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Es ist kompliziert

Patrick Reed und Brooks Koepka

Von Tim Southwell, Fotos: Getty Images

Vier Major-Titel in zwei Jahren und das amerikanische Ryder Cup Team wiederbelebt: Eigentlich müssten die amerikanischen Golffans ihren Superstars Brooks Koepka und Patrick Reed zu Füßen liegen. Eigentlich...

Es könnte alles so einfach sein: Patrick Reed und Brooks Koepka sind talentiert bis in die Haarspitzen, Seriensieger auf der Tour und sollten folgerichtig in Amerika Superhelden-Status genießen. Isses aber nicht. Die Beziehung zwischen amerikanischen Golffans und ihren beiden amtierenden Major-Siegern mutet merkwürdig gehemmt an. Niemand scheint die beiden wirklich zu verstehen. Jedenfalls nicht in der Art und Weise wie Rickie Fowler, Justin Thomas, Jordan Spieth und den Rest der #SB2K Gang mit ihren Instagram-Storys und Bro-Wochenenden. Nicht in der Art und Weise wie den verrückten Phil Mickelson mit seiner bionischen Autogrammhand und schon gar nicht wie den wiederauferstandenen Tiger Woods, denn er ist verdammt noch mal Tiger Woods. Selbst der stoisch emotionslose Dustin Johnson kann mehr Verehrer hinter sich wissen als die beiden Sonderlinge.

Patrick Reed, der mosernde, überhebliche, latent adipöse Masters-Sieger und Ryder-Cup-Aufrührer, und Brooks Koepka, der muskelbepackte Eisklotz, der sagenhafte 50 Prozent der letzten sechs Major-Turniere gewinnen konnte, sind ohne jeden Zweifel zwei der größten Namen der Golfwelt im Jahr 2018. Woran aber liegt es, dass Koepka und Reed nicht mit dem Maß an Liebe, Aufmerksamkeit und Respekt überschüttet werden, wie es ihrem Trophäenschrank angemessen wäre? Erster Erklärungsversuch: Einer ist unglaublich einfach zu hassen und der andere viel zu leicht zu ignorieren.

Patrick Reed war schon immer so etwas wie ein einsamer Wolf auf der Tour, ein Mann, der seinen Geschäften allein nachgeht und auf die Anerkennung seiner Kollegen pfeift. Als die Profis der PGA Tour 2017 den unbeliebtesten Kollegen kürten, schaffte es Reed auf Rang zwei. Nur der ewig kontroverse Bubba Watson konnte mehr Stimmen auf sich vereinen.

Ein wichtiger Grund, warum es Patrick Reed gelingt, so viel Missgunst auf sich zu ziehen, liegt in seiner Vergangenheit am College, die an der University of Georgia begann, und den dort erhobenen Betrugsvorwürfen. In seinem Buch "Slaying the Tiger" machte Autor Shane Ryan diese Vorwürfe zum ersten Mal der breiten Öffentlichkeit zugänglich und beleuchtete sie bis ins letzte Detail. Reed wurde unter anderem beschuldigt, Mannschaftskameraden beklaut zu haben, und wurde aus bis heute unbekannten Gründen aus dem Team, eine der erfolgreichsten College-Mannschaften der Vereinigten Staaten, geworfen. Er selbst hat diese Vorwürfe stets auf das Schärfste zurückgewiesen und erklärt, er wäre wegen mehrfacher Alkoholvergehen gefeuert worden. Nicht gerade die Paraderechtfertigung eines Sympathieträgers.

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ALS DIE PROFIS DER PGA TOUR 2017 DEN UNBELIEBTESTEN KOLLEGEN KÜRTEN, SCHAFFTE ES REED AUF RANG ZWEI. NUR DER EWIG KONTROVERSE BUBBA WATSON KONNTE MEHR STIMMEN AUF SICH ZU VEREINEN.
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Reed wechselte an die Augusta State University, und obwohl er dem Team dort als bester Spieler zu einer unerwarteten nationalen Meisterschaft verhalf, rissen die Probleme nicht ab. Patrick Reed war derartig unbeliebt bei seinen Mitspielern, dass diese am Finaltag sogar seinen Gegner Harris English wissen ließen, dass sie ihm von ganzem Herzen die Daumen drückten, ihr Teammitglied zu schlagen. Als Patrick und Harris dann auf dem Platz ihr Duell austrugen, kam es zu bizarren Szenen, denn selbst die Athleten in den Trikots der Augusta State University feuerten den gegnerischen Spieler an.

Jason Payne, der während Patrick Reeds Jahr in Georgia dort als Assistenz-Coach arbeitete, bestätigte Ryans Buch: "Als wir Patrick während des Rekrutierungsprozesses besser kennenlernten, traten einige Charakterprobleme ans Tageslicht, bei denen wir dachten, als Trainer helfen zu können. Als Patrick bereits einige Monate auf dem Campus verbracht hatte, wurde jedoch klar, dass er nicht zum Team passte, und wir entschlossen uns, ihn der Mannschaft zu verweisen. An seinen Fähigkeiten als Golfer bestanden nie Zweifel, es war die Person Patrick Reed, mit der wir als Mannschaft nichts zu tun haben wollten. Die Vorfälle, von denen Shane Ryan schreibt, sind eine korrekte Wiedergabe von Patricks Zeit an der University of Georgia einschließlich der Verdächtigungen seiner ehemaligen Mannschaftskameraden." Und dann wären da noch die gelegentlichen Anfälle von Verbaldiarrhö wie 2014, als die Kameras und Mikrofone nach einem verschobenen Putt eine homophobe Schimpftirade festhielten.

Die größte mediale Aufmerksamkeit erregt jedoch die bedauerliche Tatsache des zerrütteten Verhältnisses zwischen Patrick Reed und seinen Eltern, das 2014 bei der US Open darin gipfelte, dass Reed seine Eltern vom Platz schaffen und ihre Eintrittskarten konfiszieren ließ, als er sie unter den Zuschauern entdeckte. Die Wurzel des Familienzwists liegt angeblich in der Ansicht der Eltern, ihr Sohn wäre im Jahr 2012 noch zu jung gewesen, seine Freundin Justine Karain zu heiraten. Die beiden traten trotzdem vor den Traualtar und luden weder Patricks Eltern noch seine Schwester zu den Feierlichkeiten ein. Trotz zahlreicher Versuche, ihn telefonisch, per E-Mail oder über Vermittler zu erreichen, haben die Reeds ihren Sohn seither nicht mehr gesehen - außer im TV selbstverständlich.

Patrick selbst umgibt sich seither beinahe ausschließlich mit Justines Verwandtschaft. Ihr Bruder Kessler ist sein Caddie, ihre Schwester Janet war die Nanny ihrer Tochter und auch ihre Mutter reist regelmäßig mit der Familie in der Rolle einer Stabschefin, die alles andere als mäßigend auf Patricks unglückliche Familiensituation einwirkt.

Trotz dieser in den Augen des harmoniesüchtigen amerikanischen Golfbetriebs unrühmlichen Vorgeschichte kann niemand bestreiten, welch ein Virtuose Patrick Reed mit dem Golfschläger in der Hand ist. Im August 2013 gewann er die Wyndham Championship und fuhr 2014 noch zwei weitere Siege - bei der Humana Challenge sowie der WGC- Cadillac Championship - ein. Mit 23 Jahren war Reed der jüngste Sieger in der Geschichte der World-Golf-Championship-Serie und überraschte mit einem selbstbewussten Statement: "Ich habe extrem hart gearbeitet. Ich habe als Junior viele Turniere gewonnen, habe große Siege während meiner Amateurkarriere errungen und habe nun bereits drei Turniersiege auf der PGA Tour. Ich sehe nicht viele Jungs, die das ebenfalls geschafft hätten, mit Ausnahme von Tiger Woods natürlich und den anderen Legenden des Sports. Es ist einfach so: Ich glaube an mich und bin überzeugt davon, einer der fünf besten Spieler der Welt zu sein. Bei solch einem WGC-Turnier einen Start-Ziel-Sieg einzufahren sagt mir, dass ich mich nicht länger beweisen muss."

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Patrick Reed lag damals auf Rang 44 der Weltrangliste. Kurze Zeit später in Bay Hill trat er erneut in ein bereitstehendes Fettnäpfchen, als Platzrichter Reed einen gewünschten Free-Drop nicht gewährten und dieser schnippisch kommentierte: "Ich muss wohl Jordan Spieth heißen, um diesen Drop zu bekommen." Ein unverhohlen neidischer Seitenhieb auf seinen Ryder-Cup-Kollegen.

Ah, der Ryder Cup. Patrick Reeds Bilanz ist beeindruckend. 6,5 von neun möglichen Punkten holte er in Gleneagles und Hazeltine mit einer unnachahmlichen Spielweise: konfrontativ, arrogant und bedrohlich. Sein auf die Lippen gelegter Finger, mit dem er die Fans in Schottland zur Ruhe bringen wollte, wurde längst zum Markenzeichen, und obwohl Team USA in Gleneagles böse Schiffbruch erlitt, wurde "Captain America" an diesem Wochenende geboren.

Zwei Jahre später in Hazeltine hatte niemand größeren Anteil am Sieg der Amerikaner als Patrick Reed; selbst einen völlig entkräfteten Jordan Spieth schleppte er am Samstagnachmittag förmlich zum Sieg und konnte sich 2018 beim WGCDell Match Play einen Seitenhieb in Richtung Jordan Spieth nicht verkneifen: "Was Jordan zu einem so guten Matchplay-Spieler macht? Keine Ahnung, mein Rücken schmerzt immer noch vom Ryder Cup."

Einen unbestritten äußerst beliebten Teamkameraden öffentlich zu verspotten hilft offensichtlich nicht beim Sammeln von Popularitätspunkten und somit war es kaum verwunderlich, dass selbst die überaus patriotischen Fans in Augusta in diesem Jahr sichtliches Magengrimmen überkam, als Patrick Reed ins Grüne Jackett schlüpfte. Schließlich hatte er mit Rory, Jordan und Rickie gerade drei der populärsten Spieler der Welt in die Schranken gewiesen. Noch am Tag zuvor wurde er auf Twitter gefragt, warum ihn die Fans nicht einfach als einen der ihren akzeptieren können, und Reed antwortete gewohnt sarkastisch: "Ich habe keine Ahnung. Warum fragst du sie nicht einfach?"

Die Causa Brooks Koepka ist - zumindest an ihrer Oberfläche - deutlich schwieriger zu begreifen. Übermenschliche Kräfte und die Gesichtszüge eines klassischen Hollywood-Stars prädestinieren ihn geradezu, der Arnold Palmer seiner Generation zu sein. Er gewann zwei US Open in Folge und dazu noch die PGA Championship, ein Platz in der Hall of Fame ist ihm bereits jetzt sicher. Und trotzdem fliegt auch Brooks Koepka für viele Fans in den Vereinigten Staaten erstaunlicherweise unter dem Radar. Wahrscheinlich, weil er eine wichtige Charaktereigenschaft mit Patrick Reed teilt: Auch Brooks ist ein Einzelgänger. Zwar trainiert Koepka regelmäßig mit Dustin Johnson, als Freund würde er Johnson nach eigenen Angaben allerdings nicht bezeichnen.

Es ist kompliziert:
Um global Berühmtheit und allumfassende Bewunderung zu erlangen, muss es gelingen, den Fans einen Eindruck zu vermitteln, wer man tatsächlich ist. Golffans sehen in Rickie Fowler einen coolen Typen, der immer bereit ist für einen Spaß und ein gemeinsames Bier. Bei Brooks Koepka kann sich in dieser Hinsicht niemand wirklich sicher sein. Wir kennen ihn nicht. Noch nicht.

Obwohl er bereits drei Majors gewinnen konnte, folgen nicht einmal 100.000 Menschen Brooks Koepka auf Twitter. Rickie Fowler, der noch kein Major gewinnen konnte, dagegen erreicht mit einem einzelnen Tweet 1,6 Millionen Follower. Man kann davon ausgehen, dass Rickie eine Menge von ihnen gegen eine Major-Trophäe eintauschen würde; bis es jedoch so weit ist, kann er sich beruhigt in dem Gedanken zurücklehnen, einer der populärsten Golfer des Planeten zu sein. Brooks Koepka hingegen vermittelt den Eindruck, dass ihn das alles kein bisschen interessiert. Doch hin und wieder blitzt Frustration durch die dicke Rüstung aus Lakonie. In einem "Sports Illustrated"-Interview beschwerte er sich in diesem Sommer über die Berichterstattung des Golf Channel, der es nicht für nötig hielt, Koepka als einen der "Ten Players to Watch" für die kommende US Open zu küren. "Ich bin der Titelverteidiger und unter den Top Ten der Welt. Zehn Typen sind auf dieser Liste und ich bin keiner davon?"

Es sollte niemanden wundern, wie sehr sich Brooks Koepka über diesen Mangel an Aufmerksamkeit ärgert, denn er zieht sich wie ein roter Faden durch seine Karriere. Obwohl er dreimal als All-American an der Florida State University ausgezeichnet wurde, durfte er nie im Walker Cup antreten. "Ich habe immer das Gefühl, übersehen zu werden", erklärte er nach seinem US-Open-Sieg in Shinnecock Hills. "Nichts könnte mich weniger interessieren. Es macht mir nichts aus. Ich mache einfach weiter mein Ding und ziehe mich, so gut es geht, in mein Privatleben zurück. Falls das möglich ist."

Der Mangel an Liebe, den die Golfwelt Brooks Koepka entgegenbringt, ist sicher am besten durch seine mangelnde Liebe für das Golfspiel selbst zu erklären. Bezeichnenderweise nannte er Golf einst "irgendwie langweilig" und beanstandete, dass im Vergleich zu anderen Disziplinen einfach "die Action fehle". Vielleicht ist Brooks Koepka deshalb so unglaublich gut in Drucksituationen, es kratzt ihn einfach kaum, was um ihn herum passiert. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass Fans, die Golf wirklich abgöttisch lieben, mit Brooks Koepka einfach nicht warm werden können.

Es ist schwierig zu entscheiden, was für einen Weltklasse-Golfer schlimmer ist: nicht gemocht oder schlichtweg ignoriert zu werden. Patrick Reed bekommt für seine Arbeit wenigstens eine Reaktion, auch wenn diese oftmals in dem dringenden Wunsch besteht, ihm auf die Nase boxen zu wollen. Brooks Koepka hingegen ist in der bedauernswerten Situation, dass er, egal wie gut er spielt und wie viele Majors er noch gewinnen wird, viel mehr als ein Schulterzucken bei seinen Landsleuten kaum auslöst.

Die letzten Worte sollten Brooks Koepka gebühren - denn ganz ehrlich, wer wollte sie schon Patrick Reed überlassen? "Manchmal sind deine Neider und Hasser die größten Motivatoren", philosophierte er einst. Und Patrick Reed würde dazu garantiert "Amen!" sagen.

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