Ich sollte vielleicht erklären, dass ich Kelly bereits seit sechs Jahren von Golf-Events in Südkalifornien, wo wir beide leben, kenne. Zweimal im Jahr stattet er meinem Club einen Besuch ab und wir spielen gemeinsam ein Charity-Turnier oder einfach eine lockere Runde. Seit seinem 20. Lebensjahr ist Kelly von Golf mindestens so besessen wie vom Surfen. Mit einer sich immer noch auf dem Höhepunkt befindenden Surfer-Karriere kommt er zwar nicht so oft zum Golfen, wie er das gerne hätte, doch Slater hat an jedem seiner Wohnsitze auf der ganzen Welt ein komplett bestücktes Golfbag stationiert, um egal wohin ihn die World Surf Tour auch bringt, immer bereit zu sein. Ein Bag steht in Frankreich, eines in Australien, ein weiteres auf Hawaii - wann immer die Wellen zu flach sind, schwingt er den Schläger. Ich weiß: Das muss ein hartes Leben sein…
»MIT EINEM HANDICAP VON -3 IST KELLY ALLES ANDERE ALS EIN HACKER UND WAR BEREITS ZWEIMAL BEI DER DUNHILL LINKS AM START. BEIDE MALE GEWANNEN SEINE PARTNER, ZUNÄCHST SIMON DYSON UND 2015 THORBJØRN OLESEN, DIE PROFIWERTUNG.«
PERSONALWECHSEL
Zum Glück kann ich mein Flugticket nach Schottland umtauschen, denn das Versprechen, ein von Kelly Slater designtes und signiertes Surfboard organisieren zu können, verschafft mir den Platz in einer Global Express 5000, dem Privatjet des Gründers von Starwood Hotels. So lande ich also, Bestechung sei Dank, Tage vor dem Turnier auf einem Luftwaffenstützpunkt nur einen Steinwurf vom Old Course entfernt. Kelly wird das sicher verstehen, er möchte schließlich einen hellwachen und ausgeruhten Caddie an der Tasche haben. Kaum im "Fairmont" angekommen, dem Hotel aller Begleitpersonen der Spieler, erfährt meine blendende Laune allerdings einen herben Dämpfer, als wir erfahren, dass alle Amateure bei der Dunhill Links in diesem Jahr auf lokale Caddies zurückgreifen müssen. Verständlich, denn die Ballsuchorgien der letzten Jahre hatten das Spiel unerträglich langsam gemacht. Aber trotzdem muss ich meinen Frust nun erst einmal mit einem Bier lindern. Nach dem zweiten Pint dämmert es mir, welch großes Glück ich habe, schließlich bin ich nun von aller Arbeit und Taschentragerei befreit und kann als Begleitung von Kelly Slater eine Woche lang das vielleicht großartigste Pro-Am der Welt auf den coolsten Golfplätzen überhaupt genießen. Die Frage ist nur: Wo ist Kelly? Als ich zuletzt von ihm gehört habe, war er in New York und wollte am Dienstagabend pünktlich zur Players Party in Schottland sein. Doch die beginnt in 30 Minuten und von Kelly keine Spur. Da erreicht mich eine Voice-Message: "Hey! Sorry, ich komme erst morgen Früh in St. Andrews an und werde es pünktlich zur Proberunde schaffen. Kannst du allein zur Party gehen und herausfinden, mit wem wir spielen werden?" Klar kann ich!
Eine kurze Taxifahrt später komme ich in meinen besten Outfit am "Old Course Hotel" an, wo die Party steigt, bekomme ein Glas Champagner in die Hand gedrückt, bedanke mich noch beim Kellner, als ich unvorsichtigerweise rückwärts gegen einen Schrank von Mann stoße: Vladimir Klitschko. Ein paar Tropfen meines Getränks besudeln seine Schuhe und ich spreche im Geiste mein letztes Gebet. Doch der Hüne hat gerade erfahren, dass er diese Woche mit GolfPunk-Buddy Max Kieffer starten wird, hat daher beste Laune und ich darf weiterleben. Unser Spielpartner wird Dylan Frittelli sein, ein junger Pro aus Südafrika, der dank zweier Siege auf der Challenge Tour und eines Triumphs bei der Lyoness Open in Österreich die Weltrangliste nach oben stürmt. Er war Jordan Spieth' Teamkollege am College in Texas, und wie sich herausstellt, ist er leidenschaftlicher Surfer. Volltreffer!
MÖGEN DIE SPIELE BEGINNEN
Mittwochvormittag und die Sonne lacht über dem Old Course. Gibt es einen schöneren Ort auf der Welt? Nur von Kelly keine Spur, lediglich eine Textnachricht: "Verspäte mich und werde nicht vor 16:30 Uhr im Hotel sein." Die Proberunde ist damit gestorben. "Alles andere als eine ideale Vorbereitung", denke ich und erinnere mich daran, wie ich vor einigen Monaten ein Qualifikationsturnier für die US Amateur Championship gespielt habe. Der Platz war einfach und ich kannte ihn auswendig. Trotzdem konnte ich zwei Wochen vorher nicht richtig schlafen, habe jeden Tag trainiert, mich ausschließlich von Gemüse ernährt und trotzdem über Par gespielt. Für Kelly wird das diese Woche eine andere Nummer: Fernsehkameras, Tausende Zuschauer und mannstiefe, "Doppelbogey!" schreiende Bunker. Dazu kommt noch, dass er erst vor acht Wochen wegen eines gebrochenen Fußes operiert wurde, der eigentlich Grund, warum er diese Woche hier sein kann und nicht in Frankreich bei der WSL am Start ist und die Wellen dominiert.
Kurz vor 18 Uhr schlendert dann plötzlich ein tiefenentspannter Kelly Slater durch die Lobby des "Old Course Hotel". Draußen wird es langsam dunkel, an Golfspielen ist nicht mehr zu denken und er hat einen relaxten "Alles überhaupt kein Problem"-Ausdruck in den Augen. Für mich völlig unverständlich, ist das wohl sein Erfolgsgeheimnis und das Rezept, wie er über all die Jahre Weltruhm, Druck und Erfolg unter einen Hut brachte. Panik oder Aufregung sind niemals hilfreich. Kelly strahlt eine Form der Ruhe aus, die nicht nur einzigartig, sondern auch ansteckend ist.
Es ist für Kalifornier empfindlich kalt an diesem Donnerstagmorgen, aber die Sonne lacht und Kelly hämmert einen perfekten Abschlag das erste Fairway von St. Andrews hinunter. Neben ihm und unserem Pro Dylan spielen noch der südafrikanische Rugby-Spieler Rob Louw und Thomas Deltry aus Belgien in unserer Gruppe. Rob ist ebenfalls Surfer und versteht sich augenblicklich blendend mit Kelly, der ohne Training und mit einem noch nicht komplett verheilten Fuß tolle erste neun Löcher spielt, auf denen er einige Putts zu kurz lässt und trotzdem Par-Level spielt. Völlig entspannt, als wäre es das Normalste auf der Welt, kommen wir nach knapp fünf Stunden auf der 18 an, posieren für das obligatorische Foto auf der Swilcan Bridge und verabreden uns für Drinks im "Jigger Inn", dem legendären Pub am Rande des Road Hole. Kelly und Dylan haben ein Tagesergebnis von -6 erspielt und scheinen darüber alles andere als unglücklich. Ich denke allerdings schon an morgen, denn da droht uns Carnoustie.