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Bill Morgan Interview

Performance ist wichtiger als Distanz

Von Fritz Lüders

Wenn Titleist eine neue Version des Pro V herausbringt, werden traditionell die Massstäbe nach oben korrigiert und die geballte Golfwelt schaut auf die US-Firma. 2017 ist es wieder so weit. Höchste Zeit deshalb für ein Gespräch mit Bill Morgan, dem Entwickler des meistgespielten Golfballs der Welt.

Auf der einen Seite ist es nur ein kleiner Haufen Kunststoff, den man nach Belieben austauscht und nicht selten links oder rechts auf Nimmerwiedersehen ins Gehölz schlägt. Andererseits spielt die unbedeutend wirkende Kugel auf dem Platz die schillernde Hauptfigur - und hat manchmal die Macht, einen zur Weißglut zu treiben. Dass der Golfball-Entwicklung daher markenübergreifend viel Platz eingeräumt wird, ist selbsterklärend. Besonders Titleist hat die große Bedeutung der kleinen Produkte seit Jahrzehnten erkannt. Mit einem Team aus etwa 80 Ingenieuren und Forschern treibt das amerikanische Unternehmen die Weiterentwicklung der Bälle voran. Bill Morgan, R&D-Vizechef bei Titleist, beschreibt die neueste Generation der hauseigenen Verkaufsschlager Pro V1 sowie Pro V1x und wagt einen Blick in die Zukunft.

GolfPunk: Mit dem Pro V1 und Pro V1x bietet Titleist zwei Bälle an, die sich nicht nur vom Namen her sehr ähneln. Wie bekommt ein durchschnittlicher Spieler ohne Hightech-Geräte heraus, welcher Ball besser zu ihm passt?
Bill Morgan: Ich glaube fest daran, dass letztendlich nicht andere Geräte oder Personen für einen den richtigen Ball aussuchen sollten, sondern jeder dies am besten selber herausbekommt. Beim klassischen Fitting sind die äußeren Umstände nämlich andere als auf dem Platz. Matten, Monitore und Zielvorgaben lassen Menschen unterschiedlich spielen. Witzigerweise erlebten wir schon Golfer, die auf der Range gänzlich andere Schwünge zeigten als auf dem Platz.

Wie geht man also am besten vor?
Wir von Titleist versuchen stets, dem Spieler seinen normalen Schwung zu ermöglichen. Das bedeutet, er soll so spielen, wie er das für gewöhnlich auch auf dem Platz macht. Jeder sollte Schläge ausführen, die er sonst auf den reellen 18 Bahnen probiert. Das effektivste und einfachste Fitting-Programm ist wohl, zwei Bälle mit auf den Kurs zu nehmen und denselben Schlag mit beiden Varianten durchzuführen. Nach weniger als neun Loch weiß man dann, welcher der zwei besser zu einem passt.

Der Pro V1 befindet sich bereits in seiner zehnten Generation - was hat sich seit dem ersten Modell um die Jahrtausendwende verändert?
Wir testeten den allerersten Pro V1 damals mit verschiedenen Schlägern und Schwungtypen aus der Zeit. Vor allen Dingen designten wir aber Bälle für durchweg andere Golfer als heutzutage. Umfangreiche Testmöglichkeiten, auf die wir inzwischen zurückgreifen können, gab es ebenfalls nicht. Insofern kann man die Daten von damals und heute nur schwer miteinander vergleichen. Seit ein paar Jahren testen wir öfter alte Produkte mit den neuen Technologien und man sieht deutlich, dass diese wesentlich schlechter performen als die aktuellen. Das liegt hauptsächlich an veränderten Dimple-Designs und neuen Methoden, das Finish aufzutragen.

Bill Morgan Interview: Mit exakt identisch schlagenden Robotern wird in endlosen Testreihen die Konstanz des Ballflugs überprüftBill Morgan Interview: Mit exakt identisch schlagenden Robotern wird in endlosen Testreihen die Konstanz des Ballflugs überprüft
Mit exakt identisch schlagenden Robotern wird in endlosen Testreihen die Konstanz des Ballflugs überprüft

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GÄBE ES KEINE NORMEN, WÜRDE DIE PHYSIK DIE GRENZEN SETZEN.
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Sieht man auch Differenzen in der Distanz? Grundsätzlich wird ja erwartet, dass die Bälle immer weiter fliegen.
Man sieht sicherlich keine massiven Unterschiede in der Gesamtlänge, wenn man den Pro V1 von heute und den ersten von vor knapp 20 Jahren vergleicht. Man würde aber definitiv Differenzen in der Konstanz des Ballflugs sehen. Wissenschaftler und Experten fänden auch eine Menge Unterschiede in der Gesamtlänge, gewöhnliche Golfer aber wohl eher nicht.

Sie sagten, dass die Art des Finishs die Aerodynamik des Balls und somit seine Performance beeinträchtigt. Fliegt also ein gelber Ball schlechter als ein weißer?
Die Flugeigenschaften hängen weniger davon ab, welche Farbe benutzt wird, sondern vielmehr davon, wie man diese aufträgt. Im Falle des Pro V1 und des Pro V1x besteht das Finish aus drei Schichten und wird gemalt. Bestünde dieses aus nur einem Mantel, wäre die Aerodynamik anders. Würde man ihn fünfmal anmalen auch. Werden hingegen verschiedene Farben mit demselben Verfahren aufgetragen, bleiben die Eigenschaften nahezu gleich.

Wird denn auch an der chemischen Zusammensetzung der Farben gearbeitet, um die aerodynamischen Eigenschaften gegebenenfalls noch weiter zu verbessern?
Nein, die Moleküle der Farben haben nur einen sehr geringen Effekt auf die Performance in der Luft. Es ist vielmehr die aufgetragene Dicke und die Eigenschaft, wie sich die Substanz auf den Dimples absetzt, was ausschlaggebend ist.

Bei den Drivern gab es vor einiger Zeit mit den Metall-Exemplaren eine wahre Revolution der Schläger. Gibt es bei Bällen auch die Überlegung, gänzlich neue Materialien zu verwenden?
[lacht] Soll ich es wirklich verraten? Nein, nein, das kann ich nicht. Aber mal im Ernst: Die aktuellen Bälle sind so gut, dass dies eigentlich nicht notwendig ist. Das hält uns selbstverständlich nicht davon ab, nach neuen Materialien Ausschau zu halten, aber wir haben wirklich schon ein paar völlig verrückte Dinge gesehen. Gerade kleinere Marken probieren häufig ungewöhnliche neue Sachen aus - die funktionieren aber meistens noch schlechter. Natürlich ist auch bei den Bällen eine Revolution möglich, dafür arbeiten wir in der Forschung und Entwicklung. Man muss sich aber auch vor Augen führen, dass von 100 Experimenten 99 für die Katz sind.

Bill Morgan Interview: Für Bill Morgan ist die Länge nicht ausschlaggebend. 'Damit ich noch weiter im Aus liege?', scherzt er.
Für Bill Morgan ist die Länge nicht ausschlaggebend. 'Damit ich noch weiter im Aus liege?', scherzt er.
Andere Sportarten setzen bei der Entwicklung ihrer Produkte auf die grüne Karte. Beschäftigt sich auch die Golfball-Industrie mit Möglichkeiten umweltfreundlicherer Produkte?
Im Bereich der Verpackungen wurden bereits Veränderungen vorgenommen und Fortschritte erzielt. Bei den Bällen stellt sich allerdings die Frage, ob diese tatsächlich die Umwelt bedrohen. Außerdem gibt es ein weiteres Problem: Wir wollen natürlich langlebige Golfbälle produzieren, die High-Performance ermöglichen. Wenn man sich zu sehr darauf fokussiert, die Bälle umweltfreundlicher zu machen - und ich sage nicht, dass sie das nicht wären -, verlieren sie eventuell die guten Eigenschaften. Sind wir bereit, darauf zu verzichten? Und ist es "grüner", wenn der Ball irgendwo in seine Einzelteile zerfällt? Ein anderes Szenario: Man stelle sich vor, es regnet auf dem Platz und nach der Runde bleibt das komplett feuchte Golfbag im Auto für einige Tage. Hole ich dann beim nächsten Abschlag Matsch statt Bälle aus der Tasche?

Kommen wir wieder zurück in die Gegenwart: Die Qualitätskontrollen des Pro V1 und Pro V1X scheinen immens zu sein. Stimmt es, dass jeder Ball einzeln überprüft wird, bevor er die Fabrik verlässt?
Der Ball wird aus verschiedenen Winkeln geröntgt und auf Dicke, Symmetrie sowie andere Eigenschaften überprüft. Wenn bei diesen umfangreichen Checks ein Fehler auftritt, wird der Ball beiseitegelegt und von Menschenhand gecheckt.

Vorgegebene Größe und Gewicht verhindern ja einen Handlungsspielraum bei der Produktion. Hat Titleist dennoch schon mal einen Wunschball ohne Rücksicht auf bestehende Normen entwickelt, bloß um zu schauen, was dann möglich wäre?
Ich halte es für schwierig, ein Produkt ohne Rücksicht auf Regeln zu entwickeln, da man es dann anschließend aufwendig diesen anpassen müsste. Nur so viel: Würde es keine Normen für Gewicht, Größe oder Geschwindigkeit geben, könnten wir den Ball auf jeden Fall schneller machen. Aber gleichzeitig würde sich dann der Spin erhöhen. Macht man ihn kleiner und schwerer, fliegt er zwar weiter, allerdings auch flacher. Zusätzlich gingen dann wahrscheinlich auch mehr Schläger kaputt - speziell die fragilen Driver.

Regeln behindern die Entwicklung also nicht?
Ich halte die Regeln nicht für Hindernisse, sondern für einen Schutz des Sports. Wenn man die Regeln des Golfs bricht, warten spätestens die der Physik auf einen. Und zwischen diesen beiden liegt kein großer Unterschied. Es regelt sich somit von selbst. Zusätzlich fliegen die Bälle heutzutage weit genug - jedes Wochenende auf der Tour über 300 Yards. Und am Ende kommt es für die meisten Spieler sowieso viel mehr auf die Performance als auf die blanke Länge an.

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