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Marcel Siem

Alles muss raus!

Von Rudi Schaarschmidt, Fotos: Getty Images

Gerade noch gratulierten wir zum 500. Turnierstart, da gibt es schon eine noch viel fettere Party zu feiern. Nach acht Hundejahren kehrt Marcel Siem in den Kreis der European-Tour-Sieger zurück - und versucht nicht einmal, cool zu bleiben.

Der Vergleich mag abgedroschen sein, aber selten war er passender: Marcel Siem, der Phönix aus der Asche! In Indien gewinnt er nach einer gefühlten Ewigkeit ohne Sieg und einigen harten Jahren seinen fünften Titel auf der DP World Tour. Er erhält 540 Glückwunschnachrichten auf sein Handy, eine davon vom Schreiber dieser Zeilen, der nun wirklich nicht zu seinem engeren Zirkel gehört. Es sagt viel über den Golfprofi Marcel Siem aus, dass er jedem persönlich antwortet - auch mir. Wir haben uns daraufhin zum Interview verabredet. Per Videocall, weil der mittlerweile 42-Jährige samt Familie inzwischen auf Mauritius wohnt.

Mauritius liegt nicht gerade um die Ecke. Wieso dieser Umzug?
Wir waren die letzten Jahre immer für vier Wochen im Winter auf der Insel und haben hier Freunde gefunden. Eigentlich wollte ich immer nach Florida, aber mit der PGA-Tour hat's nie geklappt. Hier kann ich mit dem Buggy von der Villa runter zum Golfplatz und schon um 5:30 Uhr trainieren. In Deutschland habe ich zwar auch am Golfplatz gewohnt, aber das wurde mir da nie erlaubt. Und ich wollte schließlich noch mal richtig durchstarten. Meine Frau Laura kann nach ihrer Krankheit hier auch wieder besser zu Kräften kommen. Das Klima ist großartig, es ist immer warm. In der Regenzeit sind wir dann wieder in Deutschland, da haben die Kinder Schulferien und können Oma, Opa und Freunde wiedersehen.

Was ist denn in Indien nach deinem Sieg noch passiert, nachdem die TV-Kameras abgeschaltet waren?
Ich wollte unbedingt zu meiner Frau und meinen Kindern, die ich sieben Wochen lang nicht gesehen hatte. Es gab nur einen Flug abends um halb zehn von Indien zurück nach Mauritius, daher gab's nur eine kleine Feier in der Lounge der Tour. Ich habe gar nicht gecheckt, wie gern die mich dort alle haben und wie sehr die sich für mich mitgefreut haben. Das war mega. Wir hatten tolle Gespräche, haben uns innerhalb einer Dreiviertelstunde ein paar Bier und Gin Tonic reingeknallt und dann ging's auch schon zum Flughafen. Auf Mauritius bin ich am Flughafen super empfangen worden. Dort war ein Kamerateam und der Golfclub hat ein super Video vom ganzen Tag gepostet - auch wie ich dann mein Sonntagsshirt wieder anzog, mit meiner Frau mit Champagner angestoßen habe und sie mich dann in den Pool geschmissen hat. Es kamen auch viele Mitglieder und Freunde zum Gratulieren und ich war jeden Abend woanders eingeladen. Das ist alles so herzlich hier, mega!

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DAS IST AUF JEDEN FALL FÜR DIESE SAISON MEIN SONNTAGSSHIRT.
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Tiger hat nach seinem letzten Turnier gesagt, egal wie viel er zu Hause trainieren würde, die Wettkampfsituation ließe sich im Training nicht simulieren. Das Adrenalin sei nicht dasselbe. Dein letzter Putt in Indien war für einen Profi eigentlich eine Pflichtübung. Um wie viel anders ist es, wenn es nach so langer Zeit mal wieder der Putt zum Sieg ist?
Das ist wie ein Elfmeterschießen. Du stehst da, hast das Ding zehntausendmal im Training reingemacht. Und wenn du ein guter Schütze bist, kann der Torwart so gut sein, wie er will - das Ding geht immer rein. Das ist beim Putten genau dasselbe. Ich habe mir über die letzten ein, zwei Jahre mit meinem Fitnesstrainer und MMA-Fighter Paul Götte eine neue Atemtechnik angeeignet. Das habe ich alles auf dem Weg zum Grün schon vorbereitet. Ich hatte am Freitag und Samstag kaum geschlafen. Was mein Unterbewusstsein bei mir angestellt hat, war schrecklich. Ich war froh, dass ich morgens wieder einen klaren Kopf hatte und meine Gedanken selbst steuern konnte. Und auf der 18 war ich wirklich sehr ruhig und selbst überrascht, wir gut das funktionierte.

Du hast dein Shirt selbst schon angesprochen. Mit diesem Hawaiihemd hast du beim 500. Start auf der Tour den längsten Putt deiner Karriere versenkt und kurze Zeit später nach fast neun Jahren wieder ein Turnier gewonnen. Bekommt das Hemd nun einen Ehrenplatz über dem Kamin?
Das ist auf jeden Fall für diese Saison mein Sonntagsshirt. Erst hatte ich auch ein bisschen Skrupel, ob ich das bringen kann. Aber die Resonanz war super. Also habe ich das jeden Sonntag getragen und das hat ja auch gut funktioniert. Es kam oft die Anfrage, wo man das Hemd kaufen kann. Aber es ist ausverkauft - geil, oder?

Marcel Siem hat auf der European Tour über 500 Turniere gespielt und damit fast 200 mehr als Martin Kaymer. Er hat in Krisenzeiten Mentaltrainer gefressen wie Hasso den Pansen. Alle wollten, dass er seine Emotionen unterdrückt. Als würde man einen Windhund im Zwinger halten. Dabei lebt Marcel seinen Sport auf dem Platz aus wie kein anderer und genau dafür wird er von allen geliebt. Er ist offen, nie unnahbar, genießt es zu teilen. Er hat alles durchlebt, Höhen wie Tiefen, sportlich wie privat. Die Krebserkrankung seiner Frau Laura 2020 war ein Riesenschock und eine enorme Belastung. Dazu hat sich ein ungebetener Gast in sein Spiel geschlichen: finanzieller Druck. Er hat gelebt wie ein Millionär, auch als er keiner mehr war. Ein Kämpfer aber ist er immer geblieben.

Du hast vor drei Jahren gesagt, du wärst erst so richtig stolz, wenn du dich aus der ganzen Scheiße wieder rausgearbeitet hättest…
Ich bin so stolz, ich bin so happy, so glücklich, das kannst du dir gar nicht vorstellen! Dieses neue Kapitel, das wir auch als Familie mit dem Umzug angefangen haben - dass das jetzt auf einmal alles so geklappt hat! Das war echt eine Nacht-und-Nebel-Aktion, wenn ich ehrlich bin, und natürlich auch ein Risiko. Dafür muss man auch mal 'nen Arsch in der Hose haben. Die letzten Jahre waren tough. Ich habe heute Morgen einen einstündigen Podcast mit meinem Trainer André Kruse gehört. Wie mein Trainer die vergangenen drei Jahre beschrieben hat - wow! Ich habe viermal geheult beim Zuhören. Ich bin auf jeden Fall stolz drauf, das Ruder noch mal so herumgerissen zu haben und jetzt als Turniersieger hier zu sitzen, das ist unglaublich.

 
Steckbrief

Steckbrief

NAME
Marcel Siem

ALTER
42 Jahre

WOHNORT
Bel Ombre, Mauritius

PROFI SEIT
2000

LIEBLINGSTEAM
1. FC Köln, FC Bayern München

ERFOLGE
2004 Dunhill Championship (DP World Tour)
2006 WGC-World Cup (zusammen mit Bernhard Langer)
2012 Open De France (DP World Tour)
2013 Trophée Hassan II (DP World Tour)
2014 BMW Masters (DP World Tour)
2021 Le Vaudreuil Golf (Challenge Tour)
2023 Hero Indian Open (DP World Tour)

Du hast in den letzten Jahren immer um die Tourkarte kämpfen müssen. Mit dem Sieg ist die für die nächsten zwei Jahre gebongt. Wie beurteilst du die letzten Jahre im Rückspiegel?
Die vergangenen drei Jahre habe ich jedes Turnier gespielt, das ich mit den Kategorien der Challenge Tour oder der Q School spielen konnte, egal wo. Mit Frau und zwei Kindern zu Hause, die dich sehen wollen, während du die ganze Zeit nur auf Stand-by bist. Ich sage meinen Kindern, dass ich nächste Woche da bin. Dann rutsche ich noch in ein Turnier rein und bin doch nicht da. Also: Papa lügt. Das kannst du Kindern auch schwer erklären, die sind acht und zwölf. Diese Planungssicherheit, die ich jetzt habe, ist so wichtig. Klar habe ich Bock auf alles, was nun kommt, aber natürlich sind mir meine Kinder und meine Frau ebenfalls superwichtig. Das ist ein schmaler Grat. Meine Familie unterstützt mich zwar so krass - Laura und die Kinder sagen immer: "Komm, zack, zack, zack, immer weiter!" -, aber ich möchte ja auch Quality Time mit ihnen verbringen.

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