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Frei nach Fassbinder: Virus essen Golfer auf

Reisen anno 2021

14 Nächte lebenslänglich

Von Christoph Günther, Fotos: Christoph Günther

Was würdest du auf dich nehmen, um bei perfekten Bedingungen weitab von jedem Lockdown Golf spielen zu können? Einen Kratzer in der Motorhaube? Einmal nackt übers 18. Grün rennen? Ich bin weiter gegangen - viel weiter.

Die komplett in weiße Schutzanzüge gehüllten Security- und Zollangestellten am Flughafen von Bangkok vermitteln den Eindruck, als wollte ich ins Sperrgebiet von Fukushima und nicht in eine der beliebtesten Touristendestinationen weltweit einreisen. Doch ich gehe in mich, lasse die vor zwei Jahren noch undenkbare Prozedur geschehen und male mir vor dem geistigen Auge aus: Vor mir liegt ein 400 Meter langes Par 4, links Wasser, rechts Wasser. Der Wind drückt von hinten links, was für einen Natural Born Fader wie mich den Schwierigkeitsgrad nochmals erhöht. Also: Fokus, Ziel fassen und… Blattschuss! Ein Bilderbuch-Fade, der über die linke Fairwaykante startet und auf dem Wind in Richtung Mitte driftet, um tatsächlich das Inselfairway in zwei Hälften zu teilen.

Das alles klingt in Deutschland im Frühjahr 2021 wie ein Traum. Doch mich trennen von der Erfüllung dieses Traums nur noch die wohl ungewöhnlichsten Wochen meines Lebens. Denn das Verwirklichen von Träumen kommt selten umsonst und benötigt Hingabe und Leidensbereitschaft, ganz zu schweigen von einer kleinen Portion Wahnsinn. 15 Nächte ASQ (All State Quarantine) in Bangkok sind in Zeiten der Corona-Pandemie nötig, um sich nach einer Einreise in Thailand frei bewegen zu dürfen. 15 Nächte, 354 Stunden im Hotel, davon 347 in meinem Zimmer 1003 des "Rembrandt Hotel". Aber lieber von vorne an...

Der eine oder andere mag sich an einen GolfPunk-Artikel über mich aus dem Jahr 2018 erinnern, in dessen Mittelpunkt meine Leidenschaft für Golf und den Triathlon-Sport stand. Dieses Feuer brennt noch immer in mir. Doch dann kam der Corona-Herbst 2020. Ein Lockdown Light wurde zum Lockdown, aus Regen wurde Schnee und letztendlich aus Fernweh die wahre Reisedepression mit einer unbändigen Lust auf Golf, auf Bewegung, Sport!

Viele Alternativen gab es nicht, wenn man sich halbwegs frei bewegen möchte und Tageshöchstwerte um die 30 Grad Celsius sowie ordentliche Golfplätze bevorzugt. Die Recherche ergab, dass in Asien nur Thailand infrage kommt. Um den Jahreswechsel wurde die Einreise auch für touristische Zwecke wieder erlaubt. Allerdings unter happigen Auflagen.

Reisen anno 2021: Verdammte Lehrlinge: das Ohr um Meilen verfehlt
Verdammte Lehrlinge: das Ohr um Meilen verfehlt

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Immerhin komme ich aus dem Seuchenkontinent Europa, wo Maskenverweigerer als die neuen Rebellen an der eingebildeten Freiheitsfront kämpfen.
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Nach Tagen, die ich damit verbrachte, Erkundigungen einzuholen und Kontakte in Asien zu aktivieren, machte ich mich daran, einen Pitch für meine Partnerin vorzubereiten, der sie davon überzeugen sollte, dass wir uns nach Thailand verziehen. Mein Totschlagargument: offene Friseure - und natürlich die Tatsache, dass Thailand zu den zehn sichersten Ländern in Bezug auf Corona gilt. Wahrscheinlich lag es an der Aussicht, 15 lange Tage ohne jede Fluchtmöglichkeit mit mir in einen Raum gesperrt zu sein. Jedenfalls stieß mein Vortrag auf taube Ohren.

Zwei Tage später nach meinem Thailand-Pitch beim Frühstück dann die unerwartete Frage, wann ich denn jetzt eigentlich losfliege? "Ähhh?! Aber... also, ich dachte… wie, alleine? Okay." Acht Tage später saß ich im Flieger.

Seit frühester Jugend reise ich viel und mein Job als Golfprofi ermöglichte, dass ich mittlerweile in über 90 verschiedenen Ländern den Schläger geschwungen habe. Man könnte mich als Profireisenden bezeichnen; allerdings war ich selten so nervös, ob ich auch alles beisammenhabe, wie bei diesem Trip. Vorbei die Zeiten, in denen Reisepass und Buchungsnummer genügen. Ich hatte einen Leitz-Ordner dabei: ausgedrucktes Ticket, Bestätigung der Buchung in einem offiziellen Quarantäne-Hotel, Certificate of Entry ausgestellt von der Botschaft, Nachweis einer Auslandskrankenversicherung über 100.000 Dollar auch im Falle einer Covid-Erkrankung und natürlich den negativen PCR-Test, der bei Einreise nicht älter als 72 Stunden sein darf. Was ein logistisches Problem darstellte, denn das Ergebnis des PCR-Tests ließ natürlich keine 24 Stunden auf sich warten, sondern 40. Da saß ich bereits am Flughafen, wo ich, um sicherzugehen, sieben Stunden vor Abflug noch einen zweiten Test absolvierte.

Reisen anno 2021: Übertreten: Schreib 'ne Null auf! (l.), Trotz Symmetrie: Gordon Ramsay bekam einen Schreikrampf (r.)Reisen anno 2021: Übertreten: Schreib 'ne Null auf! (l.), Trotz Symmetrie: Gordon Ramsay bekam einen Schreikrampf (r.)
Übertreten: Schreib 'ne Null auf! (l.), Trotz Symmetrie: Gordon Ramsay bekam einen Schreikrampf (r.)

IM VIERSTERNEKNAST


Touchdown in Bangkok. Mit meinen gesammelten Dokumenten in Ordnerformat unter dem Arm steige ich aus dem Flieger und freue mich auf strahlende thailändische Gesichter, das breite Grinsen und ein langgezogenes "sawadeeeeee". Die Augen strahlen - oder schauen sie doch ein bisschen skeptisch? Immerhin komme ich aus dem Seuchenkontinent Europa, wo Maskenverweigerer als die neuen Rebellen an der eingebildeten Freiheitsfront kämpfen.

Spätestens am ersten von sieben (!) Kontrollpunkten wird mir klar, dass der "farang" nicht mehr als Devisenbringer, sondern als Virenschleuder gesehen wird. Mein erster menschlicher Kontakt in Thailand erscheint in voller Fall-out-Montur: Anzug, Maske, Plastikvisier, Handschuhe. Beim Check-in in München wurde ich noch für meine exzellente Vorbereitung gelobt. Doch hier weht ein anderer Wind. Zwei weitere Formulare gilt es auszufüllen und dann gibt es eine Nummer, die mir aufs Shirt geklebt wird. Ich bin nicht mehr Christoph Günther, ich bin jetzt Nummer 24.

Nachdem ich alle Checkpoints hinter mich gebracht habe, freue ich mich, dass mein Fahrrad und das Golfbesteck schon da sind. Der Empfangsbereich wirkt fast wie immer. Unzählige Menschen mit freudiger Erwartung und Schildern mit Namen und Hotels in der Hand. Doch auch das Empfangskomitee tritt im Fukushima-Look auf. Schnell habe ich mein Plastikmännchen gefunden und ich werde hinausbegleitet. Mein privater Transporter wartet auf die Nummer 24 und im Handumdrehen bin ich in einem sterilen Innenraum des Vans abgeschirmt vom Fahrer und ich habe zum ersten Mal Berührung mit blauen Schuhüberziehern.

90 Minuten nach Touchdown kommen wir im Hotel mitten in Bangkok-Sukhumvit +an. In Vor-Corona-Zeiten wäre dies ein nie zu brechender Rekord gewesen. Doch mein Fahrer lässt die feudale Einfahrt des "Rembrandt Hotel" links liegen. Seuchenvögel müssen mit dem Lieferanteneingang vorliebnehmen, wo mein erster Check-in nicht dem Hotel, sondern dem zuständigen Krankenhaus gilt. Es wird Fieber gemessen und eine App runtergeladen, in die ich von nun an zweimal täglich meine Temperatur eingeben muss. Aber erst nachdem ich die Gender-Frage beantwortet habe: männlich, weiblich, beides? Also doch in Thailand.

Reisen anno 2021: Tageshöhepunkt: warten auf Flasche leer
Tageshöhepunkt: warten auf Flasche leer
Danach ab zum nächsten Fukushima-Männchen: Hotel-Check-in. Gleich neben dem improvisierten Front Desk wurde ein Loch in die Wand gemeißelt, durch das nun Quarantänler eintreten können. Direkt in den Aufzug, zehnte Etage, Zimmer 1003, Gepäck rein, "enjoy your stay", und die Tür fällt zu. Stunde null…

Was bisher nur ein Gedankenspiel war, ist nun Realität. Ich werde dieses Doppelzimmer in den kommenden sieben Tagen nicht verlassen und niemanden zu Gesicht bekommen. Daher: ganz ruhig bleiben und die Heimat auf Zeit auschecken. Ein großes Bad mit Wanne, auf dem Rand vom Waschbecken stehen Spülmittel und auch ein Schwamm. Hier wasche ich also selber ab. Das große Bett stellt sich nach kurzem Probeliegen als bequem heraus. Daneben ein Bürostuhl, Arbeitsfläche, TV, Wasserkocher, ein großes Fenster mit Blick auf Bangkok und sehr viel Platz - die Erleichterung ist groß.

Kurz nach meiner Ankunft in Zimmer 1003 klingelt es an der Tür. Mit Begeisterung stürme ich dem Schellen entgegen und kann am Ende des langen Flurs gerade noch den fliehenden Schutzanzugsrücken eines Fukushima-Männchens erhaschen. Klingelstreich? Nein, auf meinem Gabentisch vor der Zimmertür wartet das Mittagessen.

Ein weiterer Grund für das "Rembrandt" ist der General Manager, Chris aus Deutschland. Wir hatten im Vorfeld schon sehr netten Kontakt und es hatte eine beruhigende Wirkung, einen Ansprechpartner zu haben. Aus meiner Kindheit, die ich zum Teil in Asien verbrachte, kannte ich es so, dass man nachfragt, was in der Ferne aus der Heimat fehlen könnte. Trotz Globalisierung wird es doch wohl was geben? Die Antwort: Käsekuchen-Hilfe. So etwas gibt es wirklich und ich habe es ins Land geschmuggelt.

Gefühlt mitten in der ersten Nacht reißt mich ein unbekanntes Geräusch aus meinen Träumen. Ist es eine Sirene? Feueralarm? Wo bin ich eigentlich? Es ist sieben Uhr am nächsten Morgen, Klingelstreich und Frühstück. Dabei sollte es bleiben. Das Essen kommt in den nächsten Tagen immer um 7:00, um 12:00 und 18:00 Uhr. Um 7:10 ist das Frühstück gegessen. Und jetzt? Erst mal ein Tennis-Match ansehen. So viel Zeit für die Australian Open wie in den kommenden zehn Tagen hatte ich noch nie.

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