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Golfpunks dieser Welt

Robert George Goalby

Von Janek Weiss, Fotos: Getty Images

Normalerweise schreiben Major-Sieger Golfgeschichte. Bob Goalby hingegen blieb in Augusta nur eine Fußnote. Dies ist die Geschichte eines Masters-Champs, dessen Sieg von einem tragischen Verlierer überschattet wurde.

Bei Robert George Goalby zu Hause stapeln sich die Briefe. Hunderte. "Sie sind der Schlimmste!", ist noch die harmloseste Beschimpfung darin. Andere drohen gleich, ihn in "einen Zementsack zu stecken und auf dem Meeresgrund zu versenken". Heute würde man es einen Papier gewordenen Shitstorm nennen. Es ist 1968, das Jahr seines größten Triumphs in Augusta. Wo sonst Fanfaren und Lobpreisungen ertönen, bleibt für Goalby viele Jahre ein tragisch-bitterer Beigeschmack. Gewonnen und doch verloren?

Robert ist kein Unbekannter seiner Zeit. Freilich nicht der große Star wie Arnold Palmer oder Jack Nicklaus, aber ein solider Tourspieler. 1958 wird er zum Rookie of the Year gewählt, einen Major-Triumph verpasst er 1961 bei den US Open und in der PGA Championship 1962 nur um einen Schlag.

Es ist der Sport, der dem am 14. März 1929 in Belleville, Illinois, als Sohn eines Kohleminenarbeiters geborenen Goalby einen Weg aus den Niederungen der einfachen Arbeiterklasse weist. Als begnadeter Baseball- und Footballspieler ist er ein Star an der Township High School seines Heimatorts. Ein All American Boy, wie man ihn heute nur aus amerikanischen Teenie-Filmen kennt. Seine Qualität als Quarterback verschafft ihm ein Stipendium an der Universität von Illinois. Dass er nebenbei einige Baseballspiele für die Southern-Illinois-Universität bestreitet, kostet es ihn wieder. Die Konsequenz: Er pfeift auf die Bildung und dient im Korea-Krieg dem US-Militär.

Nach dem Ende seiner Dienstzeit widmet er sich seiner großen Leidenschaft: Golf. Bereits als Kind schleicht er sich auf den nahegelegenen St. Claire Country Club, später darf er als Caddie auf der Anlage arbeiten. 1952 wird er Profi und finanziert das unsichere Leben mit einem Job als Golflehrer in Connecticut - bis er 1957 bei der Mayfair Inn Open 20 Dollar Preisgeld gewinnt. "Ich habe den Pro-Shop angerufen, mich bedankt und gesagt, dass ich nicht mehr zurückkomme", erinnert er sich Jahre später. Mit sieben PGA-Tour-Siegen in der Tasche und einem Schlag Rückstand auf Gary Player geht er 1968 in die Schlussrunde des Masters.

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ICH HABE EINEN BRIEF VON BOBBY JONES. DARIN STEHT: 'DIESER SCHLAG WAR EINER DER FEINSTEN, DIE ICH JE GESEHEN HABE.'
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Der Schicksalstag ist der 14. April, Ostersonntag. "Ich hatte im Winter 1967 intensiv an meinem Spiel gearbeitet, aber dennoch in der Woche vorher in Greensboro den Cut verpasst. So kam ich früher nach Augusta. Ich trainierte am Montag und schoss eine 67", bilanzierte Goalby. Nach soliden Runden von 70, 70 und 71 Schlägen ist er einer von elf Spielern, die realistische Chancen auf den Titel haben. Favoriten sind freilich andere: der vierfache Major-Sieger Gary Player, Masters-Spezialist Tommy Aaron, Nachwuchs-Phänomen Lee Trevino - und ein gewisser Roberto DeVicenzo. Der charismatische Argentinier ist der amtierende Open Champion, Fanfavorit und die zweite tragische Figur in dem Szenario, das sich in der Folge auf der ehrwürdigen Anlage in Georgia entspinnt.

"Du kannst alle Tucson Open, Kemper Open oder Iron City Open gewinnen, keiner erinnert sich. Gewinnst du aber das Masters, wird es keiner vergessen", hat Goalby einmal philosophiert. In seinem Fall sorgen die Golfmedien für eine regelmäßige Auffrischung der Erinnerung. "Passiert so alle zehn Jahre", sagt er 2018 zum 50. Jubiläum der Ereignisse. Der 89-jährige Goalby ist für das Champions Dinner noch einmal zurückgekehrt an den Ort seines Triumphs, um Freunde zu treffen und in Erinnerungen zu schwelgen. Er redet mittlerweile gern über den Tag. Nach all den Jahren hat er Frieden geschlossen mit seiner Geschichte. Eine Geschichte, die nur allzu oft aus der Perspektive seines sportlichen Antipoden erzählt wird.

Als Bob Goalby die Back Nine in Angriff nimmt, ist das Feld dicht beisammen: "13 Jungs hatten die Chance zu gewinnen, ich war mittendrin." Es gehört zum Mythos dieses Turniers, dass die zweiten neun am Sonntag der ultimative Test für das Nervenkostüm der Top-Golfer ist. Nicht selten lässt Rae's Creek Hoffnungen versinken. Die Spielbahnen laufen zum Teil parallel zueinander, sodass die Kontrahenten sich in die Augen schauen und bei Wartezeiten zusehen können, was die Gegner abliefern. Dazu kommt die akustische Kulisse: Wenn Jubelschreie oder das entsetzte Stöhnen über Fehlschläge über die Anlage schallen, ist es kaum möglich, das Geschehen auf dem Platz auszublenden. Und so sind in den entscheidenden Momenten dieses Turniers Goalby und sein argentinischer Gegenpart kaum 20 Meter voneinander entfernt.

DeVicenzo hat Geburtstag und den Medienvertretern im Fall seines Siegs Softdrinks auf seine Rechnung versprochen. Der nun 45-Jährige ist gut 30 Minuten vor dem sechs Jahre jüngeren Goalby gestartet. Auf dem Fairway der 17 stehend führt er mit einem Schlag. Beide spielen phänomenales Golf, als Goalby trotz des enormen Drucks einen der besten Schläge seiner Karriere und vielleicht sogar der Golfgeschichte spielt, ein Kunstwerk. "Ich habe einen Brief von Bobby Jones", erzählt der Amerikaner. "Darin steht: Dieser Schlag war einer der feinsten, die ich je gesehen habe." Goalby hat den Brief an die Wand in seinem Heim in Belleville gehängt. Nachdem DeVicenzo auf der 17 seine Annäherung gut einen Meter an den Stock genagelt hat, sieht er, als er rechts hinüber zur 15 späht, in der Nachmittagssonne den Schaft von Goalbys 3er-Eisen blitzen. Das Resultat verblüfft selbst Goalby: "Die Grüns waren unfassbar hart. Du konntest nicht auf die Fahnen feuern wie heute. Damals haben wir alle Schläge gespielt, die konstant durch die Grüns gerollt sind. Und ein 3er-Eisen so nah am Loch zum Halten zu bringen war schlicht unglaublich!"

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Goalbys Eagle und DeVicenzos Birdie an der 17 bringen beide gleichauf. An diesem Tag voller Irrungen und Wirrungen entbehrt es nicht der Ironie, dass der US-Amerikaner eben auf dieser 17 ein Bogey notiert: "Mein einziger Drei-Putt in dieser Woche." Die Nerven. Aber auch dem nun führenden Roberto unterläuft an der letzten Bahn ein Bogey. Er beendet den Schlusstag dennoch mit einer 65, bis heute eine der formidabelsten Schlussrunden vor der Azaleen-Kulisse. Wieder alles auf Anfang. Bob Goalby weiß, dass ein Par ihm eine nicht minder beeindruckende 66 für den Tag und einen Platz im 18-Loch-Playoff am Montag beschert.

Goalby geht auf Nummer sicher: "Auf der 18 habe ich ein 3er-Holz vom Abschlag gespielt." Aus 180 Metern bleibt ihm ausgerechnet wieder sein magisches 3er-Eisen ins Grün. Nur dieses Mal rollt der Ball nach hinten durch bis auf die oberste Welle. Masters-Kenner wissen, wie teuflisch dieser Putt ist: bergab, höllisch schnell, 13 Meter mit einem Siebenmeter-Break. Goalby erinnert sich auch Jahre später noch daran als wäre es heute: "Es war angsteinflößend." Er versucht, sich zu beruhigen, spricht mit sich selbst: "Geh an den Ball und putte wie ein Mann!" Der Annäherungs-Putt rollt einen Meter an die Fahne. Schnell, ohne viel nachzudenken beugt er sich über den von Club-Champions gerne Wadenbeißer genannten Putt. Er behält die Nerven. Der Rest ist Routine. Scorekarte abgeben, auf zur Range, ein paar Bälle schlagen und sich auf den Montag vorbereiten. Nicht jedoch an diesem Nachmittag.

Wo heute ein von der Öffentlichkeit separierter Bereich zur Kontrolle der Ergebnisse eingerichtet ist, stand damals keine zwei Schlägerlängen vom Publikum entfernt lediglich ein klappriger Picknicktisch in der Nähe des 18. Grüns. Der finale Putt, die johlende Menge, von alldem bekommt das Geburtstagskind wenig mit. Er starrt ins Leere. Vor ihm seine Scorekarte. "Er saß einfach da. Ich sagte: ,Nun gut, dann spielen wir morgen, Roberto!'", erinnert sich Goalby an die geisterhafte Szenerie. "Er hat nicht geantwortet. Ich glaube, er war wie im Nebel, er hat mich nicht einmal gehört! Es gab keinen Platz zum Sitzen, also kniete ich mich hin und habe meine Karte kontrolliert." Dabei fällt ihm auf, dass er für seinen Spielpartner Raymond Floyd an der 16 ein Par anstatt des Bogeys aufgeschrieben hat. Er korrigiert den Lapsus, bevor beide unterschreiben. Und DeVicenzo?

In Gedanken mit dem Bogey an der letzten Bahn hadernd, signiert er achtlos und wirft die Karte auf den Tisch, noch bevor Tommy Aaron ihn ermahnen kann, das Ergebnis zu prüfen. Vermutlich wäre ihm sonst aufgefallen, dass Aaron ausgerechnet an der 17 für DeVicenzo ein Par anstatt des Birdies notiert hat. Ein Missgeschick, bei dem Regel 38-3 greift: Wenn für einen höheren Score unterschrieben wird, so steht dieses Ergebnis. DeVicenzo hatte statt seiner gespielten 65 für eine 66 unterschrieben. Goalby hatte von alldem nichts mitbekommen: "Als ich den Tisch verließ, griff mich Cary Middlecoff am Arm und flüsterte: ,Du hast das Turnier gewonnen, Bob. Roberto hat seine Karte verbockt.'"

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Umso bemerkenswerter, wie würdig der Argentinier das Ergebnis akzeptierte: "Ich möchte Bob gratulieren. Er hat fantastisch gespielt und mich so unter Druck gesetzt, dass ich den Kopf verloren habe. Es ist mein Fehler - von niemandem sonst. Was bin ich für ein Idiot!" Vielleicht ahnt er dort schon, dass ihn dieser Fauxpas berühmter machen wird, als wenn er gewonnen hätte. Alles dreht sich um ihn, den berühmtesten Zweiten in der Welt des Sports. Dass er weltweit mehr als 200 Siege feiern kann, daran erinnert sich allerdings kaum jemand.

Am nächsten Morgen schreibt der "Toledo Blade": "Es ist ein Tintenfleck auf der linken Brust von Bob Goalbys Grünem Jackett. Man sieht ihn nicht. Aber er ist da. Er wird immer da sein." Wenige Zeitungsartikel schildern die Ereignisse unparteiisch und korrekt. "Viele schrieben, ich hätte gezählt, ich hätte dies mit Absicht gemacht", klagt Goalby. Die vielen Briefe und Anfeindungen auf dem Golfplatz sind auch ein Resultat dieser Frühform von Fake News. DeVicenzo indes schwappt eine Welle der Sympathie entgegen. "Er hat aus dem Ganzen viel mehr Geld gemacht als ich", sagt Goalby ohne Bitternis und mit einem Lachen. Dabei hätte das Ergebnis ohne Zählfehler ja nicht zwangsläufig anders ausgesehen. Denn wer, bitte, möchte schon mit Sicherheit behaupten, dass DeVicenzo den Showdown am Montag gewonnen hätte?

Als Goalby im Januar 2022 mit 92 Jahren stirbt, ist er mit seiner Geschichte im Reinen. Die beiden Protagonisten dieses Ostersonntags werden Freunde und spielen später noch gemeinsam auf der Senioren-Tour, bei deren Etablierung sie eine zentrale Rolle spielen. Über das verflixte Scorekarten-Dilemma aber sprechen sie nie: "Dieses Thema war tabu!" Robert Goalby ist eben ein Masters-Champion durch und durch. Und dies ganz ohne Tintenfleck!

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