»DIESES VERMEINTLICH RUSTIKALE DESTILLAT HAT SO VIEL MEHR ZU BIETEN ALS GEMEINHIN ANGENOMMEN, VOR ALLEM WENN MAN MAL NICHT DEN FEHLER MACHT, SICH DAS WÄSSERCHEN EISKALT HINTER DIE BINDE ZU KIPPEN.«
Apropos Old Course: Natürlich gibt es direkt nebenan auch einen New Course, der mit 6.469 Metern (Par 72) ein echtes Brett ist - und genauso schwer und hindernisreich wie der Old Course. Lena Mortensen hat den Platz 2004 als echten Meisterschaftskurs gestaltet - mit einigen großartigen Ausblicken auf die Ostsee und den bewaldeten Back Nine, die mich immer wieder zum Verzweifeln gebracht haben. Der New Course gehört zum Gudhjem Golf Klub, der sich mit Nordbornholms Golfklub das Clubhaus, die Driving Range, die Gastronomie und den Pro teilt. 36 extrem interessante Löcher also - dazu kommen die anderen beiden Golfplätze in Rønne und Nexø, sodass man es bei moderaten Greenfee-Preisen von circa 45 Euro wirklich gut auf der Insel aushalten kann. Vorausgesetzt, man hat etwas zum Trinken dabei, um den einen oder anderen Ballverlust zu vergessen.
Und hier setzen wir - wie immer in dieser Kolumne - auf Lokalkolorit und greifen, wie es sich in Skandinavien gehört, zu einem Aquavit, um den Flachmann aufzufüllen. Dieses vermeintlich rustikale Destillat hat so viel mehr zu bieten als gemeinhin angenommen, vor allem wenn man mal nicht den Fehler macht, sich das Wässerchen eiskalt hinter die Binde zu kippen, sondern etwa bei Zimmertemperatur, was ich auch immer dann empfehle, wenn man mal einen Korn, einen Ouzo oder einen Wodka wirklich "schmecken" will - also sensorisch erleben -, statt der rein haptischen Empfindung, wenn eiskalter Alkohol einem die Kehle herunterrinnt.
Aquavit, der genauso wie Whisky oder Eau de vie seinen Namen vom "Wasser des Lebens", der spätmittelalterlichen Bezeichnung für jede Art von Branntwein, ableitet, ist der traditionelle nordeuropäische Schnaps und, wenn gut gemacht, ein überaus komplexes und aromatisches Destillat, dem detailreiche Rezepturen zugrunde liegen. So kommen beispielsweise Dill, Fenchel, Koriander, Zimt, Nelken, Wacholderbeeren, Kubebenpfeffer, Angelikasamen, aber auch Beeren, Zitrusschalen, Blüten und Wurzeln in den verschiedenen Produkten zum Einsatz. Meist bis zu 20 Kräutern und Gewürze.
Genau so wie Gin oder Absinth wird Aquavit durch Mazeration und Destillation gewonnen, das bedeutet: In hoch rektifiziertem Neutralalkohol werden Kräuter und Gewürze extrahiert und schließend abdestilliert, was wir in Deutschland "Geistverfahren" nennen. Bei Aquavit ist das vorherrschende Gewürz Kümmel - aber eben nicht das Einzige, was den Aquavit auch von einem klaren norddeutschen Kümmel (in Flüssigform) unterscheidet, auch wenn der vorherrschende Kümmelgeschmack gesetzlich vorgegeben ist.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen klaren Aquavits, die mehr oder weniger ausschließlich als Digestifs zum Einsatz kommen, und solchen, die in Holzfässern ausgebaut werden und einem längeren Reifeprozess unterzogen werden. Letztere Sorten würde ich auch für den Flachmann auf der Runde empfehlen, da in der Regel etwas harmonischer, runder und mit einem komplexeren Aromenbild. Es gibt sogar einen Hersteller, der seine Fässer angeblich auf Schiffen mehrfach über den Äquator (die "Linie") schippert, um dem Stoff den richtigen "Spin" zu geben. An solche Behandlungen muss man glauben, da unterscheidet sich der Spirituosenkenner nicht vom Golfer. Ich möchte keine Werbung für eine Aquavit-Marke machen, empfehle aber, darauf zu achten, dass man einen wirklich handwerklich hergestellten Aquavit von einem kleineren Hersteller erwischt.
Aus purer Nostalgie und mit der positiven Erinnerung an die letzte Golfreise nach Bornholm habe ich im letzten Jahr meinen ersten Aquavit gebrannt, obwohl das hier in Süddeutschland für Stirnrunzeln sorgt. Benannt haben wir ihn nach einem der Pioniere der nordischen Destillationsrezepturen: Christopher Blix Hammer, kurz und bündig Blix.
Auch in Bornholm wurden seit 1855 traditionelle Aquavits hergestellt, in Dampfbrennereien in Hasle, Nyker, Åkirkeby und Nexø. Die Brennereien mussten im 20. Jahrhundert schließen, die "Spritfabrik" (wie romantisch!) in Hasle brennt aber seit 1994 wieder echten Bornholmer Akvavit. Historisch betrachtet ist der nordeuropäische Branntwein eng mit der Heringsfischerei in der Ostsee verknüpft, für die Bornholm seit dem Spätmittelalter ein wichtiger Handelsplatz war. Hiervon zeugen nicht nur die stattliche Festung Hammershus, einst räuberischer Außenposten des Bistums Lund, sondern vor allem auch die pittoresken Kamine der vielen Räuchereien rings um die Insel. Und wer dort einmal einen frisch geräucherten, fettigen Hering mit Roter Bete und Zwiebel gegessen hat, der weiß, wie gut so ein Tröpfchen des Lebenswassers tut! Auch wenn die Verdauung entgegen der landläufigen Meinung nicht wirklich optimiert wird, so bleibt doch ein wohligwarmes Gefühl im Bauch. Und das kann auch bei einer Golfrunde auf dem wunderbaren Old Course von Rø nicht schaden - und schmeckt hier so richtig gut! Drink local!
ZUR PERSON
Christoph Keller ist 47 Jahre alt und trägt schon immer Vollbart. Als Jugendlicher spielte er mit den Leonberg Lobsters in der Baseball-Bundesliga und studierte im Anschluss Kunst, Kunstgeschichte und Philosophie. 1998 gründete er den Revolver Kunstverlag und führte diesen bis 2004, bevor er ihn verkaufte. Danach zog er in die Stählemühle im südlichsten Baden und fand dort eine Brennerei vor. 2005 wurde dann die Leidenschaft fürs Schnapsbrennen entfacht und er entwickelte als Master Distiller den legendären Monkey 47 Schwarzwald Dry Gin. Die Stählemühle entwickelte sich währenddessen zu einer der zehn besten Brennereien der Welt und dann nahm Christoph zum ersten Mal einen Golfschläger in die Hand, erspielte sich ein einstelliges Handicap, wurde Kapitän im Golfclub Schloss Langenstein und spielt gerne Runden mit Hickory-Schlägern.RØ OLD COURSE
Nordbornholms Golfklub Rø, Bornholm, Dänemark
Par 71, 5.369 Meter
Design: Anders Amillon, 1984
www.nordbornholmsgolfklub.dk