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Nachtschicht

Selbstversuch auf U.S. Open-Platz

Von Jan Langenbein, Fotos: Jan Langenbein

Normalerweise braucht es unverschämte Mengen altes Geld und gute Freunde im Komitee, das über die Mitgliedschaften entscheidet, damit man sich dem Martyrium eines klassischen US-Open-Platzes aussetzen darf. Oder eine Nacht im Auto auf einem fragwürdigen Parkplatz im Speckgürtel von New York City. Wenn's weiter nichts ist ...

Brooks Koepka hat mit der US-Open-Trophäe im Gepäck längst das Weite gesucht und in Shinnecock arbeitet eine Armee an Handwerkern daran, die riesigen Tribünen und Zelte der Major-Woche wieder abzubauen. Es ist der Montag nach einer US Open, mit der die USGA ihre Pole-Position im Olymp der Golfsadisten zementierte, und ich steuere meinen Mietwagen den Long Island Expressway zurück in Richtung New York City. Während der vergangenen vier Tage konnte ich beobachten, wie ein Golfplatz die besten Spieler der Welt mit Haut und Haaren verspeiste und noch nicht einmal rülpsen musste. Ich wurde Augenzeuge, wie die Superstar-Gruppe um Rory, Jordan und Phil gemeinsam ein Ergebnis von 25 über Par nach 18 Löchern ins Clubhaus brachte, von Vier- Putts und Quintupel-Bogeys ganz zu schweigen. Bei all diesen Pleiten, Pech und Pannen, die sich in Shinnecock Hills abspielten, bestimmte meinen hauptsächlichen Gemütszustand dieser Tage allerdings weder Mitleid mit den Profis noch Wut auf die außer Kontrolle geratene USGA, sondern eine bizarre Mischung aus Schadenfreude und einer gehörigen Portion neugierigem Golfmasochismus. "Wie um Himmels willen würde mein Score aussehen, wenn man mich auf das erste Tee eines US-Open-Platzes stellen würde?", schoss es mir in Shinnecock unzählige Male durch den Kopf, schließlich bringt mich mein Heimatplatz mit seinem moderaten Allerweltsdesign und dem meist äußerst gnädigen Set-up regelmäßig an meine Grenzen. Leider kann ich weder mit einem Familienstammbaum noch mit dem Aktienportfolio dienen, die es beide bräuchte, um von den erlauchten US-Open-Austragungsorten rund um New York wie Winged Foot oder Shinnecock auch nur auf den Parkplatz gelassen zu werden. Pebble Beach ist für knapp 500 Euro Greenfee zwar für jeden zugänglich, doch dort findet man bei normalem Publikumsverkehr alles andere als US-Open- Bedingungen vor, schließlich wären sieben Stunden dauernde Runden nicht im Sinne der Gewinnmaximierung und davon ganz abgesehen liegt das erste Tee von Pebble Beach laut Navigationssystem 4.900 Kilometer entfernt. 47 Stunden reine Fahrzeit veranschlagt Google für diesen Trip - nein danke! Kurz nach diesem netten Gedankenspiel passiere ich eine Ausfahrt mit dem Namen Farmingdale und es durchfährt mich wie ein Blitz. "Der Black Course im Bethpage State Park! Natürlich! US Open 2002 und 2009. Das berühmte Warnschild am ersten Abschlag..." Ich habe Golfschläger im Kofferraum und anstelle von 47 Stunden nach Kalifornien veranschlagt die Stimme des Navis lediglich zwölf Minuten nach Bethpage. US-Open-Massaker, ich komme!

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Kulturelle Unterschiede: die amerikanische Form von 'Eltern haften für ihre Kinder'

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WÜSSTE ICH NICHT, DASS HIER LEDIGLICH STARTZEITEN DAS OBJEKT DER BEGIERDE SIND, HÄTTE ICH SPÄTESTENS JETZT MÄCHTIG SCHISS, IN DAS TREFFEN EINER BESONDERS ABSEITIGEN SEXCOMMUNITY GERATEN ZU SEIN.
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OPEN-AIR-WARTESAAL
"The People's Country Club" steht einladend auf einem Schild vor dem Clubhaus. Hier bin ich richtig, denn im Country Club für das gemeine Volk kann jeder aufkreuzen, Dollars auf den Tresen blättern und loslegen. Die Absperrbänder vor den Fenstern, an denen man sein Greenfee entrichten kann, lassen allerdings vermuten, dass es nicht ganz so einfach sein dürfte, und erinnern mehr an die Sicherheitskontrolle am Frankfurter Flughafen zur Hauptreisezeit als an ein Golfclubhaus. Stacey, die heute an Fenster Nummer 2 Dienst schiebt, schaut mich ungläubig an, als ich naiv nach einer Startzeit für den Black Course frage: "Es ist jetzt 14:30 Uhr. Das Einzige, was ich dir anbieten kann, ist eine Startzeit auf dem Blue Course um 17:45 Uhr. Das macht 35 Dollar. Der Black Course ist diese Woche ausgebucht. Die erste Stunde jeden Tag ist allerdings für Golfer vorbehalten, die nicht reserviert haben und einfach aufkreuzen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Der Nächste, bitte!" Kaum wurde mir mein Greenfee-Ticket für den Blue Course durch den Schlitz im Fenster zugesteckt, schiebt die Schlange ungeduldiger New Yorker in Golfshirts weiter und meine Audienz bei der Herrin über die Startzeiten ist beendet. Also nutze ich die verbleibenden Stunden, bis ich auf den Blue Course gelassen werde, um mich auf dieser gigantischen Anlage umzuschauen. Fünf 18-Loch-Plätze öffnen hier tagtäglich ihre Tore für die Golfer der Metropole. Benannt nach Farben sind der Yellow, Green, Blue, Red und Black Course wie Skipisten nach ihren jeweiligen Schwierigkeitsgraden eingestuft. Green, Blue und Yellow sind nette und preiswerte Golfplätze, für die es sich allerdings kaum lohnen würde, über den Atlantik zu fliegen. Der Red Course ist ein echtes Juwel und der Black Course empfängt Golfpilger mit einem unmissverständlichen Schild am ersten Abschlag: "Warning! The Black Course is an extremely difficult golf course which we only recommend for highly skilled golfers." 2002 gewann Tiger Woods hier die erste US Open, die auf einem Golfplatz ausgetragen wurde, der faktisch dem Steuerzahler gehört, und sieben Jahre später kehrte das härteste Golfturnier auf den Black Course zurück. Es kann sich allerdings kaum noch jemand an 2009 erinnern, denn es schüttete die gesamte Woche wie aus Kübeln und am Ende gewann Lucas Glover. Auf dem ersten Abschlag des Blue Course gesellt sich Marc, ein 52 Jahre alter Klempner aus Queens, zu mir und kann es kaum fassen, dass Golfer aus Europa hierherkommen, um "seine" Plätze zu spielen. "Bethpage ist ein Geschenk des Himmels für alle, die sich keine Mitgliedschaft in den Country Clubs leisten können", erzählt er. Eine Lösung für mein Startzeitenproblem auf dem Black Course hat er ebenfalls parat: "Du musst im Auto übernachten. Dort hinten gibt es Parkplätze mit aufsteigender Nummerierung.

Nachtschicht: Morgengrauen: Die Bühne für Tripel-Bogeys ist bereit
Morgengrauen: Die Bühne für Tripel-Bogeys ist bereit
Du musst dich heute Abend dort hinstellen und gegen halb fünf Uhr kommt ein Ranger vorbei, der Tickets verteilt. Hier läuft alles äußerst fair ab. Wer zuerst kommt, spielt zuerst." Um nicht die gesamte Nacht auf dem Parkplatz verbringen zu müssen, entscheide ich mich für die Spätvorstellung im AMC-Multiplexkino wenige Kilometer entfernt. Und tatsächlich: Als ich um kurz nach ein Uhr nachts auf den stockdunklen Parkplatz zurückkomme, bin ich nicht der Erste auf den nummerierten Parkplätzen.

FRÜHSPORT
Die Parkbuchten 1 bis 3 sind bereits belegt, also parke ich meinen Toyota auf Platz Nummer 4 in freudiger Gewissheit, in wenigen Stunden auf einem US-Open-Platz spielen zu können. Lediglich das Wohnmobil auf Parkplatz 1 macht mir Angst. Wie viele Golfer mögen wohl in diesem Winnebago übernachten? Hut ab vor so viel Kreativität, eine Nacht auf dem Parkplatz verliert im Wohnmobil definitiv ihren Schrecken. Die Uhr zeigt mittlerweile 1:35 und im Zehnminutentakt wiederholt sich nun das immer gleiche Schauspiel: Ein Pkw der Mittelklasse biegt auf den Parkplatz ein, stellt sich artig auf den nächsten freien Parkplatz, die Scheinwerfer werden ausgeschaltet, doch niemand steigt aus. In einigen Autos haben die Insassen die Sitze nach hinten geklappt und versuchen zu schlafen, meist jedoch sind hinter den Lenkrädern spärlich von Smartphone-Displays erleuchtete Männer mit Titleist-Caps zu erkennen, die den Sonnenaufgang herbeisehnen. Wüsste ich nicht, dass hier lediglich Startzeiten das Objekt der Begierde sind, hätte ich spätestens jetzt mächtig Schiss, in das Treffen einer besonders abseitigen Sex-Community geraten zu sein. Ein Schild am Anfang der Wartereihe weist darauf hin, dass die Toilettenhäuschen zwischen Yellow und Blue Course die ganze Nacht geöffnet sind. Mein Versuch, ebenfalls ein wenig Schlaf zu finden, scheitert kläglich; viel zu aufgeregt bin ich angesichts des bevorstehenden Golftages. Ich habe den Black Course zwar schon Dutzende Mal gespielt und meine Bestleistung von 53 Schlägen - von den Back Tees, versteht sich - kann sich durchaus sehen lassen. Allerdings fanden diese Runden allesamt auf der PlayStation statt und nun steht der erbarmungslose Realitätscheck bevor. Um kurz vor halb fünf Uhr morgens kommt schlagartig Bewegung in die bisher so ruhige Parkplatzszenerie. Ein Ford F150 Pick-up Truck rollt durch das Eingangstor und die Locals wissen offenbar, was jetzt kommt, denn wie auf Knopfdruck springen schätzungsweise 80 Golfer aus den rund 40 mittlerweile hier versammelten Autos. Der Pick-up hält vor Parkplatz Nummer 1 und ein untersetzter Mittvierziger kurbelt das Fenster herunter: "Alright Guys, hier sind eure Tickets. Alle der Reihe nach!" Das ist er also, der mysteriöse Ranger, der die Eintrittskarten zur Folterkammer Black Course in den Händen hält.

Nachtschicht: Ausgepeitscht: Der Ball flog schreiend davonNachtschicht: Ausgepeitscht: Der Ball flog schreiend davon
Ausgepeitscht: Der Ball flog schreiend davon
Und kaum hat er einem die ganze Nacht darauf Wartenden das heiß ersehnte grüne Zettelchen ausgehändigt, nimmt dieser sofort die Beine in die Hand und spurtet quer über den Parkplatz in Richtung Clubhaus, um das Stück Papier und einige Dollars gegen eine Startzeit einzutauschen. Wer immer noch glaubt, Golf sei kein Sport, sollte hier dabei sein und sehen, wie schnell selbst übergewichtige Hobbygolfer laufen können, gilt es, eine Runde auf einen US-Open-Platz zu ergattern. 130 Dollar möchte Kyle, der heute Morgen hinter dem Fenster Dienst schiebt, von mir als Auswärtigem für eine Runde auf dem Black Course haben. Wäre ich ein Einwohner der Stadt New York, wären lediglich 65 Dollar fällig. Offenbar wollten die Jungs im Wohnmobil den Red Course spielen, denn ich bekomme die erste Startzeit des Tages: 6:30 Uhr. Ein gelbes Armband, wie man es von Festivals kennt, dient als Beweis für den Starter, dass ich bezahlt habe. Es wird Zeit für die Driving Range.

 

BETHPAGE STATE PARK - BLACK COURSE

PAR 71, 6.112 METER (WEISSE TEES)
GREENFEE: 67 EURO - 129 EURO
2002 U.S. OPEN:
PAR 70, 6.596 METER
2009 U.S. OPEN:
PAR 70, 6.790 METER
NÄCHSTE EVENTS:
2019 PGA CHAMPIONSHIP
2021 NORTHERN TRUST
2024 RYDER CUP
2021 NORTHERN TRUST

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