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Craig Cameron

Greenkeeper: Der Herr der Halme

Von Jan Langenbein, Fotos: Mike Meyer

Um Grüns auf Tourniveau zu pflegen und eine des besten Golfanlagen in Deutschland in Schuss zu halten, braucht es weit mehr als eine Handvoll Rasenmäher und einen grünen Daumen. Vorhang auf für Craig Cameron, den Herrscher über Mensch und Maschine im Golf Club St. Leon-Rot!

Morgens sechs Uhr in der Greenkeeper-Kantine des Golf Club St. Leon-Rot: Craig Cameron, der Chef der Truppe, hat wie jeden Morgen seine Mannschaft hier versammelt, um in einem kurzen Briefing die Verteilung der Arbeiten und mögliche Spezialaufgaben zu diskutieren. An den Tischen sitzen 29 Männer, die allesamt kein Problem mit dieser unchristlichen Uhrzeit zu haben scheinen und deren für diese Jahreszeit ungewöhnlich stark gebräunten Gesichtern deutlich anzusehen ist, dass sie einer Tätigkeit im Freien nachgehen. Sie gönnen sich noch einen letzten Kaffee, ehe es sie hinaus auf die Golfplätze zieht. Acht Nationen sind hier versammelt und füllen den Raum mit einem skurrilen Sprachenmix bestehend aus allen erdenklichen Färbungen des Englischen, aber auch osteuropäisch klingende Satzfetzen sind zu vernehmen und natürlich breitestes Badisch, das selbst Landsleute, deren Wohnsitz 100 Kilometer weiter nördlich liegt, vor größte Schwierigkeiten stellen würde.

"Es ist nicht ganz einfach, Waliser, Iren, Australier, Tschechen und natürlich unsere Locals sprachlich unter einen Hut zu bringen, aber wir schaffen es immer irgendwie, uns zu verständigen", lacht der gebürtige Schotte und erklärt seinen Männern noch kurz, wer heute für das Striping, also das Mähen der Fairways nach einem bestimmten Muster, zuständig ist. Vor der Tür wartet bereits ein Tanklastzug voller Diesel und der Fahrer wird langsam ungeduldig, schließlich möchte er seine Fracht loswerden. Zeit ist Geld.

Zwei 18-Loch-Plätze, ein Neunlochplatz und die wahrscheinlich imposantesten Übungseinrichtungen der gesamten Republik müssen in St. Leon-Rot Tag für Tag in Schuss gehalten werden. Bis zu 30 Gärtner, Greenkeeper und Mechaniker werden dafür während der Hochsaison vom Club beschäftigt, in den ruhigeren Wintermonaten genügt ein kleineres Team. Dass die Natur sich jedoch nicht immer an diese Saisonplanung hält, bekam Craig vergangenen Dezember zu spüren, als an Heiligabend entgegen dem Wetterbericht plötzlich zweistellige Temperaturen für bestes Golfwetter sorgten. "Wir waren zu zweit, nur ein Kollege und ich. Plötzlich wollte jeder an den Feiertagen Golf spielen und wir mussten uns um zwei Golfplätze kümmern. Da kam kurzzeitig Hektik auf", erinnert er sich mit einem Grinsen an das ganz und gar nicht besinnliche Weihnachtsfest.

Unvorhergesehene Wetterkapriolen stellen einen Veteranen wie Craig allerdings nicht wirklich vor Probleme. Viel mehr Schwierigkeiten macht ihm die Tatsache, dass Greenkeeper in Deutschland kein Ausbildungsberuf ist. Landschaftsgärtner werden hierzulande ausgebildet und kommen dem Anforderungsprofil eines Greenkeepers am nächsten, doch einen Golfplatz kennen viele von ihnen nur von Bildern. "Qualifizierte Arbeitskräfte für unser Team zu finden ist extrem schwer und der Mangel an deutschen Greenkeepern ist auch ein Grund für unser sehr internationales Team. Wir bilden selbst aus, sonst hätten wir keine Chance, guten Nachwuchs zu bekommen", erklärt Craig, während er einen letzten Blick auf die beiden großen Tafeln voller Namen und Arbeitsbereiche an der Wand wirft. Es ist eine erstaunlich analoge Art und Weise der Ressourcenplanung in St. Leon-Rot, schließlich hat dieser Club mit seinem Gründer und Präsidenten Dietmar Hopp beste Verbindungen zur größten europäischen Software-Schmiede SAP. "Ich weiß, das mutet ein wenig steinzeitlich an. Wir sind gerade dabei, auf die Software ,Turfkeeper' umzustellen. In zwei Wochen wird hier ein riesiger Flatscreen hängen und jeder unserer Männer kann seinen eigenen Dienstplan nicht nur in 15-Minuten-Intervallen modifizieren, sondern auch von überall mit dem Smartphone einsehen."

Craig Cameron:

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ES IST NICHT GANZ EINFACH, WALISER, IREN, AUSTRALIER, TSCHECHEN UND NATÜRLICH UNSERE LOCALS SPRACHLICH UNTER EINEN HUT ZU BRINGEN, ABER WIR SCHAFFEN ES IMMER IRGENDWIE, UNS ZU VERSTÄNDIGEN.
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ODYSSEE AUF SCHOTTISCH

Zeitsprung: Craigs Greenkeeping-Karriere war alles andere als geplant. "Ich lebte mit meiner Frau in der Nähe von Bremen und befand mich gerade 'zwischen zwei Jobs'", lacht er. "Da es mir damals nicht an Zeit mangelte, spielte ich wirklich jeden Tag im Golfclub Syke eine Runde und traf dort einen Pro, der ebenfalls aus Schottland stammte und früher mit dem Gedanken gespielt hatte, Greenkeeper zu werden." Von diesem Landsmann erfuhr Craig, dass der Job eines Greenkeepers viel mehr erfordert, als nur Rasen zu mähen, sondern eine Mischung aus Agrarwirtschaft, Chemie, Physik und Meteorologie darstellt. Sein Interesse war geweckt und er heuerte im Team des Golfclubs an. Ohne jede Berufserfahrung auf diesem Gebiet erwies er sich jedoch umgehend als äußerst geschickt und wissbegierig und die Greenkeeper ließen Craig bereits am vierten Tag seiner Anstellung auf ihr Allerheiligstes los: Er durfte die Grüns mähen. Sein damaliger Boss war sich schnell sicher: "Du könntest ein wirklich guter Greenkeeper werden, aber ohne eine anständige Ausbildung wird das nicht möglich sein." Also schrieb sich Cameron am SRUC im schottischen Elmwood ein, einem von zwei Partnercolleges des R&A, die ein Greenkeeping-Programm anbieten.

Ebenso unverhofft wie zum Aushilfsjob in Syke kam Craig auch zu seinem Praxissemester während der Zeit in Elmwood. Gemeinsam mit seiner Frau schaute er während eines Ausflugs in die Highlands in Gleneagles vorbei. Während des obligatorischen Nachmittagstees im Hotel kam ihm die Idee, nach der Visitenkarte des Head - Greenkeepers zu bitten. Er bekam mehr als nur die Karte, denn zwei Stunden und eine ausgiebige Platzbegehung später war das Praktikum an einer der besten und prestigeträchtigsten Golfanlagen Europas in trockenen Tüchern. "Am Ende meiner Zeit in Gleneagles wurde mir dort eine Festanstellung geboten, doch meine Frau hatte einen tollen Job in Stuttgart bekommen und ich ging wieder nach Deutschland." In Schwaben angekommen heuerte Craig im Golfclub Schönbuch an und bekam bereits nach drei Monaten dort die Stelle des Head-Greenkeepers übertragen. Keine zwei Jahre nach seinem Tag als Aushilfe in Syke war er nun für sechs Männer und 27 Golflöcher verantwortlich. Zweieinhalb Jahre blieb er dort, bis eine Stelle als stellvertretender Head-Greenkeeper an seinem ehemaligen College in Elmwood frei wurde. "Karrieretechnisch gesehen war das ein Rückschritt, aber ich dachte mir: 'Kostenlose Weiterbildung? Das muss ich machen!'" Und so ging er zurück nach Schottland und begann, für dreieinhalb Jahre jeweils 45 Studenten pro Saison auszubilden. Der Wunsch, wieder auf einer richtigen Anlage arbeiten zu können, wurde dann allerdings so stark, dass sich Craig wieder nach Jobs umsah, und so verschlug es ihn zusammen mit seiner Familie nach Suffolk in den Aldeburgh Golf Club. "Dort arbeitete ich sechs Jahre lang unter Mark Broughton, dem dortigen Master Greenkeeper und brillanten Mentor."

Doch nach neuneinhalb Jahren als Stellvertreter wurde es wieder Zeit für eine Führungsposition und über Umwege kam Craig an ein Bewerbungsgespräch in St. Leon- Rot. "Ich hatte seit mindestens zehn Jahren kein Deutsch mehr gesprochen und Eicko, der Clubmanager, bestand darauf, das komplette dreistündige Bewerbungsgespräch auf Deutsch zu führen. Ich wurde richtig durch die Mangel gedreht, die Tatsache jedoch, dass ich in einigen Spitzenclubs gearbeitet hatte und in Aldeburgh penibel auf äußerste Umweltverträglichkeit der Pflegemaßnahmen geachtet wird, half sehr und ich bekam den Job." Wenige Tage nachdem in St. Leon-Rot der letzte Putt des Solheim Cup 2015 gefallen war, trat Craig also seinen neuen Job an. Sein Vorgänger Klaus-Peter Sauer war inzwischen dem Ruf der Bundesliga gefolgt und kümmert sich seither um das Spielfeld des VfL Wolfsburg.

Craig Cameron: Konspiratives Treffen am 1. April: 'Mach die Löcher heute mal so breit'Craig Cameron: Konspiratives Treffen am 1. April: 'Mach die Löcher heute mal so breit'
Konspiratives Treffen am 1. April: 'Mach die Löcher heute mal so breit'
LICHT, DAS AUF GRAS FÄLLT

Nachdem der Tanklaster sich des Diesels entledigt hat, sodass die Mähmaschinen und Traktoren in St. Leon-Rot genügend Treibstoff für die nächsten Wochen haben, macht sich Craig auf den Weg, die Fahnenpositionen auf beiden 18-Loch-Plätzen zu ändern und gleichzeitig den Zustand der Grüns und ihre Geschwindigkeit zu überprüfen. Es ist Mitte April und die Vegetation der Golfanlage ist kurz davor zu explodieren. Wenige Tage nur noch, dann wird hier alles grün sein.

"Wir brauchen im Durchschnitt sieben Grad Celsius für ein richtiges Wachstum der Gräser und Pflanzen auf dem Platz. Natürlich hängt es von der Region ab, aber in Deutschland herrschen diese Bedingungen meist erst ab Anfang Mai", und das stellt für Craig ein pikantes Problem dar. Während er das Loch auf der zwölften Spielbahn des Platzes "Rot" an eine deutlich freundlichere Stelle mitten im Grün versetzt, beginnt er zu erklären: "Herr Hopps Geburtstag ist der 26. April. An diesem Tag richtet er ein Turnier für einige Dutzend seiner engsten Freunde aus. Selbstverständlich möchte er, dass sein Golfplatz zu diesem Anlass in perfektem Zustand ist. Das wäre deutlich einfacher, wenn er im August Geburtstag hätte. Aber das kann ich mir nicht aussuchen und natürlich wird der Platz bis dahin top sein", lacht Craig. "Local Rules" nennt man so etwas augenzwinkernd in Greenkeeper-Kreisen.

Kaum steckt die Fahne in dem frisch gestochenen Loch und die relevanten Daten des Grüns wie Geschwindigkeit und Härtegrad sind notiert, nimmt Craig den Teil des Vorgrüns in Augenschein, der Fairway und Grün miteinander verbindet. "Dieses Stück Rasen erfordert besondere Aufmerksamkeit. Passt man nicht auf, dann wenden hier sowohl die Maschinen, die das Grün schneiden und walzen, als auch die Fairway-Mäher. Das darf nicht passieren, denn der Boden würde unter all dem Gewicht zu sehr verdichtet werden und das Gras nicht mehr richtig wachsen. Darauf habe ich die Jungs hingewiesen und nun ist das Wenden an dieser Stelle verboten."

Auf dem Fairway mähen währenddessen zwei rote Toro Groundsmaster 4700, Stückpreis ähnlich einem neuen Porsche 911, in perfekter Choreografie ein Schachbrettmuster ins Fairway. Jede Greenkeeper-Mannschaft und jeder Club hat seine eigene Philosophie, was das Muster auf den Fairways angeht. Während einer US Open flimmern beispielsweise immer zweigeteilte Fairways mit einer sichtbaren Schnittlinie mitten auf der Spielbahn und einer hellen Fläche auf der einen und einer dunklen Fläche auf der anderen Seite über die Fernsehbildschirme. Die USGA bevorzugt dieses sogenannte 50:50-Muster, da es weniger Zeit in Anspruch nimmt und auch von einem einzelnen Mäher schnell erzeugt werden kann: auf einer Seite das Fairway entlang Richtung Grün mähen, wenden und in der entgegengesetzten Richtung die andere Fairway-Seite mähen - fertig. Ein Schachbrett dagegen ist komplizierter und zeitaufwendiger, schließlich muss die Maschine öfter gewendet und der Mähprozess somit unterbrochen werden. Was nicht bedeutet, dass dieser Prozess keinen Optimierungsspielraum bereithalten würde. "Wir haben damit experimentiert, den Winkel der Streifen zur Fairway-Kante zu ändern. Wird im 45°-Winkel gemäht, müssen die Jungs deutlich häufiger wenden als bei einem spitzeren Winkel. Das Ergebnis ist dasselbe, ein Schachbrett. Doch die Zeitersparnis ist immens. Wer mit dem Fairways-Mähen dank einer optimierter Fahrtroute plötzlich 30 Minuten schneller ist, der hat danach noch eine halbe Stunde Zeit, Divots zu füllen. Es sind diese Kleinigkeiten, die den Pflegezustand eines Platzes sichtbar verbessern."

Allein über die Muster in den Spielbahnen und die daraus resultierenden Betriebsstunden der Hightech-Mähmaschinen ließe sich eine wissenschaftliche Abhandlung verfassen, selbst die Schnittrichtung des etwa drei Meter breiten First Cut rund um die Fairways muss durchdacht sein. "Einmal rund um die Spielbahn fahren und dabei den First Cut schneiden geht nicht", erklärt Craig, "denn dann hätten die linke und die rechte Seite der Spielbahn vom Tee aus gesehen nicht dieselbe Farbe. Wir wollen den Spielern ein hübsch ein gerahmtes Fairway präsentieren, also müssen wir mit zwei Maschinen gleichzeitig in eine Richtung mähen."

Craig Cameron:
SCHATTENREPORT

Es wäre eigentlich Zeit für einen Mittagssnack, als endlich alle 36 Spielbahnen der beiden Plätze "St. Leon" und "Rot" neue Fahnenpositionen erhalten haben. Doch die Arbeit für diesen Vormittag ist noch lange nicht erledigt. Während Craig sein Lieblingsspielzeug, eine DJI-Drohne, flugfertig macht, erzählt er vom internen Wettstreit seiner Mannschaft: "Wir haben feste Teams für beide Plätze. Es wird nur selten untereinander gewechselt. Dadurch haben wir eine gesunde und spielerische Rivalität entwickelt, denn natürlich möchte jedes der beiden Teams, dass der eigene Platz ein bisschen besser ist und ein wenig öfter von den Mitgliedern gelobt wird."

Mittlerweile fliegt die Drohne auf einer vorher festgelegten und immer gleichen Flugbahn über die Anlage und liefert gestochen scharfe 4K-Bilder aus 50 Metern Höhe. Selbst ein Laie kann beim Blick auf den Monitor erkennen, welche Vorteile diese im Gegensatz zu den Mähmaschinen mittlerweile lächerlich preiswerte Technik für Greenkeeper wie Craig bietet. "Mithilfe dieser Bilder kann ich jede trockene Stelle viel schneller erkennen, als dies früher möglich war. In wenigen Minuten habe ich eine komplette Übersicht über drei Spielbahnen und kann mir bei Bedarf abends auf der Couch ansehen, welcher Teil des Platzes wie viel Wasser benötigt. Ich kann dann sogar einzelne Sprinklerköpfe von meinem iPad aus ansteuern und die Wasserzufuhr auf die Minute genau steuern."

Mithilfe der Daten seiner Drohne konnte Craig mittlerweile eine detaillierte 3-D-Karte der gesamten Golfanlage erstellen. Auf seinem Computer im Clubhaus stehen nun auf den Quadratmeter genaue Zahlen zu jeder Fläche seiner Golfplätze zur Verfügung. Wie groß ist die Gesamtfläche aller Bunker? Wie lang sind die Fairway-Kanten des Platzes "Rot"? All diese Informationen kann Craig nun mit wenigen Klicks in Erfahrung bringen und seither ist nicht nur die Zeitplanung seiner Mannschaft, sondern auch der Einkauf der Düngemittel erheblich exakter geworden. "Ich liebe diese Drohne wirklich, denn sie gibt mir Argumente an die Hand, mit denen ich unpopuläre Entscheidungen beim Management und bei den Mitgliedern vertreten kann." So konnte Craig zum Beispiel mithilfe der Luftbilder vergangenes Jahr einen detaillierten Schattenreport erstellen, der genau aufzeigte, welche Bäume wie viele Stunden am Tag einen Schatten auf ein bestimmtes Grün werfen und damit das Wachstum hemmen und die Grünqualität strapazieren. Kaum ein Mitglied eines Golfclubs sieht es gerne, wenn Bäume gefällt werden. Schlechte Grüns sind allerdings noch weitaus unpopulärer. Dank seines Schattenreports durften Craigs Jungs die Motorsäge anwerfen und seither scheint die badische Sonne wieder deutlich häufiger auf die Grüns in St. Leon-Rot.

Alle Bilder im Kasten, Feierabend für heute", nickt er zufrieden, als die Drohne sicher gelandet ist. "Ich muss nach Hause und packen. Übermorgen geht es nach Sawgrass. Die Golf Course Superintendents Association of America hat mich zu einer Fortbildung zugelassen." Selbst ein Head-Greenkeeper mit mehr als 15 Jahren Berufserfahrung hat noch lange nicht ausgelernt.

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