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Ryder Cup 2018

Molliwood Blockbuster

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Ein halbes Dutzend Zombies, Captain America ohne Schild und ein Hauch von "Brokeback Mountain" - der Ryder Cup 2018 hatte alle Zutaten, die ein großes Drehbuch braucht. Und dann lief auch noch der Regisseur zu Bestform auf.

Phil Mickelson hatte seinen Ball bereits vor einer Stunde im Wasserhindernis an der 16 versenkt und Francesco Molinari nicht nur die Hand, sondern Team Europa damit auch den Ryder Cup gereicht, überall auf der Anlage lagen sich freuden- und weintrunkene Schlachtenbummler glückselig in den Armen und Tommy Fleetwood wurde von euphorisierten Massen auf Händen über die Fairways getragen, da kämpfte nur noch ein einsamer Amerikaner tapfer wie ein zurückgelassener Soldat gegen die bereits besiegelte Niederlage. Bryson DeChambeau, der sich im letzten Match des Sonntags mit Alex Norén einen erbitterten, wenn auch rein symbolischen Schlagabtausch lieferte, muss auf dem 18. Abschlag sogar den Referee des Matches bitten, improvisierte Teemarker aus der Tasche zu zaubern, denn die ursprünglich von den Greenkeepern am frühen Morgen dort gesteckten Abschlagsmarkierungen waren längst in den Rucksäcken dreister Souvenirjäger verschwunden. Es herrschte Anarchie auf den "Tunnel of Terror" genannten vier Schlusslöchern von Le Golf National, aber DeChambeau, der zu diesem Zeitpunkt 1down lag, wollte auf keinen Fall mit einer vernichtenden persönlichen Bilanz von null Punkten aus drei Matches den Weg nach Hause antreten.

Ryder Cup 2018: Französischer Straßenfeger: Der neue Wein ist eingetroffen
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KEIN SCHLAG KONNTE DEN RYDER CUP BESSER ZUSAMMENFASSEN ALS DIESER LETZTE PUTT. WAS IMMER TEAM AMERIKA AUCH VERSUCHTE, DIE EUROPÄER FANDEN STETS DIE PASSENDE ANTWORT.
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DeChambeaus Kampfgeist in dieser aussichtslosen Situation rang den wenigen nicht betrunkenen und immer noch dem Match folgenden Zuschauern eine gehörige Menge Respekt ab. Nicht nur hämmerte er seinen Drive, nachdem der Abschlag endlich wieder markiert worden war, mitten aufs Fairway, er schlug danach auch sein Eisen über das letzte Wasserhindernis tot an die Fahne auf dem 18. Grün. Geschenkt zum Birdie und für wenige Minuten sah es so aus, als könnte der Ryder-Cup-Rookie mit dieser Heldentat doch noch das Loch und damit einen halben Punkt für sich und sein Team gewinnen. Doch Alex Norén hatte andere Pläne und versenkte seinen Birdie-Putt, der ungefähr zwölf Meter länger ausfiel als der seines Gegners, zum Teilen des Lochs und Match-Gewinn. Spätestens jetzt brachen bei den mehr als 50.000 Zu schauern auf der Anlage alle Dämme, und während Ian Poulter im Briefkastenkostüm verkleidet - schließlich liefert er immer ab, wenn ein Ryder Cup gespielt wird - die Fangesänge dirigierte, gab Alex Norén grinsend zu Protokoll: "Es ist immer einfacher, gut zu spielen, wenn die Jungs vor einem den Job bereits erledigt haben." Kein Schlag konnte den Ryder Cup besser zusammenfassen als dieser letzte Putt. Was immer Team Amerika auch versuchte, die Europäer fanden stets die passende Antwort.

In all dem Trubel hatte sich währenddessen abseits des 16. Grüns ein kleines Grüppchen amerikanischer Fans zusammengefunden, das nicht nur an den Stars-and- Stripes-Outfits, sondern auch aufgrund der ungläubigen "Sonst noch was?"-Gesichtsausdrücken sofort als Fremdkörper inmitten der grassierenden Volksfeststimmung auszumachen war. "Lasst uns zurück ins Hotel fahren und packen", war zu vernehmen, als der Endstand von 17,5 zu 11,5 auf dem riesigen Videoscreen über den Köpfen der Gruppe aufleuchtete. "Goddammit, nichts wie weg hier."

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Sollte dieses amerikanische Team mit seinen neun Major-Siegern in den Reihen und insgesamt sagenhaften 254 Profi siegen, darunter 31 Major-Titel, nicht das beste Ryder-Cup-Team aller Zeiten sein? Schwer zu glauben, denn nur 2004 in Oakland Hills und zwei Jahre später im K Club fielen die amerikanischen Ryder-Cup-Niederlagen noch höher und demoralisierender aus. Doch damals gab es plausible Erklärungen in Form eines inkompetenten Captains Hal Sutton 2004 und eines rundum schwachen Teams 2006 mit Spielern wie Vaughn Taylor, J. J. Henry und Brett Wetterich in seinen Reihen. Was um Himmels willen war hier gerade vorgefallen? Wie konnte das passieren?

FIRST BLOOD
Als sechs Tage zuvor endlich alle Protagonisten auf dem Golfplatz südwestlich von Paris eingetroffen waren, begann die Woche, zunächst ihren erwarteten Verlauf zu nehmen. Zwölf Juniorinnen und Junioren aus Amerika schlugen auf dem 70 Kilometer entfernten Golfplatz des Disneyland Paris ihre europäischen Gegner im Junior Ryder Cup, wie sie es alle zwei Jahre tun, und feierten den sechsten amerikanischen Sieg in Folge. Kurt Russell, Condoleezza Rice und Samuel L. Jackson gewannen gemeinsam mit fünf weiteren prominenten Golfern beim Celebrity Match gegen ihre Gegner rund um Luis Figo, Niall Horan und Alessandro Del Piero. Nicht einmal eine Lady am ersten Abschlag vor den Augen einiger Tausend Zuschauer konnte Samuel L. Jackson, den coolsten Mother$#&ker dieses Planeten, aus der Ruhe bringen, denn er wusste genau, auf wessen Bühne er sich befand: "Tiger! Gratulation zu deiner Rückkehr in den Kreis der Sieger. Wir haben immer gewusst, dass du der Mother$#&ing Man bist. Vergiss das nicht!"

Ryder Cup 2018: Erschreckend farblos: die französische Ausgabe der Black Panther
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Der Empfänger dieser Nachricht und unumstrittene Superstar dieser Woche schwebte währenddessen immer noch auf dem natürlichen High seines Sieges bei der Tour Championship am vergangenen Sonntag. Einzig die Tatsache, dass Tiger sämtliche Trainingsrunden in Regenhosen absolvierte, obwohl über ganz Frankreich keine einzige Wolke auszumachen war, wollte nicht so recht ins Bild passen. Woods' Fashion-Statements zu interpretieren ist allerdings ein Weg, den weder Journalisten noch Fans beschreiten sollten, führt er doch geradewegs in einen bodenlosen Abgrund gefüllt mit übergroßen Dad-Jeans, Muscle-Shirts und gebleichten Kurzhaarfrisuren. Mit anderen Worten: Nicht nur über Frankreich, sondern auch im amerikanischen Teamraum strahlte die Sonne. Selbst Paulina Gretzky und Dustin Johnson schienen nach untrüglichen Anzeichen der Krise - Paulina hatte im Vorfeld des Cups sämtliche Bilder ihres Verlobten von ihrer Instagram-Seite gelöscht, was in dieser Welt einem Gang zum Scheidungsanwalt gleichkommt - wieder zueinandergefunden zu haben.

Auch die wohl größte Tribüne, die jemals auf einem Golfplatz errichtet wurde und 6.900 Fans hinter dem ersten Abschlag Platz bot, schien auf die Amerikaner keine beunruhigende Wirkung zu haben, wie Brooks Koepka am Donnerstag klarstellte: "Ich denke nicht, dass irgendetwas hier einschüchternd ist, denn ich bin hier, um Golf zu spielen. Es ist ja nicht so, als wollte mir jemand den Schädel einschlagen."

Als die Matches dann am Freitagmorgen endlich beginnen, zeigt sich allerdings schnell, wie sehr die 50.000 Zuschauer auf der Anlage von der ersten Sekunde an hinter dem Heimteam stehen. Als Patrick Reed auf Loch 1 seinen Annäherungsschlag im Wasser versenkt, flippt die Menge kollektiv aus und ein Jubel donnert über den Platz, als hätte Paris Saint-Germain gerade die Champions League gewonnen.

Alle vier Matches an diesem Vormittag sind hart umkämpft und dennoch scheint es, als hätte Captain America seinen Schild zu Hause vergessen, denn an der Seite eines seltsam apathisch wirkenden Tiger Woods muss Patrick Reeds Caddie schon früh zur zweiten Packung Bälle greifen, so vogelwild ballert sein Arbeitgeber an diesem Morgen kreuz und quer. Mit zwei bärenstarken Putts und einer Jubelpose, die sich augenblicklich in die Galerie der berühmtesten Ryder-Cup-Ikonen einreiht, dreht Tommy Fleetwood auf den Löchern 15 und 16 das finale Match der freitäglichen Four-Ball Session gegen Woods und Reed und bringt somit nicht nur den ersten Punkt für Team Europa ins Clubhaus, sondern er sorgt gleichzeitig für die Geburtsstunde von #Moliwood, dem wohl großartigsten europäischen Duo seit Ballesteros/Olazábal, Langer/Montgomerie und Lennon/ McCartney.

Unglaublich, aber wahr: Für Francesco Molinari war dieser Match-Gewinn an der Seite von Tommy Fleetwood bei seiner dritten Ryder-Cup-Teilnahme im insgesamt siebten Match seiner Karriere der erste volle Punktgewinn. Entsprechend überschwänglich fielen die Zuneigungsbekundungen des Open Champion aus Turin aus: "Endlich! Endlich! Ich liebe diesen Kerl. Was soll ich sonst noch sagen? Ich liebe ihn."

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