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Schwinger Club Vol. 30

Manfred Kaltz

Von Fritz Lüders, Fotos: Patrick Runte

Mit seiner Bananenflanke wurde er zum erfolgreichsten HSV-Spieler aller Zeiten. Doch nach dem Fußball kam Golf. Und die krumme Flugkurve, die unser neues Schwinger-Club-Mitglied Manfred Kaltz einst zum Helden machte, ist nun keinen Pfifferling mehr wert.

Es ist immer noch hell, als HSV-Stürmer Miroslaw Okolski im Berliner Olympiastadion auf den Boden fällt. Schiedsrichter Peter Gabor pfeift und zeigt Freistoß an, während das unsägliche Tröten der Zuschauer, das an ein Vuvuzela-Geräusch erinnert, lauter wird. Der HSV spielt in einer Sommernacht 1987 die letzten Minuten gegen die Stuttgarter Kickers. Fast das gesamte DFB-Pokalfinale hat der Zweitligist den Favoriten aus Hamburg in die Schranken gewiesen. Beim Spielstand von 1:1 stellt sich Okolski neben den Ball, bereit zu schießen. Aber dann rennt Manni Kaltz an, groß, schlaksig, lange Haare, das weiße Trikot in die rote Hose gestopft. Es ist der letzte Titel für den Torschützen. Und der letzte für den HSV.

Manfred "Manni" Kaltz machte in den 70er- und 80er-Jahren 568 Spiele für die Rothosen, ist Rekordspieler in Hamburg. Keiner schnürte seine Schuhe häufiger für den Verein, keiner holte mehr Pokale. Nimmt man die Bundesliga-Gründung 1963 als Tag null, hat nur er alle Vereinstitel mit dem HSV gewonnen. Neun Stück an der Zahl. Darunter nationale und internationale Trophäen, auch den Europapokal der Landesmeister, die heutige Champions League.

Solche Erfolge sind für den HSV inzwischen unvorstellbar. Eher, so meinen viele, werde Mick Jagger monogam. Denn seit Kaltz, der für seine krummen Flanken "Bananen-Manni" genannt wurde, dem Volkspark den Rücken zukehrte, gab es an der Elbe keinen sportlichen Triumph mehr, nichts Zählbares, nicht mal ein Finale.

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IM GC HAMBURG-WALDDÖRFER BLIEB MEIN PUTTER IN EINEM BAUM HÄNGEN. ODER VIELLEICHT HAT DEN MAL JEMAND AUF DEN KOPF GEKRIEGT, ICH WEISS ES NICHT.
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Alles war ganz anders, als der gebürtige Pfälzer 1970 in die Hansestadt zog. Lokalhelden wie Uwe Seeler schrieben Erfolgsgeschichten. Durchmischte Kader kannte man damals nicht. Fußballer kickten für die Stadt, in der sie lebten. Kaltz kam nur nach Hamburg, weil ihn sein Jugendtrainer Gerhard Heid aus Rheinland-Pfalz mit in den Norden nahm. Erst nach ihm verpflichtete der HSV weitere "Exoten". Memering aus Bremen, Volkert aus Nürnberg, Kargus aus Worms. 1977 dann Kevin Keegan. Ein Engländer! Von der Insel! Das galt damals als Risiko-Transfer. Wer die Sprache nicht spricht und die lokale Begebenheiten nicht kennt, werde sich nie zurechtfinden, kritisierten Fußballexperten. Doch der Brite mit dem Spitznamen "Mighty Mouse" wurde ein Erfolg und zweimal Europas Fußballer des Jahres. "Ich kann mich noch erinnern, wie wir im Trainingslager waren", sagt Kaltz. "In Quickborn bei Hamburg standen wir alle an einem See. Keegan hatte damals einen Golfschläger in der Hand und bot eine Wette an: 'Glaubt ihr, ich schaff's rüber?'" Außer dem Engländer gab es beim HSV keine Golfer. Keegan ging zu seinen Mannschaftskameraden und sammelte von jedem zehn D-Mark ein. Niemand konnte sich vorstellen, dass es für Golfer ein Klacks ist, den Ball über den 100 Meter breiten Teich zu schießen.

Als Horst Hrubesch im gleichen Jahr nach Hamburg wechselte, nahm Kaltz' Fußballerkarriere endgültig Fahrt auf. Der lange Stürmer und der drahtige Rechtsverteidiger ergänzten sich im Stadion wie Wurst und Bier. Hrubesch netzte 96-mal und stellte die bekannteste Fußballformel der Welt auf: "Manni Banane, ich Kopf - Tor." Mit der Nationalmannschaft wurden beide 1980 Europameister. "Es war die erfolgreichste und wildeste Zeit damals", sagt Kaltz. "Wir hätten noch so viele Titel mehr gewinnen können, aber scheiterten manchmal knapp." Einmal verlor Hamburg gegen Nottingham im Europapokal-Finale. Die Mannschaft feierte dennoch. "Wir sind die beste Thekenmannschaft Deutschlands", jubelte Kaltz. HSV-Trainer Branko Zebec wandte sich an die Presse und meinte, er würde Betrunkene nicht trainieren. Kaltz konterte eiskalt: "Wenn wir jedes Mal nicht trainiert hätten, wenn Herr Zebec gerade mal voll war, dann wären wir im letzten Jahr so gut wie nie zur Arbeit gekommen."

Mit seinen kecken Sprüchen traf der langhaarige Verteidiger auch den Geschmack der Frauen. Vorm Derby gegen St. Pauli verriet Kiezkicker André Trulsen: "Meine Freundin schwärmt für Manni Kaltz. Deshalb ist ein Sieg für mich so wichtig. Dann sind die Machtverhältnisse zu Hause wieder richtiggestellt." Trulsen und seine Truppe verloren 1: 2 gegen den Stadt- und Beziehungsrivalen.

Als Manni Kaltz 1991 die Fußball-Pension beantragt, fängt er selbst mit Golf an. Die Bananenflanke, die ihn auf dem Bolzplatz weltberühmt machte, ist fortan sein Gegner. "Ob links oder rechts, ob Hook oder Slice, ich haue alles", beschreibt er die Flugkurven seines Golfballs. Als ehemaliger Profisportler lechzt er auch auf den Fairways nach Erfolg. Zumindest kleinem. Seine Ambition: "Zurzeit habe ich ein Handicap von 13,4, aber ich will unbedingt unter die Zehner-Grenze." Dafür spielt der 65-Jährige mindestens einmal die Woche. "Seit fast 30 Jahren gehe ich mit meinen Kumpels auf die Runde. Das sind alles Hamburger Gastronome, die haben montags frei, dann wird gegolft." Und gezockt. Jeder schmeißt kleine Beträge in die Runde. "Ich bin noch im Plus", gibt der Ex-Nationalspieler einen Einblick in die Gruppenkasse. "Es muss immer ein Anreiz da sein. Sonst bringt's nichts und macht auch keinen Spaß."

Ob Thomas Müller oder die Schwinger-Club-Mitglieder René Adler und Stefan Kießling, Fußballer greifen gerne und erfolgreich zum Schläger. Die Frage warum stellt sich Manni Kaltz nicht: "Na ja, die Kugel ist etwas kleiner und die Bewegung ist eine andere. Aber das Ballgefühl ist da. Und auch wenn der Schwung nicht einfach ist, kann man ihn lernen." Wenn er und andere Kicker sich bei den GoFus-Turnieren treffen, sind auch alte Weggefährten aus erfolgreichen HSV-Zeiten dabei. Ditmar Jakobs zum Beispiel. "Aber jetzt geht es bei uns um nichts mehr, wir spielen um die goldene Ananas, lachen und machen Sprüche. Wer heute noch todernst auf den Platz geht, bei dem stimmt was nicht."

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"Bananen-Manni" beackerte zu Bundesliga-Zeiten die rechte Außenbahn und kassierte sein Geld dafür, Tore zu verhindern, statt zu schießen. Trotzdem traf er 76-mal in die gegnerischen Maschen. 53-mal per Strafstoß. "Elfer sind schön!", will Kaltz von Druck nichts wissen. "Man kommt immer frei zum Schuss und hat keinen Gegner."

Mit Nerven so dick wie Torpfosten ist er auch auf dem Golfplatz kaltschnäuziger als ein Auftragskiller. "Bei einem Elfmeter habe ich ja viel mehr zu verlieren als beim Abschlag auf einem Pro-Am. Wenn ich da mal einen Ball verhaue, stört mich das nicht. Auch Woods hat neulich einen in den Vorgarten gehauen." Aus den großen Stadien sei er es gewohnt, bei jeder Bewegung beobachtet zu werden. "Ich mag es beim Golf sogar lieber, wenn viele Zuschauer da sind. Trubel auf dem Platz ist immer gut, gerade bei Turnieren."

Zu Bundesliga-Zeiten nannten die Medien ihn "Schweiger" oder "Denker", manche auch "Schwätzer", ironisch natürlich. "Irgendein Arschloch hat mal geschrieben, dass ich nicht spreche. Seitdem spreche ich auch nicht", sagte Kaltz früher. Spricht man ihn auf diese Spitznamen an, macht er "Pffft", öffnet seine rechte Hand und wirft sie über die Schulter. "Die haben Journalisten erfunden. Das sind doch alles Pfadfinder!" Einmal erblickte er nahe des Trainingsgeländes ein Graffito. "Kaltz, du Penner!", stand auf der Wand. Doch der Fußballer erwiderte: "Wer für uns sein Geld ausgibt, der darf auch meckern." Die Reporter hatten sich eine andere Antwort erhofft und fragten: "Bringt Sie denn nichts aus der Ruhe?" Sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen ist für den Golfplatz die beste Voraussetzung. "Aber ich kann mich nicht immer gut beherrschen", lacht er. "Ich fluche auch mal und warf sogar schon meinen Putter. Er blieb in den Bäumen am achten Grün des GC Hamburg-Walddörfer hängen. Wahrscheinlich ist er da heute immer noch." Kaltz, der den Rest der Runde mit einem Eisen 1 puttete, scherzt "Oder vielleicht hat den mal jemand auf den Kopf gekriegt, ich weiß es nicht."

Obwohl Manni Kaltz noch immer seine Fußballschuhe schnürt und als Altmeister und Trainer auf den Bolzplatz geht, ist Golf seine neue Leidenschaft geworden. Selbst im Winter spielt er wöchentlich - in Norddeutschland, wohlgemerkt. Falkenstein, Green Eagle, St. Dionys, Golfpark Maritim. Auf Reisen auch mal in Thailand, der Türkei oder Argentinien. Seine Frau, die nicht golft, habe dafür Verständnis, sagt Kaltz. Dann grinst er und fügt an: "Noch."

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