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Golfpunks dieser Welt

John Ball

Von Janek Weiß, Fotos: Getty Images

1930 gewann Bobby Jones die Amateur Championship und die Open. Nur ein anderer Mensch schaffte es, beide in einem Jahr zu gewinnen: John Ball jr. aus Royal Liverpool, der öfter in den Siegerlisten der Amateur Championship steht als jeder andere.

Für die ersten 30 Jahre der Open Championship galten zwei Dinge als unabdinglich: Der Sieger wird ein Profi sein und die schottischen Farben vertreten. Doch am 11. September 1890 durchbrach der englische Amateur John Ball junior gleich beide Glaubensgrundsätze. Sein Coup blieb nicht unbemerkt. Kurz nach dem Triumph wurde an ihn die Porträt-Anfrage eines Magazins herangetragen. Der 28-Jährige reagierte irritiert: "Sag dem Redakteur, dass ich mir nichts vorstellen kann, was der Leser interessant finden könnte."

Der geneigte Golf-Liebhaber dürfte allerdings kaum etwas interessanter finden, als in die formativen Jahre des "Royal & Ancient Game" und das Leben einer seiner frühesten Ikonen einzutauchen. John Ball jr. wird ein Jahr nach der ersten Austragung der The Open am 24.12.1861 in Hoylake geboren. Sein Lebensweg ist quasi vorbestimmt: Johns Familie besitzt das "Royal Hotel" und bewirtschaftet das umliegende Land. Als er noch ein Dreikäsehoch ist, passieren zwei Gentlemen in einer Kutsche die Ländereien der Balls. Sie inspizieren mit Erlaubnis des Vaters den Küstenstrich. Es ist eine Art Proberunde, denn einer der Herren, die ein geeignetes Gelände suchen, ist der gefeierte Amateur-Golfer Robert Chambers aus Edinburgh. Und so wird 1869 der Royal Liverpool Golf Club aus der Taufe gehoben - mit dem "Royal Hotel" als Clubhaus.

Um zu verstehen, wie klein die Welt des Golfsports damals noch ist: Robert Chambers hat mit George Morris, Bruder des großen Old Tom, seinen persönlichen Pro. Gemeinsam entwerfen Robert und George die ersten neun Löcher. Und Georges Sohn Jack wird Pro, Greenkeeper und Schlägerbauer der neuen Anlage. Dank der Nähe zu der schottischen Golffamilie und dem industriellen Reichtum Liverpools etabliert sich der Platz schnell und erhält bereits 1871 den royalen Beinamen. Und so ist John mit nur zehn Jahren Zeuge, als eine kleine Elite der schottischen Golfer 1872 der Einladung des Clubs folgt und das Grand Professional Tournament ausspielt. Zweifellos lernt der Junge durch das Zuschauen am meisten. Er kopiert die Golfschwünge der Heroen mit Niblick und Spoon. Und nur wenige Wochen nach dem von Tom Morris jr. gewonnenen Einladungsturnier erringt Ball seine erste Trophäe: die für die Söhne der Mitglieder unter 15 Jahren ausgespielte "Boys Medal". Der Wettbewerb wird bis heute ausgetragen, eine clubeigene Golftradition beinahe so alt wie das moderne Spiel selbst.

Golfpunks dieser Welt: Golfschläger und Ball (l.)Golfpunks dieser Welt: Golfschläger und Ball (l.)
Golfschläger und Ball (l.)

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ALS JAHRE SPÄTER FREDDIE TAIT DAS FINALE GEGEN BALL AM ERSTEN EXTRALOCH VERLIERT, SAGT ER, DASS ER LIEBER GEGEN BALL DAS NACHSEHEN HABE ALS GEGEN IRGENDEINEN ANDEREN MANN IN DER WELT.
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1887 ist John Ball in seinen Zwanzigern und unumstritten der beste Golfer des Royal Liverpool. "Sein Driving ist das Schönste, was Golf dem Zuschauer zu bieten hat: die Fähigkeit, sich auf den Moment zu konzentrieren und auf den Punkt all die muskuläre Kraft, die der menschliche Körper bietet, zu entladen", schwärmt Horace Hutchinson in "The Book of Golf & Golfers". In Hoylake schießt Ball alles kurz und klein. Er ist bis heute der Einzige, der alle sechs "Scratch Medals", also die höchsten Clubehren, in einem Jahr gewinnen kann. In den Chroniken des Clubs füllt sein Name die Spalten. "The Field", ein Magazin über Outdoor-Aktivitäten wie etwa die Jagd und seit den frühen 1860ern eben auch Golf, zitiert zu dieser Zeit niemand Geringeren als Old Tom Morris mit den Worten, dass Mr. Ball der beste Amateur-Golfer der Welt sei.

Warum also glaubt der junge Engländer, über ihn gäbe es nichts Interessantes zu schreiben? Ball ist ein ausgesprochen bescheidener Mann, zurückhaltend bis hin zur Schüchternheit. Hutchinson schreibt, dass es eine Weile gebraucht habe, bis er das Selbstbewusstsein und den Glauben an sich selbst gefunden habe. In den Siegerlisten findet man andere Namen: Harold Hilton, Robert Chambers' Sohn Charles, später Frederick Tait oder Leslie Balfour-Melville. Die Verwunderung ob Balls Siegschwäche ist Gesprächsthema an den Tresen der Clubhäuser - unter Spielern wie Zuschauern gleichermaßen. Ist John Ball zu nett? "Sein normaler Ballflug war flach, stieg zum Ende hin an und fiel oft tot an den Stock. Warum kann er dann nicht gewinnen? Ist es am Ende, obwohl er famos spielt, die Nervosität auf den Grüns?", zitierte "The Golfing Annual" die gängige Erklärung der damaligen Zeit. Ganz klar: Johnny hat die Tendenz, kurze Putts zu verschieben. Gerade mit dem Eisen 1 ist er dagegen eine Klasse für sich. Den Niblick, also ein 8er- oder 9er-Eisen heutiger Zeit, verachtet er ob seines Lofts als "einen weiteren verdammten Spaten". Er regt bei der R&A sogar an, diesen in Wettkämpfen als nicht regelkonform zu verbieten.

Einer dieser Wettkämpfe wird ab 1885 auf Betreiben von Royal Liverpool initiiert - keine 16 Jahre nach Gründung des Clubs, wohlgemerkt. Im Jahr darauf wird die Amateur Championship offiziell von St. Andrews, Hoylake und Prestwick als Pendant zur Open Championship etabliert und ist bis heute das renommierteste Turnier für Amateure. Aber zurück zur Erstauflage in Hoylake, wo Ball jr. mit einer 76 gerade erst den Platzrekord aufgestellt hat. Auf dem Weg zum erhofften Heimsieg schaltet der Junior in der dritten Match-Play-Runde seinen Vater aus. Doch im Halbfinale der Schock: Johnny verliert 2down gegen Horace Hutchinson.

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Als Ball später im Jahr bei The Open antritt, ist seine Sinnkrise offensichtlich. In den Annalen heißt es, Mr. Ball habe seine Scorekarte nicht eingereicht. Ein Jahr später in St. Andrews versucht er erneut sein Glück bei der Amateur Championship. "Balls Spiel war elendig, komplett von der Rolle. Es sah so aus, als habe er mit dem Match nichts zu tun", kommentiert "The Field" nach der 7&6-Klatsche im Halbfinale. 1887 steht er endlich im Finale - und verliert gegen Hutchinson. Schon wieder.

1888 ist dann erstmals Prestwick Ausrichter. Ball ist in guter Form und hat gerade im Lytham & St Annes Golf Club mit einer 73 den Platzrekord verbessert. Zehn Jahre zuvor hatte er als 16-Jähriger bei seiner ersten Open-Teilnahme in Prestwick vor dem Finaltag realistische Chancen auf den Sieg, am Ende wurde er Fünfter. Das Putten eben, damals schon. Mit Prestwick verbindet Ball also gute Erinnerungen und tatsächlich bringt er endlich die so lange gejagte Trophäe nach Hause. Daneben darf er sich einen Artikel im Wert von acht Pfund aussuchen. Er wählt eine zweiläufige Schrotflinte. Wie treffend, ist doch die Hasenplage auf dem Hoylake Links geradezu explodiert und Familie Ball hat sich die Rechte gesichert, die Hasen für den Eigenbedarf zu schießen. Rabbit Meat Pie wird wohl ein Dauerbrenner auf der Hotel-Speisekarte gewesen sein.

Die Zweifel, ob John Ball jr. die Courage zu großen Siegen habe, sind ausgeräumt, der Respekt vor ihm bleibt. Als Jahre später der Schotte Freddie Tait das Finale gegen Ball am ersten Extraloch verliert, sagt er, dass er lieber gegen Ball das Nachsehen habe als gegen irgendeinen anderen Mann in der Welt. Mit seinem ersten Sieg brechen für den Engländer alle Dämme. 1890 kehrt die Amateur Championship in Balls Vorgarten nach Hoylake zurück.

Die Hasen sind an den Rand der einstigen Pferderennbahn verdrängt, doch die letzten Bahnen verlaufen durch ihre Rückzugsgebiete und "kein wilder Driver sollte ohne trainiertes Frettchen anreisen, das den Guttapercha-Ball aus den Löchern apportiert", findet die "Saturday Review" eine kreative Beschreibung für den Platzzustand. John Ball ist als Golfer auf dieser ehemaligen Schafweide gereift, kennt jeden Halm. Er ist der große Favorit auf seinen zweiten Titel. Im Viertelfinale wartet mit Harold Hilton die Spitze der zweiten Generation junger englischer Amateur-Golfer, ebenfalls groß geworden in Royal Liverpool. Ball gewinnt und sichert sich mit einem 4&3 im Finale gegen Johnny Laidlay überlegen den Titel - und das Startrecht für die Open Championship im September. Es ist erst Balls dritter Start beim Traditionsturnier, der zweite in seinem zweiten Wohnzimmer Prestwick.

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Es ist die 30. Auflage der Open und bisher haben die Profis immer den Sieg unter sich ausgemacht. Anders als die Amateur Championship verzeiht die im Zählspiel ausgetragene Open keine Fehler. Das muss in Prestwick Balls Mitspieler Willie Campbell erfahren. Nach einer 8 und zwei weiteren vergurkten Löchern zerreißt der Schotte seine Scorekarte und tritt nie wieder bei der Open an. Ball hingegen bleibt ruhig. Nach der ersten von zwei Runden liegt er einen Schlag hinter Andrew Kirkaldy und schlaggleich mit Hugh Kirkaldy. Doch mit Runden von 89 und 91 schießen sich die beiden Brüder aus dem Rennen. Der Weg ist frei für John Ball. Die Zeitschrift "Golf" zeigt sich begeistert: "Der Sieg von Mr. Ball wird selbst von den Professionals als kein Zufall eingeordnet. Im Gegenteil, der Sieg ist seiner Überlegenheit gegenüber seinen Wettstreitern zu verdanken. Mr. Balls Spiel wird von den Zuschauern bewundert und sein Wesen auf dem Platz gilt als Beispiel, wie alle erfolgreichen Golfer sein sollten."

Zurück in Hoylake wird John Ball junior in den Stand eines lebenslangen Mitglieds des Clubs erhoben. Der Royal Liverpool Golf Club ist bis heute untrennbar mit seinem Namen verbunden. Die beiden Medaillen aus dem Jahr 1890 sind heute noch dort zu bewundern, und wer das Treppenhaus des ehrwürdigen Clubhauses betritt, wird von überlebensgroßen Porträts begrüßt. Natürlich Johnny Ball. Daneben Harold Hilton, der dessen Husarenstück als Amateursieger bei der Open 1892 wiederholt, und Bobby Jones: der Einzige, der die Amateur Championship und The Open 1930 ebenfalls in einem Jahr gewinnt. Aber das ist eine Geschichte aus einem anderen Jahrhundert.

John Ball hört nach seinem größten Coup nicht auf zu siegen. Sechs weitere Male holt er die Amateur Championship, ein unangefochtener Rekord. Das letzte Ausrufezeichen setzt er 1912 mit 50 Jahren in Royal North Devon. Nach 38 Löchern ringt er den halb so alten Abe Mitchell nieder und sichert sich die achte Amateur Championship. Hätte er nicht 1900 und 1901 im Zweiten Burenkrieg gedient, hätte er sogar noch die Chance auf zwei weitere Siege gehabt.

Doch auch so hat der kurz vor seinem 79. Geburtstag in Wales verstorbene Golfstar alles richtig gemacht. Nur in einer Sache irrte er. Denn es gäbe noch so viel mehr Interessantes zu erzählen über John Ball junior.

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