

»NICHT BEI DER ARMEE GEWESEN UND KEINE PLATZREIFE GEMACHT - ZWEI WICHTIGE PUNKTE IN MEINEM LEBEN, AUF DIE ICH RICHTIG STOLZ BIN.«
Zurück im Stadion dachte ich mir dann nur noch: 'Und jetzt wie im Training!'" Was folgte, waren ein Wurf auf 65,40 Meter und das sichere Weiterkommen. Wurf fünf flog dann auf sagenhafte 69,40 Meter, was die Goldmedaille und olympischen Rekord bedeutete.
Spricht Lars heute über einzelne Würfe, die sich als schicksalshaft herausstellten, wird deutlich, wie groß die Parallelen zwischen Diskuswerfen auf Weltklasseniveau und dem sportliche Geschehen auf der PGA Tour sind. Die Fähigkeit, einen hunderttausend Mal trainierten und doch immer noch höchst komplexen Bewegungsablauf in einer Situation äußerster Anspannung abrufen zu können, und die mentale Fähigkeit, negative Gedanken für den Verlauf eines Wettkampfs nicht nur auszublenden, sondern auch zu besiegen, sind nur zwei der Eigenschaften, die sowohl ein Diskusweltmeister als auch ein Major-Sieger sein Eigen nennen muss. Kein Wunder also, dass ein vom Wettkampf Getriebener und auf perfekte Technik Versessener wie Lars Riedel irgendwann beim Golf landete.
Der erste Kontakt fiel in die Hochphase seiner aktiven Laufbahn. Er hatte gerade seinen vierten Weltmeistertitel in Athen gewonnen, da flatterte eine interessante Einladung ins Haus. "1997 wurde ich vom Aldiana Club in den Senegal eingeladen. Dort gab es den ersten wasserlosen Golfplatz Afrikas. Man spielte jeden Schlag von Gummi-Tees und der gesamte Golfplatz bestand eigentlich nur aus Sand. Von diesem Sport hatte ich natürlich null Komma null Ahnung." Doch die Szenerie war spektakulär: Flamingos zogen am feuerroten Abendhimmel entlang und Affenbrotbäume, so weit das Auge blickte. Wer könnte da schon nein sagen? "Zur Platzeröffnung wurde ich eingeladen, meinte aber: ,Jungs, ich habe von diesem Sport keinen Schimmer.' Die meinten: ,Kein Problem, wir bringen dir die Grundlagen bei. Das Wichtigste ist, dass du den linken Arm gerade lässt.' Ich dachte mir: 'Den linken Arm gerade lassen, das kenne ich doch.'"

Was noch fehlte, waren also die richtigen Mitspieler, um mit dem Vorurteil des elitären Snobsports aufzuräumen, und die standen 2000 in Form von Sven Ottke und Gerd Siegmund beim Club der Besten in Soma Bay bereit. "Als wir den Golfplatz dort gesehen haben, haben wir uns Schläger geschnappt und sind losmarschiert. Für neun Löcher haben wir fünf Stunden gebraucht inklusive einer Stunde schnorcheln, um all die Bälle, die wir an einem Par 3 versenkt haben, wieder rauszufischen. Das war meine erste Golfrunde." Bei einem Turnier drei Tage später brach Lars die Runde zwar nach neun Löchern ab, um an diesem Tag noch etwas Zeit mit der Familie verbringen zu können, doch bei der Siegerehrung wurde dem in puncto Stableford und Platzreife völlig ahnungslosen Hünen mitgeteilt, dass seine Punktzahl auf den ersten neun Löchern bereits für die Platzreife gereicht hätte. Er hätte nur eine gültige Scorekarte abgeben müssen.
Wieder zogen Jahre ins Land bis zum nächsten Ausflug auf einen Golfplatz. "2007 war ich verletzt und konnte nicht trainieren. Da kam Klaus Wolfermann zu mir und meinte: ,Anstatt zu Hause rumzuhängen, kannst du doch zu meiner Turnierserie kommen.' Ich meinte: ,Brauche ich dafür nicht so eine Platzreife?' - ,Bei uns nicht!', war seine Antwort. Ich habe bei diesem Turnier 43 Stableford-Punkte erspielt und alle klopften mir dafür auf die Schulter. Ein Jahr später wurde ich bei einem Turnier nach meinem Handicap gefragt, ich sagte einfach: "43." Schwups hatte ich ein Handicap. Nicht bei der Armee gewesen und keine Platzreife gemacht - zwei wichtige Punkte in meinem Leben, auf die ich richtig stolz bin stolz bin."
Zur gleichen Zeit arbeitete Lars zusammen mit Edwin Klein an seiner Autobiografie "Meine Welt ist eine Scheibe" und fand in seinem Koautor einen Golfbruder im Geiste. "Edwin war Hammerwerfer und zweimal im olympischen Finale. Ich glaube, er hat noch nie in seinem Leben eine Trainerstunde genommen - im Prinzip wie Bubba Watson, nur mit dem Unterschied, dass Bubba Watson neben Edwin wie ein Jungpionier aussehen würde." In Florida arbeiteten die beiden nicht nur acht Wochen lang am Buch, sondern auch ausgiebig an Lars' Golfschwung. "Handicap null wie Edwin wäre wohl nur mit viel Training zu machen. Das sehe ich bei mir nicht. Aber Handicap 5 bis 8 halte ich für absolut machbar."
Doch wer möchte schon über ein Handicap nachdenken, wenn eine zweite Karriere als Schlägertyp im amerikanischen Long-Drive-Zirkus winkt? Willkommen im Schwinger Club, Lars Riedel!