Die Karriere des heute 39-Jährigen ist eine einzige Achterbahnfahrt. Über 400 Turniere hat er auf den beiden wichtigsten europäischen Touren gespielt. Von Finalrunden bei der US Open und einem 200.000-Euro-Preisgeldscheck über Indoor-Turniere am Golfsimulator bis hin zum Broterwerb als Bäcker in weniger einträglichen Zeiten - Wil Besseling hat bereits zahlreiche Höhen und Tiefen erlebt. Aktuell ist er bis auf Rang 870 in der Weltrangliste zurückgefallen und kämpft um seine Tourkarte für 2026. Dafür benötigt der 1,90-Meter-Schlaks im Saisonendspurt noch ein paar Spitzenresultate - wie er sie in diesem Jahr bislang noch nicht zusammengebracht hat. Sehr wahrscheinlich muss er 2026 sein Glück auf der Challenge Tour versuchen, wieder einmal.
Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Nordholland eine gute halbe Autostunde nördlich von Amsterdam ist er als Heranwachsender sportlich vielfältig unterwegs, spielt Tennis, Volleyball oder Hockey und liebt Skaten und Surfen. Erst als sich seine Eltern scheiden lassen, kommt er im Alter von zwölf Jahren durch den neuen Partner seiner Mutter in Kontakt mit Golf: im Westfriese Golfclub, wo er heute noch Mitglied ist. "Als ich das erste Mal einen Golfplatz und eine Driving Range gesehen habe, hat mich das total fasziniert. Wenn du vorher andere Sportarten gemacht hast, hast du weniger Probleme mit neuen Bewegungen oder der Schläger-Ball-Koordination. Ich habe Golf sofort geliebt und mich voll darauf fokussiert." Die Achterbahn fängt an, sich den Schienenstrang hinaufzuarbeiten.


»ES GAB IMMER MOMENTE, IN DENEN ICH GEFÜHLT HABE, DASS ICH GUT BIN, BESSER ALS DIE MEISTEN.«
Besseling muss lernen, seine Karriere eigenständig zu navigieren. "Der Schritt vom Amateur zum Profi ist ohnehin schon schwierig. Wenn du aber mit 20, 21 Jahren allein um die Welt reist und versuchst, dir ein Leben als Profi aufzubauen, wirst du mit vielen neuen und schwierigen Herausforderungen konfrontiert. Da brauchst du Leute, mit denen du dich sicher fühlst, denen du vertraust, mit denen du auch über Rückschläge reden kannst, die dir helfen, dich weiterzuentwickeln. Alles war plötzlich anders und ich fand keinen passenden Ersatz." Am Anfang kompensiert er das noch und marschiert über die EPD Tour und die Challenge Tour bis auf die European Tour durch. Aber der Rückschlag ist längst vorprogrammiert. Bereits im ersten Jahr verliert der Newcomer seine Spielberechtigung für die große Tour. "Ich bin zwar dorthin gekommen, war aber nicht ausreichend vorbereitet auf die ganzen Reisen, die Plätze und die unterschiedlichen Bedingungen."
Es folgen einige Jahre auf der Challenge Tour inklusive zahlreicher Versuche, über die Q School wieder in die Beletage aufzusteigen. Dauerhaft etablieren kann er sich nicht. "Das hat manchmal wirklich keinen Spaß gemacht und war nicht einfach. Nach fünf Jahren endete mein Vertrag mit dem Golf Team Holland und ich musste mir eigene Sponsoren suchen." Der Tiefpunkt: 2014 kämpft er bei einem Turnier in Aserbaidschan um den Cut und verpasst ihn. "Ich hatte das Gefühl, überhaupt keine Kontrolle mehr darüber zu haben, was ich tue. Ich war körperlich und mental absolut im Eimer und wusste in dem Moment nicht, wie es weitergehen sollte." Ans Aufhören aber denkt er nicht. "Es gab immer Momente, in denen ich gefühlt habe, dass ich gut bin, besser als die meisten. Ich wollte sehen, wohin ich kommen kann. Meine Freunde und Sponsoren haben mir geholfen, weiter daran zu glauben und den Weg weiterzugehen." Seine Frau Shirley, mit der er seit 2011 verheiratet ist, hält ihm den Rücken frei, wenn er unterwegs ist. "Sie ist die wichtigste Person für mich. Wie sie sich um unsere drei Kinder und das Haus und alles drumherum kümmert, ist fantastisch."

Während der Corona-Pandemie ruft die Tour Simulator-Turniere ins Leben, deren Preisgelder für soziale Zwecke bestimmt sind. Wil gewinnt einige der Wettkämpfe und kann sich auf diese Weise bei seinen Gönnern revanchieren, denn Johan Paters Frau Marlene unterstützt mit ihrer Stiftung den Aufbau von Bäckereien in Afrika und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Kenia und Uganda.
Das Schöne an einer Achterbahn ist, dass sie wieder nach oben fährt, wenn sie mal ganz unten angekommen ist. Und tatsächlich: Von 2019 bis 2022 etabliert sich der mohrrübenblonde Holländer auf der großen Bühne, taucht regelmäßig auf dem Leaderboard auf und verdient endlich ordentlich Geld. Bei der Alfred Dunhill Links Championship, der Austrian Open und in Andalusien wird er Dritter. Er beendet das Race to Dubai auf Rang 68, wird bei der DP World Tour Championship geteilter 43. und klettert in der Weltrangliste auf Platz 168. Im Folgejahr landet er in Österreich auf Rang vier. Bei der Open de España liegt er nach zwei Runden in Führung und geht mit dem "Local Hero" Jon Rahm auf die Finalrunde. "Diesen Kampf annehmen zu können, mit dem Publikum klarzukommen - das sind die Momente, für die du trainierst und spielst."


Die Premierensiege von Nicolai von Dellingshausen und Kristoffer Reitan in dieser Saison haben ihm Mut gemacht. "Es zeigt, dass es jederzeit passieren kann. Und solange ich diesen Weg gehe, will ich ihn genießen." Auch Wil Besseling würde gerne aus der Achterbahn aussteigen und einfach nur noch geradeaus fahren. Doch jeder Rückschlag hat ihn geformt, jedes Comeback seine Entschlossenheit gestärkt. Wil Besseling verkörpert Kampfgeist und Bodenständigkeit. Sein Weg erinnert uns alle daran: Golf ist mehr als ein Spiel - es ist eine Schule des Lebens.

Steckbrief
NameWIL BESSELING
JahrgangG
1985
Wohnort
HOORN
Profi seit
2006
Lieblingsfilm
"DIE VERURTEILTEN"
Erfolge (Auszug)
2008
Club Colombia Masters (Challenge-Tour-Sieg)
2009
Madeira Open (3. Platz)
2019
Alfred Dunhill Championship (3. Patz)
2020
Austrian Open (3. Platz)
2020
Andalucía Masters (3. Platz)
2022
Porsche European Open (2. Platz)