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Golfpunks dieser Welt

Anthony Kim

Von Jan Langenbein, Fotos: Getty Images

Niemand attackierte Fahnen so rücksichtslos wie Anthony Kim. Doch die diamantbesetzten Gürtelschnallen sind längst von der PGA Tour verschwunden und Fans wundern sich: Wie konnte aus dem einstigen Shootingstar der Yeti des Golfsports werden?

Um mit einer Legendengeschichte in GolfPunk bedacht zu werden, muss man eigentlich mindestens ein paar Major-Turniere gewonnen, den 50. Geburtstag bereits vor Jahrzehnten gefeiert haben oder die Fairways von unten betrachten. Nichts davon trifft auf Anthony Kim zu und trotzdem bietet die kurze, aber heftige Karriere des heute 33-Jährigen jede Menge Stoff für Legenden. Vor allem sein abruptes Verschwinden vom Radar der internationalen Golföffentlichkeit vor mehr als sieben Jahren. Seither hat sich der einstige Ryder-Cup-Held zum Yeti der Golfszene entwickelt: eine mystische Figur, um deren schiere Existenz sich Legenden ranken. Kaum taucht irgendwo in den Untiefen des Internets ein Foto des Verschollenen auf, spielt die Golfwelt verrückt. Verständlich, die Frage "Was wäre, wenn..?" ist im Falle des Anthony Kim einfach zu verlockend.

Zu frisch sind die mittlerweile elf Jahre alten Erinnerungen der leidgeprüften amerikanischen Ryder-Cup-Fans an den Single-Sonntag in Valhalla 2008, als ein damals 23 Jahre junger Anthony Kim den europäischen Superstar Sergio García bereits auf dem elften Grün mit hyperaggressivem Golf und einem Birdie-Feuerwerk derartig zermürbt hatte, dass der Spanier auf dem zwölften Abschlag nicht anders konnte, als aus Frustration sein Golfbag von der Teebox zu treten. Mit 5&4 fertigte Anthony Kim seinen Gegner im ersten Single-Match an diesem Sonntag ab und war damit weit mehr als das Maskottchen des US-Teams. Er war der Einpeitscher, der nur eine Richtung kannte: vorwärts.

"Das ist der beste Tag meines Lebens bisher. Ich würde diese Erfahrung nicht einmal gegen zehn Millionen Dollar eintauschen", jubilierte er nach dem Händeschütteln auf dem 14. Grün in die CBS-Fernsehkameras. Nach zwei Siegen auf der PGA Tour und diesem sensationellen Auftritt beim Ryder Cup war man sich nicht nur in den Vereinigten Staaten einig, dass der neue Superstar der Tour gefunden war. Doch keine vier Jahre später war Anthony Kim von der Bildfläche verschwunden und weltweit kratzten sich Golfexperten und Fans verwundert an den Köpfen. Was war bloß passiert?

In seinem Heimatort Koreatown von Los Angeles hatte Vater Paul Kim große Pläne für die sportliche Zukunft seines Sprösslings und verfolgte diese, ohne allzu große Rücksicht auf dessen Befindlichkeiten zu nehmen. Erste Plätze bei Turnieren genügten nicht. War der Score nach Ansicht Paul Kims nicht niedrig genug, flog die gewonnene Trophäe in hohem Bogen in die Mülltonne.

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Als Anthony 16 Jahre alt war und sein enormes Talent überdeutlich, mietete die Familie eine kleine Wohnung im 160 Kilometer entfernten La Quinta, die er allein bezog, um von den optimalen Trainingsbedingungen in Kaliforniens Wüste zu profitieren. Seine Eltern arbeiteten weiterhin in Los Angeles und schauten an den Wochenenden vorbei, um gewaschene Klamotten vorbeizubringen und den Kühlschrank mit Essensvorräten für die kommende Woche aufzufüllen. Trainieren und TV schauen, viel mehr gab es für Anthony im Rentnerparadies nicht zu tun. Ein Golfstipendium der University of Oklahoma, eines der besten College-Golf-Teams der Vereinigten Staaten, war die Folge.

Dort fiel dem damaligen Head-Coach Jim Ragan sofort auf: "Anthonys Talent unterschied ihn von all den anderen. Er hatte einfach viel mehr. Abgesehen davon war er ein typischer Teenager mit all den Flausen im Kopf." Seinen Ruf als Partytier und Womanizer erarbeitete sich Kim während seiner drei Jahre an der Oklahoma State, erspielte sich aber ganz nebenbei den Status eines All American und lernte seinen späteren Caddie und besten Freund Brodie Flanders kennen. Anthonys Partyeskapaden sprachen sich jedoch bis zu seinen Eltern im weit entfernten Kalifornien herum, und als Vater Paul seinem Sohn übers Telefon den Kopf waschen wollte, kam es zu einem derart heftigen Streit, dass die beiden mehr als zwei Jahre lang kein Wort miteinander wechselten.

Doch die familiäre Krise hinderte Anthony nicht daran, 2006 ins Profilager zu wechseln und dort wie eine Bombe einzuschlagen. Bei seinem ersten Start als Profi wurde Kim auf Anhieb Zweiter und nahm einen Scheck über beinahe 300.000 Dollar mit nach Hause. "Das war das Schlimmste, was mir zu dieser Zeit passieren konnte", gab er mit dem Abstand von vier Jahren 2010 zu. Denn Anthony Kim war nicht gerade für seinen Fleiß bekannt und ein derart erfolgreiches Debüt konnte für den damals 22-Jährigen nur eines bedeuten: Erfolg auf der PGA Tour ist nicht nur vorprogrammiert, sondern auch eine enorm tiefhängende Frucht. "Golfer waren immer dafür bekannt, nichts weiter zu tun, als zu trainieren, ein Turnier zu spielen, im Anschluss nach Hause zu fahren, um dort weiter zu trainieren. So läuft das bei mir nicht und ich habe mir zum Ziel gesetzt, eine etwas andere Einstellung auf die PGA Tour zu bringen", ließ er kurz darauf verlauten.

Der Erfolg schien Kim recht zu geben. Bei der Wachovia Championship 2008 feierte er nicht nur seinen Debütsieg auf der Tour, sondern pulverisierte ganz nebenbei auch den Turnierrekord, der von keinem Geringeren als Tiger Woods gehalten wurde. Zwei Monate später konnte er beim AT&T National erneut gewinnen und setzte seiner unglaublichen Saison 2008 mit 2,5 Punkten aus vier Matches beim Ryder Cup in Valhalla die Krone auf, wo sein Platz an der Spitze des Feldes am Sonntag kein Zufall war. "Ich habe Paul [Azinger] gebeten, mich früh auf den Platz zu schicken. Ich hatte das Gefühl, dass ich Punkte liefern kann." Die Tatsache, dass Tiger Woods verletzungsbedingt beim Kontinentalvergleich fehlte, interessierte niemanden mehr. Valhalla 2008 war die Anthony-Kim-Show.

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Auch zu Beginn der kommenden Saison sah der Shootingstar keinen Grund dafür, den Fuß vom Gas zu nehmen, als sein erster Start in Augusta anstand. Kims Start ins Turnier mit eine glanzlosen 75 in Runde eins war weniger der Rede wert. Mehr Schlagzeilen produzierte seine standesgemäße Begrüßung im Augusta National Golf Club zu Beginn der Woche, als Kim mit den charakteristischen weißen Kopfhörern seines iPhones im Ohr auf der Driving Range auftauchte und umgehend von den alten Herren in den grünen Sakkos darauf hingewiesen wurde, dass Handys auf dem Clubgelände nichts zu suchen haben. Sein Einwand, er würde das Smartphone lediglich zum Musikhören während seiner Trainings-Session und nicht zum Telefonieren nutzen, stieß auf taube Ohren. In Augusta steht niemand über dem mit knöchriger Hand vollstreckten Gesetz, auch keine Senkrechtstarter.

In Runde zwei trat dann aber der Anthony Kim ans erste Tee, den die Fans aus Valhalla kannten. Er ließ seinem Birdie an Loch Nummer eins im Laufe des Tages noch zehn weitere folgen und stellte den bisher von Nick Price gehaltenen Rekord für die meisten Birdies in einer Runde beim Masters ein. "Im Moment fühlt es sich wie eine 58 an", kommentierte er noch sichtlich im Delirium seine Heldentat, wenige Minuten nachdem er nach einem finalen Birdie vom 18. Grün marschierte. Es war dank einiger Bogeys zwar "nur" eine 65, seine Mitspieler Rory McIlroy und Ryo Ishikawa hatte er jedoch um acht und zwölf Schläge in die Schranken gewiesen. Anthony Kims Rekord von elf Birdies in einer Runde steht bis heute und wird dies aller Voraussicht nach auch noch sehr lange tun.

Im gleichen Jahr kaufte Anthony Kim für 2,3 Millionen Dollar ein mit allen technischen Spielereien ausgestattetes Anwesen in Dallas, in das er zusammen mit Freund und Caddie Brodie und zwei weiteren Kumpels einzog. In den folgenden Monaten wurde die Vierer-Gang regelmäßig in einem Bentley-Cabrio bei Spritztouren durch die Straßenschluchten von Dallas gesehen. Das dazu gewählte viersitzige Vehikel war jedoch eine rein praktische Entscheidung, wie Kim in einem "Sports Illustrated"- Interview klarstellte: "Ich wollte einen Ferrari oder einen Lamborghini. Aber ich habe eine Entscheidung zugunsten des Teams getroffen und den Bentley gekauft."

Gerüchten zufolge wurden bei ausgedehnten Partywochenenden in Dallas mindestens so viele Champagnerflaschen geköpft wie Bälle auf der Driving Range geschlagen, doch Anthony Kim spielte weiterhin großartiges Golf und gewann 2010 die Houston Open. Er war damit erst der fünfte Spieler in der Geschichte der PGA Tour, dem es vor seinem 25. Geburtstag gelang, mindestens drei Siege zu feiern. Die anderen vier? Tiger, Phil, Sergio und Adam Scott. Eine Woche später in Augusta rauschte Kim nur knapp am ersten Major-Sieg vorbei.

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Anthony Kim war in den Top Ten der Weltrangliste angekommen, doch dann schlug das Verletzungspech zu. Eine Sehnenscheidenentzündung verbannte ihn für einen großen Teil der Saison 2010 an die Seitenlinie und auch der Ryder Cup in Celtic Manor fand daher ohne A.K. statt. Team USA verlor denkbar knapp in Wales und die Verletzungen potenzierten sich. Aus der lädierten Hand wurde eine verletzte Rotatorenmanschette und daraus resultierte ein kaputtes Schultergelenk. Es folgten eine Handvoll Operationen, doch seit Anthony Kim sich 2012 beim Joggen am Strand von San Diego die Achillesferse riss, ist er nahezu vollständig aus der Öffentlichkeit verschwunden.

Gerüchte um eine Berufsunfähigkeitsversicherung machten die Runde, die Kim zwischen 15 und 20 Millionen Dollar - steuerfrei - einbrächte, könnte er verletzungsbedingt nicht mehr auf der PGA Tour antreten. Dieser Fall trat 2013 ein und die Versicherung musste zahlen. Ein Insider aus Kims innerem Zirkel vertraute sich 2014 anonym "Sports Illustrated"-Golfreporter Alan Shipnuck an und verriet: "A.K. ist nicht verletzt. Er kann spielen und er kann laufen. Sein Schwung sieht gut aus und der Ballkontakt ist solide. Seine physische Verfassung ist nicht das Problem." Konservativen Schätzungen zufolge hätte Anthony Kim nach einem Comeback mindestens fünf Jahre lang Preisgeldschecks einsammeln müssen, wie er es vor seiner Verletzung tat, um die verlorene Versicherungssumme wettzumachen. Ein riskantes Spiel - wie viele Profisportler schaffen schließlich eine erfolgreiche Rückkehr nach derartig schwerwiegenden Verletzungen und einer unendlich scheinenden Verletzungspause?

Nach drei Jahren Stillschweigen gab Anthony Kim Doug Ferguson von der Associated Press sein bisher letztes Interview: "Ich erinnere mich gerne zurück an meine Zeit auf der Tour. In letzter Zeit schaue ich auch wieder mehr Golf im TV. Junge Spieler wie Jordan Spieth sind mit Sicherheit der Grund dafür." Pläne für eine Rückkehr auf die Tour äußerte er nicht.

"Ich vermisse Anthony Kim", sagte Rory McIlroy beim Masters 2019 und sprach damit vielen Golffans aus der Seele. "Die Tour war besser, als er noch im Feld war."

An der Seitenauslinie eines Dallas-Mavericks-Spiels, an der Bar des mittlerweile geschlossenen "So & So's" oder einige Male sogar auf der Driving Range des TPC Craig Ranch - der Yeti des Golfsports taucht immer mal wieder in der Öffentlichkeit auf. Die letzte Anthony-Kim-Sichtung trug sich Mitte April in West Hollywood zu, als A.K. beim Gassigehen mit seinem Hund von einem Golffan erkannt und angesprochen wurde. Gut gelaunt war er nicht nur für ein Selfie bereit, sondern beantwortete auch die Frage nach dem Zustand seines Golfspiels. Die Antwort war ernüchternd: "Nicht existent!"

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