Seit er als Achtjähriger in einer TV-Show Bälle in die Waschmaschine chippte oder spätestens als er im Teenageralter seinen ersten Sieg auf der European Tour holte, wurde McIlroy als prädestinierter Nachfolger von Tiger Woods auf dem 9er-Eisernen-Thron gehandelt. Und als er 2014 bei der Open und der PGA Championship sein drittes und viertes Major gewann, schien ihn nichts mehr aufhalten zu können. Doch wie Westeros wurde auch McIlroy von einer brutalen Eiszeit überkommen. 10 Jahre oder 39 Majors konnte er trotz 21 Top-Ten-Platzierungen, darunter alleine vier zweite Plätze, keinen Titel mehr holen. Die Open 2022, als er auf den letzten 8 Löchern einen Drei-Schläge-Vorsprung abgab, wurde sein Blackwater. Die US Open 2024, als er mit zwei verschobenen, kurzen Putts den Titel aus der Hand gab, sendete Schockwellen durch die Golfwelt wie die Rote Hochzeit durch die Sieben Königslande. Aber nichts war brutaler als McIlroys Historie beim Masters in Augusta National, das zu seiner persönlichen "Schlacht der Bastarde" zu werden schien.
Die brutalen Rückschläge, die McIlroy beim ersten Major des Jahres erlebte, sind gut dokumentiert. Wie er 2011 seinen Abschlag an der 10 meilenweit nach links verzog und zwischen Bäumen und Häusern so einsam und verlassen dastand wie Jon Schnee an der Mauer hat sich in das Gedächtnis jedes Golf-Fans eingebrannt. Und mit jedem Jahr und jedem knapp verpassten Sieg wurde McIlroys Narbengewebe immer dicker. Es schien als solle das Masters für McIlroy für immer das bleiben, was die US Open für Phil Mickelson ist.
Doch 2025 sah es aus als solle der Fluch gebrochen werden - zumindest für 14 Löcher. McIlroy, der mit Abstand beste Spieler dieses Kalenderjahres, war in völliger Kontrolle und dominierte das Geschehen. Bis er an der 15 trotz zwei perfekter Schläge leicht hinter dem Grün lag, etwas zu aggressiv chippte und mit ansehen musste, wie sein Ball in den Teich rollte. Als er an der 17 ein weiteres Doppelbogey nachlegte, schien sich die Geschichte zu wiederholen. Doch McIlroy, der seit einiger Zeit die Hilfe vom legendären Sportpsychologen Bob Rotella in Anspruch genommen hat, sagte sich das, was auch Arya Stark verinnerlichte als man sie fragte, was sie dem Gott des Todes sagen würde: "Heute nicht!"
Am Freitag kehrte McIlroy an das erste Tee zurück als sei nie etwas gewesen. Mit einer makellosen, bogeyfreien 66er Runde kämpfte er sich zurück in den Titelkampf. Und als er am Sonntag als erster Spieler in der Masters-Geschichte auf den ersten sechs Bahnen sechs Mal die 3 auf der Scorekarte notieren konnte, mit einer weiteren 66 ins Clubhaus kam und mit zwei Schlägen Vorsprung in den Schlusstag ging, schien er die Dämonen ein für alle Mal vertrieben zu haben. Mit dieser neuen Nervenstärke konnte so etwas wie 2011 sicher nicht noch einmal passieren, oder?
Damals dauerte es drei Löcher bis ein wie wild aufspielender Charl Schwartzel ihn eingeholt hatte und zehn Löcher bis Rory zum ersten Mal einem Rückstand hinterherlief. 2025 ging es noch schneller. Nach gerade mal einem Loch hatte ihn ausgerechnet sein US Open Gegner Bryson DeChambeau eingeholt. Ein Loch später sah sich Rory nach einem Birdie von DeChambeau plötzlich in der Defensive. Der 21-Jährige McIlroy hätte sich davon wahrscheinlich nicht mehr erholen können, doch der 35-Jährige sagte sich erneut "Heute nicht!"
Mit Birdies auf den Löchern 3 und 4 holte sich Rory die Führung zurück. Nach zwei weiteren Birdies an der 9 und 10 hatte er den Vorsprung auf komfortable fünf Schläge ausgebaut. Als sein Ball an der 11 Zentimeter neben Rae's Creek liegen blieb und sich DeChambeau mit einem Wasserschlag endgültig aus dem Titelrennen verabschiedete, schien es als wären die alten Götter dieses Mal endlich auf Rorys Seite. Doch ausgerechnet auf der 13, die er die Woche über in vier unter Par gespielt hatte, kam das Masters-Trauma wieder hoch. Nachdem er vorgelegt hatte, leistete sich McIlroy mit dem dritten einen unerklärlichen Fehlschlag. Statt den Ball hinter der Fahne landen und mit dem Geländer zurückkommen zu lassen, ließ er seinen Schlag kurz und landete in Rae's Creek. Doppelbogey. 1982 hatte Craig Stadler trotz drei Doppelbogeys das Grüne Jackett geholt. Vier Doppelbogeys hingegen hatten in der 90-jährigen Masters-Geschichte noch jeden Spieler aus dem Titelrennen katapultiert. "Heute nicht!"
Nach einem weiteren Bogey an der 14 stand McIlroy auf der linken Seite des 15. Fairways. Vor ihm ein Baum und der Teich, der ihm am Donnerstag zum Verhängnis geworden war. McIlroy griff zu seinem Eisen 7 und legte einen epischen Draw hin, der den Ball zwei Meter an den Fahnenstock katapultierte. Zwar lief der Eagle-Putt knapp am Loch vorbei, doch das Tap-In-Birdie brachte McIlroy wieder in alleinige Führung - bis ausgerechnet Justin Rose mit einem Monster-Birdie-Putt an der 18 gleich zog. Sollte dem Nordiren in letzter Sekunde etwa doch noch der Sieg entgleiten? Heute nicht! Mit einem majestätischen Eisen an der 17 legte McIlroy den Ball 80cm an die Fahne, lochte zum Birdie, ging als alleiniger Führender auf die 18 - und erlebte ein Geduldsspiel. Weil Ludvig Åberg an der 18 ein Triplebogey spielte, staute sich am Schlussloch alles und McIlroy musste warten. In solchen Momenten drohen die Gedanken zu den vielen negativem Ereignissen abzudriften, die ihm in 16 Masters-Starts widerfahren sind. "Heute nicht!"
McIlroy griff zum Driver, zauberte einen perfekten Fade in den Abendhimmel von Augusta, brachte sich in die perfekte Ausgangssituation - und verzog sein Gap Wedge in den rechten Grünbunker. Die Sonne ins Gesicht scheinend, bohrte McIlroy seine Füße in den feinen, weißen Bunker von Augusta, ließ das Wedge butterweich durch den Sand gleiten und nutzte die Neigung des Grüns aus, um den Ball einen Meter an die Fahne zu legen. Fast exakt auf die Distanz, aus der er wenige Monate zuvor auf dem 18. Grün in Pinehurst seine Siegeschancen vergeben hatte. Und auch dieses Mal konnte er den Matchball nicht versenken. Playoff! Ausgerechnet gegen Ryder-Cup-Kumpel Justin Rose, der für seine Nervenstärke bekannt ist. Das Drehbuch für ein weiteres Kapitel aus Mcilroys Masters-Missgeschicken schien bereits geschrieben. "Heute nicht!"
Nachdem Rose und McIlroy zwei perfekte Drives ins Fairway der 18 platzierten, durfte Rose als erster ran. Aus 157 Yards kam der Ball nur Zentimeter neben der Fahne auf, blieb aber zum Unverständnis des Engländers im Gegenhang hängen. Rory hingegen schlug aus 125 Yards sein Gap Wedge etwas länger und nutzte die Welle im Grün aus, um seinen Ball 60 Zentimeter an die Fahne zu legen. Als Rose seine Birdie-Chance knapp verpasste, erhielt Rory seine nächste Chance auf den Sieg - und dieses Mal nutzte er sie. Übermannt von Gefühlen und mit einem Schrei gen Himmel entluden sich alle Emotionen, die sich in zehn Jahren voller Major-Entbehrungen aufgestaut hatten. Unter "Rory Rory"-Sprechchören schloss er erst seine Frau, dann seine Tochter und schließlich seinen besten Freund und ganz persönlichen Hodor, Shane Lowry, in die Arme bevor er die Feierlichkeiten mit einem Satz beendete, von dem er geträumt hatte, seit er als kleines Kind in Holywood in die Waschmaschine chippte: "Ich muss mir jetzt ein Grünes Jackett abholen!"
