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Schwinger Club Vol. 32

ARD-Moderatorin Julia Scharf

Von Fritz Lüders, Fotos: Patrick Runte

Wer mit Moskitohut ein WM-Spiel moderiert, auf Skiflugschanzen Interviews führt und in einer Fernsehsendung Golf lernt, wird mit Kusshand in unseren Schwinger Club aufgenommen. Vom passenden Namen mal ganz zu schweigen...

Wenn Frauen über Fußball reden, gehen Männer in die Angriffsstellung, umkreisen ihre Beute wie hungrige Haie, um beim kleinsten Fehler zuzubeißen. Das war schon bei Carmen Thomas 1973 so, die nur kurze Zeit nach ihrem Versprecher "FC Schalke 05 gegen - jetzt hab ich's vergessen - Standard Lüttich" aus dem Sportjournalismus verschwand. Und das ist auch heute noch so, wie die WM 2018 und der Shitstorm gegen Claudia Neumann zeigen. Während die Journalistin Spiele im ZDF kommentierte, forderten zahlreiche Männer auf Twitter, sie solle doch lieber Kochsendungen oder das Wetter moderieren. Solche Attacken über soziale Netzwerke kennt auch Julia Scharf, "Sportschau"-Moderatorin und seit diesem Jahr ebenfalls bei der WM im Einsatz. "Sicher werden Frauen und Männer im Fußball anders bewertet", meint sie. "Bei Frauen sind es Fehler, bei Männern nur Versprecher." Doch lösen unangebrachte Reaktionen und Hasskommentare bei der 37-Jährigen nicht viel aus. "Meine Haltung dazu hat sich etwas geändert", sagt sie. "Die Leute, die sich bei der WM so massiv aufregen, schauen anscheinend sonst kaum Fußball. Claudia Neumann kommentiert seit Jahrzehnten. Dass plötzlich so geschimpft wird, zeigt, dass immer noch ein paar Unverbesserliche den Fußball für sich behalten wollen und ein Problem damit haben, dass nun auch Frauen in dieser letzten Männerbastion ein Wörtchen mitreden. So what?"

Schwinger Club Vol. 32: Brutale Trainingsmethode: Wer schlecht abspringt, bekommt Schläge
Brutale Trainingsmethode: Wer schlecht abspringt, bekommt Schläge

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BEIM SKISPRINGEN IST DIE ATMOSPHÄRE MIT FUSSBALL VERGLEICHBAR. ERSTAUNLICHERWEISE REGT SICH DA KEINER ÜBER PYROS AUF
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Julia Scharf, die ihre Karriere 2008 im DSF startete und später zu Sport1, der ARD und dem SWR wechselte, zog selber bei der diesjährigen DFB-Pokal-Auslosung den Ärger der Leipziger Fußballfans auf sich. Der Grund: Die Moderatorin sprach in der Live-Sendung über die Entstehungshistorie der BSG Chemie, "die unter anderem aus Lok Leipzig hervorging". Nicht falsch, höchstens ungenau war ihre Anekdote, schließlich ist der FC Lok Leipzig der Stadtrivale von BSG Chemie, die wiederum aus dem fast gleichnamigen SC Lok entstanden. Für einen Shitstorm reichte es trotzdem. "Fußball ist halt wahnsinnig emotional", weiß Julia Scharf. "Wenn sich Fans bestimmter Vereine getroffen fühlen, hauen sie drauf." Dabei wollte sie eigentlich das Gegenteil bewirken: "Ich bin im Osten geboren und freute mich total, dass Ostclubs im DFB-Pokal vertreten sind. Vielleicht stand alles etwas zu ausführlich auf meinem Zettel und mir rutschte dann dieser Halbsatz raus, der natürlich bei den Fans blöd ankam."

Allein bei Twitter hat die Sportexpertin, die ihre sozialen Netzwerkkanäle selber pflegt, 150.000 Follower. So bekommt sie alles mit: die Hasskommentare, aber eben auch die größtenteils positive Unterstützung. Und nur wenige Wochen nach der DFB-Pokal-Auslosung hagelte es Daumen und Herzen von ihren Fans, als sie bei dem WM-Vorrundenspiel Tunesien gegen England im Moskitohut moderierte. Wolgograd, der Austragungsort des Spiels, wurde von einer Mückenplage heimgesucht. Folgerichtig griff die zweifache Mutter zu dem Insektenschutz, den sonst nur Imker oder paranoide Dschungeltouristen tragen. "Meine Kollegen und ich sahen in der Stadt viele Leute mit solch einem Hut herumlaufen. Es war eine Gemeinschaftsidee, diesen für die Sendung zu nutzen. Nur für die Schlagzeile wollte ich es nicht machen." Schlagzeilen gab es trotzdem, weltweit und durchweg positiv. Gleichzeitig war der Schutz auch praktisch: "Harry Kane sagte mir nach dem Spiel, dass ihm sogar Insekten in den Mund und die Augen geflogen seien."

Schwinger Club Vol. 32: Falsch gepackt: nicht das richtige Werkzeug zum Skispringen
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Doch nicht nur wegen dieser Aktion wurde Scharfs Auftritt bei der diesjährigen WM gelobt. Empathisch sei sie, da waren sich alle einig. Hält sie das Mikrofon, würden die Kicker nicht beleidigt oder gar stur reagieren. Dabei sind Fußballer nicht die einfachsten Interviewpartner, das weiß die Wahl-Münchnerin nur zu gut. "Im Fußball hast du einen Querschnitt der Gesellschaft - sowohl unter Fans als auch Spielern. Intelligenz fehlt den Fußballern nicht, problematisch ist eher das Verhalten der Verbände und Vereine, die es uns Journalisten mit strikten Medienregeln schwer machen und vernünftige Gespräche kaum zulassen." Zwar schaffe es der eine oder andere schon mal, in 90 Sekunden etwas Überraschendes zu sagen, aber Plattitüden und uninteressante Antworten sind dennoch gang und gäbe. "Das muss man aber weniger den Spielern, sondern eher dem Mechanismus vorwerfen."

Anders ist es im Wintersport, wenn Julia Scharf Skispringer und Abfahrtsläufer vor die Kamera holt. Der Grund: "Mannschaftssportler können sich in Sachen Medienarbeit hinter den Kollegen verstecken. Skispringer und andere Einzelsportler sind eigenverantwortlicher, müssen auf ihrem Weg zum Profi selber mehr in die Hand nehmen. Das macht sie reifer und lässt sie stärker reflektieren." Dabei muss Scharf, die selber begeisterte Wintersportlerin ist und nur 20 Minuten vom nächsten Lift entfernt lebt, im Schnee nicht auf die Stimmung verzichten, die sie aus den Fußballstadien kennt. "In Innsbruck gibt es zum Beispiel einen richtigen Kessel am Fuße der Schanze. Da ist die Lautstärke mit Fußballstadien vergleichbar. Erstaunlicherweise regt sich keiner über Pyros auf", lacht sie. "Ebenso in Polen, wo immer eine wahnsinnige Atmosphäre herrscht. Die polnischen Fans sind total skisprungverrückt."

Schwinger Club Vol. 32: Zog selbst bei Tom Kaulitz: Heidi Klums Tinder-Profilbild
Zog selbst bei Tom Kaulitz: Heidi Klums Tinder-Profilbild
Julia Scharf gehört vor die Kamera wie Michael Phelps ins Chlorwasser oder Jürgen Drews nach Mallorca. Kein Wunder, dass die sympathische Moderatorin deshalb auch im Fernsehen ihre Golfkarriere startete. Während es die meisten Anfänger wie die Pest hassen, auch nur einen einzigen Zuschauer bei ihren stümperhaften Versuchen dabeizuhaben, schaute ihr gleich ganz Deutschland zu, als sie zum ersten Mal zum Schläger griff. Schuld war die Premiere-Sendung "Time for Golf", moderiert von "Doppelpass"- Legende Jörg Wontorra, der einen Pro (unseren Schlägertester Jörg Vanden Berge), einen Promi (damals Oliver Kahn) und eine Amateurin (eben Julia Scharf) beim Golfspielen begleitete. Die Sendung trug Früchte und heute ist die Sportskanone nicht nur eine gestandene Golferin, sondern moderierte bereits den Solheim Cup 2015 in St. Leon-Rot. Somit sind ihre Hoffnungen wenig verwunderlich, dass sich ihre älteste Tochter "hoffentlich auch für Golf und nicht fürs Reiten entscheidet". Julia Scharf: "Ich werde probieren, ihr bei der Wahl etwas zu helfen", lacht sie.

Warum es Golf im Vergleich zu anderen Sportarten nur selten ins öffentlich-rechtliche Fernsehen schafft, ist für die Medienexpertin offensichtlich. Schließlich schrieb sie über Randsportarten im TV ihre 200-seitige Diplomarbeit. "Bei allen Sportarten braucht es ein paar Faktoren, um im deutschen Fernsehen zu bestehen", erklärt sie. "Nationale Erfolge, Helden des Sports, kurze Wettkampfformate, einen überschaubaren Ort des Geschehens, unkomplizierte Regeln und viel Historie."

Schließlich wollen viele Sportarten übertragen werden und ein sechsstündiges British-Open-Finale kann in einem Vollprogramm, wie es die ARD hat, nicht untergebracht werden. "Besonders bei den Regeln ist Golf viel zu kompliziert", sagt Scharf. "Deswegen funktioniert Fußball so gut, denn auch wenn man nicht mit Guardiola über Taktik fachsimpeln kann, versteht jeder das Spiel sofort: Der Ball muss ins Tor." Golf ist schwieriger, komplexer. "Und die Historie ist ein Knackpunkt. In Großbritannien oder den USA funktioniert Golf so gut, weil die Enkel mit ihren Großeltern mitgehen, in kurzen Hosen spielen können und keine Platzreife brauchen. Das schafft die Basis an Menschen, die das Spiel verstehen. Da haben wir in Deutschland leider immer noch eine Barriere." Dass es die European Tour vermehrt mit innovativen Formaten probiert, findet die Moderatorin super. Dennoch warnt sie vor einer Gratwanderung: "Bei traditionellen Turnieren macht man es für die Sportler fair, aber für die breite Masse zu langwierig und kompliziert. Bei den modernen Formaten wie den GolfSixes ist es umgekehrt. Dieser Konflikt, Sportler und Fans zufriedenzustellen, besteht immer und in allen Sportarten. Ich bin der Überzeugung, dass die Mischung aus beiden Turnierformaten - traditionellen Majors und modernen Alternativen - am besten funktioniert." Das sehen wir genauso. In diesem Sinne herzlich willkommen im Schwinger Club, Julia Scharf!

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