"Ich beschäftige mich nicht mit Negativem - allein schon aus Selbstschutz. Wer weiß denn auch, was sonst vielleicht passiert wäre", sagt René Adler, als wir uns mit ihm im Golfclub Leverkusen just an jenem Tag treffen, als die Nachrichten-Ticker seinen Wechsel von Bayer 04 Leverkusen zum Hamburger SV als perfekt vermelden. Da ist von 2,7 Millionen Euro Jahresgehalt die Rede. Mitleid ist also grundsätzlich fehl am Platz.
Aber die Sportlerseele ist eine ganz spezielle. Das bringt einem die Tragik seiner Verletzung näher. René Adler war der Torhüter-Überflieger der Nation. Schon in allen Junioren-Teams trug er den Bundesadler auf der Brust. Dem Bundesliga-Debüt folgte mit 23 sein erstes A-Länderspiel und im März 2010 wurde Adler zum Stammtorhüter für die Weltmeisterschaft in Südafrika erkoren. Die Welt des gebürtigen Leipzigers war rosarot. Es folgten eine Rippenverletzung und die Absage für die WM, bei der sich Manuel Neuer als neue Nummer eins im deutschen Tor etablierte. Eine Geschichte, die hinter dem Wirbel um Michael Ballacks Verletzung und WM-Aus medial deutlich verblasste, die aber wesentlich bitterer anmuten muss als das Schicksal des damals 33-jährigen Altstars im Spätherbst seiner Karriere.
»ICH SCHAUE MITTLERWEILE LIEBER GOLF ALS FUSSBALL IM FERNSEHEN.«
Neben Martin Kaymer mag er den schönen Schwung von Adam Scott, die Entspanntheit eines Miguel Angel Jimenez und den genialen Wahnsinn eines Bubba Watson. "Ich schaue mittlerweile lieber Golf als Fußball im Fernsehen." Witzig findet es der 27-Jährige, wenn er sich vor Augen hält, dass er vor 80.000 Zuschauern im Tor stehen und die Ruhe selbst sein, vor den Augen eines anderen Flights auf dem Golfplatz dagegen völlig nervös werden kann. Das mit den 80.000 ist jedoch schon eine Weile her. Zuletzt spielte der zehnmalige Nationalspieler im April mit Bayers U23 in der Regionalliga vor 698 Zuschauern in Wuppertal. Eine Patellasehnen-Operation hatte ihn die komplette abgelaufene Saison gekostet, in der er seinen Stammplatz an den jungen Bernd Leno verloren hat, "Seitdem kann ich viel besser nachempfinden, wie sich Hans-Jörg Butt damals gefühlt haben muss, als ich ihn verdrängt habe." Das war im Februar 2007. Butt war nach einer roten Karte gesperrt und René Adler feierte auf Schalke sein Bundesliga-Debüt. "Als ich auf den Platz lief, war ich nicht sonderlich nervös. Ich dachte mir: ,Scheißegal, wie das heute läuft, du hast dir jetzt deinen Kindheitstraum erfüllt und bist Bundesliga-Spieler. Dieses eine Spiel kann mir keiner mehr nehmen, es wird für immer in den Annalen stehen.'" Leverkusen gewann 1: 0, Adler hielt auch unhaltbare Bälle und war seitdem die Nummer eins beim Werksklub. Aus dem einen sind 138 Bundesligaspiele geworden.
Die Verletzung hat ihn reifer gemacht. Sensibler auch für das, was nach der Karriere kommen mag. "Die Verbissenheit eines Profisportlers hat auch gefährliche Seiten. Das komplette Leben ist völlig egoistisch auf den Sport ausgerichtet, aus dem man auch viel von seinem Selbstwertgefühl bezieht." Verletzungsbedingt zur Untätigkeit verdammt, fehlten plötzlich die üblichen Schulterklopfer, litt dieses Selbstwertgefühl anfangs. Doch Adler war und ist intelligent genug, um die richtigen Schlüsse aus alldem zu ziehen. In der Reha hatte er zu schnell zu viel gewollt, es folgte ein Rückschlag kurz vor Weihnachten. "Ich bin die Ungeduld in Person." Mittlerweile ist er wieder topfit, fühlt sich besser als je zuvor. Jetzt also der Neuanfang in Hamburg. "Ich glaube, das kennt jeder. Wenn man zwölf Jahre bei einem Arbeitgeber ist, lässt manchmal die Spannung nach." Beim HSV muss er sich in einem neuen Umfeld neu beweisen.
Nach unserem Treffen geht es erst mal ein paar Tage nach Mallorca zur Erholung, wo er viel Rad fahren will. Eine neue Leidenschaft, die er während der Reha entwickelt hat. "Ich liebe es, an der frischen Luft zu sein, und den Kampf gegen sich selbst." Wie beim Golf. Allerdings habe er selten Zeit, Turniere mitzuspielen. Regelmäßig mittwochs Herrengolf, das wär's. Und plötzlich wird uns auch klar, warum er zum HSV wechselt.