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Stephan Jäger

The Bavarian Boy

Von Rudi Schaarschmidt, Fotos: Getty Images, Rainer Dahmen

Er ist der erste Golfprofi, dem eine 58 auf einer großen Tour gelang, er gewann bisher viermal auf der Web.com Tour in den Vereinigten Staaten und kein Golfexperte dieser Welt hat Zweifel an seinem riesigen Talent. Trotzdem fliegt Stephan Jäger hierzulande noch unter dem Radar. Sicher nicht mehr lange!

Gut fünf Meter hoch sind die Porträts der Topstars der BMW International Open in Pulheim, die an der Rückseite der Tribüne am 18. Loch aufgehängt wurden. Imposant, wie die überlebensgroßen Fotos da nebeneinander thronen: Tommy Fleetwood, Sergio García, Ernie Els und... Stephan Jäger. Das freut den Bayern, der bei einem seiner seltenen Abstecher nach Europa für uns stolz vor seinem Mega-Poster posiert. Dabei haben viele Besucher den Namen des laut Weltrangliste (241) drittbesten deutschen Golfprofis noch nie gehört. Es wird Zeit, dies ein für alle Mal zu ändern.

GolfPunk: Wie bist du zum Golf gekommen?
Stephan Jäger: Meine Eltern waren Gründungsmitglieder in Eichenried und haben dort gewohnt. Meine 13 Jahre ältere Schwester hat auch viel Golf gespielt. Wir haben viele Urlaube gemacht, weil mein Vater ein Reisebüro hat und wir dadurch immer recht günstig in tolle Destinationen gekommen sind. Anfangs bin ich immer nur Kart gefahren. Mit acht oder neun Jahren wollte ich dann auch mal Golf spielen. Das Jugendtraining in Eichenried war super und hat echt Spaß gemacht. Wir haben zehn Minuten Golf gespielt, dann 20 Minuten Fußball.

Hat dich Golf gleich gepackt?
Na ja, ich habe Fußball gespielt, Tennis gespielt, Eishockey gespielt, eigentlich alles gespielt. Am Anfang also eher nicht. Aber dann bekommst du mehr und mehr Freunde auf dem Golfplatz, trainierst eine Stunde und machst dann wieder stundenlang nur Schmarrn. Das war mein "happy place". Dann wurde ich immer besser, habe mein Handicap runtergeschraubt, bin bayerischer Jugendmeister geworden.

So was kommt ja nicht von ungefähr.
Ja, aber wenn du neben dem Golfplatz lebst und deine Nachmittage auf dem Golfplatz verbringst, dann trainierst du zwar nicht sechs Stunden, aber du machst halt Spielchen, chippst um die Wette, versuchst, möglichst viel Spin zu erzeugen, und so weiter. Und wenn du ein bisschen talentiert bist, geht das dann ganz schnell.

Stephan Jäger:

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ICH WUSSTE, DASS ICH GOLFPROFI WERDE, UND HABE KEINEN PLAN B GEHABT. PLAN B IST EINE DEUTSCHE MENTALITÄT. DIE AMERIKANISCHE MENTALITÄT IST: JUST DO IT.
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Gab es damals Vorbilder?
Klar. Tiger war damals, so 2000 bis 2003, der absolute Oberhammer.

Hat sich das heute gelegt?
Nein. Tiger ist immer noch mein Hero. Wenn ich ihn bei einem Turnier sehe, ist das immer noch unglaublich. Jedenfalls haben wir 2006 die Entscheidung getroffen, dass ich für ein Jahr als Austauschschüler in die USA gehe, mir das mal anschaue, die englische Sprache lerne, dann wieder zurückkomme, das Abi mache, und wenn's klappt, wieder zurück aufs College gehe. So war der Plan. Dann habe ich aber herausgefunden, dass ich in Amerika nur noch ein Jahr zur Schule müsste. Ich war in Deutschland im letzten 13er-Jahrgang und so hätte ich mir ein Jahr gespart. Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich sowieso studieren werde und dass es danach wurscht sei, ob ich ein Abi oder einen High-School-Abschluss hätte. Aber je mehr einen die College-Trainer beobachten können, desto größer ist die Chance, ein Stipendium zu bekommen. Das hat dann auch geklappt und so habe ich 2008 in Chattanooga an der University of Tennessee angefangen zu studieren.

Hast du dein Studium abgeschlossen?
Ich habe alle vier Jahre zu Ende gemacht und bin Bachelor of Psychology.

Nützt dir das bei deinem Golfspiel?
Nein. Die Psychologen sind wahrscheinlich am schlimmsten beieinander im Hirn, weil sie meinen, alles analysieren zu müssen. Außerdem bist du als Bachelor ja auch kein Master oder Psychologe.

Warum hast du dich für dieses Fach entschieden?
Weil mich das interessiert hat - jedenfalls nicht mit dem Hintergedanken, falls es mit dem Golfspielen nicht klappt. Ich wusste, dass ich Profi werde, und habe keinen Plan B gehabt.

Aber als Golfprofi weiß man ja auch nicht, wie es dann tatsächlich läuft.
Ich sag's noch mal: Ich hatte keinen Plan B. Plan B ist eine deutsche Mentalität. Die amerikanische Mentalität ist: Just do it. Deshalb hat mir das dort drüben auf Anhieb so gut gefallen. Ich leg alle Eier in den gleichen Kasten, gehe voll drauf und das funktioniert. Wenn du einen Plan B hast, geht Plan A nie zu 100 Prozent in Erfüllung, weil du im Hinterkopf ein Schlupfloch hast. Und das geht nicht.

Ist denn der Plan A für dich schon aufgegangen?
Plan A war, dass ich vom Golfspielen leben kann.

Du hast 2018 bislang 384.000 Dollar verdient, das scheint also zu funktionieren. 2014 hast du auf der lateinamerikanischen Tour 13.000 Dollar Preisgeld verdient - das war eher dünn, oder?
Das war nicht so gut. Aber jetzt kann ich davon leben. Klar habe ich noch nicht mal annähernd meine Ziele erreicht.

Kannst du diese Ziele genau definieren?
Ich könnte jetzt sagen, dass ich Top Ten der Welt werden will oder dass ich Majors gewinnen will. Aber ich will einfach nur Turniere gewinnen, so viele wie möglich. Ob das jetzt ein Major ist oder die BMW International Open in Pulheim oder sonst was, ist mir vollkommen wurscht. Ich will Turniere gewinnen. So viele wie möglich, bis ich nicht mehr kann.

Vier Turniere hat der 29-Jährige, seit 2012 Profi, bislang auf der Web.com Tour gewonnen. Zuletzt im Mai, als er sich - für die Players nicht qualifiziert - parallel in Knoxville 99.000 Dollar Siegprämie einheimste. Vor allem aber hatte sein Premierensieg bei der Ellie Mae Classic in Kalifornien im Juli 2016 für Furore gesorgt. Bei seiner Auftaktrunde traf er 12 von 13 Fairways, 15 von 18 Grüns, puttete 23-mal und notierte die erste jemals gespielte 58 auf einer der großen Touren! Mit einem Gesamtergebnis von 30 unter Par hält er seitdem einen weiteren Rekord.

Nicht dass wir mäkeln wollen, aber ist eine 59 auf einem Par-72-Kurs, also 13 unter Par, nicht mehr wert als 12 unter auf einem Par-70-Platz?
Das stimmt nicht, weil du weniger Par-5-Löcher hast, die ja für uns leichter sind, oder mehr Par 3, die sind immer am schwierigsten.

Wie war der Resttag nach dieser 58 - Wolke sieben?
Es war acht Uhr, ich habe gegessen und bin ins Bett gegangen, weil ich am nächsten Tag in der Früh wieder spielen musste. Ich war so müde, mental so fertig. Ich glaube, das geht auch den meisten Turniersiegern so, dass sie mental so erschöpft und ausgepowert sind, dass sie keine Kraft und Lust mehr haben, die Nacht durchzufeiern.

Eigentlich schade, oder?
Das kann man ja in den nächsten Tagen nachholen.

Du hast ja bei diesem Turnier mit Xander Schauffele gespielt. Wenn so einer kurze Zeit später so kometenhaft nach oben schießt, denkt man dann: "Ich bin der Nächste!"?
Er hat im richtigen Moment gut gespielt. Er hatte bis zur Greenbrier Ende Juli nicht gewonnen. Und dann war er heiß und hat die Tour Championship gewonnen. Er hat im richtigen Moment zugeschlagen. So schnell kann's dann gehen.

Nur eine Woche nach dem verpassten Cut in Pulheim hätte es bei Stephan Jäger schon passieren können: Zurück auf der PGA Tour hatte er bei der Quicken Loans National am Sonntag noch zwei Löcher zu spielen und lag nur einen Schlag hinter seinem großen Idol Tiger Woods im direkten Verfolgerfeld der Spitze. Doppel-Bogey und Bogey versauten "Sedl", wie er seit seiner Jugend genannt wird, sein erstes Top-Ten-Finish. Am Ende wurde es zwar seine bislang beste Platzierung auf der PGA Tour (T13) und mit 133.000 Dollar sein größter Preisgeldscheck, der ganz große Schritt zur Tourkarte für 2019 war es jedoch noch nicht.

Ist ein Turniersieg auf der PGA Tour der große Traum?
Da will ich schon ein bisschen mehr.

Es gibt Profis, die seit vielen Jahren dabei sind und noch kein Event gewonnen haben...
Wenn ich zehn Jahre auf der PGA Tour spiele, ist das auch okay. Dann habe ich es probiert. Du musst dein Golf anpassen. Auf der Web.com Tour ging es viel um die Wedges und die Putts. Auf der PGA Tour müssen deine längeren Schläge besser sein, du musst besser driven, weil die Plätze länger und schwieriger sind. Wenn man hier ein Grün verpasst, ist es ziemlich schnell ein Bogey. Du musst also mehr Grüns treffen. Das wiederum heißt, du musst dein Training etwas verändern. Aber zurück zum Thema: Die beste Zeit eines Golfers ist immer noch - auch wenn es einige gibt, die schon jünger sehr erfolgreich sind - zwischen 28 und 38 Jahren. Du bist dann weiser und erfahrener. Erfahrung ist wichtig. Und in dem Alter fühlst du dich super und dein Körper ist noch gut in Schuss. Das sind also die zehn Jahre, in denen du richtig Gas geben musst. Klar kannst du auch mit 40 noch richtig gut spielen, da gibt es genügend Beispiele.

Stephan Jäger: Stephan Jäger:
Apropos Körper gut in Schuss: Was tust du für deine Fitness?
Ich habe da mein Programm, das ich regelmäßig durchziehe. Weniger mit Gewichten, dafür mehr TRX-Work-out [effektives Ganzkörper-Work-out unter Einsatz eines nicht elastischen Gurtsystems, bei dem das eigene Körpergewicht als Trainingswiderstand sowohl im Stehen als auch im Liegen genutzt wird; Anm. d. Red.] und gelegentlich auch Yoga. Aber ich esse auch gerne.

Bayer halt...
Genau. Ich werde nie einer sein, der mit Sixpack und topfit rumrennt. Dafür esse ich zu gerne und trink auch gerne ein Bierchen. Das Leben ist nicht dazu da, um alles immer nur perfekt zu machen. Ich habe kürzlich ein Interview mit Jason Day gehört. Klar kannst du alles aufgeben, um dahin zu kommen, wo du hinwillst, aber für mich ist das nichts. Wenn ich in meinem Leben ein Turnier weniger gewinne, dafür aber mein ganzes Leben Süßigkeiten essen darf, dann ist mir das eine Turnier vollkommen wurscht, weil ich das Leben letztlich mehr genossen habe.

Siehe Kiradech Aphibarnrat?
Der spielt immer gut, verstehst?

Gab es Phasen in deinem Leben, in denen Geld Druck erzeugt hat, oder bist du von zu Hause gesattelt?
Gar nicht. Meine Eltern haben mir nie direkt Geld gegeben, haben mir aber meine Reisen oder Flüge bezahlt in den ersten Jahren. Das waren auch immer rund 12.000 Euro. Wenn du anfängst, ist Geld immer im Hinterkopf, aber wenn du erst mal auf der PGA Tour bist, machst du genügend Kohle. Ich habe dieses Jahr bislang schlecht gespielt und 384.000 Dollar gemacht.

Du warst bei den ersten sechs Turnieren fünfmal im Geld...
Ich habe schlecht gespielt.

Na ja, 66er-Runden bei der Sony Open auf Hawaii und der RSM Classic...
Klar, wir sind ja keine Hacker, ich kann schon was. Aber für mich war es nicht gut genug in diesem Jahr. Deswegen ist Geld nicht mehr so das Thema.

Weil man weiß, dass es kommt?
Es kommt. Genau. Jetzt will ich eher vorne mitspielen. Der Wille zu siegen, der sportliche Ehrgeiz ist riesengroß.

Du stehst derzeit um Platz 150 in der FedEx-Wertung. Für die Tourkarte musst du 125. werden...
Dazu braucht es nur eine gute Woche. Die kommt.

Du gehst also fest davon aus, dass du die nächsten Jahre die PGA Tour spielst?
Auf alle Fälle.

Ab 2019 wird Stephan das dann als verheirateter Mann tun. Im Dezember wird er in Chattanooga die Amerikanerin Shelby heiraten. Als er sich in sie verguckt hat, schnitt sie ihm gerade die Haare. Mittlerweile ist Shelby die Assistentin seines Agenten und Trainers Kevin Canning. Seit gemeinsamen High-School-Zeiten ist Stephan zudem mit Keith Mitchell gut befreundet, der im gleichen Jahr den Sprung auf die PGA Tour geschafft hat. Außerdem hat er gelegentlich Kontakt zum zweiten Deutschen auf der US-Tour Alex Cejka. Mit Alex bildete er 2016 beim World Cup of Golf in Australien das Team Deutschland.

 

Steckbrief

Name: Stephan Jäger
Alter: 29 Jahre
Wohnort: Chattanooga, Tennessee/USA
Profi seit: 2012
Lieblingsverein: Bayern München
Erfolge:
• 2016 Ellie Mae Classic (Web.com Tour)
• 2017 BMW Charity Pro-Am (Web.com Tour)
• 2017 Rust-Oleum Championship (Web.com Tour)
• 2018 Knoxville Open (Web.com Tour)

Wie viel Amerika und wie viel Deutschland steckt in dir?
Meine Freundin würde etwas anderes sagen, aber ich denke, so 70:30.

Was außer der Just-do-it-Mentalität ist noch amerikanisch an dir?
Also, ich kann dir genau sagen, was an mir deutsch ist: Ich mache alles immer nach demselben Plan. Aber es ist schwierig, da Unterschiede zu benennen. Wenn ich einen schlechten Tag habe, bin ich auch als Amerikaner "pissed", und wenn ich einen guten Tag habe, bin ich auch als Deutscher happy. Ich bin vielleicht nicht immer so streng und etwas gelassener.

Ist Politik ein Thema für dich?
Nein. Das interessiert mich gar nicht. Ich kann eh nicht wählen. Es hat mich auch nie sonderlich interessiert, und ich habe aktuell auch keine Energie, um mich in dem Bereich zu bilden.

Was machst du, wenn du nichts mit Golf zu tun hast?
Nicht viel. Ich bin gerne zu Hause. Ich koche sehr, sehr gerne oder mache gerne amerikanisches Barbecue. Dann gehe ich schön gechillt in den Supermarkt und kaufe dafür ein. Ich probiere dann auch gerne etwas aus oder räuchere mal was.

Von seinem Wohnort unweit des Golfplatzes als Jugendlicher profitiert er heute noch. Durch die Spielereien auf dem heimatlichen Golfplatz macht ihm beim Chippen und Putten kaum jemand etwas vor. Um auf der PGA Tour zu gewinnen, muss er allerdings sein langes Spiel verbessern. Zahlen lügen nicht: Der 134. Rang in puncto Drive-Genauigkeit lässt zwangsläufig auch keine Monsterwerte bei den Greens in Regulation (120.) zu. Neben einem Toursieg zählt natürlich eine Ryder-Cup-Teilnahme zu Stephans großen Zielen, weshalb er künftig auch genügend Turniere auf der European Tour spielen möchte, um für diese Wertung in Betracht zu kommen.

Wie siehst du den Ryder Cup in diesem Jahr?
Knapp. Ich glaube, wir Europäer werden gut sein. Dass wir viele Rookies dabeihaben werden, kann gefährlich sein. Dafür haben unsere Jungs den Platz schon öfter gespielt, was ein Vorteil ist. Doch die Amis werden zum ersten Mal als Team gut zusammenpassen.

Themenwechsel: Hole-in-Ones?
Drei.

Lieblingsplatz?
Valderrama und Pebble Beach. Da bekomme ich auf der 18 immer Gänsehaut. Das ist so gut.

Bester Schlag des Lebens?
Das ist schwer zu sagen. Ich habe nie durch einen einzigen Schlag ein Turnier gewonnen. Aber einige Schläge bei meiner 58er-Runde kommen dafür in Frage, vor allem der letzte Putt. Da bist du so nervös und spürst eigentlich fast nichts mehr.

Dein Lieblingsschläger?
Mein Putter.

Dein Lieblings-Fußballverein?
Bayern. [Augenrollen] Hey, ich bin Münchener!

Okay, ist genehmigt. Und was steht abseits des Golfsports noch so auf deiner Bucket List?
Ich will unbedingt mal eine Rallye fahren. Ich bin schon ein bisschen autoverrückt und fahre gern schnell.

Das ist in den USA eher schwierig, oder?
Wenn man weiß, wo und wann, dann geht das schon. Und ich möchte irgendwann die Weltwunder bereisen und mir alle anschauen. Machu Picchu, die Chinesische Mauer, einfach alle!

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