Wenn die Verantwortlichen von Augusta National ihren idealen Verlauf des 89. Masters hätten zeichnen können, es wäre vermutlich nicht viel anderes dabei herausgekommen als das, was wir an den ersten drei Tagen bekommen haben. Alles dreht sich natürlich um Rory McIlroy, den einen universellen Fixstern, der nach dem verletzungsbedingten Verzichte von Tiger Woods noch geblieben ist. Dass der Nordire zum zweiten Mal nach 2011 als Führender in den Finalsonntag geht, wäre unter normalen Umständen schon ein Traumszenario gewesen. Aber dass er nach zwei fatalen Chips, die ihn am Donnerstag zurückfallen ließen - und jedes Vorurteil zu bestätigen schienen, Rory sein dem Masters nervlich nicht gewachsen - am Freitag und Samstag zurückkam wie Jack Nicklaus oder Tiger Woods in ihren besten Tagen, macht das Ganze nur noch spektakulärer.
Obwohl McIlroy zum ersten Mal in seiner Karriere zwei Eagles in einer Runde spielte und mit 66er Runden am Samstag und Sonntag das Feld anführte, kann er das Ding nicht einfach so nach Hause spielen. Denn nur zwei Schläge hinter ihm lauert mit Bryson DeChambeau ausgerechnet der Spieler, der McIlroy bei der letztjährigen US Open seinen jüngsten Major-Tiefschlag verpasste, der kurze Zeit später zu diesem legendären verbalen Schlagabtausch zwischen den beiden Publikumslieblingen führte
Wie Rory hat auch Bryson sein eigenes Augusta-Trauma zu überwinden. Nach zwei verpassten Cuts und zahlreichen enttäuschenden Auftritten führte DeChambeau im letzten Jahr nach zwei Runden plötzlich das Masters an, schaffte aber am Wochenende keine Runde unter Par mehr und verabschiedete sich aus dem Favoritenkreis. Dass er nun beweisen kann, dass er mehr als nur die US Open gewinnen kann, ist für ihn eine ähnliche Motivation wie der Karriere Grand Slam für McIlroy.
Doch DeChambeau ist nicht der einzige im Siegkandidatenkreis mit einer besonderen Beziehung zu McIlroy. Im viertletzten Flight des Tages geht mit Shane Lowry ausgerechnet Rorys bester Kumpel Shane Lowry auf die Runde, der mit sieben Schlägen Rückstand wohl nur Außenseiterchancen hat (noch nie wurden beim Masters mehr als sechs Schläge Vorsprung vergeben), aber bei einem Sieg von Rory vermutlich der erste Gratulant an der 18 wäre. An Lowrys Seite spielt Scottie Scheffler, der bisher ungewohnte Schwächen im langen Spiel zeigte, aber abgesehen vom dritten Grünen Jackett eine weitere Motivation hat: Rory in der Weltrangliste auf möglichst großem Abstand zu halten.
Neben Lowry sind auch noch zwei weitere europäische Ryder Cupper im Rennen um das Grüne Jackett: Justin Rose, der seine Anzahl an Führungsrunden beim Masters auf 10 steigerte, aber noch immer keinen Sieg vorzuweisen hat, und Ludvig Åberg, der nach seinem zweiten Platz bei seinem Debüt in 2024 bewiesen hat, dass Augusta National ihm auf den Leib geschneidert ist. Komplettiert wird das erweiterte Favoritenfeld vom 2018er Sieger Patrick Reed, der sich selber Captain America nennt aber für die meisten Fans eher Thanos ist, dem Kanadier Corey Conners, der die drittmeisten Grüns in Regulation getroffen hat, und Jason Day.
Der Australier sah zu Beginn seiner Karriere wie ein sicherer zukünftiger Majorsieger aus, immerhin war er bei seinem Debüt 2011 Zweiter und nach einem verletzungsbedingten Rückzug in 2012 ein Jahr später noch einmal Dritter. Seither kamen noch zwei weitere Top-Ten-Resultate hinzu. Doch so sehr ihm ein Sieg zu wünschen ist - alleine schon, um mit den abgedrehtesten, verbotenen Malbon-Klamotten bei der Siegerehrung aufzutauchen - ist ihm kaum zuzutrauen, die sieben Schläge Rückstand wettmachen zu können. Day hat nicht mehr die Länge, um einen Birdie-Run zu starten, stattdessen sucht er sich strategisch gezielt seine Chancen heraus, was man auch daran sieht, dass er das Turnier mit 35 Löchern ohne Schlagverlust startete. Mit 8 Birdies und 3 Bogeys in den ersten drei Runden belegt er in beiden Kategorien einen der hintersten Plätze. Doch selbst wenn Day plötzlich zur Birdie-Maschine wird, kann er lediglich gewinnen, wenn Rory McIlroy erneut acht Löcher zu früh Butler's Cabin gewinnt. Ein Szenario, das sich kein Golf-Fan wünschen kann.