Marcel, die erste Frage muss natürlich lauten: Wie geht es dir?
Super. Ich habe hier gerade im Heritage Resort mit meiner Mama eine Runde auf dem Château Course gespielt. Das war schön. Wir hatten zuletzt vor Corona miteinander gespielt und sie fliegt morgen wieder heim.
Was genau war los mit deiner Hüfte?
Ich hatte vor den Turnieren in Spanien im Gym viele Kicks gemacht und mich topfit gefühlt. Doch dabei muss ich mir das Labrum in der Hüfte gerissen haben. Das hat eine ähnliche Funktion wie der Meniskus im Knie und dadurch konnte ich die linke Hüfte nicht mehr richtig vordrehen. Die Drives wurden kürzer und kürzer und das Laufen war richtig schmerzhaft. Ich habe dann die ersten vier Turniere des Jahres gespielt ...
... und trotz der großen Schmerzen jedes Mal den Cut geschafft!
Ich bin ja eine Kampfsau, das war ich schon immer. Aber ich hatte natürlich auch jede Menge Schmerzmittel intus, damit ich über die Runden kam. Irgendwann habe ich gesagt, jetzt reicht es. Ich habe ja noch meine Winner Exemption von Indien für dieses und nächstes Jahr - wenn also eine OP, dann jetzt. Ich kann mich zwei, drei Monate voll auskurieren, verpasse zwar einige Turniere, aber die Saison fängt ja dann erst richtig an.
Hattest du vor der OP Bammel?
Ich habe natürlich gefragt, ob dadurch meine Karriere beendet werden könnte, weil es mir darum geht, dass ich noch 15 Jahre schmerzfrei spielen kann. Aber Dr. Fickert hat mir das super erklärt und jede Angst genommen.
Schaust du als Rekonvaleszent viel Golf?
Nee. Wenn Nick Bachem und Freddy Schott spielen, guck ich im Live-Scoring, und wenn die vorne mitspielen, schalte ich den Fernseher ein. Ich liebe die beiden und da fiebere ich wirklich mit. Ansonsten schaue ich nicht, sonst würde ich wahrscheinlich durchdrehen.
»MEINE GEBURTSTAGSPARTY WIRD EHER EIN SCHÖNES ABENDESSEN. [...] ICH WERDE 44 - EIN HANGOVER DAUERT BEI MIR MITTLERWEILE ZWEI TAGE.«
Du brauchst halt jemanden. Die ersten zwei Wochen habe ich die Reha noch vor Ort gemacht, auf Krücken. Du kannst ja nicht mal ein Glas von A nach B tragen. Das war vielleicht nervig, darauf war ich nicht vorbereitet. Ich war dann ab dem fünften Tag schon wieder im Lauftraining auf dem AlterG, einem von der NASA entwickelten Schwerelosigkeits-Laufband, auf dem du nur 20 Prozent deines Körpergewichts hast. Dazu golfspezifisches Oberkörpertraining. Danach bin ich zurück nach Mauritius und habe auf Anraten meiner Coaches mal zwei Wochen gechillt. So lange am Stück habe ich meine Frau und meine Kinder noch nie gesehen. Dann ist meine Mama gekommen und bei den Kindern geblieben, während ich mit meiner Frau das erste Mal seit der Geburt von Victoria mal wieder einen Urlaub in Zweisamkeit gemacht habe. Seit der Rückkehr trainiere ich jeden Tag. Ich habe hier im Heritage Resort drei Gyms und einen olympischen Pool, in dem ich viel schwimmen kann. Ich bin heiß! Ich will wieder zurück und dafür musst du halt hart arbeiten.
Hattest du die Sorge, dass in der langen Zwangspause Aspekte deines Spiels verloren gegangen sein könnten?
Total. Ich spiele hier freitags immer beim Herrengolf mit. Beim ersten Mal habe ich eine 78 gezockt. Da hatte ich Tränen in den Augen. Ich hatte gar kein Gefühl. Mein Driver ist 240 statt 270 Meter geflogen. Aber zuletzt habe ich eine 64 gezockt. Herrengolf ist jetzt nicht die DP World Tour, aber ich habe da natürlich einen Ruf zu verlieren und dadurch Druck. Ich war danach so happy, dass ich mit den Jungs auf der Clubterrasse erstmal zwei, drei Bierchen getrunken habe. Meine größte Sorge ist, dass meine Grundkondition, 18 Löcher zu gehen, nach drei Monaten Pause weg sein könnte. Und Hamburg liegt mir besonders am Herzen. Es wäre cool, da gut zu performen. Letztes Jahr bin ich Zweiter geworden und es wäre Bleschis Traum [Green-Eagle-Besitzer Michael Blesch; Anm. d. Red.], dass ich auf seinem Platz mal gewinne.
Der Nord-Kurs von Green Eagle wird ja durchaus kontrovers diskutiert. Wie beurteilst du den Platz?
Am Anfang war er mir zu hart, zu brutal. Man muss so strategisch spielen. Das ist man auf deutschen Plätzen nicht gewohnt. Bei der ersten Proberunde habe ich mir eine 82 eingefangen und gedacht: "Was für 'ne Dreckswiese!" Eigentlich liebe ich schwere Golfplätze, die man strategisch spielen muss und auf denen es nicht einfach nur ein Putting-Contest ist. Und je öfter ich ihn gespielt habe und Bleschi ihn mir auch erklärt hat, desto mehr ist er ans Herz gewachsen. Dass ein hohes Handicap den Platz nicht mag, ist mir klar. Aber für uns Profis ist der halt Bombe, vor allem weil er immer in einem super Zustand ist. Da bin ich als Deutscher auch stolz, dass wir in Deutschland einen Platz mit so geilen Fairways und Grüns haben.
Du hast die Stimmung bei den European Open gelobt - gib uns mal deine top drei bezüglich Stimmung und Atmosphäre …
Letztes Jahr war das schon ganz besonders, das habe ich in Deutschland noch nicht so erleben dürfen. Aber für mich persönlich war natürlich auch die Open in St. George's geil, als mich das Publikum so gehypt hat. Wentworth ist von der Stimmung ebenfalls Wahnsinn. Du musst vorne mitspielen, damit du die Stimmung mitbekommst. Sonst hörst du's immer nur da und dort schreien. Ich bin da mal Vierter geworden, das war schon sehr geil. Eichenried ist auch super, jedoch habe ich dort noch nie gut gespielt. Aber das ändert sich ja vielleicht noch.
Wie kam es eigentlich zu dieser engen Freundschaft mit Michael Blesch?
Eigentlich sind wir beide ein bisschen durchgeknallte Typen mit eigenem Charakter. Am Anfang haben wir uns nicht so gut verstanden, weil wir immer sagen, was wir denken, und das war zu Beginn nicht so harmonisch. Als ich aber meine Karte verloren hatte und allein und down auf Mauritius saß, hat er mich angerufen, war sehr mitfühlend. Er sei ja genauso bescheuert wie ich, und wie er sich in diesem Gespräch geöffnet hatte, fand ich schon sympathisch. Er erzählte mir von einem Life-Coach, der ihm sehr geholfen hatte, und gab mir dessen Nummer. Erst habe ich nicht viel drauf gegeben, mich bedankt und aufgelegt. Aber nach zwei Minuten habe ich dann Holger Fischer tatsächlich angerufen. Und mein allererstes Gespräch mit einem Mental-Coach war so geil, da ist mir so ein Stein vom Herzen gefallen. Ich habe wieder Licht am Ende des Tunnels gesehen und hinterfragt, wie ich eigentlich bis dahin drauf war. Von daher war Bleschi schon auch die Initialzündung für mein sportliches Comeback. Er hat mich dann auch hier besucht und vergangenes Jahr hat uns unglaublich zusammengeschweißt. Wir werden in Zukunft noch viele Sachen im Golfbereich zusammen machen.
Du hast durch die Zwangspause viele Punkte im Race to Dubai verloren. Glaubst du, dass du das irgendwie wieder aufholen kannst?
Mein Ziel in diesem Jahr ist es, vor allem bei den großen Turnieren zu performen - bei der Open, der Scottish Open und in Wentworth. Da habe ich in den letzten Jahren Federn gelassen und nur mit guten Ergebnissen dort kommst du am Ende des Jahres auch in die Top Ten für die PGA-Karte.
Wie weit steht deine Turnierplanung für dieses Jahr schon?
Jetzt erst mal Belgien und Green Eagle. Danach schaue ich, wie die Hüfte und die Kondition und die Beinmuskulatur mitmachen. Nach hinten raus ist klar: die ganzen großen Turniere, sechs Turniere am Stück, dazu die Nedbank Challenge und Dubai.
Für Olympia hast du deinen Hut nicht in den Ring geworfen. Warum?
Mit guten Ergebnissen in Belgien und in Hamburg könnte ich mich über eine Mini-Order-of-Merit noch für die US Open qualifizieren. Das wäre mir wichtiger. Ich bin nun mal schon länger dabei und Olympia war bei uns früher nie ein Thema. Klar ist das für jeden Sportler etwas ganz Besonderes, aber ich wollte mich mit Olympia jetzt nicht unnötig unter Druck setzen.
Wie erklärst du dir die unfassbare Dominanz von Scottie Scheffler?
Ich raffe es auch nicht. Aber er ist das beste Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man einfach nur an sich glaubt und nicht irgendwelche Sachen ändert. Er hat einen komischen Schwung, zieht das knallhart durch und hat das optimiert. Der ist so eiskalt, der Typ, und dieser pure Glaube an sich selbst ist mega! Wenn ich es noch mal zurückdrehen könnte, dann hätte ich auch niemals meinen Schwung geändert, sondern meine Eigenarten, die ich da so hatte, beibehalten.
Du wirst im Juli 44. Weißt du schon, wie und wo gefeiert wird?
Eine Schnapszahl, oh Gott. Das Blöde an meinem Geburtstag ist, dass er immer in die Hardcore-Golfzeit fällt. Dementsprechend wird das für mich am Montag nach der Scottish Open eher ein schönes Abendessen. Früher hat man mit einer dicken Party in den Geburtstag reingefeiert, aber heute ist das nicht mehr so wichtig. Und du hast es selber gesagt: Ich werde 44 - ein Hangover dauert bei mir mittlerweile zwei Tage.
Gibt es noch irgendwelche unerfüllten Wünsche abseits von Familie und Beruf?
Ich habe natürlich viele Wünsche, was das Golf angeht. Aber abseits von Familie und Beruf? Neuseeland steht auf jeden Fall noch auf meiner Bucketlist. Und den Bootsführerschein zu machen, weil es hier auf Mauritius natürlich schon ganz cool wäre, ein kleines Bötchen zu haben.
Steckbrief
NAMEMarcel Siem
JAHRGANG
1980
WOHNORT
Bel Ombre
PROFI SEIT
2000
DP-WORLD-TURNIERE/SIEGE
529/5
ERGEBNISSE 2024
Dubai Invitational
(T-36)
Dubai Desert Classic
(T-56)
Ras Al Khaimah Championship
(T-37)
Bahrain Championship
(T-23)