Als ich Guido Migliozzi Anfang Juni bei den European Open im Green Eagle Golf Club vor den Toren Hamburgs treffe, geht es ihm bestens. Der Veneter verkörpert den klassischen Schwiegermutter-Liebling: ein 1,80 Meter großer, wohlerzogener und höflicher Beau mit ruhigem Auftreten, der als etablierter Spieler auf der DP World Tour ausgesorgt hat. Mit meiner Einstiegsfrage will ich ihn gleich mal aus der Reserve locken: "Wie findest du das 18. Grün im K Club an einem Montag?" Er schaut mich kurz verständnislos an. Dann dämmert es ihm. "Oh Mann, da habe ich beim Zocken gegen Freddy Schott 500 Euro verloren", erinnert er sich und muss lachen. Guido ist für Späße und Zockereien immer zu haben.
Aber hinter ihm liegt eine harte Zeit. Ein Jahr zuvor markierte ebenjenes Turnier vor den Toren Hamburgs einen bis dahin nicht gekannten Tiefpunkt seiner Karriere. "Ich habe meinen Driver zerbrochen, was ich vorher noch nie getan hatte. Ich bin nicht der Typ, der Schläger schmeißt oder zerbricht. Aber ich war so frustriert. Ich habe gedacht: ,Fuck, ich kann den Ball nicht mehr dahin schlagen, wo ich ihn hinhaben will.' Ich sage dir, jeder Golfer hat schon mal daran gedacht aufzuhören. Das war bei mir so ein Moment. Aber natürlich machst du es dann nicht."
»ICH HABE VIELES GEMACHT, WAS KINDER SO TUN: FUSSBALL, TENNIS, SCHWIMMEN, SKI, RADFAHREN - ABER BEI GOLF WAR ES SOFORT LIEBE.«
Kaum noch etwas funktionierte, die Ergebnisse blieben aus. Vom neuntbesten Schlagdurchschnitt auf der DP World Tour im Jahr 2021 stürzte er 2022 ab auf Platz 139 und in der Weltrangliste ging es innerhalb von 30 Monaten von Platz 65 auf Platz 274 runter. Guido wechselte das Management und den Caddie, doch die Lösung lag viel näher, wie er mir in Hamburg erzählt: "Anfang des Jahres hatte ich eine Unterhaltung mit dem Golftrainer Pete Cowen. Seither höre ich wieder mehr auf meinen Körper und lasse ihn das tun, womit er sich gut und wohlfühlt. Ich kehrte zurück zu meinem natürlichen Stand und der gewohnten Ansprechposition, anstatt ständig irgendwelche verschwurbelten Schwungverbesserungen zu probieren. So fühle ich auf dem Golfplatz wieder, was ich als Kind gefühlt habe."
Allerdings braucht auch dieser Prozess seine Zeit. Auf einer Runde bei der ISPS Handa Championship in Japan im April spürte er etwas. Direkt danach ging er mit seinem Caddie auf die Range. Nach drei Minuten machte es klick und die beiden sind sofort wieder auf den Platz. "Es war die Ballposition. Ich habe den Ball immer etwas mehr vom rechten Fuß gespielt, um mehr Druck und Kontrolle zu haben, auch wenn er dadurch ein wenig flacher fliegt. Das hat sich wieder gewohnt angefühlt." Es folgten ein zweiter Rang in China und der achte Platz in Green Eagle und drei Wochen später gewann er als erster Italiener seit Alfonso Angelini 1955 die KLM Open in Amsterdam - beim 137. Start auf der DP World Tour sein vierter Sieg. "Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich wieder gewinnen kann. Es ist ein überragendes Gefühl. Ich danke meiner Familie, meinem Team, meiner Freundin, all den Menschen, die mir nahestehen, von ganzem Herzen."
Begonnen hat alles in Vicenza, wo Guido wohlbehütet aufwuchs. "Ich habe drei Schwestern und mich zu Hause oft wie ein Tornado benommen. Eines Tages hat meine Mutter meinen Vater Giovanni angefleht: ,Bring den Jungen hier raus!' Ich war fünf Jahre alt, als er mich zum Golfplatz Montecchia mitnahm und mit mir herumfuhr. Irgendwann habe ich es ausprobiert. Es gab dort ein 140 Meter langes Par 3, 125 Meter carry über Wasser. Ich habe mich mega abgefeiert, als ich da zum ersten Mal mit dem Driver aufs Grün gekommen bin. Mit zehn Jahren war ich dann im Junioren-Team. Ich habe vieles gemacht, was Kinder so tun: Fußball, Tennis, Schwimmen, Ski, Radfahren - aber bei Golf war es sofort Liebe. Schon in der Grundschule habe ich allen gesagt: ,Ich spiele Golf und will Golfprofi werden.'"
Von klein auf ist er beim ehemaligen Tour-Pro Niccolò Bisazza in besten Trainerhänden und gewinnt schon als Jugendlicher bedeutende nationale und internationale Turniere en masse. Guido bewundert Tiger Woods und seinen Landsmann Matteo Manassero. "Er war mein Idol und hat schon in jungen Jahren Turniere auf der Tour gewonnen. Als ich auf dem Gymnasium war, hat er in Wentworth gewonnen, obwohl er gerade mal vier Jahre älter war. Das hat mich angespornt. Ich habe mir gesagt: ,Ich habe noch vier Jahre Zeit, um genauso gut zu sein.' Heute sind wir gut befreundet. Matteo ist einer der Besten im kurzen Spiel, das ich mir immer genau anschaue."
Mit 19 Jahren wird Guido Profi, spielt sich über die Alps Tour, die Challenge Tour und die Q School in die erste Liga und gewinnt dort sofort zwei Turniere. Seine Major-Premiere beendet er bei der US Open als geteilter Vierter und in Tokio ist er 2021 bei seinen ersten Olympischen Spielen dabei. Ein Jahr später steht er in Paris nach einem perfekten Abschlag auf dem 18. Fairway im Le Golf National und hat noch 180 Meter zum Inselgrün. Mit sechs Schlägen Rückstand in die Finalrunde gestartet hatte Migliozzi bis zu diesem Zeitpunkt bei böigen und wechselnden Winden bereits acht Birdies gespielt. Nun steht er auf der schwierigsten Bahn der gesamten europäischen Tourbühne und diskutiert mit seinem Caddie Alberto Calvo die Schlägerwahl. Ein sicheres Eisen 6 in die Grünmitte, um mit zwei Putts das Par zu sichern? Oder die Attacke auf die Fahne mit dem Eisen 5?
Man stelle sich den Moment vor: Nach über drei sieglosen Jahren geht es um den Triumph bei der Open de France und eine halbe Million Euro Preisgeld. Da könnten einem schon mal die Hände zittern oder der Schwung einfrieren. Oder man heißt Guido Migliozzi, dessen Lebensmotto lautet: "Ich liebe Drucksituationen. Das bedeutet, dass du gut spielst." Er cuttet sein 5er-Eisen mit dem besten Schlag, den dieses Grün je gesehen hat, an den Stock, spielt an der 18 das einzige Birdie des gesamten Turniertags sowie mit einer 62 die niedrigste Runde in der 106-jährigen Turniergeschichte und feiert den bis dahin größten Erfolg seiner Karriere mit breitem Grinsen und einem Kuss von Freundin Marta.
Die beiden, die gemeinsam in Dubai leben, haben schon als Kinder miteinander gespielt. "Nachdem wir uns einige Jahre aus den Augen verloren hatten, trafen wir uns eines Tages zufällig wieder. Wir sahen uns in die Augen und es war wie Liebe auf den ersten Blick. Seitdem sind wir zusammen. Sie gibt mir Ruhe und Zuversicht - grundlegende Komponenten im Leben wie auch im Golf."
Wie alle so will auch Guido ein Major gewinnen, auf der PGA Tour spielen und beim Ryder Cup dabei sein. Nach seinem Sieg in Paris stand er sogar schon kurz davor, in seiner Heimat für Europa aufzuteen, was auch ein Twitter-Post von Captain Luke Donald nahelegt: "Toller Guido! Der Einzige, der am letzten Loch ein Birdie spielt! Beeindruckend! Champion!" Doch dann folgte der Absturz. Das sportliche Horrorjahr scheint jedoch nur eine gebrochene Sprosse auf seiner Karriereleiter gewesen zu sein. Der Aufstieg von Guido Migliozzi in die erste Reihe ist noch nicht zu Ende.
Steckbrief
NAMEGuido Migliozzi
ALTER
27 Jahre
WOHNORT
Dubai
PROFI SEIT
2016
LIEBLINGSSTAR
Jason Statham
LIEBLINGSSERIE
Breaking Bad
ERFOLGE 2024
KLM Open (1.)
Volvo China Open (2.)
European Masters (T-8)
European Open (T-8)