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Schwinger Club Vol. 3

Stefan Kretzschmar

Von Jan Langenbein, Fotos: KIKE

Dass der erste Handball-Punk überhaupt auch ein GolfPunk ist, versteht sich von selbst. Die Aufnahme in den Schwinger Club ist somit reine Formsache.

Schwinger Club'? Klingt gut, aber ihr müsst mir erst erklären, was das eigentlich sein soll!" Stefan Kretzschmar will wissen, worauf er sich einlässt, bevor ich das Diktiergerät einschalten darf. "Der GolfPunk Schwinger Club ist der exklusive Kreis all derer, die wir als cool genug erachten, es ins Magazin zu schaffen. Man muss also schon eine coole Sau sein", lautet meine Antwort. "Verstehe. Was hat René Adler dann da verloren?" Totenstille. Ich schlucke und fange an, etwas von Nationalmannschaft und "Vizekusen" zu faseln. "Keine Sorge", lacht er und klopft mir auf die Schulter, "ich kenne René gut. Das war nur ein Witz."

Genau darum ist Stefan Kretzschmar einer der besten Interviewpartner überhaupt. Während eines Gesprächs mit dem einstigen Handball-Punk werden keine Phrasen gedroschen und kein PR-Schmalz verzapft. Stefan sagt, was er denkt. Das kann nach hinten losgehen - wie 1996, als ihn der damalige Bundestrainer Heiner Brand aus der Mannschaft warf. Es ist allerdings auch das Pfund, mit dem Stefan heute seine Medienkarriere anschiebt: Kein anderer ist so authentisch und glaubwürdig in seinen Analysen und Einschätzungen wie "Kretzsche".

Schwinger Club Vol. 3: Schwinger Club Vol. 3:

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Vorlegen macht mich absolut wahnsinnig. Es muss immer angegriffen werden.
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Dem Clash mit Heiner Brand ging im Jahr zuvor eine andere schicksalshafte Begegnung voraus. 1995, ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Atlanta, veranstalteten die Amerikaner ein vorolympisches Handballturnier, da Handball in den Staaten nur Fragezeichen in den Gesichtern hinterließ. "Sie luden drei Mannschaften ein, wir waren eine davon, die dann gegen das US-Team spielen sollten. Wir haben dann in einem zur Turnhalle umfunktionierten Ballsaal gespielt und hatten zwischen den Einsätzen natürlich eine Menge Freizeit", erinnert sich Stefan an den Erstkontakt. "In der Nachbarschaft gab es einen Golfplatz, Cleveland Avenue hieß der. Ein Kumpel meinte eines Tages: 'Lass doch mal Golf spielen gehen." Wir sind dann da zu viert aufgetaucht und uns wurden Schläger und Bälle in die Hand gedrückt, wir bekamen eine Startzeit und es konnte losgehen. Wir haben dann begonnen, den Rasen umzugraben. Niemand hatte irgendwelche Vorkenntnisse. Es war völlig chaotisch." Wie es bei blutigen Anfängern meistens so ist, kommt irgendwann ein halbwegs brauchbarer Kontakt zwischen Schläger und Ball zustande und die Kugel fliegt. "Das war der Moment, in dem es klick gemacht hat. Ich dachte: 'Hey, das ist geil!'" Alle im Flight waren angefixt und kauften noch am gleichen Tag im Golf-Store an der Cleveland Avenue Schläger, die umgehend durch den Dreck gezogen wurden, um bei der Einreise in Deutschland keine Zollprobleme zu bekommen. Seither ist Stefan Golfer.

An dieser Stelle unterbrechen wir unser Gespräch und marschieren in Richtung Fotoset auf der Driving Range des Golfclubs Leipzig. Vorbei an einem Cipping-Grün, auf dem gerade eine Hand voll Teenager am kurzen Spiel feilt. Sichtlich befremdet kommentiert "Kretzsche" den Eifer: "So etwas würde mir nie einfallen. Ich trainiere nicht gern. Wenn ich schon mal Zeit habe, dann möchte ich auf den Platz." Das zeigt sich auch beim Photoshooting. Nach jeder Pose greift Stefan zum Schläger und prügelt Bälle die Driving Range hinunter. Ein Blick auf seine enormen Oberarme lässt erahnen, wie weit er den Ball schlagen kann. "Die Wahrscheinlichkeit, dass ich beim Longest Drive das Fairway treffe, ist ziemlich klein, da ich den Ball dann auf den Mond schlagen möchte. Aber wenn er auf dem Fairway liegt, dann bin ich auch vorne mit dabei."

Schwinger Club Vol. 3: 'Der ist niemals original von Steiff. Das mit dem Knopf im Ohr kommt hin, aber guck mal die Verfärbungen!'
'Der ist niemals original von Steiff. Das mit dem Knopf im Ohr kommt hin, aber guck mal die Verfärbungen!'
Parallelen zwischen Stefan, dem Handballer, und Stefan, dem Golfer, sind unverkennbar. Mit dem Kopf durch die Wand - so spielte er Handball und so spielt er auch Golf. "Ich musste erst lernen, dass man an dieses Spiel nicht mit Aggression herangehen kann, wozu ich nun mal sehr neige. Es kam früher öfter vor, dass ich nach einem schlechten Schlag vor Wut den Schläger zerdeppert habe. Aber man lernt schnell, dass dann beim nächsten Schlag überhaupt nichts mehr läuft."

So wird auch klar, warum jemand, der einen nachweislich extrem harten und körperlichen Sport auf Weltniveau betreibt, Spaß am Golfen findet. "Zu meiner aktiven Zeit war es der perfekte Ausgleich zum Handball: Auf der einen Seite gab es den vollen Kontakt und eine Menge Aggression und auf der anderen Seite Golf. Als Profisportler braucht man so etwas. Manche gehen im Park spazieren und ich habe Golf entdeckt. Es war eine gute Möglichkeit runterzukommen."

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Seine Spieltaktik klingt jedoch nicht nach runterkommen. "Vorlegen macht mich absolut wahnsinnig. Es muss immer angegriffen werden." Und auch der Kontakt mit Golferinnen jenseits der 50 stellt Stefans Seelenbalance auf die Probe. "Es macht mich fertig, wenn ich mit einer älteren Frau spiele, die den Ball nur 50 Meter nach vorne bewegen kann, am Ende aber mit weniger Schlägen im Loch ist. Da könnte ich durchdrehen." Auch sechs Jahre nach Beendigung seiner aktiven Handballkarriere steht für Stefan der Wettkampfgedanke im Vordergrund. Und nirgendwo kann er den besser ausleben als auf dem Golfplatz. Verlieren? Das war als Handballer das Schlimmste und auch als Golfer ist das keine Option.

"Wenn man als Leistungssportler in seinem Sport alles erreicht hat, ist es eine Herausforderung, im Alter mit einer neuen Sportart zu beginnen, in der man eigentlich nicht zu Hause ist. Erfolge in diesem neuen Umfeld feiert man dann auf ganz andere Art und Weise." Die Frage nach der sportlichen Leistung, die ihn am meisten stolz gemacht hätte, beantwortete er einmal mit: "Das erste Birdie beim Golf." Erstaunlich für einen der erfolgreichsten Handballer, die Deutschland je hervorgebracht hat! Stellt sich die Frage, wie er sein erstes Eagle wohl feiern wird, wenn ein Birdie bereits ein solch einschneidendes Erlebnis gewesen ist. "Dann lass ich mir ein neues Tattoo stechen. Einen Adler. Keinen René Adler, aber einen Adler." War auch das ein Witz? Stefan lacht jedenfalls und greift zum nächsten Range-Ball.

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