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Stroke of a Genius

Esther Henseleit 2024

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Getty Images

Kaum jemand hat erwartet, dass Golf die Bilanz des deutschen Olympia-Teams in Paris aufbessert. Doch dann versilberte Esther Henseleit ihre Schlussrunde.

Ort: Le Golf National (Paris, Frankreich) Turnier: Olympische Spiele 2024 Datum: 10. August 2024 Schläger: Eisen 9

Vorgeschichte


Als Damengolf bei den Olympischen Spielen 1900 debütierte, wurden gerade einmal neun Löcher gespielt und nur das Gastgeberland Frankreich und die USA traten an. 124 Jahre später kehrten die Olympischen Spiele nach Paris zurück und alles war eine Spur größer. Das Turnier wurde über 72 Löcher ausgetragen und insgesamt 60 Starterinnen aus 33 Nationen kämpften um die Medaillen, darunter auch zum ersten Mal Esther Henseleit und Alexandra Försterling aus Deutschland. Chancen wurden ihnen kaum eingeräumt, hatte doch bisher noch nie eine deutsche Golferin bei Olympia die Top 20 erreicht und sogar das gesamte Europa stand im Damengolf noch ohne Medaille da.

Ausgangslage


Weil die Französin Céline Boutier nach der ersten Runde sensationell in Führung lag, erhielt der Damenwettbewerb vom Pariser Publikum noch einmal besondere Aufmerksamkeit. Nach drei Runden war Boutier zwar noch in Reichweite der Medaillen, vorne hatten sich jedoch andere abgesetzt: die Schweizerin Morgane Métraux und Lydia Ko, die ihren Medaillensatz komplett machen wollte. Für die deutschen Teilnehmerinnen schien stattdessen das olympische Motto "Dabei sein ist alles" Programm zu sein. Alexandra Försterling lag abgeschlagen auf dem 40. Platz und Esther Henseleit hatte als 13. bereits fünf Schläge Rückstand auf die Medaillenränge.

Birdie-Run


Bereits in der dritten Runde hatte sich Esther Henseleit langsam mit Le Golf National angefreundet und dank vier Birdies auf den letzten acht Löchern mit einer 69 ihre erste Runde unter Par hingelegt. Am Samstag knüpfte sie nahtlos daran an. Mit einem Birdie-Birdie-Start tankte sie genügend Selbstbewusstsein, um an ihre Außenseiterchance auf die Medaillen zu glauben. Und nachdem sie auf den Bahnen 6, 9 und 10 weitere Birdies hatte folgen lassen, lag sie bei 7 unter Par und war mittendrin im Geschehen, weil sich Morgane Métraux und Rose Zhang aus dem Rennen geschossen hatten und Nelly Kordas Aufholjagd durch ein Triple-Bogey auf der 15 ein jähes Ende gefunden hatte.

Traumschlag


Von der 11 bis zur 16 konnte Henseleit ihre Ausgangslage nicht verbessern. Am Vortag hatte sie die sechs Bahnen noch drei unter Par gepielt, in der Finalrunde lag sie eins über. Zwar hielt sie sich weiter auf dem Silberrang, aber die Konkurrenz war näher gekommen. Zeit für was Besonderes: An der 17 verzog Henseleit ihren Drive etwas nach links in den First Cut - nahe der Stelle, von der Scottie Scheffler eine Woche zuvor sensationell seine Goldmedaille eingetütet hatte. Aus 132 Metern griff sie zum Eisen 9, ließ den Ball kurz vor dem Grün aufkommen und sah, wie er drei Meter hinter die Fahne rollte. Als der Birdie-Putt ins Loch fiel, war die Medaille plötzlich Realität - nur die Farbe noch offen.

Nachspiel


"Nach meinem Birdie an der 17 war ich wirklich ruhig. Auf der 18 war ich in der Lage, alles zu genießen", erinnerte sich Henseleit in der Pressekonferenz. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass auch auf der 18 noch jede Menge Wasser lauerte. Doch Henseleit spielte das Par 5 routiniert runter: Drive ins Fairway, Eisen aufs Grün, zwei Putts zum Birdie. Lediglich die Chinesin Lin Xiyu hätte ihr Silber noch streitig machen können, leistete sich aber an der 17 ein Bogey. Als die Deutsche wenige Minuten später ihre Silbermedaille umgehängt bekam, wirkte sie bewegt, glücklich, aber gleichzeitig auch etwas ungläubig: "Ich glaube, ich brauche noch ein paar Tage, bis ich es realisiert habe", gestand sie in der PK.

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