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Spieltempo

Voll auf Speed

Von Jan Langenbein, Fotos: Kike

Während in Deutschland über ein generelles Tempolimit diskutiert wird, drückt ein Marshall vor den Toren Hannovers aufs Gaspedal. Jens Stenzel sagt der Landplage langsames Spiel den Kampf an und hat damit Erfolg.

Edoardo Molinari hatte die Nase gestrichen voll. Fünf Stunden und 30 Minuten hatte seine Gruppe gerade für die 18 Löcher der zweiten Runde bei der Trophee Hassan II in Marokko gebraucht. Nicht akzeptabel für den Italiener, der bereits seit Jahren lautstark auf die Problematik des zu langsamen Spiels bei Turnieren aufmerksam macht. Dieses Mal erschien ihm ein süffisanter Tweet jedoch nicht als ausreichend und Molinari entschied sich für einen drastischen Schritt: Er veröffentlichte eine interne Liste aller Verwarnungen und Strafen für langsames Spiel auf der European Tour. Seither weiß jeder, dass Adrian Otaegui, Louis Oosthuizen und Erik van Rooyen diese Saison bereits Geldstrafen von jeweils 3.000 Euro aufgebrummt bekamen, erschreckend wenige Sanktionen angesichts der Brisanz des Themas. Die Tatsache jedoch, dass Kollegen an den digitalen Pranger gestellt werden, zeigt, wie sehr die Problematik des Schneckentempos an den Nerven vieler Golfprofis nagt.

Langsames Spiel ist sicher kein profigolfspezifisches Problem. Auch auf den Golfanlagen hierzulande ist die Zeit reif für Veränderungen.

Szenenwechsel: 2011, Jens Stenzel beginnt, in Gleidingen bei Hannover Golf zu spielen. Nach einer Runde, deren Dauer an der Sechs-Stunden-Marke kratzte, macht er seinem Unmut im Clubhaus Luft, wie man es von einem ehemaligen Handwerksmeister von seiner Statur erwartet, und der Manager versucht, die Wogen zu glätten. Was folgt, ist ein konstruktives Gespräch und wenig später ist man sich einig. Stenzel wird als neuer Marshall für die 27-Loch-Anlage verpflichtet.

"Wenn ein Golfer mit einem dicken Hals zurück ins Clubhaus kommt, weil die Runde sechs Stunden gedauert hat, dann kann im Restaurant die großartigste Currywurst der Welt angeboten werden und der Clubmanager sich vorbildlich um die Belange der Spieler kümmern - diesen Golfer begeistert man nicht mehr für den Club", fasst Stenzel die Situation zusammen und macht damit klar, dass das Problem der ewig andauernden Golfrunden zweifach Ärger bereitet.

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VIELE DENKEN, DIE GOLFER WÄREN VERANTWORTLICH FÜR DAS LANGSAME SPIEL. ABER DAS STIMMT NICHT. FÜNF PROZENT DER SCHULD LIEGEN MEINER MEINUNG NACH BEI DEN GOLFERN SELBST. 70 PROZENT GEHEN AUF DIE KAPPE DES MANAGEMENTS UND FÜR 25 PROZENT IST DER PLATZ VERANTWORTLICH.
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Zum einen ist kein Golfer glücklich, wenn er während der Runde vor jedem Abschlag warten muss, weil die Gruppe davor noch im Weg steht. Zum anderen entsteht daraus ein ernstes wirtschaftliches Problem für die Clubs und Golfanlagen. Aus Gesprächen mit ehemaligen Mitgliedern erfuhr Stenzel, dass bei 42 Prozent aller Austritte "Zeitmangel" als Grund angegeben wurde, acht Prozent nannten ihm gegenüber "Spaßverlust" als Grund.

"Der größte Feind des Golfspiels ist die Zeit. Als ich 2013 als Marshall hier in Gut Gleidingen anfing, hatten wir etwa 250 Austritte von Mitgliedern pro Jahr. Ich habe mit allen gesprochen, denn 42 Prozent Zeitmangel und acht Prozent Spaßverlust bedeuten nichts anderes als 125 Golfer, die nicht etwa den Club wechseln, sondern der Sportart komplett flöten gehen. Da wusste ich, dass ich etwas gegen die ewig dauernden Runden tun musste."

2018 waren es nur noch 114 Austritte und lediglich acht Prozent machten dabei noch den Zeitdruck verantwortlich. Ein Marshall, der auf dem Platz für einen angenehmen Spielfluss sorgt, handelt daher nicht nur im Sinne der Golfer, indem er ihr Golfvergnügen steigert, sondern sichert gleichzeitig auch die wirtschaftliche Grundlage seines Clubs.

Doch dem langsamen Spiel den Kampf anzusagen ist kniffliger, als es scheint, denn als Stenzel sich diesem Thema verschrieb, waren dazu weder Literatur noch ernsthafte Forschung existent. Auf Lehrgängen für Marshalls im In- und Ausland ging es darum, wie man Mitglieder begrüßt und den täglichen Betrieb am Laufen hält. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem der drängendsten Probleme im Golfsport allgemein? Fehlanzeige. Also begann er selbst, Daten zu sammeln und Statistiken seiner Anlage zu erheben. Zwei Jahre lang war er bewaffnet mit Tablet, Block und Stift auf der Anlage unterwegs.

"Ich habe jedes Loch einzeln betrachtet, habe die Landezonen analysiert und herausgefunden, wo sich Staus bilden." Stenzel stellte sich tagelang neben jede Drive-Landezone und notierte, wo die Bälle seiner Mitglieder landeten. "Da ich alle Spieler im Club kenne, wusste ich, welcher Handicap-Gruppe jeder Einzelne zuzuordnen ist, und so bekam ich einen Überblick, welche Gruppe Golfer mit welcher Art von Hindernissen zu kämpfen hatte." So füllten sich über 24 Monate Dutzende Notizbücher und einige Excel-Tabellen mit Durchgangszeiten der einzelnen Gruppen für jedes Turnier im Kalender, Stauanfälligkeiten neuralgischer Punkte auf dem Platz und einem in rote, gelbe und grüne Farbcodes aufgeteilten Bewertungssystem der Spielgeschwindigkeit jedes einzelnen Mitglieds.

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Mag der letzte Punkt beinahe schon nach Stasi-Methode klingen, war er doch extrem wichtig für eine Erkenntnis, die nicht nur Stenzel, sondern auch seine Golfer überrascht hat. "Viele denken, die Golfer wären verantwortlich für das langsame Spiel. Aber das stimmt nicht. Fünf Prozent der Schuld liegen meiner Meinung nach bei den Golfern selbst. 70 Prozent gehen auf die Kappe des Managements und für 25 Prozent ist der Platz verantwortlich. Das sind meine Erfahrungen."

Ab 2014 fing Stenzel an, seine Daten und Erkenntnisse in sichtbare Maßnahmen auf dem Platz und spürbare Veränderungen für die Golfer zu übertragen. "Zu Beginn war ich natürlich beliebt wie ein Kaktus am Nacktbadestrand und die Mitglieder wollten mich mit Fackeln übers Fairway jagen. Aber ich habe es durchgezogen, und wenn eine Gruppe drei Minuten über der Durchgangszeit lag, bin ich mit dem Cart rausgefahren und habe sie darauf aufmerksam gemacht."

Seine Vergangenheit als Schiedsrichter in der ersten Baseball-Bundesliga, in der 2. German Football League und der Fußball-Kreisliga halfen ihm dabei immens. Er hatte gelernt, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Entscheidend war lediglich, dass diese richtig waren und Wirkung zeigten.

Die ersten Veränderungen zielten auf das Management des Spielbetriebs ab. Die Startliste jedes Turniers wurde mit Stenzels Farbcodes abgeglichen. Tauchten drei Spieler der Kategorie Rot in einem Flight auf, wurde dieser aufgelöst und mit einem Golfer der Marke Grün, also schnell, verstärkt. Übeltätern, die Startzeiten buchten und dann nicht erschienen, wurde ins Gewissen geredet. Mit Erfolg, denn die Quote nicht angetretener Startzeiten sank in Gleidingen von 20 Prozent 2014 auf 1,8 Prozent in der vergangenen Saison. An Freitagen wurden Beginnerturniere eingeführt, bei denen lediglich Handicaps von 37 oder höher zugelassen sind. So wurde das Problem der Gruppen, deren Handicap-Unterschiede zu groß sind, worunter der Spaß aller Beteiligten, aber eben auch die Spielgeschwindigkeit leidet, gelöst. Bei allen weiteren Turnieren wurde ein Maximal-Handicap von 36 eingeführt und der Spielfluss steigerte sich spürbar. Der aufgeblähte Turnierkalender wurde entschlackt, denn: "Nur 30 Prozent unserer Mitglieder nehmen überhaupt an Turnieren teil und bundesweit betrachtet sind es noch weniger", stellt Stenzel klar. "Ein Turnier mit Start um elf Uhr an einem Sonntag ist aus Course-Management-Sicht kompletter Wahnsinn, da man damit 70 Prozent der Mitglieder, die ebenfalls gerne am Wochenende spielen würden, aussperrt." Vierer-Flights bei Turnieren wurden vollständig abgeschafft.

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