Featured StoriesFeatured Stories

Golfpunks dieser Welt

Sandy Lyle

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Getty Images

Champion Golfer of the Year und Träger des Grünen Jacketts zu sein sind eigentlich zwei unwiderlegbare Gründe, Skipper des europäischen Ryder-Cup-Teams zu werden. Offenbar zählen diese Naturgesetze nicht, wenn man Sandy Lyle heißt.

Am 10. April 1988 machte Sandy Lyle seinem Namen alle Ehre. In geteilter Führung liegend ging der Schotte auf die Schlussbahn von Augusta National - und schlug sein Eisen 1 in den Fairway-Bunker. Doch mit einem unfassbaren Eisen 7 sicherte er sich das Sandy Birdie - und als dritter Europäer das Grüne Jackett. Am Ende wusste er, bei wem er sich zu bedanken hatte: seiner späteren Ehefrau Jolande. "Sie ist Physiotherapeutin und kitzelt nachts meine Füße. Das bringt mich zum Lachen und lenkt mich ab."

Ein Jahr später konnte sich Lyle das Lachen ebenfalls nicht verkneifen. Denn beim traditionellen Masters Dinner stellte er als ausrichtender Titelverteidiger die Geschmacksnerven der 39 anderen Masters Champions auf die Probe. Optisch, weil der Blondschopf zum Grünen Jackett einen Kilt trug. Und kulinarisch, weil er als Vorspeise das schottische Nationalgericht Haggis - mit Innereien gefüllter Schafsmagen - servieren ließ. Man sollte also meinen, dass Lyle durch und durch Schotte sei.

Doch seine nationale Identität fand er erst spät im Leben. Geboren wurde er 1958 im englischen Shrewsbury, wo sein schottischer Vater Alex eine Anstellung als Teaching Pro im Hawkstone Park Golf Club gefunden hatte. Entsprechend ließ Alex Lyle Sohnemann Sandy auch als Amateur für England antreten - etwas, was nicht nur beim schottischen Golfverband kontrovers aufgenommen wurde. "Die Familie hat mir bis heute nicht vergeben", erinnerte sich Alex Lyle vor seinem Tod in einem Interview. "Damals schien es mir richtig", verteidigt Sandy die Entscheidung.

"Ich bin in England geboren und habe dort Golfspielen gelernt. Aus heutiger Sicht würde ich es anders machen. Ich habe pures schottisches Blut in mir."

Golfpunks dieser Welt: Blau gemacht: Oma strickte den gesamten WinterGolfpunks dieser Welt: Blau gemacht: Oma strickte den gesamten Winter
Blau gemacht: Oma strickte den gesamten Winter

»
SCHNELL MACHTEN GERÜCHTE DIE RUNDE, WESHALB LYLE DAS AMT DES CAPTAINS VERSAGT BLIEB. ER SEI ZU ALT UND ZU WEIT WEG VON DEN SPIELERN, HIESS ES IN ANSPIELUNG AUF NICK FALDOS DESASTRÖSEN KAPITÄNSAUFTRITT IM VORJAHR.
«

Doch diese Kontroverse war eine Kleinigkeit gegen Lyles schmutzigen Kampf um das Amt des europäischen Ryder-Cup-Kapitäns. In den 1980er-Jahren sorgte ein europäisches Quintett auf der Weltbühne des Golfsports für Aufsehen: Seve Ballesteros, Nick Faldo, Bernhard Langer, Ian Woosnam und eben Sandy Lyle. Die Big Five gewannen zwischen 1980 und 1991 allesamt das Masters, lagen 1988 unter den top acht der Weltrangliste, holten 1985 den ersten europäischen Ryder-Cup-Sieg seit 1957 und waren beim ersten Auswärtssieg der Europäer zwei Jahre später die fünf Punktbesten. Die Belohnung für die Verdienste um den europäischen Golfsport war das Kapitänsamt beim Ryder Cup. Zwischen 1997 und 2008 durften sich Seve, Langer, Woosnam und Faldo verewigen. Für 2010 war Sandy Lyle der logische Nachfolger. "Es wäre wunderbar, wenn Sandy es machen würde", schwärmte Woosnam. Und Colin Montgomerie wurde noch deutlicher: "Es wäre eine Schande, wenn Sandy nicht die Chance bekäme." Doch wie einst Brutus sollte "Monty" nur vier Monate später Sandy Lyle das Messer in den Rücken rammen.

Im Januar 2009 setzte sich das 15-köpfige Turnierkomitee der European Tour zusammen, um den neuen Kapitän zu bestimmen. Angeführt wurde es von keinem Geringeren als Thomas Bjørn. Der Däne ist bekannt dafür, nachtragend zu sein und kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Als Ian Woosnam 2006 beim Captain's Pick auf Bjørn verzichtete, trat dieser in der Presse nach. Woosnam sei "der armseligste Kapitän, den ich je gesehen habe" und "hat keine Führungsqualitäten". Der zweifelhafte Wert von Bjørns Expertise zeigte sich, als Woosnam kurz darauf den höchsten europäischen Sieg einfuhr. Ein Kritikpunkt von Bjørn war, dass Woosnam vor der Entscheidung nicht mit ihm geredet hatte. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Bjørn exakt das Gleiche mit Sandy Lyle tat, als er ihn im Januar 2009 als Ryder-Cup-Kapitän absägte. Obwohl Bjørn seit 2007 kein Wort mit Lyle gewechselt hatte, bezeichnete er den Schotten intern als "ein Desaster" für das Kapitänsamt. Und als Vorsitzender des Turnierkomitees setzte er Himmel und Hölle in Bewegung, um Lyle zu verhindern. In Montgomerie fand Bjørn einen willigen Mitverschwörer. Statt wie geplant erst 2014 das Kapitänsamt zu übernehmen, preschte "Monty" vor und übernahm schon 2010 die ach so schwere Bürde.

Schnell machten Gerüchte die Runde, weshalb Lyle das Amt des Captains versagt blieb. Er sei zu alt und zu weit weg von den Spielern, hieß es in Anspielung auf Nick Faldos desaströsen Kapitänsauftritt im Vorjahr. Vor allen Dingen wurde aber ein Argument angeführt: Lyles Aufgabe bei der Open Championship 2008. Nach zehn Löchern lag Lyle 11 über Par und packte seine Sachen zusammen. Bei kaltem, regnerischem Wetter hielt er die Schmerzen in seinen Fingerknöcheln nicht mehr aus. Doch die Presse, die Lyle bislang immer wohlgesinnt war, ließ eine nie da gewesene Attacke auf den 50-Jährigen los. "Weichei" und "Drückeberger" waren noch die freundlicheren Schimpfworte.

Golfpunks dieser Welt: Boygroups im Schwarz-Weiß-Zeitalter: Lego-Frisur und Tätowierer-Handschuh
Boygroups im Schwarz-Weiß-Zeitalter: Lego-Frisur und Tätowierer-Handschuh
Auch Lyle griff zu einem deftigen Schimpfwort, als er von seiner Ausbootung durch seinen vermeintlichen Fürsprecher Colin Montgomerie erfuhr: Betrüger! "Hier haben wir ,Monty' mit seinem schlechten Drop im Ausland. Und das ist viel schlimmer als jemand, der wegen schmerzender Finger aufgibt. Es ist eine Form des Betrugs." Mit seinen Vorwürfen in der Presse bezog sich Lyle auf das unrühmliche "Jakartagate" während der Indonesian Open 2005. Nach einer Gewitterunterbrechung platzierte "Monty" seinen Ball in einer deutlich besseren Lage. Obwohl das Vergehen eindeutig auf Video zu sehen war, blieb Montgomerie straffrei. Der Aufschrei unter den Kollegen war allerdings groß genug, dass er sein Preisgeld an karitative Zwecke stiftete. Einer nachträglichen Strafe entging der Schotte nur, weil European-Tour-Chef George O'Grady seine Hand schützend über ihn hielt und aus Publicity-Gründen weitere Diskussionen unterband. Wer wie Gary Evans gegen den angeordneten Maulkorb verstieß, kassierte eine Rüge. Lyle sollte für seine Bemerkungen sogar eine Geldstrafe kassieren, was auf Bestreben Montgomeries aber zurückgezogen wurde. Der Schotte wusste genau, welche PR-Wirkung es gehabt hätte, wenn sein grober Regelverstoß straffrei bleibt, aber die Kritik daran geahndet würde. Seine Chancen auf das Amt des Ryder-Cup-Kapitäns hatte sich Lyle damit wohl endgültig verbaut. Dabei ist er vielleicht der einzige Spieler, der freiwillig auf einen Platz im Kontinentalwettstreit verzichtete. "Es war eine schwierige Entscheidung für mich, aber es war das Beste für das Team. Christy O'Connor junior hat zu der Zeit so viel besser als ich gespielt." Eine selbstlose Aktion, die sich Europas Fans vor zwei Jahren auch von einem gewissen D.W. aus UK gewünscht hätten.

An Lyles sportlichen Qualifikationen gibt es ohnehin keinen Zweifel. Der heute 60-Jährige ist der einzige pensionierte Europäer mit zwei Major-Siegen, der das Amt noch nicht bekleiden durfte. Und in der ewigen Bestenliste der European Tour liegt mit Miguel Ángel Jiménez nur ein anderer Kandidat vor dem 18-fachen Turnier sieger. Dennoch ist sich Lyle bewusst, dass sein Chancenfenster vermutlich geschlossen ist. Weil die Europäer seit 2002 sechsmal gewonnen haben, reift in den kommenden Jahren eine Unmenge an zukünftigen Anwärtern heran, die bei den kommenden Austragungen im idealen Kapitänsalter von 47 bis 50 Jahren sein werden: Padraig Harrington (47 Jahre), Lee Westwood (45), Ian Poulter (42), Henrik Stenson (42), Luke Donald (40), Graeme McDowell (39), Justin Rose (38) und Sergio García (38 Jahre). Und auch Martin Kaymer könnte um das Jahr 2034 herum ein ernsthafter Kandidat für das Amt sein. Schließlich ist er nur einer von zwei Europäern, die zwei Major- Titel und die Players Championship gewonnen haben. Eine herausragende Bilanz, aber dennoch keine Garantie: Der andere Europäer mit diesem Empfehlungsschreiben ist Sandy Lyle.

Featured Stories