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Nicht immer ein Vergnügen: Sonntag im Büro

Inside the Ropes – Teil 2

US Open 2019

Von Tim Southwell, Fotos: Rolex, Getty Images, Tim Southwell

PARTY-TIME


Am Freitag entscheide ich mich, ganz tief ins Herz des Wahnsinns einzutauchen, und beschließe, der Supergroup bestehend aus Tiger Woods, Justin Rose und Jordan Spieth zu folgen - so gut das eben möglich ist. Selbst aus gehöriger Entfernung wird deutlich, dass Roses Schwung wahre Poesie in Bewegung ist, er allerdings auch scrambeln kann wie Seve, sollte ihm dieser Schwung einmal temporär den Dienst quittieren. Am Ende von Runde zwei hat es Rose geschafft, lediglich 19 der 36 gespielten Grüns in Regulation getroffen zu haben. In 24 Fällen gelang es ihm allerdings, das Loch mit einem Putt oder sogar mit einem Chip-in zu beenden. Jordan Spieth kann seine Bewunderung kaum verbergen: "Das waren die beiden besten Up& Down-Runden, die ich jemals gesehen habe. Hut ab in Richtung Justin!"

Nach zwölf Löchern als Augenzeuge dieses Spektakels beschließe ich jedoch aufgrund der überhandnehmenden Fanmassen, dass es Zeit wird, sich in die "Mulligan's"-Bar in Carmel-by-the-Sea zurückzuziehen, schließlich braucht es manchmal nicht mehr als einen Flatscreen und eine aufmerksame Kellnerin, um einen großartigen Major-Nachmittag zu erleben.

Inside the Ropes: Schlafwandler: im Pyjama zum ersten Abschlag
Schlafwandler: im Pyjama zum ersten Abschlag

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MAN STELLE SICH VOR: ZUM ERSTEN MAL SEIT 1905 KÖNNTE ES EINEM GOLFER GELINGEN, DAS HÄRTESTE MAJOR DES JAHRES DREIMAL IN FOLGE ZU GEWINNEN, UND BROOKS KOEPKA NIMMT DIESE HISTORISCHE CHANCE SO DERARTIG GELASSEN HIN, DASS ER DIE PROBERUNDEN ZUR KÖRPERPFLEGE NUTZT.
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Selbstredend ist die Bar gefüllt mit grobschlächtigen amerikanischen Golffans, deren Artikulation sich zumeist auf lautstarkes Name-Dropping wie "Tigaaaahhh!" oder "Phiiiiiiill!" beschränkt und nur ab und zu von diesen Standards abweicht, um sich dem Hippie Ricke Fowler zu widmen: "Schneid dir gefälligst die verdammten Haare, Rickie!"

Irgendwie ist es besser, man geht, schließlich wartet eine rauschende Party auf mich. Lyle & Scott ist nicht irgendeine Golfmodemarke, es ist die erste Golfmodemarke, gegründet 1874 in Schottland. In den 60ern schmückte das berühmte Logo des gelben Adlers unter anderem die Brust von Bob Hope, Gary Player und Tony Jacklin. Später gesellte sich noch das inoffizielle Team Lyle bestehend aus Seve Ballesteros und Greg Norman dazu, die jedoch nie auch nur einen Cent bezahlt bekamen und die Strickpullis aus Schottland trotzdem gerne trugen. Mittlerweile zählen Kasabian und die Artic Monkeys zu bekennenden Lyle & Scott-Fans.

Inside the Ropes: Doppel-Bogey? 'Fuck it Dude! Let's go bowling!'Inside the Ropes: Doppel-Bogey? 'Fuck it Dude! Let's go bowling!'
Doppel-Bogey? 'Fuck it Dude! Let's go bowling!'
Malbon Golf dagegen sind die jungen Player, die es schaffen, den Stil der L.A.-Skateszene mit Golf-Fashion zu vereinen, und dem Sport somit ganz neue Horizonte eröffnen. Diese Party ist der pulsierende Beweis dafür, dass Golf verschiedenste demografische Schichten zusammenbringen kann. Milliardenschwere Business-Tycoons schlürfen ihr Bier gemeinsam mit Rappern, die vor Kurzem noch im Knast saßen, und all das wirkt vollkommen normal. Irgendwann erspähe ich Stephen Malbon auf der Terrasse und erzähle ihm, dass ich vor dem Abflug ein paar Scheine auf Thomas Pieters gesetzt habe. "Fantastische Quote: 500 zu eins", jubiliere ich. "Dumm gelaufen, er hat um sechs Schläge den Cut verpasst", grinst er zurück. Verdammt!

ENDLICH WOCHENENDE


Oh, Pebble Beach, du bist ohne Zweifel das Highlight meines bisherigen Jahres. Ganz egal, dass sich die Sonne wegen des Marine Layer, ein dichter Hochnebel, der die Bucht von Carmel regelmäßig heimsucht, kein einziges Mal blicken lässt. Hier draußen auf der Halbinsel von Monterey fällt es wirklich leicht, für eine Woche komplett in eine andere Welt einzutauchen. Nichts scheint hier und heute zu zählen, außer der Kampf um die US Open Trophy. Zum ersten Mal taucht der Name Gary Woodland ganz oben auf dem Leaderboard auf. Rory McIlroy muss auf der diabolischen 14 die Bekanntschaft mit dem unvermeidlichen Doppel-Bogey machen, Dustin Johnson kommt am Moving Day nicht in die Gänge, nur Justin Rose spielt weiter sein auf blankes Überleben ausgerichtetes Ergebnisgolf und kann dem Mann aus Topeka, Kansas, in die letzte Gruppe des Finaltags folgen und alles sieht nach einer klassischen Match-Play-Situation für den Finaltag aus. Woodland vs. Rose, Amerika gegen England. Sollte dies der Vorgeschmack auf künftige Ryder-Cup-Schlachten werden? Hoffentlich nicht.

Ich ziehe es am Sonntag vor, dem Norweger Viktor Hovland zu folgen, der vor knapp einem Jahr auf diesem Platz die US Amateur Championship gewinnen konnte und während der ersten beiden Runden an der Seite von Brooks Koepka erstaunlich nervenstark mitspielte. Eine richtige Entscheidung, wie sich schon bald herausstellen soll, denn mit vier Birdies auf den ersten neun Löchern katapultiert sich der 21 Jahre alte Norweger das Leaderboard hinauf bis auf Rang 12. Mit einem Gesamtergebnis von 280 Schlägen stellt Hovland am Ende sogar Jack Nicklaus' Rekord aus Cherry Hills 1960 für das beste Ergebnis eines Amateurs bei einer US Open ein. Am Montag wird dieser Junge ins Profilager wechseln und das Geld, das ich bisher auf Thomas Pieters wettete, wird in Zukunft auf Norwegen gesetzt, so sehr beeindrucken mich Viktors Abschläge an diesem Sonntag.

Inside the Ropes: Endlich legal: Mann heiratet Kegelpokal
Endlich legal: Mann heiratet Kegelpokal
Ein paar Flights weiter hinten kann Justin Rose sein suboptimales langes Spiel nicht länger kaschieren und verliert gegenüber seinem stoisch aufspielenden Flight-Partner kontinuierlich an Boden. Nur Brooks Koepka zeigt, warum er vier der letzten zehn Major-Turniere gewinnen konnte. Also ziehe ich mich in die komfortablen Innereien des Pressezelts zurück, um keinen Schlag des Duells Woodland gegen Koepka zu verpassen, das wie die besten Kampfszenen in "Terminator 2: Tag der Abrechnung" anmutet. Zwei Modellathleten - oder sollte man besser sagen: Kampfmaschinen -, die eigentlich lieber Basketball beziehungsweise Baseball spielen würden, hauen sich im Fernduell die Bälle und Birdies um die Ohren. Und was macht Brooks Koepka, als er mit einem Birdie auf der 11 endlich mit dem Führenden gleich gezogen ist? Er verkürzt sich die Wartezeit auf dem 12. Abschlag damit, seinen Kautabak aus der Tasche zu ziehen und mit Spielpartner Chez Reavie über die Vorzüge dieser speziellen Marke zu debattieren. Wen hätte es bei all der Coolness gewundert, wenn er sich die Fußnägel geschnitten hätte? Was folgt, ist allerdings das zweite Bogey seines Tages und Brooks Koepka wirkt zum ersten Mal menschlich.

Woodland dagegen widerlegt an diesem Sonntag den Ruf, mit dem Driver in der Hand zwar ein Superheld, ansonsten aber nur lauer Durchschnitt zu sein. Sein Short- Game-Coach Pete Cowen betreut Gary Woodland nun seit 18 Monaten und darf sich einen gehörigen Anteil des ersten Major-Siegs seines Schützlings auf die Fahnen schreiben. War Woodlands grandioses Fairwayholz über den Bunker und auf das Grün von Loch 14 eine Zurschaustellung purer archaischer Kräfte, so zeigte er mit seinem genialen Chip (!) vom Grün in Richtung Fahne an Loch 17, wie vorzüglich sein kurzes Spiel selbst in den größten Drucksituationen ist.

Als ein knapp zehn Meter langer Birdie-Putt am 72. Loch fällt, hat sich die Fanmasse in Pebble Beach bereits zu einer Horde Gary-Woodland-Cheerleadern verwandelt. "Ich habe mir immer wieder anhören müssen, dass die US Open meinem Spiel nicht entgegenkommen würde, weil ich ein Longhitter, ein Bomber, sei", grinst er wenig später mit der Trophäe in den Händen. "Nun nach Pebble Beach zu kommen, ein Platz, der deutlich kürzer ist, als wir das alle gewohnt sind, und so zu spielen fühlt sich gut an. Ich habe meinen Plan optimal umgesetzt und ich bin mir sicher, heute eine ganze Menge Leute davon überzeugt zu haben, dass ich wirklich ein ziemlich guter Golfer bin."

Amen, Gary, und auf Wiedersehen, Pebble Beach!

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