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Technik-Kolumne

Spin Doctors

Von Rüdiger Meyer, Fotos: Marvin Sedelies

Seit März hat die Münchner Fittingschmiede HIO eine Dependance in Hamburg. Wir haben die kleine, aber feine Adresse in der Innenstadt besucht und die Probe aufs Exempel gemacht.

Wenn es um Fitting geht, komme ich mir vor wie jemand aus der Flat-Earther-Bewegung. So wie es unzählige Beweise dafür gibt, dass die Erde eine Kugel ist, aber eine Gruppe Verblendeter immer noch an der Theorie einer Scheibenwelt festhält, weil der Horizont nicht gebogen aussieht, glaube ich nicht an den Effekt von Fitting. Objektiv gesehen völliger Blödsinn. Man muss nur 20 Minuten am ersten Tee irgendeines Golfplatzes stehen und schauen, wie einzigartig jeder Golfschwung ist, um zu verstehen, dass man individuelle Schläger braucht, um Körpergröße, Schwunggeschwindigkeit oder Flugbahn des Balls zu berücksichtigen - ganz zu schweigen von den nerdigeren Aspekten wie Abflugwinkel, Spin-Rate oder Smash-Faktor. Allein der Glaube daran fehlt mir trotzdem.

Als ich vor ein paar Monaten unserem Kolumnisten von HIO Golf diese Tatsache gestehe, komme ich mir vor wie jemand, der sich die Beichte abnehmen lässt: "Verzeih mir, Fabian, denn ich habe gesündigt." Zweimal in meinem Leben habe ich ein Fitting gemacht. Das Resultat: Ich habe über ein Jahr lang mit Eisen gespielt, die eine Flugbahn wie Tigers Stinger hatten, und mit einem Driver, der zwar auf 210 Meter rollte, mit dem ich aber carry kein 170 Meter entferntes Wasserhindernis mehr überwinden konnte. Frei nach dem Motto "Ein gebranntes Kind scheut das Fitting" habe ich mich seit mehr als zehn Jahren nicht mehr durchchecken lassen und spiele entweder noch Schläger, die zehn bis 15 Jahre alt sind, oder welche, die mir als Leihschläger gute Dienste geleistet haben. Die versöhnliche Antwort unseres Fitting-Priesters auf meine Offenbarung: "Du hattest einfach noch kein gutes Fitting!"

Das zu ändern ist leichter gesagt als getan. Schließlich sitzt die GolfPunk-Redaktion in Hamburg und die Schlägerschmiede HIO am anderen Ende der Republik in München. Bislang zumindest, denn im März dieses Jahres hat HIO eine Filiale in der Hansestadt eröffnet und mich eingeladen, vom Fitting-Agnostiker zum Fitting-Jünger zu werden. Geleitet wird HHIO, wie ich den Ableger scherzhaft taufe, von Hagen Fahr, der vor wenigen Wochen extra für diesen Job mit seiner Familie nach Hamburg gezogen ist. Hagen ist ausgebildeter Golflehrer, der vor seinem Wechsel zu HIO im Achental Resort unterrichtet hat, und - was mich am meisten freut - Linkshänder. Mit anderen Worten: Er ist vertraut mit dem Dilemma, in dem Lefties wie ich stecken, da die Golfindustrie nur ein reduziertes Angebot für uns parat hat.

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OBWOHL MEINE WERTE NICHT GERADE ,SUPERMAN!' SCHREIEN, BLEIBE ICH, DER ,MAN OF STEEL', WEIL SICH DER GRAPHITSCHAFT ÜBERRASCHENDERWEISE ZU FEST ANFÜHLT.
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Gefittet wird bei "Golf in a Box", ein Golfsimulator, der so zentral gelegen ist, dass man nach einem Drive aus der Eingangstür den zweiten Schlag am Hamburger Fernsehturm durchführen könnte. Vor dem Termin wurden bereits per Fragebogen die wichtigsten Details zum Fitting abgeklärt, sodass mich Hagen nur noch ein paar Eisenschläge zum Eingrooven machen lässt, bevor es ans Eingemachte geht. Doch bereits beim Warmschlagen fallen Hagen erste Auffälligkeiten ins Auge: "Deine Spin-Rate mit dem Eisen 7 ist teilweise bei mehr als 8.000 Umdrehungen pro Minute." Was für einen Sportwagen super wäre, ist für Amateur-Golfer eher kontraproduktiv. "Ich würde das gerne mehr in Richtung 5.000 Umdrehungen haben, dann bekommst du auch automatisch mehr Länge", formuliert Hagen die Aufgabe für diesen Tag.

Als er die Kommode mit den Schlägerköpfen öffnet, zeigt er mir erst einmal das Leben der anderen. Die Schublade für Rechtshänder ist prall gefüllt mit Ware von allen großen Marken. Als Linkshänder muss ich mich wie gewohnt mit deutlich weniger Optionen begnügen, was allerdings auch ein Vorteil sein kann, da der Findungsprozess schneller geht. Jeder weitere Schlägerkopf bedeutet mehr Testschläge, was an die Substanz und die Konstanz geht. Mit acht Köpfen von PXG, Callaway und TaylorMade, die jeweils an verschiedene Schaftoptionen geschraubt werden können, machen wir uns an die Arbeit. Das wirft bei mir erst einmal eine grundsätzliche Frage auf: Was hat Priorität? Den richtigen Kopf zu finden oder den richtigen Schaft? Mit seiner Antwort wird Hagen zum Tim Mälzer unter den Fittern - wenn auch ohne die Gossensprache. "Wir Fitter sind wie Köche. Jeder hat seinen eigenen Prozess. Ich benutze immer erst einmal einen Schaft, der dem aktuellen des Kunden ähnelt, damit er oder sie sich nur an ein neues Element gewöhnen muss, und versuche im ersten Schritt, den passenden Kopf zu finden."

Ein Prozess, der überraschend schnell geht, denn das objektive Gerüst der Zahlen bildet auch mein subjektives Schwunggefühl ab. Als Erstes fliegen die drei PXG-Köpfe aus der Auswahl, weil sie sich irgendwie nicht flüssig in meiner Hand anfühlen (was budgetär ein Glücksfall ist, denn beim Kauf eines PXG-Eisensets wäre ich ebenfalls nicht mehr flüssig gewesen). Als Nächstes bekomme ich einen Callaway-Ai300-Kopf aufgeschraubt und kommentiere meinen ersten Schlag mit einem laut vernehmbaren Lachen, weil ich selten so ein butterweiches Gefühl im Kontakt hatte. Auch das P790 von TaylorMade und die Apex Ti von Callaway, die ich allein schon wegen der schwarzen Farbe gerne im Bag hätte, kommen in die zweite Runde. Doch das Spielgefühl und die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Ins Schwarze treffen vor allem die silbernen Ai300.

Was auffällig ist: Hagen hat es tatsächlich geschafft, mit allen Köpfen meine Spin-Rate deutlich nach unten zu drücken, was man nach dem Fitting in der Trackman-App auf dem eigenen Handy nachvollziehen kann, zu der die Ergebnisse automatisch übertragen werden. Statt 8.000 Umdrehungen sind es plötzlich nur 4.000 bis 5.000, was sich auch in der Länge widerspiegelt: Zehn Meter zusätzliche Carry-Distanz zeigt der Monitor an. Jedoch solle man nicht erwarten, dass diese Resultate eins zu eins in der Realität Bestand haben, erklärt Hagen. Die Distanzwerte seien letztlich eine Hochrechnung des Simulators basierend auf Ballgeschwindigkeit, Abflugwinkel und Spin-Rate. Da Letztere bei meinen bisherigen Schlägern so extrem hoch war, hat das Programm relativ geringere Carry-Distanzen errechnet, die unter meinen realen Längen liegen. Doch wie verhindert man, dass jemand am Simulator unbedingt versucht, hohe Zahlen zu erreichen, und so das Fitting verfälscht wird? "Da kommt mir meine Erfahrung als Teaching Pro zu Hilfe", sagt Hagen. "Wenn ich sehe, dass jemand unnatürlich draufprügelt, versuche ich zu bremsen."

Technik-Kolumne: Telefonieren nach Hause? Der Fitter-Finger glüht
Telefonieren nach Hause? Der Fitter-Finger glüht
Im nächsten Schritt muss der passende Schaft für meine Köpfe gefunden werden. Klar ist aufgrund meiner Schlägerkopfgeschwindigkeit (die in den kommenden Jahren nur noch weiter sinken wird, wie Hagen wenig diplomatisch anmerkt), dass ein Stiff-Schaft für mich nicht mehr infrage kommt. Aber ist ein weicher Stahlschaft oder ein härterer Graphitschaft die bessere Wahl? Also schlage ich wieder auf die Leinwand - und produziere Werte, die sich kaum unterscheiden. Welcher Schaft es werden soll, bleibt am Ende mir überlassen. Obwohl meine Werte nicht gerade "Superman!" schreien, bleibe ich der "Man of Steel", weil sich der Graphitschaft überraschenderweise zu fest anfühlt. Ein Eindruck, der nicht aus der Luft gegriffen ist, denn dessen Spitze ist deutlich fester, weiß Hagen.

Wie viele Stellschrauben es an einem Schaft gibt, wird vor allen Dingen beim Driver sichtbar. Auch hier muss bei mir die Spin-Rate gedrückt werden. Es folgt das gleiche Spiel wie bei den Eisen: Erst werden verschiedene Köpfe angeschraubt, im Anschluss soll der richtige Schaft gefunden werden. Allerdings fällt Hagen währenddessen ein Detail ins Auge. Ich habe meinen aktuellen Callaway-Driver am Hosel zwei Grad höher gestellt. Einen kurzen Umbau später produziert mein alter Schläger plötzlich nur marginal schlechtere Werte als das aktuelle Modell aus Carlsbad. Finanziell ein Segen für mich, denn ein bei HIO gefitteter Komplett-Driver kann schon mal 700 bis 1.000 Euro kosten. Warum eigentlich? Im Internet oder in anderen Ladengeschäften gibt es das gleiche Modell doch fast 40 Prozent günstiger.

Das gleiche vielleicht, aber nicht dasselbe", klärt Hagen auf. "Von außen mögen sie identisch aussehen, aber innen sind sie es nicht. Es gibt zwei verschiedene Formen von Schäften. Wir bei HIO benutzen nur sogenannte Original-Schäfte ohne Fertigungstoleranzen. Wir haben es ganz oft, dass jemand bei uns ein Fitting macht, den empfohlenen Schläger im Laden für 400 Euro weniger kauft und uns dann Vorwürfe macht, wenn er nicht funktioniert. Nur ist dies nicht der Schläger, den wir gefittet haben. Die Schäfte im Laden sind sogenannte OEM-Schäfte für zehn Dollar, die als Massenware hergestellt werden und in der Qualität extrem schwankend sind." Oder um im Bild vom Fitter als Koch zu bleiben: Es ist ein wenig so, als würde man auf der Speisekarte eines Michelin-Restaurants einen Gourmet-Burger sehen, aufgrund des Preises lieber zu einer Fast-Food-Kette gehen und sich beschweren, wenn man mit Magenkrämpfen im Bett liegt.

Damit dies bei HIO nicht passiert, geht der Prozess nach dem Fitting noch weiter. Der neue Schlägersatz wird nicht einfach beim gewünschten Hersteller - in meinem Fall Callaway - bestellt und in ein paar Wochen geliefert. Die Einzelteile gehen in die HIO-Manufaktur nach München, wo die Schläger für die gefitteten Werte individuell montiert und noch einmal durchgecheckt werden. Bevor ich mich entscheide, mein Misstrauen auf- und die gefitteten Eisen in Auftrag zu geben, soll mir Hagen allerdings noch eine Testfrage beantworten: "Wer hat dich eigentlich gefittet?" Seine Antwort ist genau die, auf die ich gehofft hatte. "Für meinen neuesten Satz habe ich mich selber gefittet." Willkommen in meinem Bag, Callaway Ai300!

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