Featured StoriesFeatured Stories

US Open 2018

Déjà-vu hoch drei

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Im Westen nichts Neues: Brooks Koepka ist der alte und neue US Open Champion, die USGA kann einfach kein Shinnecock und Phil Mickelson muss wie immer die Hauptrolle spielen.

That f#$%ing US Open!", brüllt ein von der Sonne gezeichneter Mittvierziger und beißt dabei ins Lenkrad seines Ford F150 Pickup Truck. Auf der Ladefläche sind ein Rasenmäher und jede Menge Gartengerätschaften zu erkennen. Er ist offensichtlich Angehöriger der Armee von Handwerkern, Gärtnern und Tagelöhnern, die sich hier das ganze Jahr um die Prachtvillen und Ferienhäuser der Ultrareichen kümmern.

"Bewegt euch! Ich muss zur Arbeit", bellt er mehr zu sich selbst als zu irgendjemand anderem. Es ist Dienstagvormittag und noch wird es beinahe 48 Stunden dauern, bis Harold Varner den ersten Tee-Shot der 118. US Open in Shinnecock Hills schlägt, doch vor den Toren des altehrwürdigen Golfclubs geht seit Stunden nichts mehr. Bereits ohne die Zehntausenden Schlachtenbummler, die gekommen sind, um Tiger, Dustin & Co. anzufeuern, gerät die fragile Infrastruktur auf der South Fork von Long Island regelmäßig an ihre Grenzen. Doch nun, da sich Heerscharen von Fans, Offiziellen und Spielern ebenfalls in den allzeit zähfließenden Verkehr einreihen, ist die Apokalypse perfekt. Kompletter Stillstand. Falling down! Die Verkehrssituation vor den Toren des Clubs ist so prekär, dass sogar Tiger Woods während der Pressekonferenz darauf angesprochen wird. Er antwortet seinem Kontostand entsprechend cool: "Es hilft, auf der Jolle zu übernachten", und meint damit seine 47 Meter lange Jacht "Privacy", die im Sag Harbor Yacht Club festgemacht hat. "Aber ich habe schon gehört, dass es einige der Jungs drei Stunden gekostet hat, vom Hotel bis zum Golfplatz zu kommen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass diese Woche jemand seine Startzeit verpasst." Wir lernen, dass die soziale Trennlinie bei den US Open 2018 nicht zwischen Tagelöhnern und Tour-Pros verläuft, sondern zwischen Superjacht-Besitzern und dem Rest der Bevölkerung, denn auch Tony Finau, Tyrrell Hatton und der Rest des Feldes müssen sich wie der verärgerte Gärtner in der Blechlawine gedulden.

US Open 2018: Voll im Trend: das gemeinsame Good Morning Yoga
Voll im Trend: das gemeinsame Good Morning Yoga

»
Selbst der Regen des Freitagmorgens kann das Blutbad nicht beenden und so liegt das Feld nach zwei gespielten Runden insgesamt 1.581 Schläge über Par.
«

VERSTECKSPIEL
Die englischen Buchmacher haben eine klare Vorstellung, welchem Golfer aus dem Vereinigten Königreich am ehesten ein Sieg zuzutrauen ist, und Justin Rose kann nur grinsen, als er am Mittwoch vor dem Turnier erfährt, dass diese Ehre ihm und nicht etwa Rory McIlroy zuteil wurde. "Ich denke, das geht in Ordnung. Ich spiele gut zurzeit und war auf vielen Leaderboards vertreten. Ich fühle mich wohl dort oben, bin die Nummer drei der Welt und habe dieses Turnier schon einmal gewonnen. Für mich macht das Sinn." Als das Major zum letzten Mal in Shinnecock Hills ausgetragen wurde, spielte ein damals 24-jähriger Justin Rose seine zweite US Open, verpasste den Cut und war alles andere als begeistert: "Ich war bereits 2004 hier im Feld und hatte lange Zeit nicht gerade die schönsten Erinnerungen daran. Doch das hat sich geändert, als ich 2012 von einigen Mitgliedern nach Shinnecock eingeladen wurde und den Platz etwas breiter und spielbarer, wie wir es auch diese Woche sehen, erleben konnte. Dieser Besuch hat meine Meinung zu diesem Golfplatz komplett geändert. Ich dachte nur: 'Wow! Ich verstehe jetzt, warum Shinnecock Hills als einer der besten Golfplätze der Welt gilt.'"

US Open 2018: Mutig: Direkt vor der Polizei mit Gras dealen
Mutig: Direkt vor der Polizei mit Gras dealen
Nicht nur für die Egos der Clubmitglieder, sondern vor allem auch für das seelische Gleichgewicht der Verantwortlichen auf Seiten der USGA dürften Aussagen dieser Art purer Balsam sein, war doch zu befürchten, dass die außer Kontrolle geratene Auflage von 2004 den Ruf des Shinnecock Hills Golf Club, immerhin einer der fünf Gründungsmitglieder der USGA und so etwas wie die Wiege des amerikanischen Golfsports, nachhaltig beschädigt. Aus diesem Grund ließen Turnierboss und USGA CEO Mike Davis und seine Mannschaft im Vorfeld dieser Woche nichts unversucht, den Platz so hart wie möglich, dabei aber jederzeit fair und spielbar herzurichten. Durchschnittlich 37,5 Meter breit präsentieren sich die Fairways in Shinnecock 2018, knappe 14 Meter mehr als vor 14 Jahren und sprichwörtliche Welten im Kosmos einer US Open. Grüns wurden vergrößert, aber auch neue Teeboxen angelegt, die den Par-70-Platz um mehr als 400 Meter verlängern. All das ist jedoch blanke Theorie, denn US-Open-Plätze lassen sich vor Start des Turniers nur selten in die Karten schauen. Als Tiger Woods vor Wochen der Anlage einen ersten Sondierungsbesuch abstattete, schlug er zwar Drives und Eisen, ließ den Putter jedoch konsequent in der Tasche stecken und kommentierte diese ungewöhnliche Proberunde mit professioneller Berechnung: "Die Grüngeschwindigkeiten waren nicht einmal ansatzweise mit denen einer US Open zu vergleichen. Hier zu putten würde einen völlig falschen Eindruck vermitteln und wäre absolut nicht hilfreich." Justin Thomas ging bei seinem Vorabbesuch sogar noch einen Schritt weiter und wanderte den Platz gemeinsam mit seinem Caddie zwar ab, um Strategien zu diskutieren, schlug jedoch keinen einzigen Ball. Was Shinnecock Hills für das 156 Mann starke Starterfeld in petto hat, war selbst am regnerischen Vorabend des Turniers ein Rätsel. Seinen wahren Charakter offenbart ein US-Open-Platz schließlich erst am Donnerstagvormittag.

BLUTBAD
Die cleveren Golf-Fans nehmen die Long Island Rail Road, die die Penn Station in Manhattan direkt mit einem temporären Bahnhof unweit des Haupteingangs zum Turniergelände verbindet. Da die Idee des öffentlichen Nahverkehrs für Amerikaner - und insbesondere für die mehrheitlich Republikaner wählenden Golfer - einen kommunistischen Beigeschmack hat, lassen erwartungsgemäß nur wenige Zuschauer das SUV in der Garage und verstopfen erneut die gesamte South Fork. Das von Woods prophezeite Worst Case Scenario einer verpassten Startzeit bleibt glücklicherweise aus und so eröffnet Harold Varner um 6:45 Uhr die 118. US Open, indem er einen mitten im Fairway tagträumenden Marshall mit einem sauber platzierten Schuss vor den Bug schlagartig in die Realität zurückholt. Doch dies taugt nicht mal zur Randnotiz, denn die Hauptattraktion des Tages betritt erst um 13:47 Uhr die Bühne, wenn Tiger Woods zusammen mit Dustin Johnson und Justin Thomas die Mission 15. Major-Titel angeht, und für diesen Anlass haben die Buchmacher in Las Vegas eine ganz besondere Wette parat. Trifft Tiger Woods das erste Fairway? Die Quote für "ja" liegt bei 1,68:1 und baut darauf, dass Woods' Leistung auf Eröffnungsspielbahnen verschiedener US Open in den letzten 15 Jahren gelinde gesagt unterirdisch war. Doch das erste Fairway in Shinnecock Hills ist breiter als die Landebahn 13L/31R des New Yorker John F. Kennedy Airports und Woods schlägt tatsächlich, ganz entgegen seiner Angewohnheit, einen lupenreinen Laserstrahl auf die erste Spielbahn. Somit beschert er vielen glücklichen Fans auf der Anlage zusätzliches Geld, das umgehend in Bier umgesetzt werden kann. 135 Meter bleiben ihm bis zur ersten Fahne und Tiger nutzt nach seinem optimalen Abschlag die gesamte Weite des Feldes, um sich zu einer slapstickhaften 7 und dem ersten Triple-Bogey auf seiner Scorekarte zu hacken. Sein Horrorstart ist bei Weitem kein Einzelfall, denn die gnadenlose Sommersonne und der böige Atlantikwind verwandeln Shinnecock bereits am Donnerstag zu einer Doppel-Bogey-Fabrik, die am Rande ihrer Kapazität produziert.

 

US OPEN CHAMPIONSHIP 2018

PosNameLandR1R2R3R4TotalPar
1KOEPKA, BrooksUSA75667268281+1
2FLEETWOOD, TommyENG75667863282+2
3JOHNSON, DustinUSA69677770283+3
4REED, PatrickUSA73727168284+4
5FINAU, TonyUSA75726672285+5
T6BERGER, DanielENG76716673286+6
T6HATTON, TyrrellENG75707269286+6
T6SCHAUFFELE, XanderUSA72747268286+6
T6STENSON, HenrikSWE71707471286+6
T10ROSE, JustinZAF71707373287+6
T10SIMPSON, WebbUSA76717169287+7

"Es ist schwierig, hart und aufreibend da draußen, jedes einzelne Loch fühlt sich an, als würde einem ein Zahn gezogen werden", lautet Ian Poulters Einschätzung der Lage nach einer brutalen ersten Runde. Der Engländer ist einer von nur vier Spielern, denen es gelang, der Folterkammer Shinnecock Hills Golf Club ein Ergebnis unter Par abzutrotzen und liegt damit in geteilter Führung. Wie muss sich dann Rory McIlroy nach einer desaströsen 80 fühlen? Oder der Engländer Scott Gregory, der mit seiner 92, der höchsten US-Open-Runde seit 2002, eine Scorekarte ins Clubhaus bringt, für die sich die meisten Amateurgolfer beim Monatsbecher schämen würden. Selbst der Regen des Freitagmorgens kann das Blutbad nicht beenden und so liegt das Feld nach zwei gespielten Runden insgesamt 1.581 Schläge über Par. Lediglich Dustin Johnson hat beim Meeting, in dem beschlossen wurde, dass sich der Golfplatz an der Grenze zu unspielbar befindet, wohl geschlafen und steuert wie auf Autopilot cruisend zu einem lupenreinen Halbzeitergebnis von 4 unter Par. Im Merchandise-Zelt werden derweil Flaschenöffner "made in the USA" mit Shinnecock-Hills-Logo für 95 Dollar das Stück verkauft, schließlich sollen hier und heute nicht nur die Profis Federn lassen.

KNUSPRIGE GRÜNS
24 Stunden später hat sich das Blutbad vom Freitag in ein Schlachtfest verwandelt, und während die Fans nach einem dramatischen US Open Moving Day unter der gnadenlosen Sommersonne New Yorks ausgelaugt, dehydriert und fassungslos die Anlage verlassen, gleicht der riesige Locker Room einem Lazarett voller Schwerverwundeter. Dustin Johnson hat gerade mit einer 77er-Runde seine komfortable Führung abgegeben und ist sich trotzdem sicher, dass diese 7 über Par wohl die beste 77 seines Lebens war: "Absolut, ich habe das Gefühl, richtig gut gespielt zu haben. Die Grüns waren ziemlich gut heute, aber die Fahnen steckten an einigen extrem schwierigen Stellen, vielleicht zu schwierig angesichts des Winds." Henrik Stenson klingt nach seiner 74, als wollte er beim Italiener eine zu lange gebackene Pizza zurückgehen lassen: "Wenn die Grüns ausgetrocknet sind und krustig werden, ist es, als würde man auf einer Glasplatte putten." Und als selbst der sonst immer diplomatische Justin Rose in den Klagechor einstimmt und klarstellt, dass sein positives Bild des Platzes hier und heute erneut einen herben Dämpfer erlitten habe, ist das Déjàvu perfekt.

Featured Stories