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Golfpunks dieser Welt

John Montague

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Getty Images

Mit Schaufel und Harke im Gepäck spielte er besser Golf als 99 Prozent von uns mit nagelneuem Equipment, doch das FBI wollte John Montague lieber im Knast als auf dem Golfplatz sehen. Dies ist die unglaubliche Geschichte des wohl größten Zockers aller Zeiten.

Chuck Norris hat 18 Löcher Golf mit verbundenen Augen gespielt. Er hatte 18 Hole-in-Ones." Seit 2005 wird das Internet mit dieser und weiteren unglaublichen Leistungen des ausdrucksschwachen US-Actionstars geflutet. Der Chuck Norris Facts Generator ist zu einem der beliebtesten Memes geworden. Doch hätte es das Internet schon 70 Jahre vorher gegeben, würde man heute online ein Loblied auf einen anderen Namen singen: John Montague. John Montague kann einem Cockerspaniel eine Streichholzschachtel vom Kopf schießen, ohne dass der Hund auch nur blinzelt." "John Montague braucht bei einer Reifenpanne keinen Wagenheber. Er hebt den Wagen einfach selbst hoch." "Wenn John Montague nach 17 Löchern besser als der Platzrekord liegt, nimmt er seinen Ball auf und geht nach Hause." Der Unterschied zu Chuck Norris: Die Legenden, die man sich über John Montague erzählt, sind wahr.

Keine davon ist spektakulärer als die seines Matches mit dem Entertainer Bing Crosby. Der "White Christmas"- Sänger traf sich regelmäßig mit seinem Clubkameraden Montague im kalifornischen Lakeside Country Club zu privaten Matches. Nach einer erneuten vernichtenden Niederlage tat Crosby das, was jeder anständige Golfer macht: im Clubhaus darüber jammern, wie viel Pech er doch hatte. Montague widersprach und schlug Crosby einen Rückkampf vor, bei dem er statt Golfschlägern eine Baseballkeule, eine Schaufel und eine Harke benutzen würde. Crosby lachte sich ins Fäustchen, doch das Grinsen fiel ihm schnell wieder aus dem Gesicht. Montague schlug den Ball mit dem Baseballschläger 270 Meter weit in den Grünbunker, schaufelte die Murmel drei Meter an die Fahne und lochte, indem er die Harke wie einen Billardqueue benutzte. Nach nur einem Loch hatte Crosby genug gesehen und gab das Match verloren.

Golfpunks dieser Welt: Böse Überraschung: drei Monate keinen Staub gewischtGolfpunks dieser Welt: Böse Überraschung: drei Monate keinen Staub gewischt
Böse Überraschung: drei Monate keinen Staub gewischt

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ICH SPIELE GOLF NICHT, UM REKORDE AUFZUSTELLEN ODER MEISTERSCHAFTEN ZU GEWINNEN. ICH SPIELE ES AUS ANDEREN GRÜNDEN.
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Die Kevin-Costner-Komödie "Tin Cup" nahm die Anekdote als Inspiration für eine Runde der Hauptfigur während der US-Open-Qualifikation. Und auch die Szene, in der Costners Roy McAvoy durch eine geöffnete Bartür einen Pelikan vom Baumstamm vertreibt, könnte direkt aus dem Leben von Montague stammen. Eine seiner liebsten Showeinlagen war es, Bälle durch schmale Fensteröffnungen zu chippen. Und in einem Match mit Crosby, Johnny Weissmuller und Oliver Hardy schoss er aus 150 Metern Entfernung einen Vogel von einer Telefonleitung.

Doch wie kann es sein, dass ein solcher Zauberer mit dem Golfball in den Annalen des Sports nicht auftaucht? Ganz einfach: Montague mied die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser. Turniere spielte er lediglich im abgeschotteten Lakeside Country Club, wo er 1935 den Titel des Clubmeisters einfuhr. Und als er 1934 im Riviera Country Club, Austragungsort der heutigen Genesis Open, an der 18 lediglich ein Par brauchte, um mit einer 61 den Platzrekord aufzustellen, jagte er seinen Abschlag absichtlich in die Wicken und machte sich schnell vom Acker. Unglücklicherweise spielte Montague in einem Flight mit Grantland Rice, dem berühmtesten Sportjournalisten der Ära. Als Rice ihn im Januar 1935 in einer Kolumne als "ernsthafte Bedrohung in jeder Open" bezeichnete, war die Jagd auf Montague eröffnet. Der öffentlichkeitsscheue Modellathlet konterte, indem er sämtliche Bilder von sich unterband. Wann immer ihn jemand ablichtete, vernichtete Montague die Aufnahmen und zahlte dem Knipser 100 Dollar Entschädigung - bis Bob Wallace ihn 1937 austrickste. Der freie Fotograf lichtete Montague mit einem Teleobjektiv ab, wechselte schnell den Film aus und ließ Montague für seine 100 Dollar eine leere Filmrolle vernichten.

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Eine Woche später erschienen die Aufnahmen im berühmten "Time Magazine" und schnell wurde klar, warum Montague um seine Privatsphäre Angst hatte: Er war nicht der, für den er sich ausgab. Als Sheriff Percy Egglesfield aus Essex County in New Jersey das Foto sah, ging ihm ein Licht auf. Seit Jahren war er auf der Suche nach einem mysteriösen Verbrecher, der Teil eines brutalen Raubüberfalls war. Am 05. August 1930 hatten vier Männer das Restaurant des japanischen Immigranten Kin Hana in Au Sable überfallen und 700 Dollar erbeutet. In einem verunglückten Fluchtwagen fand die Polizei neben einem toten Täter ein Golfbag mit dem Führerschein eines gewissen Laverne Moore. Sheriff Egglesfield schickte das Foto und Fingerabdrücke von Moore an seine Kollegen von der Westküste, die schnell feststellten, dass Montague und Moore ein und dieselbe Person waren. Der "Mysterious Montague", wie ihn das "Time Magazine" taufte, war aufgeflogen.

Sechs Wochen kämpfte er gegen seine Auslieferung nach New York, dann gab er nach und fuhr in Begleitung einiger FBI-Beamter mit der Eisenbahn an die Ostküste. Doch seine Hollywood-Freunde ließen ihn auch dort nicht im Stich. Crosby, "Dick und Doof"-Star Hardy, Weissmuller und mehr als 50 andere Stars bürgten nicht nur für Montagues Ehre, sie verschafften ihm auch einen der besten Anwälte des Landes. John Noonan hatte im April 1935 bereits den berüchtigten Mafia-Boss Dutch Schultz unbeschadet aus einem Steuerhinterziehungs- Prozess herausgeholt. Die Verhandlung wurde zu einem Medienspektakel erster Güte. Montague, der auf Kaution frei war und sich in eine gigantische Hotelsuite eingemietet hatte, verschaffte sich positive Presse, indem er für die Journalisten seine Golf- und Muskelkünste zur Schau stellte. Und so wie er die Medien in seinen Bann zog, tat er es auch mit den Geschworenen, die von den Lobpreisungen der Hollywood-Stars sichtlich beeindruckt waren. Obwohl einer der Mittäter sowie ein Opfer Montague zweifelsfrei identifizierten und das Alibi durch seine Familie mehr als fragwürdig war, sprach die Jury ihn frei. Richter Harry E. Owen war entsetzt: "Es ist bedauerlich, dass das Urteil nicht mit dem übereinstimmt, was meiner Meinung nach hätte entschieden werden müssen", belehrte der Verhandlungsführer die Geschworenen. Doch da war Montague längst auf den Schultern seiner Anhänger aus dem Gerichtssaal getragen worden.

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Der Freispruch bedeutete zugleich, dass Montague nicht länger die Öffentlichkeit scheuen musste. Schon kurze Zeit später trat er mit Baseball-Legende Babe Ruth, Amateurgolferin Sylvia Annenberg und der mehrfachen Olympiasiegerin Babe Zaharias zu einem Schaukampf an. 12.000 Menschen strömten auf den Fresh Meadow Country Club und sorgten dafür, dass das Match nach neun Löchern abgebrochen werden musste. Doch nicht nur das Publikum war auf die Künste des Mannes neugierig, den Grantland Rice überschwänglich als "besten Golfer der Welt" bezeichnet hatte. Die Golfprofis brannten darauf, ihm eine Lektion zu erteilen. "Wie kann man jemanden in einem Atemzug mit den Besten nennen, nur weil ein paar spektakuläre Runden auf Plätzen gespielt hat, die er in- und auswendig kennt?", schäumte Horton Smith. "Er hat ja noch nicht einmal einen einzigen Ball in einem Turnier geschlagen." Der zweifache Masters-Sieger sollte recht behalten. Der "Mysterious Montague" bekam als Profigolfer keinen Fuß auf die Erde. Beim ersten Versuch schaffte er nicht einmal die Qualifikation für die US Open, beim zweiten Mal verpasste er mit Runden von 80 und 82 den Cut um neun Schläge.

Der Legende des 1972 einsam verstorbenen Montague tat das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die Geschichten über seine Heldentaten wurden mit den Jahren immer größer. Der von der Telefonleitung geschossene Vogel wurde immer kleiner und die Distanz immer weiter. Aus einer Rangelei mit Schauspieler George Bancroft wurde ein Ringkampf mit einem Dutzend Gegnern, an dessen Ende er Bancroft kopfüber in den Spind steckte. Und aus den fünf Dollar, die er Crosby mit den Gartengeräten abgeknöpft hatte, wurden 1000. Der John Montague Facts Generator war in vollem Gange. Einer behauptete, Montague habe mit einem Golfschwung ein Streichholz entflammt, das im Mund seines Caddies steckte. Ein anderer will gesehen haben, wie er den schwergewichtigen Oliver Hardy mit einer Hand auf einen Tresen hob. Doch die beste Legende tischte ein Unbekannter dem Journalisten Westbrook Pegler auf. "Kann John Montague auch einen Toast machen?", fragte der von den Lobhudeleien sichtlich irritierte Pegler sarkastisch. "Ob er einen Toast machen kann?", kam die empörte Antwort. "Gib ihm ein Ei und er macht dir das beste gebratene Hühnchen, das du je gegessen hast!" Selbst Chuck Norris wäre neidisch gewesen.

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