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Roadtrip

Und (schon) wieder 48 Stunden

Von Rudi Schaarschmidt, Fotos: Frank Reichert, PR

Für Nick Nolte und Eddie Murphy standen Rocker und Drogen im Drehbuch. Mein Kumpel Frank und ich sind in zwei Tagen dagegen auf Fußball und Golf aus - und zwar vom Allerfeinsten.

Steve Jobs hat einmal gesagt, Zeit sei die wertvollste Ressource, die wir haben. Vom römischen Philosophen Lucius Seneca stammt diese Weisheit: "Es ist nicht so, dass wir wenig Zeit haben, sondern eher, dass wir viel davon verschwenden." Deshalb habe ich einen todsicheren Plan ausgeheckt, wie man ein Maximum an großartigen Erlebnissen in so wenig Zeit wie möglich packt: einen Buddy und Golfschläger ins Auto laden, nach Südengland düsen, ein Premier-League-Topspiel live im Stadion erleben, einen altehrwürdigen British-Open-Golfplatz spielen, nach 1.300 Kilometern wieder in Köln ankommen - und das alles in weniger als 48 Stunden! Perfekter kann man zwei Tage nicht ausfüllen! Oder wie ein Kollege, der ungenannt bleiben möchte, diesen krassen Roadtrip treffend beschrieb: "More goes not!"

Meine Eltern hatten mich im frühen Teenageralter (wir reden hier tatsächlich noch von den 80ern) in den Sommerferien für vier Wochen zu einer Gastfamilie ins britische Seebad Brighton geschickt, auf dass meine englischen Sprachkenntnisse das gewöhnliche Unterstufen-Schulenglisch übertreffen sollten. Das hat nicht funktioniert. Aber dafür war ich ein paar Mal im Stadion und bin glühender Anhänger des ortsansässigen Fußballclubs Brighton & Hove Albion geworden. Die "Seagulls" sind in den Folgejahrzehnten bis in die vierte Liga durchgereicht worden, in den letzten zehn Jahren aber wieder auferstanden. Tatsächlich ist aktuell die beste Zeit in der Vereinsgeschichte der Südengländer, die in dieser Saison sogar ans Tor zur Champions League klopfen.

Fußball und Golf, Golf und Fußball - dieser göttlichen Kombination lässt sich nirgends auf diesem Planeten besser frönen als auf der Insel. Dafür kann man dann auch schon mal am Sonntagmorgen um vier Uhr ins Auto steigen und gen Kanalküste brettern. Nach vier reibungslosen Stunden, in denen sich die beiden Nerds im Wagen sämtliche Fußball- und Golfquizfragen ausgedacht und beantwortet haben, sind wir in Calais angekommen und müssen am Terminal für den Eurotunnel noch etwas Zeit totschlagen, da man bei solchen Autofahrten mit einem Termin für den Autozug immer etwas Puffer einplant. Plötzlich steht ein kleiner Junge in einem Brighton-Trikot vor mir, der mich unschwer als Gleichgesinnten ausgemacht hat. Dann gesellt sich dessen Familie hinzu, die van Hecke heißt und denselben Weg hat wie wir. Tatsächlich handelt es sich um den Bruder und Neffen von Jan Paul van Hecke, dem niederländischen Innenverteidiger von Brighton & Hove Albion, der am gleichen Nachmittag mit seinem Team auf Tottenham Hotspur trifft. Nach der obligatorischen Fußball-Fachsimpelei fahren wir auf den Autozug, der in 35 Minuten unter dem Ärmelkanal hindurchfährt. Ein Trip wie in einer Zeitmaschine: Du fährst um 10:30 Uhr los und kommst um 10:05 Uhr an - let's do the time warp again!

Roadtrip:

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FUSSBALL UND GOLF, GOLF UND FUSSBALL - DIESER GÖTTLICHEN KOMBINATION LÄSST SICH NIRGENDS AUF DIESEM PLANETEN BESSER FRÖNEN ALS AUF DER INSEL.
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Da ich schon mehrfach mit dem Auto in England war, kostet mich trotz Linkslenker die Umstellung auf Linksverkehr nur noch ein müdes Schulterzucken, und so erreichen wir nach zwei weiteren Stunden Brighton in East Sussex, einen Traum von einer Stadt. Nicht umsonst hat sich König George IV. hier einen Landsitz bauen lassen. Das größte Seebad Englands mit seiner kosmopolitischen und weltoffenen Attitüde wird auch "London by the Sea" genannt. Viele Hauptstädter reisen am Wochenende oder in den Sommerferien die 80 Kilometer gen Süden ans Meer. An der Promenade stehen Palmen. Der Golfstrom sorgt für überwiegend mildes Klima. Auch für Nichtgolfer und Nicht-Fußballfans lohnt sich ein Trip an den Südzipfel Englands. Die Seebrücke Brighton Palace Pier, die über 500 Meter in den Ärmelkanal ragt, bietet einen Freizeitpark mit Bars, Restaurants, Fahrgeschäften, Spielautomaten und Liegestühlen. Unweit davon wartet der 162 Meter hohe Aussichtsturm i360, die zweithöchste begehbare Aussichtsplattform im Vereinigten Königreich, die aussieht wie ein Donut am Stiel. Ein Muss ist auch ein Bummel durch The Lanes: ein Gewirr aus kleinen Gassen mit Restaurants und Boutiquen im mediterranen Stil. Zum großartigen Kunst- und Kulturangebot der 280.000-Einwohner-Stadt zählt seit einigen Jahren auch der Fußballclub mit der Möwe im Wappen.

Fabian Hürzeler, der in der vergangenen Saison den FC St. Pauli in die Bundesliga führte, hat im Sommer 2024 den Brighton & Hove Albion FC übernommen und wurde so der jüngste Cheftrainer der Premier-League-Historie. Heute geht's also gegen Tottenham Hotspur, die zuletzt fünfmal in Folge siegreich waren, im einige Kilometer außerhalb gelegenen, wunderschön in die Hügellandschaft integrierten "Amex". Vor Spielbeginn wird noch Pascal Groß emotional verabschiedet. Der deutsche Nationalspieler ist nach sieben Jahren als Premier-League-Rekordtorschütze des Vereins und Clublegende zum BVB gewechselt. Ich habe schon viele Spiele der Blau-Weißen gesehen und kenne die Verantwortlichen ihrer Medienabteilung, die in mir mittlerweile einen Talisman sehen, da ich noch keine Niederlage erleben musste. Und jetzt das: 0:2 zur Halbzeit! Chancenlos! Aber: Wunder heißen Wunder, weil sie sich weder ankündigen noch vorhersehbar sind. All jene unter den 32.000 Fans, die aus Verzweiflung vorzeitig das Stadion verlassen, zahlen dafür einen gigantischen Preis. Alle anderen erleben in 18 unglaublichen Minuten einen dieser magischen Momente, in denen Wunschdenken anstelle der Logik tritt. Mit dem 1 : 2 direkt nach der Pause wechselt das Momentum, das Stadion erwacht. Mit dem 2:2 sind wir in einem Hexenkessel, der mit dem 3:2 förmlich explodiert. Was. Für. Ein. Comeback. Im Pressezentrum treffe ich nach den nervenaufreibenden 90 Minuten meine Freunde vom BHAFC. Auf meine Nachfrage, ob sie jemals gezweifelt hätten, obwohl sie wussten, dass ich da bin, ernte ich ungläubiges Kopfschütteln. Und die Moral von der Geschicht: Wunder kündigen sich vielleicht nicht an, aber es lohnt sich, auf sie zu warten. Mit zufriedener Fanseele machen wir uns auf die nächtliche Fahrt an die Ostküste ins Örtchen Sandwich, 20 Kilometer nördlich von Dover.

Es ist stockdunkel, als wir nachts im Regen einen kleinen Weg die Küste entlangfahren, der selbst als Einbahnstraße schon knapp bemessen wäre und trotzdem Gegenverkehr erlaubt. Wie, zum Geier, kann hier die Open ausgetragen werden mit den Riesentrucks der TV-Anstalten und all der Logistik und Infrastruktur eines Großereignisses, dem täglich bis zu 50.000 Zuschauer folgen? Nicht unser Problem. Wir befahren geschichtsträchtigen Boden. Erst passieren wir den Royal Cinque Ports Golf Club, Gastgeber der Open 1909 und 1920. Nur einen Kilometer weiter taucht in unserem Scheinwerferlicht ein aktuelles Mitglied der Open-Rota auf: Royal St. George's (15-mal Austragungsort, zuletzt beim Sieg von Collin Morikawa 2021). Neben dem 14. Abschlag des wohl prestigeträchtigsten Platzes der Gegend steht das ursprüngliche Clubhaus des kaum schwächeren Prince's Golf Club, das nach einem Brandschaden in eine gemütliche Lodge mit Pub, Restaurant und 38 Zimmern verwandelt wurde.

Roadtrip: BHAFC-Maskottchen und eine Möwe (r.)Roadtrip: BHAFC-Maskottchen und eine Möwe (r.)
BHAFC-Maskottchen und eine Möwe (r.)
Beim Absacker-Bierchen im Pub, in dem zahlreiche (größtenteils unterschriebene) Devotionalien von den Besuchen der größten Golfer unseres Planeten zeugen, erfahren wir von einer großartigen Sache: Im Juli wird das The Hagen 54 ausgetragen - ein offenes Turnier für jedermann, bei dem die drei benachbarten Links-Granaten innerhalb eines Tages gespielt werden. Die Idee geht auf den legendären Walter Hagen zurück, der sich während der British Open 1920 mit Jim Barnes eines Morgens auf den Weg machte, um die drei Plätze so zu spielen, als wären sie eins. "Nach elf Löchern auf Royal Cinque Ports sprangen wir über einen Zaun zum Royal St. George's und spielten dort zehn Bahnen, bevor wir alle Löcher des Prince's Links spielten und schließlich die restlichen Löcher der ersten beiden Plätze. Wir hatten Glück, dass wir so weit kamen", berichtet Hagen in seiner Biografie. Klingt wie gemacht für alle GolfPunks!

Am nächsten Morgen das nächste Wunder: blauer Himmel, Sonne und - Windstille! Der grün-braun-ockerfarbene Teppich des Prince's Golf Club liegt an dieser idyllischen Küstenlandschaft vor uns. 27 Löcher Championship-Links-Golf at its best aufgeteilt in die drei Neunlochschleifen Dunes, Shores und Himalayas. 1907 eröffnet und im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört wurde der Platz von 1950 bis 1952 wieder aufgebaut, wobei die meisten der ursprünglichen Grüns in das neue Design integriert wurden - auch wenn sie heute aus anderen Richtungen angespielt werden. Zudem gibt es seither keine blinden Abschläge oder Annäherungsschläge mehr. 2017 wurde der Platz von Martin Ebert noch einmal einer umfassenden Renovierung unterzogen. Von 2018 bis 2022 wurden hier die finalen Qualifikationsrunden für die Open gespielt.

Wir betreten den Platz, wie ein Autofreak sich einem Ferrari nähert. Aber im Gegensatz zur Verfallszeit blecherner Schönheit wird diese Herrlichkeit der Natur am Ärmelkanal mit den Jahren nur noch großartiger. Attraktivität hat aber stets auch ihre Macken: Zur Hochsaison kommt man erst für gut 200 Euro (am Wochenende: 225 Euro) mit dem netten Herrn im Pro-Shop für 18 Löcher ins Geschäft - was aber das deutlich günstigste Greenfee der drei Links-Plätze ist, die sich im Grunde nur unwesentlich voneinander unterscheiden. Royal St. George's weist etwas größere Höhenunterschiede auf und Royal Cinque Ports ist etwas enger als Prince's, aber alle liegen auf demselben großartigen Grund und Boden. Das golferische Schnöseltum bezahlt im Royal St. George's satte 415 Euro. Das Paradies ist bekanntlich auch nicht zu teuer mit dem Tod bezahlt. Dafür müssen die Bessergolfer in diesem deutlich steiferen Club auch ihr Krawättchen zum Anzug im Clubhaus anlegen.

Roadtrip:
Wir spielen im unprätentiöseren Prince's Golf Club bei Traumwetter und das Auftaktloch des Dunes-Kurses ist gleich ein richtiges Brett. Der Drive in ein Dogleg muss sitzen, sonst wird es haarig. Das Grün ist eine umgedrehte Suppenschüssel mit weitläufigen Auslaufzonen. Es sollte aber die kniffligste Aufgabe an diesem Tag bleiben. Wir spielen gutes Golf und haben einen Heidenspaß auf welligen Fairways mit vielen tückischen Topfbunkern sowie perfekt ondulierten und pfeilschnellen Grüns. Unser letztes Loch ist die 9 auf der Himalayas-Schleife mit dem vorgelagerten "Sarazen Bunker" zur Linken des Grüns. Der Amerikaner Gene Sarazen spielte bei der Open 1932 auf dem Weg zum Sieg einen Zauberschlag mit seinem neu erfundenen Sandeisen aus diesem Bunker, woran eine Gedenktafel auf den Holzplanken dieses riesigen Bunkers erinnert.

Nach der Runde trinken wir im Clubhaus mit Pressesprecher Joe Skendrovic und Club-Managerin Ali McGuirk noch ein letztes Pint. Sie erzählen uns von ihren anstehenden Aufgaben und wir lassen unsere Erlebnisse Revue passieren - ähnliche Gespräche haben hier sicherlich auch schon 1907 stattgefunden. Die anschließende Heimfahrt nach Deutschland ist deutlich anstrengender als die Hinfahrt, auf der die Vorfreude noch die große Antriebsfeder war. Um 22 Uhr mache ich in Köln den Motor aus und falle tot ins Bett. Mein anonymer Kollege hatte recht: More goes not!

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