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Eddie Pepperell

Denk mal drüber nach!

Von Tim Southwell, Fotos: Darren Arthur

'John Malkovich!', lautete Eddie Pepperells Antwort auf die Frage, wer ihn wohl in einer Verfilmung seines Lebens am besten verkörpern könnte, und uns wird schlagartig klar, dass dieses Interview kein gewöhnliches Gespräch über Birdies und Bunkerschläge wird. Vorhang auf für Eddie Pepperell!

Eddie ist auf einen Baum geklettert. Dafür sind wir verantwortlich. Besser gesagt: Wir haben ihn freundlich darum gebeten und er hat zugestimmt. Es ist der Montag vor dem British Masters in Walton Heath und Eddie zückt seinen Entfernungsmesser. Könnte er damit in die Zukunft schauen, würde ihm ganz sicher gefallen, was es dort zu sehen gäbe. Sechs Tage später sollte er das Turnier gewinnen und auf dem Weg dorthin eines der verrücktesten Asse geschossen haben, das jemals von einer TV-Kamera aufgezeichnet wurde. Was immer Eddie "Crazy Ace" Pepperell im Moment auch angeht, es gelingt.

Abseits des Platzes ist Pepperell einer der interessantesten und eloquentesten Athleten der Golfszene. Seine regelmäßig ins Netz gestellten Blog-Einträge sind gleichermaßen ehrlich wie fesselnd, schließlich diskutiert Eddie darin in aller Offenheit die Höhen und Tiefen des Lebens auf der Tour und stellt dabei den Gefühlsausbrüchen des Triumphs ganz selbstverständlich Momente voller Furcht und Zweifel gegenüber. Ich habe mich lange auf dieses Interview gefreut, es kommt schließlich nicht allzu oft vor, dass man einen echten Golf-Existenzialisten trifft, der selbstverständlich nicht wissen kann, dass er das Turnier, auf das er sich gerade vorbereitet, gewinnen wird. Dieser Sieg wird ihn nicht nur in die Top 50 der Welt katapultieren, sondern auch Einladungen zu den WGC-Turnieren und zum Masters in Augusta zur Folge haben.

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WÄRE ICH BEREIT GEWESEN FÜR DEN RYDER CUP? GUT MÖGLICH, ABER UM EHRLICH ZU SEIN, HÄTTE ES SICH WAHRSCHEINLICH ETWAS VERFRÜHT ANGEFÜHLT.
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Rückblende: Im Februar 2018 konnte Eddie beim Qatar Masters seinen ersten Sieg im europäischen Oberhaus feiern. Sein zweiter Platz bei den Scottish Open wenige Monate später war 500.000 Britische Pfund wert, und kaum hielt er diesen Scheck in den Händen, war es an der Zeit, sich etwas zu gönnen: Schokolade und einen Flat White Cappuccino. Bescheidene Wünsche, doch mit Schokolade und Kaffee in der Hand war Eddie nicht zum Genuss bereit, sondern er hielt es für angebracht, folgen de Sätze auf seinem Blog zu veröffentlichen: "Ich muss gestehen, meine jüngsten Erfolge haben ein leicht schales Gefühl in mir ausgelöst, das mich doch in Unruhe versetzt. Ein Beispiel dafür widerfuhr mir heute nach dem Training, als mich die Lust nach einem Latte macchiato und Thorntons- Schokolade überkam. Also fuhr ich die zehn Minuten Umweg zum Orchard Centre in Didcot, kaufte einen Flat White und schlenderte den Hügel hinauf zu Thorntons, während mir beim Gedanken an Wiener Trüffelpralinen das Wasser im Mund zusammenlief. Auf dem Weg kam ich nicht umhin, all die Erwachsenen und Kinder zu bemerken, die zwar alle rundum glücklich schienen, ganz offensichtlich aber längst nicht so privilegiert wie ich waren. Darin liegt ein Teil meiner Unruhe: 'aber ich habe mir diese Privilegien verdient'. Im Moment bin ich Nutznießer der Tatsache, ziemlich gut - wenn auch nicht sensationell - in etwas zu sein. Aber das Entscheidende: nun sehr wohlhabend. Schließlich verzeichnete mein Konto vor einigen Tagen den Eingang von 500.000 Britischen Pfund. Warum also nicht ein wenig davon für Kaffee und Schokolade ausgeben? Vor einem Jahr habe ich an gleicher Stelle wahrscheinlich über Ryan Fox geschrieben, wie er das Geld säckeweise nach Hause trägt und sich mittlerweile wahrscheinlich eine Yacht kaufen kann. Oh, welche Ironie! Also kaufte ich mir die Pralinen: drei Päckchen für 9,50 Pfund - nicht preiswert, ich weiß, aber es handelt sich schließlich auch nicht um gewöhnliche Schokolade. 'Hier sind zehn Pfund, behalten Sie das Wechselgeld. Nicht der Rede wert.' Was Geld angeht, so hoffe ich, über genügend Neugier zu verfügen, um zu verhindern, dass es mich vollständig aufzehrt oder mich noch mehr verwirrt."

Zu viel versprochen? Der Existenzialist unter den Profigolfern, dem man jederzeit das passende Nietzsche- oder Kierkegaard-Zitat zutraut. Egal ob er sich beim Schokoladen verzehr schuldig fühlt, einem Zuschauer beim Czech Masters sein Lob Wedge schenkt oder ganz offen zugibt, während seiner 67er-Schlussrunde bei der Open Championship unter einem höllischen Kater gelitten zu haben - in der Welt des Eddie Pepperell steppt zurzeit der Bär.

Eddie Pepperell: Menschlicher Blitzableiter: Fehlt nur noch ein Drachen
Menschlicher Blitzableiter: Fehlt nur noch ein Drachen
GolfPunk: 2012 bist du über die Mini-Touren getingelt, als du eine Einladung auf die Challenge Tour bekommen und dort umgehend die Allianz Open gewonnen hast. War das der Moment, in dem dir klar wurde, dass du es als Profigolfer zu etwas bringen kannst?
Eddie Pepperell: Wahrscheinlich. Im Jahr zuvor bin ich bei sechs, sieben Turnieren auf der Challenge Tour gestartet und habe mich ganz okay geschlagen. Ich erinnere mich, dass ich nicht gut ins Jahr 2012 startete. Die Euro-Tour-Events, an denen ich teilnahm, waren aus diversen Gründen ziemlich anstrengend. Als ich bei den Allianz Open in Frankreich plötzlich Kontakt zur Spitzengruppe hatte, setzte ein Gefühl von "Mach jetzt das Beste aus dieser Situation!" ein und genau das tat ich. Von diesem Moment an habe ich gute Fortschritte gemacht.

GP: Du warst knapp davor, es ins RyderCupTeam 2018 zu schaffen. Hast du dir darüber Gedanken gemacht, als Thomas Bjørn das Team zusammenstellte?
EP: Kein bisschen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, dass ich eine Chance haben könnte - bis ich nach Prag kam und mir jemand steckte, dass ein Sieg dort genügen würde, um mir einen Platz im Team zu sichern. "Wow!", war meine Reaktion, denn ich hatte daran noch keinen Gedanken verschwendet. Ich habe das dann so interpretiert: Offenbar hatte ich seit dem Beginn des Qualifikationsprozesses im August 2017 ziemlich gutes Golf gespielt. Wäre ich bereit gewesen für den Ryder Cup? Gut möglich, aber um ehrlich zu sein, hätte es sich wahrscheinlich etwas verfrüht angefühlt. Es gibt eine Menge Dinge, in denen mir noch die nötige Erfahrung fehlt. Ich habe bisher noch nicht bei ausreichend vielen Majors mitgespielt. Um für den Ryder Cup infrage zu kommen, muss ich mich zunächst einige Male auf dem höchsten Level des Profigolfs beweisen und bewähren.

GP: Hast du den Ryder Cup im Fernsehen verfolgt?
EP: Ja, jeden einzelnen Schlag. Das ist einer der Gründe, weshalb ich nicht enttäuscht war, nicht selbst mitspielen zu können. Kein anderes Event schaue ich mir so gerne an wie den Ryder Cup. Ich muss gestehen, dass ich den Golfplatz nicht wirklich mag, denn ich kenne keinen anderen Platz, der beim Spielen so viel Stress verursacht wie Le Golf National.

GP: Dein Blog ist nicht gerade die Sorte von Material, die man von einem TourPro erwartet...
EP: Die Wurzeln dazu liegen viele Jahre zurück, als ich mit 18, 19 damit anfing, viel zu lesen. Damals habe ich angefangen zu begreifen, was in meinem Kopf vor sich geht. Ich war immer schon ein nachdenklicher Typ, hatte aber keine Ahnung, wie Denken wirklich funktioniert. Das Lesen bestimmter Bücher hat mir gezeigt, wie man denkt, und dann begann es, aus mir herauszusprudeln wie Lava aus einem Vulkan. All diese Ergüsse musste ich irgendwo sammeln und ein Blog schien mir das passende Medium dafür zu sein. Im Laufe der Jahre hat mir auch der Prozess des Schreibens immer mehr Spaß gemacht. In letzter Zeit habe ich einige meiner alten Posts erneut gelesen und dabei erfreut festgestellt, dass einige Passagen davon immer noch Sinn ergeben. Als ich Ende 2016 die Tourkarte verlor, waren meine Blog-Posts sehr direkt und emotional und mit einigen Erkenntnissen gespickt, an die ich mich heute noch halte. Es fällt mir definitiv leichter, mich in geschriebener Sprache auszudrücken als in gesprochener. Mir steht dann mehr Zeit zur Verfügung, und wenn ich anfange zu schreiben, traue ich mich immer tiefer und tiefer in den Kaninchenbau und es gefällt mir, was ich dort unten, ganz tief in der Seele, antreffe. Ich habe kein Problem damit, meine tiefsten Empfindungen, Ängste und Verletzlichkeiten offenzulegen.

GP: Was waren das für Bücher, die du damals gelesen hast?
EP: Zuerst habe ich vor allem Sportbiografien und Autobiografien gelesen. Zunächst "It's in the Blood" vom Rugby- Spieler Lawrence Dallaglio - ein großartiges und erkenntnisreiches Buch. Plötzlich erkannte ich mich selbst in einem anderen Sportler wieder, in einem sehr erfolgreichen noch dazu. Man lernt, dass Lawrence Dallaglio, Johnny Wilkinson und viele andere enorm erfolgreiche Athleten sich selbst voller Fehler, Mängel, Verletzlichkeiten und Ängste sahen und trotzdem so große Erfolge feierten. Das hat mir gezeigt, dass es nicht darauf ankommt, was man fühlt; was man tut, ist entscheidend. Danach entdeckte ich eine ganze Menge toller Autoren. Malcolm Gladwell zum Beispiel, vor allem seine Bücher "The Tipping Point" und "Blink! Die Macht des Moments". Bei Gladwell hatte ich immer den Eindruck, dass er Themen aus einer neuen Perspektive betrachtet und so ein ganz anderes Licht auf scheinbar längst bekannte Sachverhalte wirft. Diese Methode habe ich dann auf mein Golfspiel angewendet und bin besser darin geworden, Elemente im Spiel anderer Golfer, nicht nur bei mir selbst, zu identifizieren. Auf diese Weise kann man von den Erfahrungen anderer Spieler lernen, ohne diese spezifische Erfahrung jemals selbst gemacht zu haben. Ich bin der Ansicht, dass Erfolg oft aus einer Position des Scheiterns heraus geboren wird, und deshalb bin ich nicht in Panik verfallen, als ich 2016 meine Tourkarte verloren habe. Mein Gedankengang war: "Ich bin nicht einzigartig und dies ist nun meine Möglichkeit, über mich und die Situation, in der ich stecke, nachzudenken, zu verstehen, was passiert ist, und daraufhin besser zu werden." Die nächste Hochphase wird dann viel besser sein, gerade wegen des Tiefs, das man zuvor durchschreiten musste. Vor diesen Tiefs sollte man keine Angst haben und auch nicht vor Fehlschlägen - besonders nicht im Golf. Fehlschläge wird man jede Woche erleben, denn es ist ein Sport, der viel Demut lehrt.

GP: Es ist erstaunlich, wie nahe Erfolg und Scheitern auf dem Golfplatz beieinanderliegen. Man beobachtet den Pro im eigenen Golfclub und kann nicht verstehen, warum er es nie auf die Tour geschafft hat, während man bei einigen erfolgreichen Profis nicht ausmachen kann, worin der Unterschied zwischen ihnen und besagtem Club-Pro liegt...
EP: Das ist tatsächlich interessant, denn es gibt eine Menge Spieler, denen man Erfolg zutrauen würde, und trotzdem kam er nie. Für andere wiederum gilt das genaue Gegenteil und vielleicht spielst du damit auf mich an... Auf dem Golfplatz mache ich jedoch offensichtlich eine ganze Menge richtig, der Erfolg gibt mir recht. Wenn es ans Training geht, bin ich sehr gewissenhaft, was bedeutet, dass ich effektiv trainiere und nicht ganz so viel Zeit dafür aufwenden muss - jedenfalls in der Theorie. [lacht]

GP: Im Blog erwähnst du, wie sehr du darauf achtest, dass Erfolg und Geld dich weder vereinnahmen noch beirren. Viele Golfer würden über so etwas überhaupt nicht nachdenken...
EP: Diesen Post habe ich geschrieben, als ich durch eine Einkaufsstraße schlenderte, um mir Schokolade zu kaufen, und dabei die Menschen beobachtete. Das tun wir alle und ich mag es nicht, einfach nur auf mein Smartphone zu starren. Sehe ich dann eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, wird mir bewusst, wie leicht ich es habe, und ich muss darüber nachdenken, was es wohl bedeutet, dass mir für einen zweiten Platz bei der Scottish Open gerade eine halbe Million Pfund überwiesen wurden. Die meisten der Menschen um mich herum versuchen, einigermaßen über die Runden zu kommen, und meine wirtschaftliche Situation hat sich nun völlig verändert. Ich habe deswegen weder Gewissensbisse noch löst es Emotionen in mir aus. Diese Situation wurde mir in diesem Moment schlicht klar und das habe ich versucht, in diesem Blog-Post zu artikulieren.

GP: Gibt es eine Person, die du aufrichtig bewunderst?
EP: Nicht wirklich, weil ich der Meinung bin, dass wir allesamt unvollkommen sind. Ich bewundere Menschen, die sich das eingestehen, die Fehler eingestehen können, Menschen, die nicht verurteilen. Generell sollte man niemandem gegenüber Vorurteile haben, denn ich denke, jeder von uns ist fähig, wirklich schlechte Dinge zu tun, andererseits ist jeder auch zu wirklich großartigen Taten in der Lage. So etwas wie ein Idol hatte ich nie.

GP: Was ist deiner Meinung nach das Beste an Golf?
EP: Wir haben das bereits angesprochen: Golf lehrt Bescheidenheit, da es so unglaublich knifflig ist. Kinder, die Golf spielen, lernen dabei ganz selbstverständlich, mit Erwachsenen Kontakte zu knüpfen, und können sich dadurch weiterentwickeln. Heutzutage scheint ein Trend zu sein, dass besonders Jugendliche auf der Suche nach schneller Anerkennung und einfachen Lösungen sind. Golf bietet genau das Gegenteil, der Sport bietet Entwicklungsmöglichkeiten, keine Lösungen.

GP: Und was ist die andere, negative Seite von Golf?
EP: Ich würde gerne "Traditionen" sagen, aber das ist eine Wischiwaschi-Antwort. Es gibt im Golf durchaus Traditionen, die sinnvoll und deshalb auch gut sind. Vieles ist jedoch einfach antiquiert und sollte deshalb links liegen gelassen werde. Generell sollte Golf moderner werden. Ich könnte natürlich auch "langsames Spiel" auf diese Frage antworten - aber hey, es gibt drängendere Probleme auf der Welt.

GP: Nachdem du nun auf der Tour gewonnen hast, wie definierst du Erfolg?
EP: Ein Turnier gewinnen zu können war eine großartige Sache. Es fühlte sich toll an. Nicht weil ich alle anderen geschlagen habe, sondern weil niemand in der Lage war, mich zu schlagen. Das wurde mir erst hinterher klar. Dieses Gefühl hängt auch mit der Art und Weise meines Golfspiels zusammen. Ich bin keiner dieser Super-Bomber wie Brooks Koepka oder Rory McIlroy. Deshalb genieße ich diesen Prozess, mithilfe von Köpfchen, Können und in gewisser Weise auch Kunstfertigkeit ein wirklich guter Golfer zu werden. Das verlange ich mir selbst ab: Ich möchte diesen Weg konstant fortführen, denn stetige Verbesserung ist es, was in meinen Augen Erfolg definiert.

 

Steckbrief

Name: Edward Louis Pepperell
Alter: 28 Jahre
Wohnort: Oxford, England
Profi seit: 2011
Lieblingsteam: Chelsea FC
Erfolge:
• 2012 Allianz Open (Challenge Tour)
• 2018 Qatar Masters (European Tour)
• 2018 British Masters (European Tour)

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