In wenigen Tagen stürmen 290.000 Menschen ins beschauliche Dörfchen Portrush. Doch wie sieht es im hohen Norden Nordirlands aus bevor die große Völkerwanderung beginnt? Wir waren vor Ort und haben uns umgesehen.
Portrush ist das Mekka des (nord-)irischen Golfsports. Zwei der vier Majorsieger, die das kleine Land hervorgebracht hat, wurden hier geboren: Fred Daly und Graeme McDowell. Für ein Städtchen mit gerade mal 6000 Einwohnern eine beachtliche Quote. Man könnte also erwarten, dass drei Wochen vor Beginn der Open Championship der ganze Ort in Aufruhr ist, doch weit gefehlt: die Nordiren zelebrieren das traditionelle britische Understatement - auch wenn natürlich die Frage der Zugehörigkeit zu Großbritannien oder Irland bis heute einen Glaubensstreit darstellt. Wer in den Schaufenstern der Geschäfte nach einem Zeichen sucht, dass hier in den kommenden Tagen eines der größten Sportereignisse des Landes stattfindet, sucht vergeblich. Zwar begegnen mir beim Weg durch die Stadt Rory und Phil, allerdings nur als Namen auf Geschäften: Hinter "Rory & berts" verbirgt sich ein Café und das auf so viele Arten perfekt benamte "Phil's Amusements" ist eine Spielhalle. Alles, was wirklich auf die Open hindeutet, ist ein kleines gelbes Hinweisschild, das Helfer zum "The Open Site Reporting Office" führt - ironischerweise direkt vor dem Gebäude angebracht, in dem Fred Daly geboren wurde wie eine blaue Plakette des Ulster History Circle signalisiert.
Der größte Held von Portrush ist aber weder Daly noch Graeme McDowell, der seine Karriere im Rathmore Golf Club begann, in dessen Clubhaus Replikas von McDowells wichtigsten Trophäen ausgestellt sind. Portrushs größter Held ist Shane Lowry, der 2019 bei der Rückkehr der Open die Claret Jug mit nach Hause nahm. Während von McDowell nur ein 50cm großes, gut verstecktes Graffiti in Portrush zu finden ist, thront Lowry mit Claret Jug von einer Häuserwand, die zu einem gigantischen Gemälde umfunktioniert wurde. Als ich ein Foto von dem Kunstwerk mache, spricht mich ein Einheimischer an, der gerade mit seinem Hund Gassi geht: "Beeindruckend, oder?"
Ich nutze die Gelegenheit, um mit ihm über das anstehende Großereignis zu sprechen. Und auch wenn man es vor Ort nicht so deutlich sieht, ist die Begeisterung von ihm und den anderen Einwohnern groß. Wie groß? Als Mitglied des Rathmore Golf Clubs, der in dieser Woche geschlossen wird, weil auf dem zweiten Loch des Valley Links das Pressezentrum entsteht und das dritte Fairway für die Turnierwoche zur Driving Range umfunktioniert wird, bekommt er von der R&A ein Ticket für die Open-Woche geschenkt und ein weiteres zum halben Preis. Was er denn mit diesen Vorzügen für Tickets ausgegeben hat, will ich wissen und rechne mit maximal 200 Pfund. "Mehr als 1500 Pfund", lautet seine Antwort, weil er von Freunden mit Ticket-Anfragen bombardiert wird. Außer Tickets kann er allerdings nicht viel für sie tun. Nicht einmal einen Parkplatz kann er ihnen zur Verfügung stellen. "Während der Open Woche gilt die Regel, dass maximal zwei Autos vor einem Haus stehen dürfen", erklärt er wie verhindert werden soll, dass sich Menschen außerhalb des geschlossenen Systems an der Veranstaltung bereichern. Also reisen seine Freunde wie die meisten der Zuschauer mit dem Zug an, weshalb für die Dauer des Turniers eigens eine temporäre Fußgängerbrücke über die Hauptstraße errichtet wird.
Auch in Nordirland ist LIV Golf winzig
Immerhin gibt es für den Ort eine Verbesserung gegenüber der Open-Austragung vor sechs Jahren. "Wenn man damals auf der Anlage war, konnte man sie nicht wieder verlassen. Durch die digitalen Tickets ist dieses Jahr ein Re-Entry möglich", erklärt mein Portrush-Maulwurf. Wer also keine Lust hat, ewig Schlange zu stehen oder die Preise an den Getränkeständen zu zahlen (bei der letztjährigen Open in Royal Troon kostete ein knapper halber Liter Bier knapp 9 Euro), kann in den Supermarkt gehen oder eine der Kneipen besuchen und anschließend auf den Platz zurückkehren. Da liegt die Frage nah, warum er nicht sein eigenes Haus für die Open-Woche vermietet und mit dem Gewinn sich eine schöne Zeit macht. Seine simple Antwort: "Ich hätte das vielleicht schon gemacht, aber meine Frau war dagegen." Wie viel Geld der Familie durch die Lappen geht, illustriert er am Beispiel eines Bekannten. "Er hat die Causeway Street weiter hoch eine 5-Zimmer-Wohnung. Für die Woche der Open hat er sie für 25.000 Pfund vermietet." Wie schwierig es ist, den Bedarf an Unterkünften zu erfüllen, sieht man daran, dass selbst in 25 Kilometer Entfernung für Hotels am Open-Wochenende der dreifache Preis erhoben wird, wie an den Wochenenden davor und danach. Sogar bis ins eine Autostunde entfernte Belfast sind die Auswirkungen auf die Hotelpreise zu spüren. Profis, die schon frühzeitig mit ihrer Teilnahme rechnen konnten, haben daher bereits ihre Unterkünfte im September 2021 reserviert als die R&A Royal Portrush als Austragungsort ankündigte.
Doch die Profis sind natürlich nicht nur in der Open-Woche anzutreffen. Als ich in der Restaurants der mit Shane-Lowry-Memorabilien übersäten Harbour Bar sitze, entdeckt ich drei Tische weiter ein bekanntes Gesicht: Raphael Jacquelin. Eine verzweifelte Google-Suche stelle ich fest, dass der Franzose gar nicht für die Open qualifiziert ist. Seine Anwesenheit erschließt sich mir erst, als ich sehe, wer mit dem Rücken zu mir sitzt: Julien Guerrier. Der 40-Jährige hat sich über das letztjährige Race to Dubai zum ersten Mal seit 2006 für die Open qualifiziert und wird von seinem Mentor Jacquelin begleitet. Am nächsten Nachmittag sehe ich die beiden wieder als ich ich mich auf meine Runde auf dem Dunluce Links vorbereite. Während Guerrier und Jacquelin bereits ihre Sachen packen, stehe ich auf dem ersten Abschlag und fühle mich wie Rory McIlroy. Nicht, weil ich den Platzrekord halte oder aufgrund meiner Länge nur ein Driving Iron brauche, sondern weil ich meinen Abschlag nach links ins Aus haue wie der Nordire seinen ersten Abschlag bei der Open 2019. Gott sei Dank sehen meinen erbärmlichen Moment weder Millionen Zuschauer am Fernseher noch Tausende vor Ort, aber es ist schon peinlich genug, dass ich fast einen Handwerker treffe, der gerade damit beschäftigt ist, eine der Tribünen aufzubauen.
Im Zentrum von Portrush mag kaum zu erkennen sein, dass hier bald die Open stattfindet, aber auf dem Dunluce Links ist es nicht zu übersehen. Hospitality-Bereiche, Merchandising-Zelte und Anzeigetafeln stehen bereits - auch wenn sie noch nicht an den Strom angeschlossen sind. Überall sind emsige Helfer unterwegs, die den letzten Feinschliff an die Tribünen anlegen, die in unterschiedlichen Höhen und Breiten an nahezu allen Teeboxen und Grüns angelegt sind. Und jeder Spieler bekommt eine schmale Matte mit auf die Runde von der aus der Ball gespielt werden muss, so man auf dem Fairway in den Zonen landet, von wo aus die Profis nächste Woche ihre Schläge ins Grün ausführen müssen. Schließlich wird der Platz erst eine Woche vor der Open gesperrt und Scottie Scheffler soll nicht seinen Schlag aus einem unsachgemäßen Divot ausführen müssen, das ein Freizeitgolfer in den Boden gehackt hat. Wie es sich davon spielt? Keine Ahnung. Es gab auf 18 Loch nur vier Situationen in denen es für mich in Frage gekommen war. Bei dreien davon musste ich den Ball lediglich zehn Zentimeter bewegen, um aus dem Semirough zu schlagen und als ich an der 5 einen der wenigen guten Abschläge des Tages mache und 50 Meter vor dem Grün lande, beschließe ich das zu tun, was Linksplätze so besonders macht. Ich greife zum Putter und sehe mit ein klein wenig Stolz wie der Ball über den Hügel vor dem Grün klettert wie Reinhold Messner und acht Meter von der Fahne entfernt zum Liegen kommt.
Doch wie spielt sich der Open-Platz drei Wochen bevor die besten der Welt den Dunluce Links für sich alleine haben? Erstaunlich einfach. Gut, die Windgeschwindigkeiten betrugen gerade mal 20 km/h und die Grüns werden bis zum 17. Juli noch deutlich schneller, aber als jemand, der die Hälfte seiner Schläge aus dem Rough durchgeführt hat, kann ich konstatieren, dass dies meilenweit von dem der US Open entfernt ist. Bisher wird man nur an ausgewählten Stellen für einen verzogenen Drive richtig bestraft - und da kein großer Regen für die Zeit seither runtergekommen ist, sollten die größten Herausforderungen bei der Open eher um und auf den Grüns lauern. Besonders, weil sie in Royal Portrush teilweise ein Amphitheater-Flair haben. Besonders die 18 ist im 120 Grad Winkel von meterhohen Zuschauerrängen umsäumt, sodass derjenige, der am 20. Juli den entscheidenden Putt zum Gewinn der Claret Jug das Gefühl haben wird, er sei Russell Crowe in "Gladiator". Obwohl: Die Frage "Are you not entertained" wird in Portrush vollkommen überflüssig sein.