt, die auch mit mehr als vier Jahrzehnten auf dem Buckel noch einige der grössten Turniere überhaupt gewinnen und die Golfszene dominieren konnten, werden die Zweifel immer grösser, dass dieses Kunststück auch Tiger Woods gelingen kann. Zu viel scheint er seinem Körper in den vergangenen 20 Jahren zugemutet zu haben und zu lange dauerte es die letzten beiden Male, um nach einer massiven Schwungkorrektur wieder bis ganz nach oben an die Weltspitze zurückzukehren. Ganz so, wie ihm bei der PGA Championship 2009 während der Finalrunde die Puste ausging und er sich von Y.E. Yang zum ersten Mal am Schlusstag eines Majors überhaupt die Führung abnehmen ließ, könnten Tiger Woods dieses Mal die Jahre ausgehen, in denen er noch über die Fähigkeiten verfügt, den Thron noch einmal zu besteigen oder gar Jack Nicklaus' Major-Siegrekord zu brechen.

Während seines Höhenflugs um die Jahrtausendwende schien immer klar, dass sich Tiger Woods irgendwann äußerst spektakulär getreu Neil Youngs Devise "It's better to burn out than to fade away" vom Profigolfzirkus verabschieden würde. Genau so, wie er sich 1996 mit einem "Hello World" der Welt vorgestellt hatte, würde er 2025 in St. Andrews mit einem "Goodbye World" unmittelbar nach seinem siebten Sieg bei der Open Championship, der gleichzeitig sein 23. Major-Sieg und 119. Sieg auf der PGA Tour gewesen wäre, in den Sonnenuntergang reiten und die Golfschläger für immer in die Garage stellen. Woods wäre 49 Jahr alt. Champions Tour? Wozu?

Diese selbst noch 2007 absolut plausible Zukunftsvision scheint heute unwahrscheinlicher denn je und vielleicht müssen wir uns tatsächlich an den Gedanken gewöhnen, dass selbst ein einst unverwundbar scheinender Tiger Woods irgendwann in der sportlichen Bedeutungslosigkeit verschwinden kann. Doch ganz genau so, wie Baseballfans, die in den 20ern Babe Ruth zujubeln konnten, Fußballfans, die in den 80ern über Diego Armando Maradona staunten, und Basketballfans, die sich in den 90ern von den Leistungen eines Michael Jordan berauschen ließen, weiß auch jeder Golffan, dass er in den vergangenen 18 Jahren das unglaubliche Glück hatte, dem begnadetsten Golfer aller Zeiten bei der Arbeit zusehen zu dürfen. Und solange Tiger Woods sich noch dazu berufen fühlt, donnerstags am ersten Abschlag eines Profiturniers aufzutauchen, kann dieser Typ auch noch gewinnen. Egal wie unglaublich das im Moment klingen mag.

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