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Ryder Cup 2023

Hut ab!

Von Jan Langenbein

Beim ersten Ryder Cup in der Ewigen Stadt bleibt eigentlich alles beim Alten: Amerikanische Superstars verwandeln sich in Europa zu Wochenend-Hackern, britische Fans haben die besten Schlachtgesänge und spanische Golfer - tot oder lebendig - sind eine echte Macht. Nur Patrick Reed hat plötzlich einen anderen Nachnamen ...

Den ersten Punch in die Magengrube kassiert US-Captain Zach Johnson nicht etwa von Viktor Hovland oder Jon Rahm am Freitagmorgen eines denkwürdigen Ryder Cup, sondern bereits am Tag zuvor von einem ungleich schlagkräftigeren Gegner: der italienischen Luftwaffe. Während der Eröffnungszeremonie schmettert Operndiva Carly Paoli gerade die letzten Takte der italienischen Nationalhymne, als die Kunstflugstaffel Frecce Tricolori zum perfekt getimten Crescendo über die Szenerie donnert und die grünweißrote Flagge des Gastgeberlands in den Himmel malt. Das Publikum johlt, die 24 auf der Bühne schwitzenden Spieler klatschen artig Beifall und Zach Johnson tritt ans Pult, um seine sicher ein Dutzend Mal geprobte Begrüßungsrede zu halten. Doch viel weiter als bis "Liebe Gäste, es ist mir eine Ehre..." kommt der Mann aus Iowa nicht, da erzittert die Bühne erneut, denn die sieben Aermacchi-MB339-Jets haben eine Kehrtwende hingelegt. Noch tiefer und diesmal von hinter der Bühne auftauchend erwischen die Piloten Johnson auf dem falschen Fuß und erschrecken Amerikas Skipper augenscheinlich, schließlich ist er von Footballspielen in der Heimat keine zweifachen Demonstrationen der Lufthoheit gewohnt und stolpert die kommenden zehn Minuten durch eine inkohärente Rede, schwitzt dabei mehr als Mark Zuckerberg bei Fragen zu Privatsphäre-Einstellungen und dreht die Namen der anwesenden italienischen Würdenträger gnadenloser durch den Fleischwolf als Brad Pitt in "Inglourious Basterds".

Als Luke Donald ans Mikro tritt, ist die Frecce Tricolori längst gelandet, die unerbittliche Spätsommersonne hat sich hinter den Dächern der riesigen Zelte verkrochen und so steht Europas Kapitän in seinem dunklen Loro-Piana-Anzug nicht nur da, als posierte er für ein "Vogue"Cover, auch das makellose Italienisch, mit dem er die Fans begrüßt, macht deutlich, dass er für diese Sätze nicht nur eine Viertelstunde in der Volkshochschule vorbeigeschaut hat, sondern so lange an seiner Aussprache feilte, bis diese so gut saß wie sein maßgeschneiderter Zweiteiler. Europa: 1up!

Als nach 45 Minuten Rahmenprogramm endlich der einzig wichtige Tagesordnungspunkt ansteht - die Verkündung der ersten vier Matches -, haben selbst die in Stars and Stripes gehüllten amerikanischen Hardcore-Fans Fragezeichen in den Gesichtern. Scottie Scheffer und Sam Burns als Opening Act? Rickie Fowler und Collin Morikawa? Diese beiden Namen wurden bisher noch nie in einem Atemzug genannt. Europa: 2up.

Ryder Cup 2023: Briten am Strand: Sonnenbrand vorprogrammiert
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MAX HOMA GEWINNT ZUSAMMEN MIT BRIAN HARMAN UND GIBT DABEI EINE JUSTIN-THOMAS- IMITATION, DIE BESSER AUSFÄLLT ALS DAS ORIGINAL.
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EUROVISION GOLF SONG CONTEST


Nichts in der Golfwelt und nur sehr wenig im weiten Sportuniversum kann mit der Anspannung und der Atmosphäre eines Freitagmorgens beim Ryder Cup mithalten. Bereits Stunden, bevor der erste Ball fliegt, warten Tausende Fans vor den verschlossenen Toren, um wenig später im Sprintduell den Kampf um die begehrten Plätze auf der Tribüne, die den ersten Abschlag in ein Fußballstadion verwandelt, auszufechten.

Selbst für MajorSieger und Ryder-Cup-Veteranen ist dieser Morgen mit nichts zu vergleichen, wie Jon Rahm nach getaner Arbeit am Freitag klarstellt: "Meinen ersten Putt auf dem Übungsgrün habe ich um 6:20 Uhr in totaler Dunkelheit gespielt. Von dem Moment an baut sich die Anspannung immer weiter auf, bis es endlich so weit ist, zum ersten Tee zu marschieren. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich diese Anspannung liebe!"

Ist es dann endlich so weit und die mehr als 10.000 Zuschauer, die die gesamte erste Spielbahn säumen, werden von einem Moment auf den anderen mucksmäuschenstill, spürt man sogar als vermeintlich Unbeteiligter oben auf der Tribüne, wie die Hände schwitzig werden und der Puls in die Höhe schnellt. Nach wochenlangen Diskussionen um die Paarungen, die Captain's Picks und das Platz-Setup ist der Moment der Wahrheit gekommen und jedem Single-Handicapper unter den Zuschauern ist bewusst, dass es ihm auf dieser Teebox wahrscheinlich nicht einmal gelingen würde, Kontakt zwischen Schlagfläche und Ball herzustellen.

Jon Rahm, der diese Anspannung bekanntlich liebt, sowie Viktor Hovland in Match 2 haben mit flatternden Nerven kein Problem und beide feuern ihre Drives sicher das erste Fairway hinauf. Für den in Match 3 abschlagenden Rookie Sepp Straka legt Viktor die Latte in Sachen Anspannung noch ein ganzes Stück höher, denn just als der Österreicher zum Driver greift, locht der Norweger 400 Meter weiter vorne einen unglaublichen Chip zum Lochgewinn und Marco Simone erbebt erstmals unter der ungehemmten Eruption der Fan-Ekstase. Shane Lowry, dessen Aufgabe eigentlich darin besteht, den Puls der Rookies im grünen Bereich zu halten, reißt die Arme in die Höhe, als hätte sein geliebtes Manchester United gerade die Champions League gewonnen, und klopft seinem Spielpartner auf die Schultern: "Viel Spaß bei deinem ersten Ryder-Cup-Drive, Sepp!"

Die größte Leistung dieses Freitags kommt aber von den Zuschauern, die jeden Spieler mit einem eigens getexteten Fangesang in die Schlacht schicken. Highlights unter diesen musikalischen Leckerbissen sind Tommy Fleetwoods Name, der als Text über die Hookline des 2-Unlimited-Eurodance-Klassikers "No Limit" gelegt wird, und die Anti-IRA-Hymne "Zombie", mit der die Gegner von Rory McIlroy begrüßt werden: "He's in your head! In your heeaaaad! Rory! Rory!

Ryder Cup 2023: Circus Maximus: 2023 für Fußgänger
Circus Maximus: 2023 für Fußgänger
Roryyyyy!" Wie effektiv diese Stadionhymnen sind, muss selbst Max Homa zugeben, der am folgenden Dienstag und längst zurück in den USA in einem Interview zugeben sollte: "Ich bekomme diesen verdammten Tommy-Fleetwood- Song einfach nicht mehr aus dem Kopf."

Mit dieser Unterstützung im Rücken ist das Leaderboard schnell komplett in Blau getaucht. An der Seite des wie entfesselt spielenden Viktor Hovland zeigt Rookie Ludvig Åberg, warum er die größte Hoffnung ganz Golf-Europas ist, und trägt mit Drives, die seinen direkten Gegner Brian Harman ein ums andere Mal 50 Meter kurz lassen, einen gehörigen Anteil dazu bei, dass das skandinavische Duo seine Gegner zu Kleinholz verarbeitet.

"Ich war unglaublich nervös heute Morgen, aber das war eine Runde Golf, die ich mit Sicherheit nie vergessen werde", schwebt der Schwede nach seinem Auftakt-Match auf Wolke sieben, nicht zuletzt weil kein Geringerer als Novak Djokovic noch auf dem 15. Grün gar nicht schnell genug bei Ludvig sein kann, um sich ein High Five abzuholen.

In der Geschichte des Ryder Cup war es Team Europa noch nie gelungen, mit 4 :0 in Führung zu gehen, und spätestens mit diesem Auftakt hat Luke Donald seinen Status als veritables Genie zementiert, war es doch seine Idee, zum ersten Mal seit 30 Jahren die Klassischen Vierer am Morgen zu spielen. "Ich denke, wir haben einen Vorteil bei diesem Format", orakelte er bereits am Dienstag und sollte voll ins Schwarze treffen.

Ryder Cup 2023: Auswärtsfahrt: Wenigstens die Pasta war gut
Auswärtsfahrt: Wenigstens die Pasta war gut
Als die Nachmittags-Matches auf den Platz gehen, herrscht längst Volksfeststimmung und Vice-Captain Francesco Molinari, immerhin der einzige Europäer, dem jemals ein perfekter Ryder Cup mit fünf Siegen in fünf Partien gelang, verteilt Gelato an die Zuschauer. Währenddessen beantwortet Nicolai Højgaard die Frage, ob er dieser immensen Bühne gewachsen ist, mit einem Monster-Putt zum Birdie auf dem ersten Ryder-Cup-Loch seiner Karriere und auch der europäische Rookie Nummer vier Robert MacIntyre kommt gut aus den Startblöcken: "Ich bin noch nie den Tränen nahe von einer Driving Range Richtung erstes Tee gegangen. In den drei Wochen zuvor ging ich den ersten Drive vor dem geistigen Auge immer wieder durch und habe ihn nun tatsächlich aufs Fairway gedroschen."

Um 14:01 Uhr Ortszeit locht ausgerechnet Justin Thomas, der schon das ganze Jahr mit einem zickigen Putter kämpft, auf Loch 6 einen Putt aus anderthalb Metern und bringt so zum ersten Mal die Farbe Rot aufs Leaderboard. Zeitgleich geht Matt Fitzpatrick an der Seite von Rory mit dem Plan auf die Runde, seine bis dahin erschütternde Ryder-Cup-Bilanz zumindest ein wenig aufzupolieren. Rom 2023 ist bereits der dritte Ryder Cup des 29 Jahre alten Engländers, der bei seinen ersten beiden Einsätzen 2016 und 2021 in insgesamt fünf Matches fünf Niederlagen einstecken musste, was nicht zuletzt daran lag, dass der Weltklasse-Ballstriker nur im Klassischen Vierer eingesetzt wurde. Luke Donald erhört Matts Flehen, im Fourball endlich seinen eigenen Ball spielen zu dürfen, und der US Open Champion von 2022 erwidert diesen Vertrauensbeweis, indem er seinen Einstand in Marco Simone mit Par, Birdie, Birdie, Birdie, Eagle und Birdie beginnt und Morikawa/Schauffele praktisch auf den Front Nine im Alleingang abfertigt.

Als im letzten Tageslicht Viktor Hovland, Jon Rahm und Justin Rose auf dem 18. Grün mit drei versenkten Putts aus zusammengenommen 20,75 Metern sämtliche US-Führungen in halbierte Matches verwandeln, können selbst bekennende Atheisten beobachten, wie die Seelen der ums Grün versammelten Amerikaner ihre sterblichen Hüllen verlassen, gen Himmel aufsteigen und nichts als ungläubiges, ins Leere blickendes Fleisch zurücklassen. Aus einem schmeichelhaften 5: 3 ist innerhalb weniger Minuten ein markerschütterndes 6,5 : 1,5 geworden und selbst durch oktoberfestartigen Bierkonsum kognitiv stark eingeschränkte Fans beginnen zu rechnen, ob dieser Ryder Cup bereits morgen entschieden sein könnte. Doch im Medienzentrum hat ein gewisser Jamie Weir bereits seine Twitter-App geöffnet.

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