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Marcel Siem

Zurück auf Los

Von Rüdiger Schaarschmidt, Fotos: Mike Meyer

Die verdammte Schwungumstellung hat schon so einige gestandene Golfprofis einen gehörigen Teil der Karriere gekostet. Nach einer Saison zum Vergessen ist Marcel Siem 2019 bereit, es nicht so weit kommen zu lassen.

Es ist ruhig geworden um Marcel Siem. Gefühlt gehört der Rheinländer schon seit Ewigkeiten nicht nur zu den Aushängeschildern des deutschen Golfsports, sondern auch zum erlauchten Kreis der European Tour. Aber: In der Saison 2018 waren die Ergebnisse nicht gut genug, um die Tourkarte auch 2019 behalten zu können. Die ehemalige Nummer 48 der Weltrangliste - das war im Jahr 2013 - ist inzwischen auf Platz 575 zurückgefallen. Das letzte wirkliche Highlight war sein Beinahe- Sieg beim Paul Lawrie Match Play in Bad Griesbach im August 2017. Damals führte er im Finale gegen den Spanier Adrian Otaegui 3 auf zur Halbzeit und nach 13 Löchern immerhin noch 2 auf, verlor jedoch die letzten vier Löcher in Serie.

GolfPunk: Brauchst du lange, um so etwas abzuhaken?
Marcel Siem: Man hat bei diesem Turnier beschlossen, On-Course-Interviews zu machen. Die kamen im Finale auf der 9 auf mich zu, haben angefragt und ich war einverstanden. Ich habe das total unterschätzt, denn ich war eigentlich voll "in the zone" und danach komplett raus. Ich habe mein Eisen 8 am neunten Loch auf der Linie acht Meter zu kurz gelassen, habe den Putt dann auch zu kurz gelassen und bin aus dem Flow rausgekommen. Gleich zeitig hat Otaegui angefangen, alles zu lochen. Das war ein Strudel, in dem ich das Selbstvertrauen ein bisschen verloren habe. Aber das Turnier war ja auch der Anfang meiner Schwungumstellung. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn ich das Turnier gewonnen hätte. Dass ich mit der Schwungumstellung überhaupt so weit gekommen bin, war eine Kombination aus Willenskraft und dem Gepushtwerden beim Heimspiel - danach ging es ja aber wirklich bergab.

GP: Wenn ich 2012 die Open de France, 2013 die Trophee Hassan II und 2014 das BMW Masters in Shanghai gewonnen hätte, hätte ich nie wieder etwas an meinem Schwung geändert...
MS: Das würde ich jetzt auch so unterschreiben.

GP: Es gibt viele Beispiele von erfolgreichen Profis, die ihren Schwung umgestellt und danach eher schlechtere Ergebnisse erzielt haben. Im Fußball heißt es: "Never change a winning team!" Warum gilt im Golf nicht: "Never change a winning swing!"?
MS: An Kleinigkeiten muss man arbeiten, das ist so.

GP: Warum denn? Wenn doch alles funktioniert...
MS: Ja, aber es schleichen sich immer Kleinigkeiten ein, die müssen behoben werden. Ich habe allerdings am Griff rumgefummelt, das war das Problem. Ich wollte die Tourkarte in den USA und nach meinem Sieg in China 2014 war ich knapp an den Top 50 der Welt und habe dann die Web.com-Finals gespielt. Damals hat mir mein Schwung nicht gepasst. Ich war nicht konstant genug, habe in Amerika natürlich auch gesehen, was die Jungs für Schwünge haben, und wollte ebenfalls in diese Richtung gehen. Ich habe mich dann von meinem Trainer Günter Kessler getrennt und bin neue Wege gegangen. Im Nachhinein gesehen: totaler Bockmist. Der erste neue Coach hat meinen Take-away verändert, das war kompletter Schwachsinn. Der zweite hat dann versucht, das wieder zu reparieren. Meinen Take-away, meinen Griff, meine ganze Schwung-DNA zu verändern, das war falsch.

GP: Wenn man drei Jahre in Folge auf der Tour zu den Siegern gehört, was war denn da am Take-away falsch?
MS: Wenn mein Rhythmus nicht perfekt ist mit meiner geöffneten Schlagfläche und meiner Kippbewegung, dann kann alles passieren. Wir sind auf die Fade-Tendenz gegangen, hatten das Gewicht von Anfang an links und haben links aufgedreht. Wenn man da nicht aufpasst, kommt man in eine Kippbewegung, muss im Treffpunkt aushebeln und dann kommt unten die Hand - da kann der Ball nach rechts und links gehen. Das wollte ich ausmerzen und das haben wir nicht hinbekommen. Bei meinem Sieg in Paris 2012 hatte ich diese Kippbewegung noch nicht so extrem.

GP: Wenn man sich in technische Details verrannt hat, wie kommt man aus solch einer Misere wieder heraus?
MS: Ich hatte keinen Trainer mehr und eigentlich auch keine Ambitionen auf einen neuen. André Kruse, ein ehemaliger Kollege aus der Nationalmannschaft, der mittlerweile Teaching-Pro ist, hat mir dann bei einem gemeinsamen Abendessen ein bisschen die Birne weich gespült. Er hat mir Schwünge aus jeder Saison von 2012 bis 2018 gezeigt. Da hat man wirklich gesehen, wie sich mein Schwung kontinuierlich verschlechtert hat und was ich falsch gemacht habe. Er hat mir das so glasklar erklärt, dass ich gesagt habe: "Um acht Uhr morgen früh bin ich bei dir." Seither ist er mein Coach.

GP: Eine Schwungumstellung bedeutet, das, was man gewohnt ist zu tun, gegen das, was der Verstand befiehlt, auszutauschen. Wie schwierig ist das für dich?
MS: Es ist schrecklich, gerade bei einem Gefühlsschwung, wie ich ihn habe. Ich könnte mir auch 1.000-mal in die Fresse hauen, dass ich das überhaupt jemals gemacht habe. Aber jetzt ist es vorbei. Ich spiele am besten, wenn ich so spiele, wie ich mich am besten fühle, ohne darauf zu achten, was ich tue. André hat mich jetzt wieder genau so hingestellt wie früher. Der Stand ist etwas breiter, aber meine Hände und mein Griff sind so, wie es mein Leben lang war. Ich bleibe jetzt einfach mehr hinter dem Ball. Die rechte Schulter bleibt hinter dem Ball, damit ich wieder mehr Konstanz habe und nichts mehr reparieren muss. Damit funktioniert es, auch wenn der Rhythmus unter Druck schneller wird. Daran arbeiten wir gerade und es macht total Bock. Die Ergebnisse sprechen ja für sich. In China und in Belgien lief es wieder und ich habe gemerkt: Der alte Marcel Siem ist wieder da! Daran glaube ich und es macht mir wieder richtig Spaß.

Marcel Siem:

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Ich habe mich dann von meinem Trainer Günter Kessler getrennt und bin neue Wege gegangen. Im Nachhinein gesehen: totaler Bockmist. Der erste neue Coach hat meinen Take-away verändert, das war kompletter Schwachsinn. Der zweite hat dann versucht, das wieder zu reparieren. Meinen Take-away, meinen Griff, meine ganze Schwung-DNA zu verändern, das war falsch.
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In China belegte der 38-Jährige Anfang Mai den geteilten 19. Platz. Eine Top-Ten-Platzierung gab es beim Belgian Knockout Anfang Juni, bei dem er erst im Viertelfinale gegen Grégory Havret den Kürzeren zog. Die Leistungskurve zeigt eindeutig wieder nach oben. Wir treffen Marcel bei der Präsentation des neuen Showrooms in seiner Heimatstadt Ratingen. Gemeinsam mit seiner Frau Laura hat der zweifache Familienvater die Marcel Siem Golf Experience gegründet und ist jetzt offizieller Vertriebspartner für die Kunstgrüns der englischen Firma Huxley Golf im deutschsprachigen Raum. Damit soll aber keineswegs ein schleichender Abschied vom Tourgolf eingeläutet, sondern lediglich ein zweites Standbein für die Zeit nach der aktiven Karriere aufgebaut werden. Laura kümmert sich um das Tagesgeschäft, Marcel spielt weiter Golf.

GP: Du willst die Tourkarte zurückerobern. Aktuell stehst du im Race to Dubai auf Platz 159 - wie ist der Plan?
MS: Mit meiner momentanen Kategorie auf der Tour komme ich ins Starterfeld von etwa 15 Turnieren und hoffe auf die ein oder andere Einladung bei den dicken Events. Wenn dann dabei mal eine Top-Ten-Platzierung rauskommt, ist die Tourkarte fast sicher.

GP: Wovon hängen solche Einladungen ab, wessen Goodwill ist da gefragt?
MS: Das kommt darauf an, ob die Tour der Promoter ist oder das Turnier selbst, also der jeweilige Sponsor. Beim British Master ist es die Tour und die Tour ist mir gut gesonnen. Keith Pelley, Keith Waters und Ian Kinnings, die sagen alle: "Marcel, du gehörst zur Tour, du bist ein Charakter, du bist gut, wir wollen dich!" Ich habe eben auch nie Nein gesagt, wenn die Tour mich mal gefragt hat oder etwas von mir wollte. Das hilft jetzt natürlich. Es gibt auch Spieler, kleine Diven, die sagen, sie machen dieses oder jenes nicht. Wenn so jemand mal eine schlechte Phase hat, sieht das dann anders aus. Ich habe schon Support, weil ich einfach ein netter Junge bin. Deshalb hilft mir die Tour auch. Jetzt muss ich eben schauen, dass ich für 2020 meine Karte kriege, und dann geben wir richtig Gas.

GP: Musst du dich komplett neu erfinden, um richtig Gas zu geben?
MS: Das ist mehr eine Rückbesinnung. Das Wichtigste ist, dass du Bock drauf hast und den Kopf nicht hängen lässt. Ich habe in den letzten zwei Jahren so viele Backpfeifen bekommen und so viel Kohle verbrannt. Ich habe zwar noch Mercedes und Callaway, aber genau in dem Moment, in dem ich meine Karte verloren habe und kaum Preisgelder gemacht habe, haben sich auch einige Sponsoren verabschiedet. Da hängst du dann da und denkst plötzlich: "Hmpf, ein ganz neues Leben." Wenn man davon ausgeht, dass man pro Jahr um die 250.000 Euro an Ausgaben hat, dass man 45 Prozent Steuern zahlt - dann muss man plötzlich an die Reserven ran, die man sich zurückgelegt hat. Und das heißt für mich, es müssen wieder bessere Ergebnisse erspielt werden.

GP: Ist das eine neue Art von Druck für dich? Du bist schließlich Familienvater.
MS: Früher habe ich nie über Geld nachgedacht. Geld war mir immer wurscht und ich habe es hier und da vielleicht auch ein bisschen mehr ausgegeben, als ich hätte sollen. Daher habe ich ja jetzt auch angefangen, mir mit Huxley ein zweites Standbein aufzubauen, damit ich nicht diesen Druck habe, Golf spielen zu müssen, bis ich 60 bin.

GP: Das klingt nicht so, als würde es dir noch so richtig Spaß machen...
MS: Es hat mir eine Zeit lang nicht mehr so viel Spaß gemacht. Jetzt macht es mir wieder Spaß, weil der Ball wieder dorthin fliegt, wo er hinsoll. Ich sehe wieder Licht am Ende des Tunnels. Hättest du mich vor sechs Monaten gefragt, als der Ball einfach nicht dahin geflogen ist und ich nicht wusste, was ich machen sollte... Ich war komplett verloren und habe in dieser Zeit auch keine Interviews gegeben. Aber wie gesagt, seit einigen Wochen treffe ich die Kugel wieder Mitte Blatt, kann mit dem Ball wieder shapen und es macht wieder richtig Bock.

GP: Viele der deutschen Nachwuchsprofis sagen, sie genießen es, wenn Marcel Siem bei Turnieren dabei ist und so eine Art Mentor-Rolle innehat. Siehst du dich in dieser Rolle?
MS: Das ist natürlich schön. Wenn wir, zum Beispiel auf einer Proberunde, unter uns sind, dann haben wir wirklich eine Menge Spaß. Bernd Ritthammer und Max Kieffer sind top, Alex Knappe ist auch ein Riesentyp. Mit Philipp Mejow hab ich noch nicht so oft gespielt. Marcel Schneider und Max Schmitt sind auch superliebe Kerle. Und die Jungs, die jetzt so hochkommen, haben auch eine gute Freundschaft untereinander.

GP: Siehst du jemanden von ihnen in absehbarer Zeit sportlich durchstarten?
MS: Es ist superschwierig, Prognosen zu stellen. Martin Kaymer kam aus dem Nichts und gewinnt Majors. Max Kieffer ist eine echte Kampfsau, eher so ein Bernhard-Typ. Der arbeitet wirklich hart, ist topfit, ernährt sich unglaublich gut und gibt wirklich alles - wenn der mal gewinnt und der Knoten platzt, dann kann er richtig abmarschieren. Ich habe selten einen gesehen, der so hart arbeitet! Also, das meiste Potenzial sehe ich bei Max Schmitt und Max Kieffer.

GP: Nächstes Jahr bist du 20 Jahre Golfprofi. Du hast vier Turniere gewonnen, dazu den World Cup. Bist du nicht auch stolz auf das Erreichte oder überwiegt die Ungeduld im Hier und Jetzt?
MS: Na ja, ich bin noch nicht fertig. Wenn ich irgendwann fertig bin und zurückschaue, okay. Aber ich bin noch lange nicht fertig. Dafür macht mir das wieder viel zu viel Spaß. Klar bin ich auch ein bisschen stolz. Aber was mir das meiste Gänsehaut-Feeling gegeben hat, ist, dass die Tour so an mich glaubt. Wenn ich E-Mails geschrieben und wegen einer Einladung angefragt habe - diese Resonanz zu bekommen ist schon toll, denn die wissen, woher der Wind weht. Darauf bin ich stolz. Aber so richtig stolz bin ich erst, wenn ich das jetzt packe, wenn ich wieder zurückkomme, wenn ich noch drei Turniere gewinne und mich aus der Scheiße rausgearbeitet habe.

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