New York, 1902. Gene Sarazen wird als Eugene Saraceni in Harrison im US-Bundesstaat New York geboren. Sein Vater ist ein italienischer Zimmermann. Als Jugendlicher soll Gene es ihm gleichtun, doch verträgt er die staubige Luft nicht. Ein Arzt rät ihm, draußen im Freien zu arbeiten. Der 15-jährige Schulabbrecher heuert deshalb als Caddie im Apawamis Club an. Jeden Tag geht er zu Fuß zur Arbeit und spielt dabei seinen "Vier-Meilen-Kurs": Über Landstraßen schlägt er den Ball und über Felder und durch Gärten, bis er ihn stets auf dem elften Grün einlocht. Nur ein Jahr später wird er Profi und findet sich kurz darauf in der Zeitung wieder: "16-jähriger Eugene Saraceni schlägt Hole-in-one." Doch er liest seinen Namen nicht gerne: Eugene Saraceni. "Ein toller Name für einen Violinisten", schreibt er später in seiner Autobiografie "Thirty Years of Championship Golf", "doch ein mieser für einen Athleten." Also schlägt er das Telefonbuch auf, Seite S wie Sara. Den Nachnamen gibt es in allen Varianten, drum hängt er -zen hintendran: Sarazen. Der taucht nirgends im Telefonbuch auf. Genau danach sucht er. Er will Golfer sein, kein italienischer Musiker. "Schreibt über mich, was ihr wollt", sagt er Jahre später als gestandener Profi den Journalisten. "Aber schreibt ja meinen Namen richtig."
Eugene Saraceni ändert nicht nur seinen Namen. Er schwingt auch anders als die Golfer der 20er-Jahre. Als Erster beugt er seinen Oberkörper stark über den Ball und greift den Schläger so, dass Zeigefinger der oberen Hand und kleiner Finger der unteren sich miteinander verbinden. Trotz kurzer und gedrungener Figur schlägt er mit dieser Technik ungewöhnlich weit. Mit 20 Jahren gewinnt er sein erstes Major-Turnier, die US Open 1922, und stellt damit einen Rekord auf, der bis heute Bestand hat: So jung schafft das nach ihm keiner mehr. Im gleichen Jahr folgt der zweite Major-Triumph, die PGA Championship. "Das Leben eines Golfers ist riskant", merkt er. "Wenn du gewinnst, tragen sie dich auf Händen. Wenn du verlierst, kannst du den Caddie im Dunkeln bezahlen und nach Hause schleichen."
»ICH HOFFTE AUFS BESTE, ERWARTETE DAS SCHLECHTESTE UND NAHM ES, WIE ES KAM. DESHALB HATTE ICH ERFOLG.«
Es ist die erfolgreichste Zeit für Gene Sarazen. Nur Wochen später gewinnt er die US Open und PGA Championship. "Je mehr ich trainiere, desto besser geht's mir", sagt er. Die großen Namen der Zeit bekommen Angst vor dem gerade mal 1,69 Meter großen Amerikaner. "Sarazen löst in mir einen Minderwertigkeitskomplex. Ich habe Angst vor ihm", gestand Paul Runyan, ebenfalls 29-facher PGATour- Sieger. Mit dem Preisgeld kauft der Sohn italienischer Eltern seiner Familie einen Hof, weshalb ihm die Profikollegen den Spitznamen "The Squire" ("der Gutsherr") geben. "Auch wenn es sportlich für mich läuft, merke ich, dass mein Gehalt an zu vielen Wenns und Putts hängt", sagt er. Doch die Ebbe im Portemonnaie bleibt aus. Im Gegenteil: Sarazen kauft einen zweiten Hof. Wie gut es die Golfgötter mit dem Mann der Stunde meinen, wird spätestens beim Masters 1935 allen klar.
Beim zweiten Masters Tournament sind die besten 64 Spieler der Welt angereist. US-Open-Sieger Olin Dutra ebenso wie PGA-Champ Paul Runyan, Charlie Yates, Bobby Jones und viele weitere klangvolle Namen. Am Finaltag führt Craig Wood mit drei Schlägen vor Gene Sarazen. Der Abstand bleibt lange bestehen, bis Sarazen an der 14 seinen Ball ins Rough hookt. Gleichzeitig hört er die Jubelschreie der Zuschauer, die das Birdie von Wood auf der 18 lautstark feiern. Flight-Partner Walter Hagen geht zu Gene und sagt: "Na, das war's dann wohl für dich." Laut Zeitzeugen erwidert Sarazen: "Ach, das weiß ich nicht. Der Ball kann immer mal reingehen."
Ob Vorsehung oder ein nachträgliches erfundenes Zitat - er sollte recht behalten. Aus dem Rough spielt Sarazen einen perfekten Rescue-Schlag bis aufs Grün, rettet das Paar. Auf der 15 hämmert er die Kugel das Fairway hinunter. Es sind die besagten 215 Meter über das berühmte Wasserhindernis zur Fahne. Der Rest ist Golfgeschichte.
"Ich konnte den Ball nicht sehen, aber da waren diese 23 Zuschauer, die aufsprangen und jubelten", scherzt er anschließend. "Ich wusste, dass er drin war. Es war ein Glücksschlag." Wer ihn nicht sah, der hörte ihn. Der Jubel der Zuschauermenge - es waren Hunderte! - ist so laut, dass Reporter schreiben: "Man hörte ihn auf der ganzen Welt".
Mit nur einem Schlag ist der Vorsprung auf den Führenden wettgemacht und Sarazen rettet sich ins Play-off. Als er das gewinnt, ist er der erste Golfer der Welt, dem der Karriere-Grand-Slam gelingt. In diesen erlauchten Kreis sind nach ihm nur noch Jack Nicklaus, Tiger Woods, Ben Hogan und Gary Player eingezogen.
In Augusta wird an Gene Sarazen und den "Schlag, der auf der ganzen Welt gehört wurde" auch knapp 20 Jahre nach seinem Tod immer noch erinnert. Die Brücke über das Wasserhindernis an der 15 trägt den Namen "Sarazen Bridge".
Das Albatross machte ihn unsterblich, doch es ist ein Hole-in-one, das als sein letzter großer Schlag in Erinnerung bleibt. Bei der British Open 1973 in Troon schlägt er ein Ass. Als der Ball im Loch der 115 Meter langen "Postage Stamp" verschwindet, schaut der damals 71-Jährige Richtung Himmel und ruft: "Erblasse vor Neid, Hagen!" Nach der Runde erklärt er: "Meine alten Freunde Walter Hagen, Bobby Jones und Tommy Armour warten da oben auf mich am ersten Abschlag. Sie rufen nach mir: 'Beeile dich, Sarazen!' Aber darauf müssen sie noch lange warten." Erst 1999, mit 97 Jahren, folgt er ihnen.