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Tony Finau

Der Matratzenkönig

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images, Nike

Von der heimischen Garage auf die PGA Tour - wäre Tony Finaus Leben ein Hollywood-Drehbuch, würde sein Ende garantiert als Überkitsch durchfallen. Doch was Tony erreicht hat, ist die Realität und der 26-Jährige hat gerade erst mit dem Gewinnen begonnen.

Auch als das lang ersehnte Ziel zum Greifen nahe lag, gönnte sich Tony Finau noch eine Extrarunde - drei Extrarunden, um genau zu sein. Denn es war ein Birdie-Putt aus 90 Zentimetern, der den 26 Jahre alten Amerikaner am dritten Extraloch des Play-offs der Puerto Rico Open zum PGA-Tour-Sieger machte. Steve Marino war geschlagen und Ian Poulter, der das Stechen um einen Schlag verpasst hatte, bereits auf dem Heimweg, als einer der außergewöhnlichsten Karrierepfade in Richtung PGA Tour seinen ersten - und, da legen wir uns fest: mit Sicherheit nicht letzten - Meilenstein erreichte. Geschlagene neun Jahre versuchte Finau schon als Golfprofi sein Glück und in Anbetracht seiner nahezu unlimitierten athletischen Fähigkeiten könnten Berufsnörgler nun behaupten, dass der erste Sieg im Oberhaus schlappe neun Jahre zu spät kommt. Jedoch wäre das nur die halbe Wahrheit. Aber der Reihe nach.

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Im Alter von acht Jahren nahm Tony zum ersten Mal einen Golfschläger in die Hand. "Es ist nicht selbstverständlich für einen Amerikaner mit polynesischen Wurzeln, Golf zu spielen. Mein kleiner Bruder Gipper fing vor mir an. Wir wuchsen in direkter Nachbarschaft eines Golfplatzes in Salt Lake City auf und er fing damit an. Ich habe es ihm dann irgendwann nachgemacht. Wir wurden schnell ziemlich gut." Solch einen selbstbewussten Satz heute von Tony zu hören verwundert kein bisschen, denn mit seinen über 1,93 Meter Größe verteilten 91 Kilogramm Körpergewicht ist er der zurzeit wahrscheinlich imposanteste Athlet auf der PGA Tour. Auf den ersten Blick könnte Tony auch Basketball- oder Footballprofi sein, was in der Familie zu liegen scheint, denn Jabari Parker, der für die Milwaukee Bucks in der NBA aufläuft, und Haloti Ngata, der für die Baltimore Ravens in der NFL gegnerische Quarterbacks umnietet, sind Cousins des PGA-Tour-Stars. "An einer Karriere in einer anderen Sportart war ich nie interessiert, denn im Golf war ich sehr früh ziemlich erfolgreich."

AUF DIE MATRATZE!


Tonys Vater Kelepi ließ in den 60er-Jahren ein einfaches Leben in seiner Heimat Tonga hinter sich, um in den USA sein Glück zu versuchen. Wie von so vielen Einwanderern forderte das Alltagsleben in den Vereinigen Staaten auch von Kelepi und seiner Frau, die sich mittlerweile in Utah niedergelassen hatten, Doppelschichten und extreme Sparsamkeit, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Mitte der 90er kam der damals fünf Jahre alte Gipper mit einem exotischen Wunsch zu seinem Vater: Er wollte auf dem benachbarten Jordan-River-Par-3-Platz Golf spielen. Kelepi hatte noch nie zuvor in seinem Leben einen Golfschläger geschwungen und auf der Driving Range kostete der Eimer Range-Bälle 7,50 Dollar. Der Wunsch seines Sohns schien angesichts der prekären finanziellen Lage der Familie absolut utopisch. Doch Kelepi sah im Golfsport einen Weg, seinen Sohn von den Gangs fernzuhalten, die im Wohnviertel der Finaus Rose Park das Sagen hatten. In einem Sozialkaufhaus der Heilsarmee suchte er nach preiswertem Equipment und wurde fündig. Mit einem Bag für 50 Cent, einem Eisen 6 für 75 Cent und einem Putter für einen Dollar fuhr er zur Bibliothek, wo er sich Golfmagazine und Teaching-Bücher auslieh. Darunter befand sich auch "Golf My Way" von Jack Nicklaus, ein Buch, das über Jahre hinweg das Schwungtraining der Finaus prägen sollte. Um das Training überhaupt erst möglich zu machen, baute Kelepi seinem Sohn Gipper sogar eine improvisierte Driving Range. Spätestens an diesem Punkt wurde auch der elf Monate ältere Tony hellhörig. "In unserer Familie war Geld immer knapp. Die Winter in Salt Lake City sind hart und kalt, weshalb unser Vater in der Garage eine Matratze an die Wand stellte, und wir schlugen Bälle von einem Teppich auf diese Matratze. Der Sound im Treffmoment und die Optik des Schwungs waren die einzigen Möglichkeiten abzuschätzen, ob das nun gute Schläge waren oder nicht. So haben wir angefangen, Golf zu spielen." Irgendwann fand der Vater auf dem Flohmarkt einen preiswerten Camcorder und war nun in der Lage, die Schwünge seiner Söhne aufzuzeichnen und besser zu analysieren. Da jeder geschlagene Ball während dieser Jahre bereits nach wenigen Zentimetern von der Matratze abprallte, konnte keiner der Finau-Brüder auch nur eine Sekunde über seinen Ballflug nachdenken. Der Impact war alles, worauf sie sich konzentrierten, und so entwickelten Tony und Gipper Ballstriker-Qualitäten, von denen Gleichaltrige auf der Driving Range nebenan nur träumen konnten. Am kurzen Spiel feilten die beiden auf der Trainingsanlage von Jordan River, schließlich verballerte man dabei keine teuren Range-Bälle.

Tony Finau: Blaue Stunde: auf Puerto Rico das ganze Jahr
Blaue Stunde: auf Puerto Rico das ganze Jahr
Während Gipper bereits im Alter von sechs Jahren Juniorenturniere in Utah aufmischte, nahm Tony das Golf nicht allzu ernst, bis er im April 1997 staunend vor dem Fernseher sass und beobachtete, wie ein gewisser Tiger Woods sein erstes Grünes Jackett gewann. Tony wollte endlich seinen kleinen Bruder schlagen, begann, ernsthaft zu trainieren, und die Finaus brachten es als Duo infernale in den nächsten Jahren zu einem gewissen Bekanntheitsgrad in der Golfszene von Utah.

WIE TIGER, PHIL UND ERNIE


2002 war es Tony, der zum ersten Mal landesweit für Aufsehen sorgte, als er seinen ersten großen Sieg feierte. "Mit zwölf Jahren gewann ich in San Diego das Junior-World-Turnier und ich sah meinen Namen neben denen von Jungs wie Tiger Woods, Phil Mickelson und Ernie Els auf der Siegerliste. Da wusste ich, dass ich es in diesem Sport zu etwas bringen kann. So gut ich beim Basketball auch war, nur beim Golf war ich wirklich mit dem Herzen dabei." Sein Talent stand außer Frage und auch der Wille und die Einstellung ließen nicht zu wünschen übrig, doch das knappe Budget der Familie - Gipper und Tony waren nur zwei von insgesamt sieben Kindern im Haus - litt unter dem teuren Hobby. Zwar waren die Ergebnisse vielversprechend, potenzielle Preisgeldschecks lagen allerdings noch in weiter Ferne, schließlich hatte Tony noch nicht einmal die Pubertät erreicht. Als Tonys Mutter ihren 14 Jahre alten Sohn zu einem Turnier der PGA Junior Series nach Milwaukee begleitete, übernachteten die beiden im Auto, da für ein Hotelzimmer das Geld fehlte. Es reichte lediglich, um Tony mit ein paar Hamburgern von McDonald's durch den Wettkampf zu füttern. Seine Mutter aß während dieses Ausflugs drei Tage lang nichts.

2007 - Tony war mittlerweile 17 - standen die Anwerber der großen Universitäten vor dem Haus der Finaus Schlange. Jedes ernsthafte College-Golfteam wollte die Teenager-Sensation, die den Ball weiter schlagen konnte als viele gestandene Profis auf der PGA Tour, in seinen Reihen wissen und so hagelte es Angebote für Stipendien. Zur gleichen Zeit meldete sich allerdings auch ein Geschäftsmann bei den Finaus, der anbot, 50.000 Dollar Antrittsgeld für ein TV-Golf-Event in Las Vegas namens "The Ultimate Game" zu bezahlen und Tony damit die Chance zu geben, um die zwei Millionen Dollar Siegerprämie des ultimativen Spiels zu kämpfen. Einziger Haken an der Sache: Mit einer entspannten Amateurzeit am College würde es dann nichts mehr werden, denn die Zeit als Amateur wäre vorbei.

 

Steckbrief

Alter: 26 Jahre
Geburtsort: Salt Lake City (Utah)
Profi seit: 2007
Lieblingsteams: Los Angeles Lakers & Dallas Cowboys
Lieblingsfilm: "Gladiator"
Lieblingsgolfplatz: Olympic Club
Charity: www.tonyfinaufoundation.org
Erfolge:
• 2014 Stonebrae Classic (Web.com Tour)
• 2016 Puerto Rico Open (PGA Tour)

Die Finaus entschieden sich aus verständlichen Gründen für das Geld, was in der Golfwelt für einige pikierte Blicke sorgte. Diese waren jedoch nichts anderes als die unwissende Borniertheit einiger weniger, denen es im Leben erspart geblieben war, nicht einmal genügend Geld für die nächste Mahlzeit zusammenkratzen zu können. "Das war eine knifflige Entscheidung, und um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, wie weit die Tragweite war. Ich wusste nur, dass es jemanden gab, der mich für dieses Event sponsern wollte. Am Ende war es eine Familienentscheidung, denn ich bin ein echter Familienmensch. Wenn ich darauf zurückblicke, dann glaube ich, dass ich heute weder der Golfer noch der Mensch wäre, der ich bin, hätte ich damals eine andere Entscheidung getroffen", erinnert er sich an diese Weichenstellung für die Zukunft.

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