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R.I.P. Sergeant Hartman

Golf-Bootcamp: 'Full Metal Socket'

Von Jan Langenbein, Fotos: Christoph Ratjen

Jedes Jahr nehmen sich ganze Heerscharen von Hobbygolfern vor, nun endlich einmal fit, austrainiert und bestens vorbereitet in die Golfsaison zu starten. Die Ansätze, wie dieses ambitionierte Ziel erreicht werden könnte, unterscheiden sich allerdings wie Mettwurst und Sojamilch. Wir haben uns für die extreme Variante entschieden: Bootcamp!

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erscheint im GolfPunk-Magazin 1/18. Wegen des Todes von R. Lee Ermey, Darsteller des Drill-Sargeants "Hartman", veröffentlichen wir die Geschichte vorab auf GolfPunk-Online. Mehr zu Ermey unten auf dieser Seite.

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Marcels Voice-Mail klingt harmlos und doch verlockend: "Im März steigt unser fünftägiges Bootcamp in Bogogno. Wie ich dich kenne, könnte dein Schwung eine Generalüberholung vertragen. Ich habe einen Platz für dich frei gehalten. Bist du dabei?" Da gibt es nicht viel zu überlegen. Fünf Tage der norddeutschen Märztristesse entkommen und unter fachkundiger Aufsicht den Schwung auf Vordermann bringen? Ich sehe mich schon beim Saisonauftakt-Turnier in wenigen Wochen präzise wie ein Scharfschütze die Flaggen angreifen und das erste Kräftemessen des Jahres mit sagenhaftem Vorsprung gewinnen. Niemand wird so unglaublich gut eingespielt wie ich in die Saison starten, daran gibt es keinen Zweifel. Natürlich bin ich dabei!

Erste Zweifel an dieser Entscheidung sprießen bereits am gleichen Abend meiner Zusage, denn auf Arte läuft Stanley Kubricks Meisterwerk "Full Metal Jacket" und der Drill Instructor macht die Rekruten des Marine Corps auf Parris Island zur Minna: "Ich bin Gunnery Sergeant Hartman und zuständig für eure Grundausbildung. Von nun an werdet ihr nur reden, wenn ihr angesprochen seid, und das erste und das letzte Wort aus eurem dreckigen Maul wird 'Sir' sein. Habt ihr Maden das verstanden?" In meinem Hals bildet sich ein dicker Kloß, denn die Hölle, die hier gerade über den Fernseher flimmert, ist schließlich die Definition eines Bootcamps.

Zwar habe ich Marcel Haremza und Christoph Günther in den vergangenen Jahren als durchaus ausgeglichene und auf korrekte soziale Umgangsformen achtende Typen kennengelernt - was aber, wenn die beiden just in diesem Moment ebenfalls Kubrick schauen und sich feixend Hartmans übelste Sprüche in einen Notizblock schreiben, um in zwei Wochen die Teilnehmer ihres eigenen Bootcamps nach allen Regeln der Kunst zu schockieren?

Sicher ist diese Angst nur eine Überreaktion, aber die Aussicht auf eine entspannte Woche Italien mit ein bisschen Training und Golf bekommt erste bedrohliche Schatten. Der Gunnery Sergeant brüllt weiter: "Wenn ihr Ladys meine Insel verlasst, wenn ihr meine Ausbildung überleben solltet, seid ihr eine Waffe, seid ihr Priester des Todes und betet um Krieg. Aber bis zu diesem Tag seid ihr Dreck, seid ihr die niedrigste Lebensform auf Erden, seid ihr noch nicht einmal annähernd so etwas wie Menschen, seid ihr nichts anderes als ein unorganisierter Haufen von amphibischer Urscheiße."

R.I.P. Sergeant Hartman:

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DIE REALITÄT IST HART UND MARCEL MUSS SICH ÜBERHAUPT KEINE AUSGEKLÜGELTEN BESCHIMPFUNGEN UND HERABWÜRDIGENDEN NAMEN AUSDENKEN. EIN SIMPLES 'KANNST DU SEHEN, WAS DU FALSCH MACHST?' GENÜGT VÖLLIG, MIR DEN REST ZU GEBEN.
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PRIVATE PAULA UND RÜCKENSCHMERZEN

Zwei Wochen später, während die beiden Gastgeber vor einem Dutzend lernbegieriger Golfverrückter in der Bar des Bogogno-Golf-Resorts ihre Willkommensansprache halten, scheint sich mein Marine-Corps-Albtraum tatsächlich als unbegründet herauszustellen, denn es ist mehr von Spaß am Lernen als von gnadenlosem Schliff die Rede. Verdächtig erscheint mir lediglich das Programm für den nächsten Tag, das am Morgen drei Stunden intensives Training - eine Stunde Putten, eine Stunde Pitchen und eine Stunde Bälleschlagen - gefolgt von 18 Löchern mit den Pros vorsieht. Und dann irritiert noch die Tatsache, dass ein kleiner, sein Idealgewicht sichtlich überschreitender Teilnehmer aus einem europäischen Nachbarland wie selbstverständlich umgehend die Rolle des Private Paula, also des ausgemachten Opfers, zugesprochen bekommt. Er scheint jedoch ein Veteran zu sein, denn dies ist ganz offensichtlich nicht sein erstes Bootcamp.

"Pah, Bootcamp", raunt er mir wenig später an der Bar zu, während er seinen dritten Gin Tonic bestellt. "Für mich ist das hier ein Booze Camp. Cheers!" Im Verlauf des Kennlernabends wird sich noch herausstellen, dass er, was die Longdrinks angeht, zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal bei der Halbzeit angekommen ist. Tatsächlich muss Private Paula am nächsten Morgen in der Caddie- Halle genervt feststellen, dass ein Spaßvogel alle Schläger falsch herum in sein Bag gesteckt hat, statt der Schlägerköpfe ragen nun lediglich Griffe aus dem Divider. Der wohl älteste Streich unter Golfern überhaupt, doch seine Wirkung verfehlt er nicht.

60 Minuten Putt-Training nach einem Winter, der sich mehr auf der Couch als im Fitnessstudio und mit Sicherheit nicht auf dem Putting-Grün abspielte, stellen sich jedoch schnell als eine Hürde heraus, die deutlich höher als ausfällt als erwartet. Bereits nach 20 Minuten unerbittlicher Korrekturen der Körperhaltung stellen sich heftige Rückenschmerzen ein und selbst nach einer Stunde konzentriertem Training kann Christoph ganz einfach meine technischen Defizite aufzeigen, indem er ein Tee unter die Sohle meines Putter in der Ansprechposition schiebt und damit schmerzhaft deutlich illustriert, wie unsauber ich meinen Schläger hinter den Ball stelle. Sergeant Hartman kommt mir in den Sinn: "Ihr werdet mich nicht mögen, weil ich hart bin. Je mehr ihr mich hasst, umso mehr werdet ihr lernen. Ich bin hart, aber ich bin fair." Mein Ego hat bereits während der ersten Trainingsminuten derart Schaden genommen, dass ich kurz davor bin, "Sir, jawohl, Sir!" zu brüllen.

Die folgenden 60 Minuten am Pitching-Grün werden dann dank jämmerlicher Kondition und desolaten körperlichen Allgemeinzustands die zu erwartende Katastrophe. Seit mehr als einem Jahrzehnt mühe ich mich nun ab, auf dem Golfplatz wenigstens halbwegs kompetent zu wirken, und dann genügen selbst diese simplen Pitching-Drills, um mich wie einen komplett unfähigen Stümper aussehen zu lassen. Keine andere Sportart kann derart brutal darin sein, ihren Athleten einen unbarmherzigen Spiegel vorzuhalten. Bei der dritten Station des Tages genügt Marcel eine Slo-Mo-Aufnahme meines Schwungs mit dem iPad, um meine Moral völlig zu brechen. Dieser unkoordinierte Haufen Gliedmaßen, der auf dem Touchscreen versucht, halbwegs ordentlichen Kontakt zwischen seinem Eisen 6 und dem Ball herzustellen - bin das wirklich ich? Die Realität ist hart und Marcel muss sich überhaupt keine ausgeklügelten Beschimpfungen und herabwürdigenden Namen ausdenken. Ein einfaches "Kannst du sehen, was du falsch machst?" genügt völlig, mir den Rest zu geben. Es gäbe in diesem Moment mindestens ein Dutzend passende Zitate des Gunnery Sergeant, die Marcel mir jetzt vor den Latz knallen könnte, wie zum Beispiel: "Sie werden mir doch nicht etwa schlapp machen? Oder vielleicht doch? Dann runter, Sie schleimiger, unförmiger, von einem Walross geschissener Haufen Scheiße. Gehen Sie verdammt noch mal runter von meiner Driving Range! Runter! Sonst reiß ich Ihnen die Eier ab, damit Sie nicht den Rest der Welt verpesten."

Mittlerweile bin ich beinahe traurig darüber, dass Marcel und Christoph nicht auf die Idee gekommen sind, Hartmans Beschimpfungen auswendig zu lernen. Immerhin würden diese Sprüche etwas brachiale Komik und politisch absolut unkorrekten Witz in diese durch und durch traurige Situation bringen. In 20 Minuten ist die Startzeit für die 18-Loch-Runde des Tages - es ist zum Heulen.

WEG MIT DEM SPATEN!

Am nächsten Morgen spüre ich jeden Knochen meines gebrochenen Körpers und der Blick in die Runde meiner Mitstreiter offenbart eklatante Unterschiede, was den Grad der Verzweiflung angeht. Während Private Paula, der vor zwei Tagen das "Booze Camp" ausrief, seinen Worten Taten folgen lässt und heute bereits zum Frühstück Ramazzotti bestellt, schwebt eine Teilnehmerin, die gestern bereits beeindruckendes Golf gespielt hatte, leicht und locker über das Grün und puttet bereits, bevor Coaches aufgetaucht sind. Offenbar fiel ihr Couch-Fitnessstudio-Verhältnis während des Winters exakt umgekehrt aus.

Die drei Stunden Training fallen dann ähnlich schmerzhaft aus wie am Vortag, doch langsam scheint der Körper eine Toleranz gegenüber der Schinderei zu entwickeln. Problematisch soll sich heute die Tatsache herausstellen, dass wir nicht wie gestern den halbwegs zahmen Del Conte Course des Resorts spielen, sondern uns dem Bonora-Platz in Bogogno stellen müssen, einer 18-Loch-Mörderschleife, deren Halfway House gefühlte fünf Kilometer vom Clubhaus entfernt liegt. Abkürzungen sind also undenkbar und so folgt nach vielversprechendem Start der spielerische und körperliche Totalzusammenbruch auf den zweiten neun des Tages. Das hier ist nicht mehr nur die Grundausbildung. Das ist mein Vietnam und Schläger, Ball und Platz sind zu einem unbezwingbar scheinenden Dschungel voller Vietcong verschmolzen.

Nach dem dritten Shank in Folge höre ich den Gunnery Sergeant in meinem Kopf schreien: "Sie sind ein wertloser Haufen Scheiße, Paula! Hauen Sie bloß ab von hier!" Es wird Zeit, ins Hotelzimmer zu schleichen und die Wunden zu lecken. Am dritten Tag in Folge auf der Driving Range geschieht etwas absolut Unerwartetes: Die Körperhaltung, die mir Marcel zwei Tage lang als "korrekte Ansprechposition" verkaufen wollte, fühlt sich auf einmal nicht mehr völlig hirnrissig und unnatürlich an und das Eisen 6 in meiner Hand beginnt langsam, aber sicher, sich von einem unkontrollierbaren Spaten zu einem brauchbaren Werkzeug für das präzise Bewegen von Golfbällen zu entwickeln. Es ist der 53. Ball, den ich an diesem Tag schlage, der ein Feedback vom Schlägerkopf durch den Schaft in meine Hände sendet, wie ich es seit Jahren nicht mehr gespürt habe, und eine Flugbahn in den italienischen Himmel zeichnet, wie ich sie noch nicht gesehen habe. "Daran gibt es nicht auszusetzen", lautet Marcels trockener Kommentar und er schaltet sein iPad aus. Wow!

Schinderei und Training haben also tatsächlich einen Effekt. Das ist weder besonders tiefsinnig noch revolutionär, aber trotzdem enorm beeindruckend, spürt man diese Erkenntnis am eigenen Golfschwung. Sobald die Blase an meinem linken Fuß abgeheilt ist, kann der Saisonauftakt kommen. Nächstes Jahr werde ich nicht nur erneut zum Bootcamp erscheinen, sondern vorher auch ein paar Mal den Kraftraum aufsuchen. Zumindest den Plan kann man ja fassen.

+++R. Lee Ermey ist tot+++


Am 15. April starb R. Lee Ermey, Darsteller des brutalen Drill-Sargeants "Hartman", im Alter von 74 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Sein langjähriger Manager Bill Rogin schrieb auf Facebook, dass Ermey als "Hartman" zwar skrupellos wirkte, in Wahrheit aber ein gütiger und lieber Mensch war. Unser Beileid gilt den Angehörigen.



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