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Golfpunks dieser Welt

Mac O'Grady

Von Janek Weiß, Fotos: Getty Images

Mac O'Grady ist der Wile E. Coyote des Golfs. Auf der Jagd nach der PGA-Tour-Karte rannte er ständig gegen die Wand, nur um es gleich noch mal zu versuchen. Dennoch legte er eine Karriere hin, die ihn zum Fanliebling und Coach von Seve Ballesteros machte.

Ein Spätsommerabend in den späten 1970er-Jahren: Die Goldene Stunde bricht an, es ist einer dieser unvergleichlichen Sonnenuntergänge in Los Angeles. Phillip John McGleno wirft seine Golftasche über die Schulter und steigt auf sein rostiges Fahrrad. Hinter sich ein kleiner Lagerraum, eher eine Art Verschlag in der Garage eines leer stehenden Hauses. Decken und Teppichreste federn den kärglichen Boden. Er lebt in seinen eigenen Worten "wie eine Kakerlake". Sein wertvollster Besitz ist ein Buch. "The Golfing Machine" von Homer Kelley wird seine Bibel, die er im schummrigen Schein einer alten Taschenlampe auswendig lernt. Im anbrechenden Dunkel radelt der Obdachlose zu den exklusiven Golfclubs in der Umgebung und klettert über den Zaun. Ein Golfgenie - gegen alle Widerstände.

Phillip wächst im Westen von Los Angeles als jüngster von fünf Jungen auf. Nicht selten prügeln sie sich. Eine raue Umgebung. Drogen und Gangs sind sein täglicher Umgang. Einer seiner Brüder verliert in diesem Moloch sein Leben. Auch er war ein fantastischer Athlet, verschwendet an das Gesetz der Straße. "Ich habe versucht, so wenig wie möglich wie sie zu sein", reflektiert Phillip Jahre später. Es sind die Frauen in der Familie, die ihm Halt geben, seine Zwillingsschwester und vor allem Mutter Patricia. Sie stirbt, als er 16 Jahre alt ist: "Ich erinnere mich, ihr immer Blumen mitgebracht zu haben, ich habe sie sehr geliebt." Als sein Vater noch in demselben Jahr eine neue Frau hat, kommt es zum Bruch. McGleno ist der Name seines Vaters. Phillip legt ihn 1978 ab und nennt sich folglich Mac O'Grady - nach dem Mädchennamen seiner Mutter.

Sein Talent für den Golfsport ist unbestreitbar. Auf einem Pitch & Putt in Rancho Park schießt er ein Hole-in-one. Okay, ohne Mulligans wäre es eine Fünf gewesen, aber wer zählt schon mit beim ersten Mal auf dem Golfplatz? Mac zumindest ist sich sicher: "Ich wusste, ich könnte auf der Tour spielen. Es war nur eine Frage der Zeit." Das sieht 1971 auch Walter Keller so. Der Impresario für Amateur-Golf in der Region Los Angeles mobilisiert Investoren, die den Jungen auf die PGA Tour bringen wollen. Für Mac eine unangenehme Situation: "Es hat mich nervös gemacht, mich mit ihnen zu umgeben. Für die meisten habe ich den Caddie gegeben, seit ich zwölf Jahre alt war", verrät er einem Journalisten von "Sports Illustrated" auf der gemeinsamen Runde. Der Weg auf die Tour scheitert bereits in den regionalen Ausscheidungen. Die Gruppe lässt ihn fallen. Die Hintergründe sind widersprüchlich. O'Grady sagt, er habe jemanden wegen Rufschädigung verklagt, der sich als Freund Kellers herausstellte. Keller behauptet, die Trennung habe golferische Gründe gehabt. So oder so scheitert auch der zweite Versuch, sich über die Q School eine Karte zu holen.

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Mit 22 Jahren steht Mac vor dem Nichts. Er wird krank, verzweifelt, kommt zwischenzeitlich bei einem College Coach in Santa Monica unter. Als Mac sich einigermaßen wieder erholt hat, lernt er bei einer Golfrunde Raphael Shapiro kennen. Wo Mac denn wohnen würde? Unangenehm für den Gestrandeten, er windet sich um die Antwort. Was er denn später einmal werden wolle? "Ich möchte auf die Golf-Tour!", erwidert Mac unbeirrt. Der Restaurantbesitzer lässt ihn in ein Apartment ziehen. Um Geld hat er nie gebeten. Sie werden enge Freunde. Sein zweiter Erlöser in der Stadt der Engel wird Bob McClelland "Raphael und Mr. McClelland müssen gut 250.000 Dollar für mich ausgegeben haben. Sie hielten zu mir, wenn es kein anderer tat."

Die nächsten Jahre verbringt Mac auf dem Golfplatz, mit Arbeit im Restaurant oder in der Fabrik von McClelland. Zeitweise sammelt er auch mit einem Leichenwagen Verblichene ein und trainiert auf dem Friedhof mit Wiffl e-Golfbällen. Ein- oder zweimal im Jahr versucht er, sich die Tourkarte zu erspielen. Er fährt mit dem Greyhound nach Texas oder Florida, nur um auf der Heimreise über sein Scheitern zu sinnieren oder es in seinem Tagebuch niederzuschreiben, ein Kompendium an Erfahrungen, Ideen und Gedanken. Raphael erklärt ihm, dass Physiker die Welt in 3-D betrachten, aber Mac zehn Dimensionen habe. Doch selbst in 10-D, so sein neuer Spitzname, kann Mac nicht verhindern, dass sein Golfspiel in alle Einzelteile zerfällt. Nach der Saison 1977, die er auf der Asien-Tour als 30. abschließt, geht nichts mehr - trotz oder gerade wegen seiner Fähigkeiten.

Sein Schwung und vor allen Dingen sein Leben stabilisieren sich, als er 1978 das Sunstar Classic der LPGA in Rancho Park besucht. Er kommt mit der Geschäftsführerin einer Boutique ins Gespräch, Fumiko Aoyagi. "Ich erzählte ihr, dass ich in Japan war und dass ich, falls ich jemals heiraten sollte, gerne eine japanische Ehefrau haben würde." Ihre entzückende Antwort: "Oh, willst du mich heiraten?" Sie beginnen zu daten. Zu einem Dinner in Fumikos Apartment erscheint der Verliebte hoffnungslos derangiert, krank und fiebrig. Er bleibt ein Jahr, sie päppelt ihn auf. Obgleich es ganze zehn Monate dauert, bevor er den Mut aufbringt, sie zu küssen. Sie heiraten 1981 in ihrer Heimatstadt Sakai unweit von Osaka. "Ich habe seit dem Tod meiner Mutter solche Liebe nicht mehr erfahren", schwärmt Mac. Bis heute beginnt Fumiko den Tag mit einer rituellen Rasur für Mac. Seine Ehefrau ist es auch, die ihn ermutigt, Kontakt zu Homer Kelley aufzunehmen. Der "The Golfing Machine"-Autor wird sein Mentor. Eine Beziehung, die auf gegenseitigem Respekt fußt, denn Mac stellt die Ideen seines Gurus auf eine harte Probe. Nur für die Tour will es auch im 16. Versuch nicht reichen. Selbst nachdem er zwei Tage lang die Qualifikation angeführt hat, schießt er sich mit zwei Scores in den 80ern noch aus dem Turnier. Unbegreiflich. "Ich bin oft gestorben in meinem Golfleben", reflektiert Mac.

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Eine seiner vielen Wiedergeburten erlebt er dabei als Linkshänder. An einem Tag schießt er eine 62 mit rechts, um dann am Nachmittag als Lefty eine 68 nachzulegen. Der "New York Times" erklärt er, dass die analytische Seite von der rechten Gehirnhälfte kontrolliert werde. Aber allzu oft bekomme er seine Gedanken und seinen wandernden Geist nicht kontrolliert. Gegen diese Selbstanalyse spricht, dass sein Putten miserabel ist, obwohl er dies linksherum macht. Sein Weggefährte McClelland verliert die Geduld: "Ich sei die größte Enttäuschung seines Lebens gewesen", wird Mac zitiert. Auch die Offiziellen sind des dauernd Scheiternden überdrüssig und so fragt ihn einer nach einem neuerlichen Fehlversuch, wann er denn endlich verschwinde. Unbändig, beinahe stur schöpft Mac auch aus dieser Ablehnung den Willen, es allen zu zeigen.

1982 spielt er 27 Turniere auf der European Tour: Tunesien, Schweden, Schottland - das Wetter so verschieden wie die Grassorten. Wie er sagt, das letzte Puzzleteil. Im November des Jahres nimmt er den 17. Anlauf auf der PGA Tour. Nach schwachem Auftakt teilt er am Freitag mit einer 66 in Sawgrass den Platzrekord und schießt sich auf Position 24. In sein Journal schreibt er: "Frieden herrscht über meine Gefühle. Die Fackel der Widrigkeiten hat mittlerweile fast ein Jahrzehnt lang hart und lange meine Haut verbrannt. Es war ein bemerkenswerter Tag." Freudentränen laufen über sein Gesicht, als er am Sonntag das letzte Fairway hinunterläuft, geteilter Vierter. Mac O'Grady schreibt in sein Tagebuch: "Big Mac ist in der Big-Big-Liga. Gerade habe ich Fumiko in Japan angerufen, um ihr die lang erwartete gute Nachricht mitzuteilen. Als sie abnahm, konnte ich nicht sprechen. Ich habe geheult."

In Japan ist es üblich, als Zeichen unerfüllter Träume Darumas, kleine Puppen mit nur einem Auge, zu haben. Als Fumiko ihren Eltern von Macs Erfolg erzählt, malen die Aoyagis das zweite Auge auf. Um den Erfolg auf seine ganz persönliche Art zu feiern, kauft sich Mac in einem Sportgeschäft 16 Baseballschläger - einen für jede verpasste Q School. Er markiert sie mit den Daten seines Scheiterns und zerschlägt dann einen nach dem anderen an einem Baum, um die Dämonen der Vergangenheit endgültig auszutreiben. Nach dem elften rinnen ihm vor Schmerzen Tränen seine Wangen herunter - ein Abschied von seiner Leidenszeit.

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Doch auch auf der PGA Tour lässt er sich seine Exzentrik nicht austreiben. Der selbst ernannte "Moskito unter den Dinosauriern" setzt beim ersten Turnier der Saison aus, um sein Debüt passenderweise bei der Los Angeles Open zu geben, die 1983 ausgerechnet auf dem Rancho Park Golf Course stattfindet: der Ort, wo Max erstmals einen Schläger in die Hand nahm und seine Frau kennenlernte. Mehr noch: Seine Mutter ist gegenüber der Anlage in die Kirche gegangen und in einem Spital in derselben Straße gestorben, die zufällig auch ihren Namen trägt: Patricia Avenue. Drei Monate später wird er Dritter beim Sea Pines Heritage, nachdem er das Turnier zwei Runden lang angeführt hat. Er ist eine Erfrischung für die steife Tour. Einem Kameramann gibt er Folgendes mit auf den Weg: "Du kannst mit der Kamera so nah kommen, wie du willst. Du kannst vor meiner Nase oder zwischen meinen Beinen durch filmen. Die Leute sollten meine Geschichte von Beharrlichkeit kennen."

Mac O'Grady wird zum Publikumsliebling, macht sich auf der Tour schnell viele Freunde und überzeugt nicht zuletzt auch sportlich. Er gewinnt zwei Turniere, landet elf weitere Male in den Top Five und wird 1987 Neunter bei der US Open. "Mit mehr Geduld und besserem Putten könnte er einer der größten Golfer sein", heißt es aus dem Munde vieler Zeitgenossen. Lee Trevino oder Severiano Ballesteros heuern ihn noch zu aktiven Zeiten als Coach an, der sie in der Tradition Homer Kelleys lehrt. Mac überlässt seinen Caddies nicht selten das gesamte Preisgeld und scheut nicht davor zurück, den damaligen Commissioner Deane Beman und seine Geldgier anzuprangern, was ihm eine sechs Turniere dauernde Sperre und 10.000 Dollar Strafe einbringt. Für einen weiteren Skandal sorgt Mac, als er behauptet, 75 Prozent der Top 30 würden Betablocker nutzen, um ihre Nerven beim Putten zu beruhigen. Mac weiß, wer er ist, und lässt sich nicht verbiegen.

Aufgrund eines Wirbelgleitens ist er seit den frühen 1990ern allerdings nicht mehr regelmäßig auf Turnieren zu finden und widmet sich vollends und erfolgreich dem Coaching - bis heute. Einmal notiert er: "Golf ist eine paradoxe, inkohärente Disharmonie, deren Charakter einem die Träume zerstört wie der Nordwind." Mac hat diesem Wind widerstanden.

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