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Vorbereitung ist alles: früher Windkanaltest auf der PGA Tour

Golfpunks dieser Welt

Emmet Cary Middlecoff

Von Janek Weiss, Fotos: Getty Images

Selten traf die Metapher "dem Gegner den Zahn ziehen" den Ball so im Sweet Spot wie im Fall des Emmet Cary "Doc" Middlecoff. Dies ist die Geschichte eines Zahnarztes, der die Golfwelt eine Dekade lang dominieren sollte.

Die Welt im Jahr 1944 steht in Flammen. Der Zweite Weltkrieg tobt. 23 Jahre zuvor wird Emmet Cary Middlecoff am 6. Januar 1921 in Halls, Tennessee, geboren. Die Zukunft des kleinen Emmet scheint vorgezeichnet. Eine Karriere als Zahnarzt sollte es werden. Der Weg, den auch sein Vater und seine beiden Onkel erfolgreich beschritten. Für Golf war da nur als Hobby einer gesellschaftlichen Elite Platz. Nicht verwunderlich also, dass der kleine Cary früh mit dem Spiel in Berührung kam. Dr. Herman Middlecoff nahm seinen damals siebenjährigen Filius mit in den Country Club, wo er selbst als Club Champion reüssierte. "Ich spielte mit den anderen Kindern und einmal die Woche oder so gingen wir sechs oder sieben Löcher." Mit 14 waren es bereits 54 Loch am Tag, doch wie Cary später bekannte, habe er das Spiel erst mit 17 Jahren so richtig ernst genommen. Der Beweis: die Stadtmeisterschaft aus dem Jahr 1938. Cary spielte Golf und ging den vorgezeichneten Weg: High School, College und 1944 dann der Abschluss als Zahnarzt.

Recht bald wurde er als junger Arzt im Angesicht des Krieges der US-Army zugewiesen, wo er in nur 18 Monaten 12.093 Zähne füllte, zog oder Kanäle legte. 1945 gewann er dennoch ganz nebenbei die North and South Open in Pine hurst/N.C. - und das als Vollzeitzahnarzt und Amateur gegen Ben Hogan und Gene Sarazen in der Finalpaarung. "Als ich 1946 die Armee verließ, wollte ich einfach nur ein wenig Golf spielen. Ich konnte keine Zähne mehr sehen!" Und er landete doch in der Praxis seines Vaters. Der konnte sich lange nicht mit den Ambitionen seines Sohnes anfreunden und sah dessen Platz neben sich mit weißem Kittel am Zahnarztstuhl. Er bat sogar seinen langjährigen Freund Bobby Jones darum, dem Sohn die Flausen einer Golfkarriere aus dem Kopf zu schlagen. Ja, der Bobby Jones, die Golflegende, die über den Schwung des Zahnarztes sagte: "Ich würde die Welt dafür geben, solch einen Schwung zu haben." Das ist umso bemerkenswerter, da Cary nie auch nur eine Golfstunde in seinem Leben hatte. Ein Jahr hielt Middlecoff es zwischen Bohrern, Wattetupfern, den Patienten und seinem Vater aus, bevor er im Alter von 26 Jahren 1947 auf die PGA Tour ging. Und wie heißt es so schön: Er schaute nie zurück.

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Ich war immer der Ansicht, dass jemand, der in entscheidenden Momenten nicht nervös ist, entweder ein Idiot ist oder nie nah genug am Sieg war.
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Mit den Charlotte Open gewann er sein erstes Profiturnier bereits beim dritten Start. Bis zu seinem Karriereende 1961 sollte er in 13 von 15 Jahren mindestens einen weiteren Titel holen. Der "Doktor" gewann nicht nur Turniere, er dominierte in einer goldenen Ära des Golfsports. Ben Hogan, Sam Snead, Arnold Palmer, der junge Jack, der späte Gene Sarazen, illustre Namen der Golfgeschichte, aber es war Cary Emmet Middlecoff , der in den 1950er Jahren das meiste Preisgeld einspielte. Auch seine 28 Einzelsiege in dieser Zeit sind der unerreichte Spitzenwert. Bei seinem Rücktritt 1961 war er die Nummer eins in der Karrierepreisgeldliste. Insgesamt erspielte er 295.043 Dollar. Inflationsbereinigt sind das 2020 circa 2,5 Millionen Dollar. Immer noch eine wahnwitzig geringe Summe auf die gesamte Karriere gesehen, wenn man bedenkt, was heute noch der 100. in der jährlichen Geldrangliste einstreicht. "Heute verdienen die Spieler so viel in einer Woche", gab er bereits 1994 noch kurz vor seinem Tod zu bedenken, dabei klang er nicht bitter, sondern äußerte sich aus Sorge um"seinen" Sport. "Als ich gespielt habe, mussten Hogan und all die anderen beinahe alle Turniere spielen, um ein Auskommen zu haben." Was er wohl zu den später explodierenden Preisgeldern dank der "Tigermania" gesagt hätte? Wie dem auch sei, auch wenn er nach der Karriere als einer der ersten ehemaligen Profis als TV-Kommentator arbeiten sollte, ließ er während seiner Karriere lieber sein Spiel für sich sprechen. Und am deutlichsten sprach seine überragende Länge vom Tee. Schon als Heranwachsender hatte er lieber die Bälle geprügelt, als sich mit kleinteiliger Technik herumzuplagen. Er schwang einfach in seinem autodidaktischen Flow. Und so überpowerte er Gegner und Plätze gleichermaßen - Sam "The Slammer" Snead sei an der Stelle freilich ausgenommen. 40 Sie gertrophäen konnte sich Middlecoff während seiner Karriere erspielen und liegt da mit bis heute auf Rang zehn der erfolgreichsten Golfer aller Zeiten. Dass sein Name neben den erwähnten schillernden Figuren ein wenig in Vergessenheit geriet, liegt sicher auch daran, dass er bei allem Erfolg "lediglich" drei MajorTurniere für sich entschied. Bereits 1949 gewann er die US Open in Medinah. 1955 folgte sein absoluter Karrierehöhepunkt. Er dominierte in Augusta und schlug die Konkurrenz nicht nur, son dern er düpierte diese regelrecht - am Ende hatte er sieben Schläge Vorsprung auf den Zweiten Ben Hogan. Bobby Jones dazu lapidar: "So wie er die 72 Bahnen spielte, bin ich froh, dass er damals nicht auf mich ge hört hat." Ein erneuter Triumph bei den US Open 1956 mit einem Schlag vor Julius Boros und wiederum Hogan rundet seine für sein Talent zu karge Ausbeute ab.

Neben der unbestrittenen sportlichen Klasse war er unter seinen Zeitgenossen für sein ausgesprochen langsames Spiel berüchtigt. In Spielerkreisen kursierte der Witz, dass Cary "Doc" Middlecoff die Praxis verlassen habe, da kein Patient so lange den Mund aufhalten könne. Und tatsächlich illustriert eine unterhaltsame Posse bei den US Open 1957, bei denen er als Titelverteidiger antrat, dass es seine Golfkollegen bei allem Spaß sehr ernst mit ihren Beschwerden meinten. Middlecoff konnte mit zwei aufeinanderfolgenden 68er-Runden acht Schläge Rückstand wettmachen und rettete sich in ein Playoff gegen Dick May er. Dieser brachte zum Stechen einen Campingstuhl mit auf die Anlage. Es war eine klare Anspielung auf die schneckenhafte Routi ne seines Gegners. Der Grund für die Langsamkeit: Cary Middlecoff war kleinlich, beinahe pedantisch, was seine Ansprechhaltung anging. Ob ihn dieses Psychospielchen aus der Konzentration brachte, das sei in der Beurteilung jedem selbst überlassen. Er schoss in jedem Fall eine fürchterliche 78 und verlor mit sieben. Das Thema Slow Play nahm auch der Kolumnist des "Atlanta Journal" Furman Bisher auf. Dieser schrieb einmal: "Es ist wahr, Cary Middlecoff spielt so langsam, fummelt und friemelt am Bag herum, kann sich nicht auf einen Schläger festlegen, es ist beinahe das Erste, was einem bei seinem Namen in den Sinn kommt - sein langsames Spiel. Das ist ungerecht, wirklich sehr ungerecht."

Es ist eine vergnügliche Randnotiz genauso wie eine Volte der Golfgeschichte, dass der golfende Zahnarzt auch an einem weiteren denkwürdigen Playoff beteiligt war. Jahre früher duellierte er sich 1949 bereits mit Lloyd Mangrum im längsten Sud den Death der TourGeschichte, nur um nach elf gespielten Extralöchern bei der Motor City Open zu Co-Siegern erklärt zu werden.

Trotz seiner Power und der penetranten Langsamkeit, die seine Gegner regelmäßig entnervte, war Emmet - den Namen mochte er nie und verbat ihn sich regelrecht - ein ausgesprochen eleganter Spieler. Seine stattlichen 1,87 Meter schwangen den Schläger raumgreifend und beinahe träge entspannt. Akzentuiert wurde sein Schwung durch eine ausgedehnte Pause vor dem Abschwung. Und die Länge vom Abschlag ging dabei nur selten zu Lasten der Präzision. "Ohne gerade Drives erreichst du nichts", so sein Mantra. Als Bonus kam dazu, dass Middlecoff ein ausgesprochen guter Putter war. Seine ganze Erscheinung, seine Herangehensweise an das Golfspiel war das, was heute als ausgemachte Coolness gelten würde. Umso erstaunlicher, da er als absolutes Nervenbündel galt. Eine vermeintliche Schwäche, die er nie leugnete: "Ich war immer der Ansicht, dass jemand, der in entscheidenden Momenten nicht nervös ist, entweder ein Idiot ist oder nie nah genug am Sieg war."

Und dass er nicht nur nah dran war, sondern oft seine Hände um den Siegerpokal legen konnte, davon zeugen neben den Einzeltriumphen auch seine siegreichen Teilnahmen am Ryder Cup in den Jahren 1953, 1955 und 1959. Ein chronisches Rückenleiden zwang ihn dann jedoch bereits in den frühen 60er-Jahren, gerade 40-jährig seine aktive Karriere zu beenden. Ein vermutlicher Grund lag darin, dass eines seiner Bei ne verkürzt war. Das Tour-Leben habe er trotz des frühen Karriereendes dennoch nie vermisst, vor allem das Reisen nicht: "Meist waren wir mit dem Auto unterwegs. 50.000 Meilen im Jahr, oft in der Nacht und am Montag - Urlaub war das nicht." Offensichtlich konnte auch die stete Begleitung seiner Frau Edith ihm die Reisestrapazen nicht versüßen. Mit seiner Jugendliebe war er bereits seit 1947 verheiratet. Sie war sein Rückhalt. So sagte er einmal: "Ich denke immer, was das Schlimmste sein könnte, vor einem wichtigen Schlag: ein Luftloch, ein Shank, ,out of bounds' - aber wenn es dann passiert, habe ich am Ende dennoch immer noch etwas Geld auf der Bank, meine Frau liebt mich nach wie vor und mein Hund wird mich nicht beißen, wenn ich nach Hause komme." Sie war bei ihm, als er 1998 in einem Altenheim verstarb.

Cary Emmet Middlecoff war einer der Größten seiner Zunft: Sein Name steht für immer in den Golfannalen, ebenso wie er auch noch lange auf einer kleinen Plakette an der Tür einer verwaisten Arztpraxis stand - sein Vater hatte sie einfach nicht abgenommen.

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