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Golfpunks dieser Welt

Ken Venturi

Von Janek Weiss, Fotos: Getty Images

Vom schweigsamen Einzelgänger zur Stimme des Spiels: Ken Venturi - die unwahrscheinliche Geschichte eines Lebens für den Golfsport.

An einem Nachmittag in San Francisco 1944 erfährt die Mutter von Kenneth Paul Venturi von einem seiner Lehrer, dass ihr Sohn nie richtig werde sprechen können. Der zu der Zeit 13-Jährige leidet unter einer ausgeprägten Form des Stotterns und ist daher ein schweigsames und introvertiertes Kind. Auf die Frage seiner Mutter, was er denn nun tun werde, antwortete ihr am 15. Mai 1931 geborener Sprössling, dass er den einsamsten Sport überhaupt wählen würde, schnappte sich von einem Nachbarn einen Satz Hickory-Schläger und spazierte zum vier Meilen entfernten Harding Park Golf Course, wo er zu der Zeit bereits als Caddie arbeitete, gelegentlich Bälle schlug und seine erste Runde Golf spielte. Sein innerer Antrieb wurde zur brennenden Leidenschaft, als sein großes Idol Lord Byron Nelson 1946 die San Francisco Open gewann. Zu Hause berichtete er seiner Mutter, dass er den größten Golfer gesehen habe und er werden wolle wie dieser.

Ken Venturi ließ in der Folge sein Spiel sprechen - lauter, als es seine Stimme damals leisten konnte: City Amateurs, State Amateurs, San Francisco High School Championships - der junge Venturi wurde zu einem herausragenden Amateurgolfer. Und wäre doch fast als Centerfield bei den New York Yankees gelandet. "Ich hatte mit 18 einen Vertrag und Joe DiMaggio war mein Mentor." Nach einer Nacht des Grübelns entschied sich Venturi jedoch endgültig, mit Golf seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Siege folgten und der junge Mann glaubte, großartig zu sein. Nur am heimischen Esstisch nicht, denn dort sollte der aufstrebende Venturi eine wichtige Lektion lernen. "Als ich meinem Vater erzählte, wie gut ich war und was ich schon alles gewonnen hatte, schaute der mich an und sagte: ,Sohn, wenn du gut bist, dann erzählst du es den Leuten; aber wenn du wirklich großartig bist, werden sie es dir sagen."

In den frühen 1950er-Jahren sollte dann ausgerechnet sein großes Idol dazu beitragen, Venturis Spiel auf ein neues Level zu hieven. Trotz einer gerade gespielten 66er-Runde schleppte Lord Byron den Jungen anschließend auf die Range und änderte alles: vom Stand über den Griff bis hin zum Durchschwung. "Halte dich an die Anweisungen und du wirst ein großartiger Golfer", erinnerte sich Venturi an diese Begegnung. Die beiden sollten zeitlebens Freunde bleiben. "Er wurde zu meinem zweiten Vater."

Neben dem Erfolg auf dem Golfplatz half ihm der Sport auch, das Stottern langsam, aber nachhaltig in den Griff zu bekommen. Er habe täglich vor dem Spiegel geübt und schwierige Worte vermieden - mit den Erfolgen wuchs auch sein Selbstvertrauen. Dennoch wurde er in der Wahrnehmung Fremder oftmals für sehr arrogant gehalten. Da ihm das Sprechen trotz aller Fortschritte schwerfiel, antwortete er auf Fragen, wer denn gewinnen würde, meist mit einem kurzen: "Ich." In einem Interview räumte er Jahre später ein, dass er sich nicht zugetraut habe, ausführliche Antworten zu geben, ein kurzes "Ich" leichter über die Lippen gekommen sei und er so die Peinlichkeit des Stotterns umschiffen wollte.

Am Spiel des Ken Venturi sollte es jedoch keine Zweifel geben und im Jahr 1956 konnte es erstmals die landesweite Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als er als Amateur beinahe das Masters in Augusta gewinnen konnte.

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ICH GLAUBE NICHT DARAN, DASS MAN BESSER ALS JEDER ANDERE SEIN MUSS. VIELMEHR DENKE ICH, MAN SOLLTE BESSER SEIN, ALS MAN SELBST JE GLAUBTE, SEIN ZU KÖNNEN.
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Gerade 24 Jahre alt führte er nach jeder Runde und war drauf und dran, der erste Amateur zu werden, der auf den heiligen Grüns des Augusta National des Grüne Jackett gewinnen konnte. Doch eine katastrophale Schlussrunde von 80 Schlägen war selbst für die vorher erspielten vier Schläge Vorsprung zu viel. Ihm fehlte schlussendlich ein Schlag auf den Sieger Jack Burke jr. Bis heute ist kein Amateur auch nur annähernd so nah an einen Masters-Sieg gekommen wie Kenneth Paul Venturi.

Der Stotterer war dennoch in der Weltspitze angekommen, respektiert und trotz seines Amateurstatus als ernst zu nehmender Golfer geachtet. Neben Lord Nelson sollte ein anderes Schwergewicht der PGA Tour jener Jahre zu seinen engsten Freunden werden: Ben Hogan. "Wir waren beide keine Männer großer Worte, ein kurzes Nicken nach guten Schlägen, das war's. Was hätte man auch sagen sollen?" Die beiden verstanden sich. Noch im hohen Alter referierte Venturi über die Ansicht Hogans, dass es drei Wege gebe, seinen Gegner zu schlagen: "Spiele besser. Sei im Kopf schneller. Funktioniert beides nicht, dann verunsichere ihn." Und dass er verstanden hatte, diese Worte umzusetzen, sollten ausgerechnet seine beiden Idole, Freunde und Lehrmeister noch im gleichen Jahr am eigenen Leib erfahren.

Was war passiert? Eddie Lowery, berühmt als der damals zehnjährige Caddie des US Open Champion Francis Ouimet, der 1913 sensationell als Amateur die offene US-Meisterschaft gewinnen konnte und mittlerweile ein vermögender Autohändler war, forderte seinen Millionärskumpel George Coleman zu einer Wette auf. Lowery behauptete, dass die Top-Amateure Harvie Ward und eben Venturi in einem "Best Ball Match" unbezwingbar wären. Coleman akzeptierte die Wette und tauchte am Folgetag um zehn Uhr in der Früh mit den beiden besten Golfern der Zeit am ersten Abschlag auf: Ben Hogan und Byron Nelson. Dieses Duell wurde als "The Match" berühmt-berüchtigt. Mark Frost schrieb das legendäre Buch über diesen Tag, der Golf für immer verändern sollte. Selbstredend gewannen die beiden Amateure die epische Schlacht und für Venturi war es nun an der Zeit, zu den Profis zu wechseln.

Dass er auf die Tour gehörte, war schnell klar. Der junge Kalifornier gewann nicht nur Turniere, er gewann sie reihenweise. Zwischen 1957 und 1960 sammelte er zehn Trophäen.

Einem Sieg in Augusta kam er noch zweimal sehr nahe, wurde aber jeweils von Arnold Palmer abgefangen. Dass er auch bei den übrigen Major-Turnieren einige Male knapp scheiterte, geschenkt - es schien nur eine Frage der Zeit, bis er sich auch dort in die Siegerlisten eintragen würde.

Venturi hatte keine Scheu und zeigte keinen Respekt vor den etablierten Stars der Tour - nicht einmal vor Sam Snead. Als er in Milwaukee mit dem "Slammer" auf die Runde ging, hatte Venturi bereits fünf Schläge Vorsprung. An Loch 9 war dieser Vorsprung jedoch aufgebraucht und Snead nahm ihn beiseite: "Junge, wirst du dich jetzt weiter durch die Runde zittern?" Das war ein gewaltiger Fehler. Die nächsten sieben Loch spielte Venturi fünf unter Par und am Ende der Runde hatte er sich seinen Vorsprung zurückgeholt. Ken baute sich vor Sam auf und blaffte: "Wehe, du wagst es, mir noch einmal zu sagen, ich würde unter Druck zusammenbrechen!" Von diesem Tag an soll Sam Snead jedem geraten haben, Venturi bloß in Ruhe spielen zu lassen und ihn nicht zu provozieren - ganz so, wie es die meisten Spieler auch mit Ben Hogan hielten. Ken Venturi war auf dem Weg, ein Superstar zu werden, auf einer Stufe mit Jack, Arni, Sam und seinen beiden Mentoren. Dazu zählten neben den Granden des Spiels Frank Sinatra und Dean Martin zu seinen engen Freunden. Manchmal aber kommt es eben anders und das, als man denkt.

Golfpunks dieser Welt: Golfpunks dieser Welt:
Ein Autounfall im Jahr 1961 wurde zu einer ersten Zäsur in seiner Karriere. Obwohl er nur leicht verletzt war, verließ ihn sein Schwung. Venturis Spiel baute rapide ab und es schien, als sollte er sich nicht wieder erholen. Zu seiner Überraschung zeigte die Formkurve zu Beginn des Jahres 1964 jedoch wieder nach oben und bei den US Open jenen Jahres gelang ihm einer der unwahrscheinlichsten Siege in der Geschichte des Golfsports. Was sich an diesem Sonntag, den 20. Juni 1964, im Congressional Country Club in Bethesda, Maryland, abspielte, gehört zu den legendärsten Momenten der Golfgeschichte. Nach zwei Runden lag Venturi sechs Schläge hinter der Spitze. Da damals am Finaltag noch 36 Loch gespielt wurden, lag ein Marathontag vor den Spielern. Und die Bedingungen waren brutal. 40 °C im Schatten bei gnadenloser Luftfeuchtigkeit. Raymond Floyd, der die letzten beiden Runden mit Venturi spielte, erinnerte sich später, dass dessen Shirt bereits klitschnass gewesen sei, obwohl er gerade erst ins Freie getreten war. Venturi, der nichts zu verlieren hatte, feuerte auf den ersten neun eine 30 und lag plötzlich in Schlagdistanz. Seine 66 (-4) brachte ihn auf zwei Schläge heran. Eine noch bessere Runde verhinderten zwei späte Bogeys. Venturi konnte zu dem Zeitpunkt kaum noch stehen, geschweige denn seinen Putter halten. Sein Spielpartner musste auf den letzten Bahnen seinen Ball aus dem Loch holen, da Venturi, permanent dem Kollaps nahe, kaum noch laufen konnte. Direkt nach der Runde wurde er vom Turnierarzt ins Clubhaus gefahren. Der Mann war extrem dehydriert, fiel in der Kabine in Ohnmacht und war kaum anzusprechen. Wenn er keinen Herzinfarkt riskieren wolle, so der Arzt, müsse er aufgeben. Wie er später immer wieder in Interviews erzählte, hatte er an die finale Runde keinerlei Erinnerung. Venturi taumelte über den Kurs, wankte und schlich von Schlag zu Schlag. Ob Omen oder nicht, er trug an jenem Tag eine weiße Schiebermütze ā la Ben Hogan und brachte eine Even Par 70 ins Clubhaus. Gut genug für vier Schläge Führung und sein Gesamt-Score von -2 war das einzige Ergebnis unter Par. "Oh mein Gott, ich habe die US Open gewonnen", stammelte er im Anschluss ungläubig. Was für ein Comeback vier Jahre nach seinem letzten Toursieg! Dass er überhaupt erst durch die mühseligen Qualifikationsturniere musste, um ins Starterfeld zu gelangen, machte den Sieg noch ein Stück bemerkenswerter. Er sollte später zugeben, dass er schlicht vergessen hatte zu trinken, da er so auf sein Spiel fokussiert gewesen sei. Als Raymond Floyd die Scorekarte unterschreiben wollte, stellte er fest, dass Venturi nicht mitgeschrieben hatte, umarmte ihn unter Tränen und füllte schnell die Karte aus. Erst bei der Abgabe kam der völlig entkräftete Venturi wieder zu sich, saß eine gefühlte Ewigkeit im Zelt der Spielleitung und konnte einfach nicht unterschreiben. "Ich wusste, dass ich nur noch verlieren konnte, sollte ich eine falsche Karte unterzeichnen." Erst als der Turnierdirektor versicherte, dass alles korrekt sei, unterschrieb er und war auch offiziell US Open Champion.

Venturi, gerade 33, war zurück, gewann noch zwei weitere Turniere im gleichen Jahr. Er wurde Spieler des Jahres, "Sports Illustrated Man of the Year", war für den Ryder Cup 1965 qualifiziert und doch war es nur ein Strohfeuer. Kurz nach dem Triumph wurde bei ihm das sogenannte Karpaltunnelsyndrom in seinen Handgelenken diagnostiziert. Eine Nervenkrankheit, die zu Taubheit und Bewegungsunfähigkeit in den Händen führen kann. Eine Operation brachte kurzfristig etwas Linderung und 1966 gewann Ken Venturi sein 14. und letztes Turnier - zu Hause im Harding Park, dort, wo alles begann. "Es war mein letztes Hurra", das passende Ende einer professionellen Karriere, die nur zehn Jahre währen sollte. Der Zustand seiner Hände ließ das Golfspielen auf höchstem Niveau nicht mehr zu und 1970 mussten seine Hände, wie er sagte, "komplett neu aufgebaut werden".

Venturi wurde nach seinem Rücktritt 1967 der führende Golfanalyst für CBS. Es ist eine ironische Wendung des Schicksals, dass er das Spiel, das er für sich entdeckte, weil er nicht sprechen konnte, zu früh an den Nagel hängen musste, um dann beruflich über das Spiel zu sprechen. Und das 35 Jahre lang. Es ist die längste Kommentatorenkarriere in der Geschichte des Sportfernsehens. Als er seinem Vater von seinen Rücktrittsplänen berichtete, sagte dieser: "Es ist okay. Du hast gezeigt, dass du wirklich großartig bist!" Ken Venturi hatte so seinen Frieden mit dem verfrühten Karriereende gefunden. Jim Nantz, seit Mitte der 80er-Jahre ebenfalls bei CBS, sagte einmal, dass Kenny immer klang, als säße er gemütlich in seinem Wohnzimmer, er war einfach sehr gesprächig. Seine bodenständige Art kam bei Fans wie Spielern gleichermaßen gut an. Kenneth Paul Venturi, der Stotterer und als Kind schweigsame Einzelgänger, wurde zur Stimme des Spiels.

Ken Venturi bleibt unvergessen, auch wenn er auf dem Platz nicht annähernd erreichte, was mit seinem Talent möglich gewesen wäre und er stattdessen als Kommentator des Spiels zur Ikone wurde. Für diese Lebensleistung auf und neben dem Platz wurde er kurz vor seinem Tod am 17. Mai 2013 in die "World Golf Hall of Fame" auf genommen. Wie er sagen würde: "Das Schicksal findet eben immer einen Weg."

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