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Open Championship 2018

Willkommen in 'Carnasty!'

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Wenn diese Woche Rory, Jordan & Co. auf dem härtesten aller Open-Championship-Plätze um die Weinkanne und einen fetten Siegerscheck spielen, wird ein Name ständig über der Anlage schweben: Jean van de Velde. Dies ist die komplette Geschichte des größten Golfdramas aller Zeiten.

Tiger Woods war seit knapp drei Jahren Profi und hatte erst einen einzigen seiner bis heute 14 Major-Siege errungen, doch mit Drucksituationen auf den größten aller Golfbühnen bereits jede Menge Erfahrung und so klang seine Einschätzung am Samstagabend der 128. Open Championship in Carnoustie 1999 wie eine düstere Vorahnung: "Er wird nicht gut schlafen heute Nacht. Als ich das Masters gewonnen habe, hatte ich ein äußerst unruhige Nacht. Und ich habe damals mit neun Schlägen Vorsprung geführt!"

Mit "er" meinte Woods den nach drei Runden führenden Franzosen Jean van de Velde, dem es gelungen war, mit Runden von 75, 68 und 70 einem unglaublich schwierigen Golfplatz bei äußerst widrigen Wetterbedingungen ein Zwischenergebnis von Even Par abzutrotzen. Diese Meisterleistung war gut genug für einen Fünf-Schläge-Vorsprung vor den engsten Verfolgern Justin Leonard und Craig Parry. Tiger, der absolute Übergolfer dieser Zeit, lauerte mit sieben Schlägen Rückstand nach 54 Löchern auf dem geteilten vierten Platz. Doch die Siegchancen von Leonard, Parry und Woods muteten an diesem Abend wie blanke Theorie an, denn van de Velde hatte bis dahin nicht nur das mit Abstand beste Golf des Turniers gespielt, sondern auch das Glück und die Golfgötter auf seiner Seite, als ihm am 11. Loch während Runde 3 ein Free Drop zugesprochen wurde, den David Rickman, der höchste Regeloffizielle des R&A, nach der Runde als ungerechtfertigt einstufte. Es galt jedoch die Tatsachenentscheidung des Platzrichters und van de Velde entkam einer hässlichen Lage, die schnell zu einem Katastrophen-Score auf Spielbahn 11 hätte führen können, unbeschadet mit einem Par.

Open Championship 2018: Open Championship 2018:
Jean van de Veldes Verfolger mussten auf Nervenflattern des Führenden während der Schlussrunde hoffen und das war alles andere als abwegig, denn der damals 33-jährige Franzose spielte zwar schon seine zehnte Saison auf der European Tour, war also alles andere als unerfahren, mit Siegen kannte er sich allerdings weniger gut aus, denn das Roma Masters 1993 markierte den bis dahin einzigen Turniertriumph des Franzosen. Um überhaupt erst ins Hauptfeld der 128. Open Championship zu kommen, musste er das finale Qualifikationsturnier im benachbarten Monifieth Golf Club überstehen. Van de Velde gewann und sicherte sich somit seine Startzeit in Carnoustie.

Woods hatte seinen Pressetermin nach Runde 3 längst beendet, als die Reporter den Führenden auf Tigers Zweifel an einer geruhsamen Nacht ansprachen, und van de Velde konnte seine Nervosität nicht verbergen: "Ich habe nun 24 Stunden, um nachzudenken, was leider viel zu viel ist, und meine Knie werden zittern, wenn ich morgen am ersten Abschlag stehe. Aber ich werde es genießen - ich werde mich zwingen, es zu genießen." Selbst der satte Vorsprung schien keine entspannende Wirkung zu entfalten: "Mit fünf Schlägen zu führen bedeutet nichts. Mir wäre lieber, es wären 15", waren Jean van de Veldes letzte Worte auf der Pressekonferenz, bevor er sich in den Abend verabschiedete.

Am nächsten Tag, keine 60 Minuten bevor er zusammen mit Craig Parry auf die wichtigste Golfrunde seines Lebens ging, war die Ruhe jedoch zurückgekehrt. "Ich hatte eine ruhige Nacht nach einem guten Essen und einer Flasche Wein - französischen Wein selbstverständlich." Und dann sprach Ivor Robson die verhängnisvollen Worte: "On the tee: Jean van de Velde."



Ein Drama in sieben Schlägen

Bereits die vorangegangenen 17 Löcher der Finalrunde der 128. Open Championship glichen einer Achterbahnfahrt. Tiger Woods war sich sicher, dass "selbst ein Vorsprung von zehn Schlägen auf einem solch brutalen Golfplatz nicht sicher" sei und sollte recht behalten, denn bereits am achten Loch hatte van de Velde seine fünf Schläge auf Craig Parry verspielt und der Australier führte plötzlich mit einem Schlag. Doch eine zweite Hälfte der Runde direkt aus der Hölle, die ein Triple-Bogey auf der 12, ein Bogey auf der 13 und einen verschobenen Bogey-Putt aus 60 Zentimetern an der 17 beinhaltete, fand sich Jean van de Velde plötzlich mit einem Vorsprung von drei Schlägen auf dem "Home" genannten Schlussloch in Carnoustie wieder. Zwei Par und ein Birdie hatte er während der vergangenen drei Runden auf dieser Spielbahn zustande gebracht, nun würde ein Doppel-Bogey reichen, um seinen Namen für immer auf die Claret Jug eingravieren zu lassen und als Champion Golfer of the Year zurück nach Frankreich zu fliegen. Doch wie die nächsten 30 Minuten zeigen sollten, hatte Jean van de Velde andere Pläne.

1. SCHLAG: DRIVER

Sollte man den Driver im Bag stecken lassen, wenn ein Doppel-Bogey zum Major-Sieg genügt und das enge Fairway links von einer Ausgrenze und rechts vom Bälle fressenden Barry Burn verteidigt wird? Wahrscheinlich. Doch es gelang seinem Caddie Christophe - der vor der Runde seinen Nachnamen nicht preisgeben wollte, um es dem Finanzamt nicht zu leicht zu machen - nicht, den Boss von einer defensiven Spieltaktik zu überzeugen. Van de Velde zückte den Driver und pushte seinen Abschlag so weit nach rechts, dass er über das 17. (!) Fairway hinausrollte und nur wenige Meter vor dem Wasser zum Liegen kam. Zum zweiten Mal in dieser Woche hielten die Golfgötter ihre schützende Hand über den Franzosen, denn seine Balllage abseits des 17. Fairways war den Umständen entsprechend gut.

2. SCHLAG: EISEN 2

180 Meter bis zum Grün, das erneut vom Barry Burn, zwei tiefen Bunkern und Ausgrenzen an zwei Seiten verteidigt wird, werfen die alles entscheidende Frage auf: vorlegen oder angreifen? Gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen, hielt sich der Führende nicht lange mit dieser Frage auf, zückte sein Eisen 2 und pushte seinen Ball erneut. Doch dieses Mal landete er nicht auf kurz gemähtem Gras, sondern prallte von der Tribüne rechts des Grüns in Richtung Wasser, traf dort einen Stein in der Begrenzungsmauer und sprang dem nassen Tod noch einmal von der Schippe, indem er sich im tiefen Rough versteckte. Van de Veldes Landsmann Thomas Levet beobachtete das Drama mit offenem Mund: "Man könnte diesen Schlag nicht wiederholen, nicht einmal mit einer Milliarde Versuchen."

3. SCHLAG: SAND WEDGE

Zwar sind es nur 60 Meter bis zur Fahne, doch der Ball muss dorthin den Barry Burn und einen tiefen Bunker überqueren und hat es sich in einer schrecklichen Lage mitten im tiefsten Rough des Platzes gemütlich gemacht. Noch bestünde die Möglichkeit, links aufs Fairway zu chippen, danach den Ball aufs Grün zu pitchen, nach zwei Putts ein Doppel-Bogey zu notieren und das Turnier an Ort und Stelle zu gewinnen. Doch van de Velde wählt die direkte Route und es kommt, wie es kommen muss: Sein Schlag gerät viel zu kurz und landet im Wasser. Während einer fünf Minuten dauernden, barfüßigen Slapstick-Einlage watet der Franzose durch den eiskalten Bach und denkt tatsächlich darüber nach, den Ball zu spielen, wie er liegt. Wenige Meter entfernt in der Kommentatorenbox der BBC analysiert Peter Alliss dieses Schauspiel treffend: "Sein Golfgehirn hat vor zehn Minuten Feierabend gemacht." Gleichzeitig im amerikanischen Fernsehen redet sich Curtis Strange in Rage: "Ich hasse es, harsch über jemanden reden zu müssen, aber das hier ist eines der blödesten Dinge, die ich in meinem gesamten Leben gesehen habe."

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5. SCHLAG: SAND WEDGE

Während des kurzen Badeausflugs in den Bach konnte sich Mitspieler Craig Parry nicht verkneifen, den durchs Wasser watenden Jean van de Velde auf den schottischen Tidenhub aufmerksam zu machen: "Warte einfach noch ein bisschen, ich denke, es herrscht bald Ebbe." Wahrscheinlich war es dieser endgültige Sarkasmus, der van de Velde in die Realität zurückholte und ihn dazu veranlasste, den Ball aufzunehmen und mit einem Strafschlag im Rough hinter dem Bach zu droppen. Die Golfgötter waren sich zu diesem Zeitpunkt jedoch einig, Jean van de Velde hier und heute zur tragischsten Figur der Golfgeschichte zu machen, und so ließ er sein Wedge in Richtung Fahne erneut deutlich zu kurz und sein Ball verschwand im tiefen Bunker links des Grüns, den auch Craig Parry vor 20 Minuten bereits getroffen hatte.

6. SCHLAG: SAND WEDGE

Als finalen Akt der Demütigung ließ es sich Craig Parry nicht nehmen, seinen Bunkerschlag aus exakt derselben Lage wie auch Jean van de Velde zum abschließenden Birdie einzulochen. Um das Turnier zu gewinnen, müsste der Franzose dieses Kunststück nachmachen, doch sein Schlag aus dem Bunker kommt knapp zwei Meter links der Fahne zum Liegen. Justin Leonard und Paul Lawrie stürzten zu diesem Zeitpunkt aus der Umkleide in Richtung Putting-Grün, denn nun war klar, dass es ein Play-off geben wird. Alles andere als klar war jedoch, ob Jean van de Velde Teil dieses Stechens sein würde, denn dafür musste er zunächst noch einen Putt lochen.

7. SCHLAG: PUTTER

Als der Ball nach einem perfekt gespielten Putt aus 1,80 Metern im Loch verschwand, ballte Jean van de Velde die Faust, als hätte er das Turnier gewonnen, doch ihm war längst klar, dass dieses Triple-Bogey Überstunden bedeutet. Am Abschlag von Bahn 15 warteten bereits Justin Leonard und Local Hero Paul Lawrie, bereit für das Play-off über vier Löcher, in das Jean van de Velde mit einem Doppel-Bogey startete. Lawrie, der mit zehn Schlägen Rückstand in die Schlussrunde gestartet war, ging wenig später als Major-Sieger zum Feiern ins Pub. Jean van de Velde brach in der Umkleide in Tränen aus und hatte den wartenden Fernsehreportern nur eines zu sagen: "Es ist traurig, wirklich traurig... Könnte ich vielleicht zurückgehen und die 18 noch einmal spielen? Das wäre wirklich nett."

 

147. OPEN CHAMPIONSHIP

Ort:
Carnoustie Golf Links (Par 71, 6.768 Meter)

Datum:
15.-18. Juli 2018 (Trainingsrunden)
19.-22. Juli 2018 (Turnierrunden)

Titelverteidiger:
Jordan Spieth (USA)

Letzter Sieger in Carnoustie:
Padraig Harrington (IRL / 2007)

Preisgeld:
8.700.000 Euro

Tickets:
Tageskarten für die Trainingsrunden sind ab 30 Euro zu haben. Für die Turnierrunden am Donnerstag und Freitag liegt der Eintrittspreis bei 90 Euro, die Tageskarte am Wochenende kostet 102 Euro. Diese und verschiedene VIP-Tickets können unter www.theopen.com bestellt werden.

Anreise:
Von den Flughäfen in Aberdeen und Edinburgh ist Carnoustie etwa 90 Autominuten entfernt. Vom Airport in Glasgow sind es gute zwei Stunden mit dem Mietwagen bis zur Open Championship 2018.

Übernachten:
Carnoustie ist der nördlichste Austragungsort der Open Championship mit nur einer begrenzten Anzahl an Hotelzimmern und Privatunterkünften im Umkreis. Für ein Hotelzimmer während der Turnierwoche muss daher ein saftiger Aufpreis bezahlt werden. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, im "The Open Camping Village" in Zelten zu übernachten. Dieses Angebot ist für Ticketbesitzer unter 25 Jahren kostenlos, Erwachsene über 25 mit einer gültigen Eintrittskarte zum Turnier bezahlen 50 Euro die Nacht. Zelte können unter www.theopen.com gebucht werden.

TV-Zeiten:
Sky Sport 01 HD zeigt die 147. Open Championship live:
  • Donnerstag 19. Juli 2018 10:00 - 21:30 Uhr
  • Freitag 20. Juli 2018 10:00 - 21:30 Uhr
  • Samstag 21. Juli 2018 11:00 - 21:00 Uhr
  • Sonntag 22. Juli 2018 10:00 - 20:00 Uhr

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