Am Finaltag wurde das Grüne Monster dann doch noch seinem Namen gerecht. Nach drei Tagen, an denen Green Eagle für die besten Spielerinnen Europas dank nach vorne gesteckter Tees keine übermäßige Herausforderung war, zeigte der Nord Course endlich seine Zähne - mit etwas Hilfe von Mutter Natur. Stark auffrischende Winde sorgten dafür, dass einige Spielerinnen, die mit Titelambitionen in die Runde gestartet waren, schnell ihre Hoffnungen auf den Sieg aufgeben mussten. Am Schlimmsten erwischte es die beiden englischen Spielerinnen aus der Schlussgruppe: Die Zweitplatzierte Hannah Screen, die sich während der Runde behandeln lassen musste, hatte bis zu ihrem ersten Birdie auf der 15 bereits fünf Bogeys, ein Doppelbogey und eine 7 auf einem Par 3 auf der Scorekarte stehen und fiel auf Platz 19 zurück. Alice Hewson notierte von der 4 bis zur 8 fünf Bogeys in Folge und rutschte mit einer 80 noch von Rang 3 auf Platz 10.
Für Shannon Tan, die mit drei Schlägen Vorsprung in den Schlusstag gestartet war, bedeutete dies einen relativ entspannenden Nachmittag - bis kurz vor Schluss die Nerven einsetzten. Obwohl die 21-Jährige nicht ihren besten Tag mit dem Driver erwischte und an der 10 sogar einen Strafschlag kassierte, hielt sie bis zur 16 ein relativ sicheres Polster von wenigstens zwei Schlägen Vorsprung. Doch den Titel im Blick begann plötzlich das große Zittern. An der 17 jagte sie den Ball mit Adrenalin im Körper zehn Meter über das Grün und kassierte trotz eines erstklassigen Chips das Bogey. Und als ihr Ball an der 18 den Schlägerkopf verließ, rutschte ihr das Herz in die Hose. Der Ball hookte Richtung Wasserhindernis und war nur um Zentimeter noch spielbar.
Dass Tan überhaupt noch in Führung lag, hatte sie Helen Briems Putter zu verdanken. Briem, die nach den ersten beiden Tagen noch geführt hatte und als geteilte Dritte in den Finaltag gegangen war, war im langen Spiel wie immer souverän und komplett in Kontrolle, ließ aber zahlreiche Schläge auf den Grüns liegen. Ihr einziges Birdie des Tages kam als sie an der 11 beinahe zum Eagle einchippte, doch abgesehen von einem langen Par Save an der 8 fiel kein einziger längerer Putt. An der 17 verfehlte Briem das Birdie aus zwei Metern, an der 18 aus drei Metern. Und so wusste Tan, dass ihr ein Par an der 18 zum Sieg reichen würde. Nach einem Chip zurück ins Fairway schlug sie ihr Eisen sicher aufs Grün und sicherte sich mit einem Zwei-Putt den zweiten LET-Titel ihrer Karriere.
Tan profitierte dabei auch davon, dass die Ladies European Tour erfolgreich das Grüne Monster gezähmt hatte. Die ganze Woche über waren etliche Abschläge weiter nach vorne gesteckt als sogar noch in den Proberunden. Für Longhitter wie Helen Briem und die Neuseeländerin Amelia Garvey, die das Turnier auf dem dritten Platz beendete, bedeutete dies, dass sie ihre größte Stärke nicht komplett einsetzten konnten, da das Setup sie oft dazu zwang, mit Driving Irons oder Hybrids abzuschlagen, sodass Shannon Tan vom Tee keinen Nachteil hatte. Die Frau aus Singapur musste zwar öfter ihren Driver zücken, hat aber völlige Kontrolle über ihn: Mit mehr als 91% Fairwaytreffern thront sie in den LET-Statistiken meilenweit vor der Konkurrenz.
Dass am Ende die präziseste Driverin und zwei der längsten Spielerinnen der LET um den Titel konkurrierten, ist aber auch ein Empfehlungssiegel für das erste Amundi German Masters in Green Eagle, da es zeigt, dass auf diesem Platz jeder Spielertyp Siegchancen hat. Vielleicht führt dies dazu, dass sich im kommenden Jahr weniger Spielerinnen in letzter Sekunde aus der Entry List streichen lassen. Denn das Amundi German Masters war die beste Werbung für den Frauengolf. Besonders am Samstag war der Zuschauerzuspruch in Green Eagle gigantisch und sorgte so dafür, dass der Plan der Veranstalter für den Umzug von Berlin nach Hamburg voll aufgegangen ist. Unglücklicherweise war am Sonntag in der Hansestadt Hamburg dank Halbmarathon und Parade der Harley Days Verkehrschaos pur, sodass etwas weniger die Anreise wagten als noch am Vortag. Dass die Veranstaltung dennoch ein voller Erfolg war, ist auch und vor allem Esther Henseleit zu verdanken. Die Olympia-Zweite machte sich für das Turnier in ihrer Heimat stark und wirkte wie ein Zuschauermagnet. Hunderte von Menschen wollten an jedem der vier Turniertagen sehen, wie sich die Silbermedaillengewinnern schlägt. Dass die 21. der Weltrangliste am Ende mit Platz 10 zufrieden sein musste, lag daran, dass ihr Putter am Sonntag erneut bockiger war als ein Springpferd beim Hamburger Derby an Pulvermanns Grab. Wieder und wieder lippten die Putts aus, rollten über die Lochkante oder drehten eine Ehrenrunde ums Loch herum.
Zwei Plätze vor Henseleit fand sich Carolin Kauffmann wieder, die schwer in die Runde kam und nach den Front 9 bereits fünf über Par lag, sich auf den Back 9 aber stabilisierte und sich die erste Top-10-Platzierung ihrer Karriere sicherte. Ebenso erfreulich lief es für die Amateurin Charlotte Back, die sich mit einer 71 noch auf den 19. Platz nach vorne schob und beinahe noch Carla Bernat, die Gewinnerin des Augusta National Women's Amateur, als Leading Amateur eingeholt hätte. Die Spanierin landete am Ende auf Platz 14 - schlaggleich mit Anna Huang, die sich mit einer 69 von Platz 49 noch weit nach vorne katapultierte. Der Kanadierin gelang dabei am Sonntag die einzige Runde in den 60ern nachdem an den ersten drei Tagen noch 18 davon erzielt wurden.
Eine davon hatte Helen Briem am Donnerstag, für die das Amundi German Masters trotz des knapp verpassten Siegs dennoch auch zahlreiche positiven Seiten hatte. Bereits vor dem Turnier hatte sie einen Startplatz bei der Amundi Evian Championship sicher, wo sie in 14 Tagen ihr Majordebüt geben wird. Mit dem zweiten Platz sollte sie nun auch mit ziemlicher Sicherheit für die AIG Women's Open qualifiziert sein, wo mit Stichtag 7. Juli die fünf besten noch nicht qualifizierten Spielerinnen der LET Order of Merit startberechtigt werden. Dort würde dann ein deutsches Quartett antreten mit Briem, Henseleit Sophia Popov und Alexandra Försterling, die ihre Titelverteidigung beim Amundi German Masters mit Verletzungsproblemen auf Platz 39 beendete.

Amundi German Masters 2025
Shannon Tan gewinnt das Amundi German Masters 2025
29.06.2025 | Von Rüdiger Meyer, Foto(s): Tristan Jones / LETGenauigkeit schlägt Länge: Shannon Tan aus Singapur hält in der Schlussrunde des Amundi German Masters die Longhitter Helen Briem und Amelia Garvey in Schach.