Sandra Gal: Ehrlich gesagt war es für mich ganz gut, denn im Februar oder März, als es wieder losgehen sollte, war ich noch nicht zu 100 Prozent bereit, wieder zu spielen. In gewissem Sinne war die Corona-Pause also positiv für mich, da sie mir die Möglichkeit gegeben hat, noch ausgiebiger zu trainieren und auch an Aspekten zu arbeiten, die man im Alltag gerne vernachlässigt. Dann kam im Sommer eine kleine Verletzung dazu, die mich um zwei Monate zurückgeworfen hat. Aber nun bin ich wieder komplett fit und fühle mich auch so.
Wie sah dein Umgang mit der plötzlich im Überfluss vorhandenen Freizeit aus: Trainingsfleiß oder Couch?
Während des Lockdowns war ich in Deutschland, und da die Plätze gesperrt waren, konnte ich zu der Zeit nicht im Freien trainieren. Arbeit auf der Driving Range war erst nach Öffnung der Anlagen möglich. Abgesehen vom Golf war mein Leben zu der Zeit aber erstaunlich normal. All die Reisen fielen natürlich weg, was die Möglichkeit bot, mal etwas langsamer zu machen. Ich habe sehr viel gekocht und gebacken. Fitness war auch eine feste Größe im Tagesablauf. Es fühlt sich allerdings sehr merkwürdig an, wenn man nicht weiß, wann man wieder richtig trainieren kann.
Wie fühlen sich die ersten Schläge für einen Golfprofi an, wenn man wochenlang keinen Schläger geschwungen hat?
Ich habe jeden Tag Trockenübungen vor dem Spiegel gemacht, was wirklich sehr hilfreich war. Irgendwann habe ich mir dann ein Netz bestellt und bin damit in den Park gegangen, um endlich wieder Bälle schlagen zu können. Die Wochen haben mir gezeigt, dass es schon immer irgendwie geht, dass es sehr hilfreich ist, gezielter an Dingen zu arbeiten, und man gleichzeitig auch nicht jeden Tag Vollgas geben muss. Manchmal kann es gut sein, den Kopf frei von sämtlichen Schwunggedanken zu haben und einfach zu machen. Um das zu lernen, dazu war die Lockdown-Phase ideal.
Auf deinen Social-Media-Kanälen wird deutlich, dass du eine sehr positiv denkende Person bist. Golf ist aber ein Spiel, das wirklich an die Nieren gehen kann und es manchmal schwierig macht, positiv in die sportliche Zukunft zu blicken. Wie gehst du mit den negativen Einflüssen um, die Golf auf die Laune haben kann?
Das ist eine gute Frage, denn genau dieser Punkt war in den letzten Jahren schwierig für mich. Eine Trennlinie zwischen meinen Ergebnissen und mir als Person zu ziehen fiel mir schwer. Ich habe nun aber gelernt, diese beiden Dinge konsequent voneinander zu unterscheiden und mich als Person an die erste Stelle zu setzen. Die Ergebnisse auf der Tour sind mein Beruf, aber sie reflektieren nicht meine Person oder meinen Selbstwert. Leicht fällt solch eine Einstellung natürlich nicht, vor allem wenn man den Sport bereits von Kindesbeinen an betreibt und sich darüber definiert. Im Golf verliert man nun einmal deutlich öfter, als dass man gewinnt. Mir hat geholfen, mit Meditation anzufangen, im Moment zu bleiben und mir immer wieder klarzumachen, was mir Golf in jedem Augenblick geben kann. Ich weiß nun, worin die Freude und der Spaß beim Golf liegen.

»Abgesehen vom Golf war mein Leben zu der Zeit aber erstaunlich normal«
Absolut. Ich bin jetzt viel eher bereit, auch negative Erlebnisse auf dem Golfplatz anzunehmen, als vor 15 Jahren. Auch aus Runden, die absolut nicht zufriedenstellend waren, kann man positive Rückschlüsse ziehen und das fällt mir mittlerweile viel leichter.
Du hattest im März einen Autounfall, der alles andere als eine Kleinigkeit war. Was genau ist passiert?
Ja, das war ein traumatisierendes Erlebnis, mit dem ich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch einige Zeit zu kämpfen hatte. Ich habe mich an dem Tag nicht wohlgefühlt, war wohl einen Augenblick unachtsam, bin in eine Hauptstraße eingebogen und habe dabei einen großen Pick-up-Truck, der ein Boot zog, nicht bemerkt. Ich bin seitlich in das Boot gekracht und es war ein wirklich harter Aufprall.
Hast du dich ernsthaft verletzt bei dem Unfall?
Zum Glück saß ich in einem Mercedes GLS, einem auch für amerikanische Verhältnisse nicht gerade kleinen Auto. Der Wagen hat dank der Sicherheitssysteme die Situation erkannt und von allein richtig hart gebremst. Das hat mich gerettet. Ich hatte ein blaues Bein vom Aufprall und war deshalb ein paar Tage ziemlich eingeschränkt. Alles in allem ist dieser Schock aber halbwegs glimpflich verlaufen.


Ja, es ist ein SUV und somit ein großes Auto. Damit fühle ich mich auf amerikanischen Straßen am sichersten. Natürlich gibt es von Mercedes auch sehr schöne Sportwagen, aber das sind Autos für meine Zeit in Europa. In Amerika muss etwas Großes her und darüber hinaus hat ein SUV natürlich Vorteile, was den Stauraum angeht, wenn man regelmäßig eine Menge Golf-Equipment transportiert.
Wie wird dein Alltag in den kommenden Monaten aussehen? Wie planst du die unplanbare Saison?
Das ist wirklich schwierig. Ich habe mich viel mit der mentalen Seite meines Spiels beschäftigt und beispielsweise Qigong und Tai-Chi gemacht. Der Alltag besteht daher aus einem Mix aus Familie, Freunden, Training, mentalem Training und natürlich meinem Hund. Er wohnt bei meinen Eltern in Prag und so oft wie dieses Jahr habe ich ihn schon lange nicht mehr gesehen.
Von Zeit zu Zeit müsst ihr euch als Profispielerinnen den üblichen Quatsch einiger Twitter-User anhören à la ein Handicap-4-Spieler würde auf der LPGA Tour reihenweise Turniere gewinnen. Nimmst du solchen verbalen Dünnpfiff ernst oder prallt das an dir ab?
[lacht laut] Nein, das kann nun wirklich niemand ernst nehmen! Stell dir mal vor: Handicap 4... [lacht]
Die im TV übertragenen Charity-Events während des Lockdowns wie beispielsweise in Seminole haben gezeigt, dass ein echter Appetit nach alternativen Formaten besteht. Wäre ein TV-Golf-Event wie "The Battle of the Sexes" nicht großartiges Entertainment?
Absolut! Ich denke auch, dass so etwas großartig funktionieren würde, und es war echt schade, dass bei den Charity-Matches keine Frauen dabei waren.
Gab es denn von Seiten der LPGA bereits Ideen in Bezug auf ein Frauen-versus- Männer-Turnier, die an euch herangetragen wurden?
Ja. Ich weiß, dass die LPGA daran arbeitet, ein Turnier auf die Beine zu stellen, bei dem beide Geschlechter antreten. Das wird dann aber eher ein Mixed-Team-Event sein. Von einem Format, bei dem Frauen gegen Männer spielen, habe ich noch nichts gehört, aber ich fände es richtig cool.

Oh ja, das war ganz toll. Wir haben alle zusammen ewig auf Sophia im Hotel gewartet, denn sie musste natürlich noch unzählige Interviews geben. Als die Medientermine erledigt waren, wurde zuerst eine Flasche Champagner geköpft und danach haben wir lange zusammengesessen und über alles Mögliche geredet. Sophia kamen in dieser Runde noch mal die Tränen, schließlich war es wirklich ein harter Weg für sie bis zu diesem Sieg. Wir waren alle unheimlich inspiriert und gerührt von ihren Worten und es ist keine Untertreibung, wenn ich sage, dass die Stimmung unter uns sehr kameradschaftlich ist. Ich sehe Sophia während des Turnieralltags nicht wirklich oft, und wenn, dann hatte ich bisher immer eine Art Kleine-Schwester-Gefühl ihr gegenüber.
Kannst du aus solch einer Geschichte auch Motivation für die eigene Karriere schöpfen?
Ja, auf jeden Fall. Es gibt auf der LPGA wie auch in anderen Sportarten Namen, die ständig gewinnen. Aber ab und zu gibt es dann plötzlich eine Gewinnerin, die völlig unerwartet großartig spielt. Die Inspiration, die ich daraus schöpfen kann, ist, dass es tatsächlich immer geht, ganz nach oben zu kommen, wenn die Einstellung stimmt.
Hast du während dieser Woche etwas an ihr oder an ihrem Spiel bemerkt, das den Ausschlag gegeben und aus dem Nichts kommend einen Major-Sieg möglich gemacht hat?
"Aus dem Nichts kommend" ist nicht ganz richtig. Von außen betrachtet mag das vielleicht so aussehen, aber intern war das nicht so verwunderlich. Sophia hatte jahrelang mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und konnte erst in den vergangenen beiden Jahren wirklich beschwerdefrei Golf spielen. Sie hatte in den Wochen vor der Open sehr gut gespielt und auch Turniere gewonnen. Das waren zwar Mini-Tour-Events, aber genau so baut man Selbstvertrauen auf. Was ich mir daraus mitnehmen würde, ist die Tatsache, dass nach einer langen Zeit auf der großen Tour ein Ausflug auf eine Mini-Tour großartig sein kann, um das Gefühl, einen Putt zum Sieg zu haben, erleben zu können. Auf der LPGA Tour hat man dieses Gefühl nicht wirklich oft und auch das Siegen muss man lernen.

STECKBRIEF
Name: Sandra GalAlter: 35 Jahre
Geburtsort: Düsseldorf
Wohnort: Orlando, Florida
Profi seit: 2007
Lieblingsteam: Florida Gators
Erfolge
2011 1. Kia Classics (LPGA Tour)
2012 3. US Women's Open (MAJOR)
2018 T3 Walmart NW, Arkansas Championship (LPGA Tour), T5 Shoprite LPGA Classic (LPGA Tour)
Seit 2008 30 Top-Ten-Platzierungen (LPGA Tour)
Du warst 2016 in Rio bei Olympia mit dabei. Hattest du Tokio 2020 vor der Absage auf dem Radar?
Natürlich hatte ich Olympia auf dem Radar, aber einen Startplatz zu erkämpfen wäre sehr schwierig gewesen, da meine Qualifikationszeit aufgrund meiner Verletzung sehr kurz war. Durch die Verschiebung habe ich nun eine bessere Chance, mich doch noch für Tokio zu qualifizieren.
Sind die Olympischen Spiele für dich ein wichtiges Turnier im Kalender oder am Ende doch mehr ein Bonus für erbrachte Leistungen?
Eine Olympia-Teilnahme ist eine riesige Ehre. Ich selbst kann nicht mehr tun, als gutes Golf zu spielen, und die Teilnahme nicht erzwingen. Die Woche in Rio war fantastisch und eine großartige Erfahrung. So etwas erlebt man mit viel Glück nur ein- oder zweimal im Leben.
Was ist denn deine schönste Erinnerung an die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016?
Das Gefühl, mitten unter so vielen Athleten zu sein, war toll und natürlich auch die Möglichkeit, viele andere deutsche Sportlerinnen und Sportler kennenzulernen. Bei der Eröffnungsfeier konnte ich damals leider nicht mit dabei sein, weil wir erst später anreisten. Das würde ich in Tokio, wenn es geht, gerne nachholen.