Lincoln Heights war einst das Viertel der Wohlhabenden, ehe diese nach Hollywood abwanderten. Durch den Bau des Golden State Highway wurde es später in zwei Hälften geteilt, was die Mittelschicht ebenfalls zur Flucht veranlasste. Heute gilt Lincoln Heights als Barrio mit fast 90 Prozent lateinamerikanischen Bewohnern.
»DAS WAR WIRKLICH VERTRAUENSVOLL VON DEM MANN. SCHLIESSLICH KONNTE ER NICHT WISSEN, OB ICH MIR MIT DEM GELD NEUE SCHLÄGER ODER DROGEN BESORGE.«
Beim Aufeinanderzugehen wird ihm schnell klar, dass dieses Szenario besser ist als sämtliche Motive, die er vorher in der Gegend fand. Vor ihm steht ein scheinbar zerbrechlicher alter Mann, dessen Gesicht allein schon genügend Geschichten erzählt. Zusätzlich schwingt dieser vor einer heruntergekommenen Kulisse seinen Golfschläger - und das alles im Umfeld einer Millionenmetropole. Mehr geht nicht. Jetzt öffnet sich auch Salter und setzt den Unbekannten für eine Bildstrecke professionell in Szene.
"Ich heiße Ronnie Wald senior und bin 82 Jahre alt", sagt der Fremde in die Kamera. Da er keine Zähne mehr hat, verschwinden seine Lippen nach jedem Satz im Mundraum. "Ich trainiere hier für die National Senior Games in Alabama." Redet dort ein Verrückter, der durch ein zu hartes Leben seinen Verstand verlor? Nein. Ronnie Wald wirkt klar - und erzählt die Wahrheit. Schon 2011 machte er von sich reden, als er als 76-Jähriger bei den Senior Games in Houston in der Klasse der 75- bis 80-Jährigen teilnahm. Am Ende wurde er 27. Doch der Rest seiner Lebensgeschichte hätte auch wenige Meilen entfernt in einem der Filmstudios entstanden sein können.
Ronnie zog für die Vereinigten Staaten in den Korea-Krieg. Anfang der 1950er-Jahre stand der gerade erwachsen gewordene Amerikaner an der Front, kämpfte gegen Nordkorea und die chinesischen Unterstützer. In drei Jahren Krieg starben fast vier Millionen Menschen. Ronnie blieb unverletzt. Nach seiner Rückkehr in die USA ging der Horror jedoch für ihn weiter. Der arbeitslose Kriegsveteran wurde schwer drogenabhängig, landete später auf der Straße. Mit gerade einmal 30 Jahren warnte ihn ein Arzt, er werde bald sterben, mache er so weiter. ",Such dir eine andere Beschäftigung', sagte der Doktor zu mir, ,oder das Zeug wird dich umbringen.' In dem Moment kamen mir sofort Ben Hogan und Golf in den Sinn." Wald, der schon zu seiner Army-Zeit das erste Mal den Schläger schwang, ist noch heute von dem neunfachen Major-Sieger Hogan angetan. "Seine Geschichte inspiriert mich", verrät er dem Fotografen Salter. "Ben Hogan sprang für seine Frau vor einen Bus und verletzte sich schwer. Drei Jahre später gewann er die größten Turniere."
Tatsächlich schaffte es Ronnie Wald, die Finger von den Drogen zu lassen. Abhängig wurde er anschließend nur noch vom Golf. Dennoch hatte er nie das nötige Geld, um auf einem richtigen Golfplatz zu spielen - auch heute nicht. So begann er, in öffentlichen Parks der Millionenmetropole Bälle durch die Gegend zu schlagen. Das erregte - man kann es sich denken - schnell den Ärger der Park-Ranger. "Sie schickten mich weg, sagten: 'Hier vorne ist doch ein Golfplatz, geh dorthin.' Doch das konnte ich mir nicht leisten, also ging ich in den nächsten Park." So änderte Ronnie tagtäglich seinen Trainingsplatz, zog von Grünfläche zu Grünfläche, ehe er das verlassene Staubfeld in Lincoln Heights fand. Fortan spielte er dort. "Anfangs dachte ich, die Bauarbeiter würden mich auch hier wegschicken. Doch dann lernte ich die Besitzerin kennen, zum Glück eine Golferin. Sie gab mir das Okay."